Beiträge

Titelbild: Platzertal (Foto: Christoph Praxmarer)

40 Umweltvereine und Wissenschafter:innen fordern Ausbau-Stopp für Kraftwerk Kaunertal – Tiroler Landesregierung muss die letzten intakten Alpenflüsse schützen und naturverträgliche Energiewende umsetzen.

Insgesamt 40 Umweltvereine und Stimmen aus der Wissenschaft fordern in einer gemeinsamen Erklärung den Stopp des Ausbaukraftwerks Kaunertal. Stattdessen müsse die Tiroler Landesregierung die letzten intakten Alpenflüsse schützen und eine konsequent naturverträgliche Energiewende umsetzen. „Dieses Großprojekt steht wie kein anderes für die völlig überzogene Ausbaupolitik der TIWAG. Wir brauchen eine naturverträgliche Energiewende statt weiterer Verbauung alpiner Naturräume“, mahnt Bettina Urbanek, Gewässerschutzexpertin des WWF Österreich. Für das Projekt plant die TIWAG bis zu 80 Prozent des Wassers aus dem Ötztal, einem der niederschlagsärmsten Täler Tirols, auszuleiten und im ökologisch einzigartigen Platzertal einen 120 Meter hohen Staudamm zu errichten und dahinter neun Fußballfelder Moorflächen zu fluten. „Das hätte verheerende Folgen für die hochsensible Naturlandschaft, würde wichtige Lebensräume zerstören und die Biodiversitätskrise befeuern.“

Frei fließende Bäche und Flüsse zählen zu den wertvollsten Lebensräumen weltweit – auch in den Alpen. Dennoch werden diese letzten Wildflüsse verbaut und somit zu den Verlierern einer verfehlten Energiepolitik“

Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

„Frei fließende Bäche und Flüsse zählen zu den wertvollsten Lebensräumen weltweit – auch in den Alpen. Dennoch werden diese letzten Wildflüsse verbaut und somit zu den Verlierern einer verfehlten Energiepolitik“, kritisiert Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und fährt fort: „Wasserkraft ist zwar eine erneuerbare aber keinesfalls eine umweltfreundliche oder klimaneutrale Energiequelle. Durch den geplanten Ausbau des Kraftwerks Kaunertal würden vier bisher noch weitgehend intakte Alpenflüsse zu Rinnsalen degradiert.“ Das verändere den Wasserhaushalt einer ganzen Region – mit gravierenden Folgen für Natur und Mensch.

GLOBAL 2000 Geschäftsführerin Agnes Zauner fordert anstelle des Ausbaus eine naturverträgliche Energiewende: „Der jüngste Bericht des Weltklimarates hat eindrücklich gezeigt, dass wir die Klima- und Biodiversitätskrise nur mit Hilfe der Natur bewältigen können. Es geht jetzt darum, wertvolle Naturräume zu schützen und die Energiewende naturverträglich voranzutreiben.“ Dazu gehöre in Tirol ein Schwerpunkt auf Einsparung von Energie, den Photovoltaik-Ausbau und den Austausch von Öl- und Gas-Heizungen gegen Fernwärme, Wärmepumpen und Solarenergie. „Nur so kann Tirol unabhängig von Öl, Gas und Kohle werden.“

„Zusätzliche Speicher müssen unbedingt naturverträglich realisiert werden. Dass das möglich ist, zeigen andere Projekte. Sie funktionieren als geschlossene Systeme, benötigen keine neuen Naturflächen und verursachen keine zusätzliche Schwallbelastung in Flüssen“, ergänzt Bettina Urbanek vom WWF.

Ausbaupläne für das Kraftwerk Kaunertal (Bild: WWF)

Das Kaunertal war früher das Tal der Wasserfälle.

Anita Hofmann, Verein Lebenswertes Kaunertal

Naturgefahren durch Naturzerstörung

Das Kraftwerk Kaunertal zeige bereits in seiner derzeitigen Form das Ausmaß der Naturzerstörung und der Beeinflussung der Menschen im Kaunertal, schildert Anita Hofmann vom Verein Lebenswertes Kaunertal: „Das Kaunertal war früher das Tal der Wasserfälle. Doch seit dem Bau des Kraftwerks liegen unsere ehemaligen Almböden unter Wasser und die sprudelnden Seitenbäche sind versiegt. Wir können und wollen keine weitere Naturzerstörung zulassen.” Besorgt zeigte sich Hofmann auch beim Thema Naturgefahren: „Wir leben seit Jahren mit der Sorge vor einer Hangrutschung beim bereits bestehenden Gepatschstausee. Der Ausbau des Kraftwerks mit Pumpspeicherbetrieb würde dieses Risiko noch weiter erhöhen, da die Gefahr besteht, dass die umliegenden Hänge durch das ständige Fluten und Leeren stärker in Bewegung kommen.” Darüber hinaus drohe der Bau auch den für das Kaunertal so wichtigen, nachhaltigen Tourismus zu gefährden. „Der Ausbau bedeutet für uns massive Großbaustellen mit enormen Deponieflächen, die Naturräume zerstören. Hinzu kommen jahrelange Lärm- und Verkehrsbelastungen mit zahllosen LKW-Fahrten, die jeden Tag das Tal hinaufkeuchen sowie eine signifikante Verschlechterung der Luftqualität.”

Über die Kaunertal-Erklärung 2022

Die vom WWF Österreich initiierte Kaunertal Erklärung wird unterstützt von 30 Organisationen aus den Bereichen Umwelt-, Natur- und Klimaschutz, Fischerei und Wildwassersport. Darunter sind der Verein Lebenswertes Kaunertal, GLOBAL 2000, der Naturschutzbund, der Alpenverein, Fridays for Future Innsbruck, WET Tirol, das Österreichische Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz, die Austrian Biologist Association (ABA) und zahlreiche weitere. Dazu kommen 10 Stimmen aus der Wissenschaft.

Mehr Informationen:
www.fluessevollerleben.at/kaunertal

Vollständige Auflistung der unterstützenden Organisationen (alphabetisch):

Organisationen

  • ABA Austrian Biologist Association
  • Alpenverein Österreich
  • Austrian Youth Biodiversity Network
  • Bayerische Einzelpaddler-Vereinigung e.V.
  • Bayerischer Kanu Verband e.V.
  • Birdlife Österreich
  • BUND Naturschutz in Bayern e.V.
  • EuroNatur Stiftung
  • Forum Wissenschaft & Umwelt
  • Free Rivers Fund
  • Fridays for Future Innsbruck
  • Generation Earth
  • GLOBAL 2000
  • LBV Landesbund für Vogelschutz Bayern
  • Living European Rivers Initiative
  • Naturfreunde Österreich
  • Naturschutzbund Österreich
  • ÖKF FishLife Österreichisches Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz
  • Ökobüro – Allianz der Umweltbewegung
  • Patagonia
  • Riverwalk
  • Riverwatch
  • Save our Rivers
  • The River Collective
  • Umweltdachverband
  • Verein Lebenswertes Kaunertal
  • VÖAFV Verband der Österreichischen Arbeiter-Fischerei-Vereine
  • WET – Wildwasser erhalten Tirol
  • WWF European Policy Office, Brüssel
  • WWF Österreich

Wissenschafter:innen

  • Franz Essl; Ao.Univ-Prof. Mag. Dr., Department für Botanik und Biodiversitätsforschung – Universität Wien
  • Leopold Füreder; Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr., Institut für Ökologie – Universität Innsbruck
  • Armin Landmann; Univ.-Doz. Mag. Dr., Institut für Zoologie – Universität Innsbruck
  • Susanne Muhar; Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr., Inst. für Hydrobiologie und Gewässermanagement – Universität für Bodenkultur
  • Birgit Sattler, Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr., Institut für Ökologie – Universität Innsbruck
  • Gabriel Singer; Univ.-Prof. Mag. Dr., Institut für Ökologie – Universität Innsbruck
  • Klement Tockner; Prof. Dr., Goethe-Universität Frankfurt; Generaldirektor Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
  • Roman Türk; Univ.-Prof. i.R. Dr., – Präsident Naturschutzbund Österreich
  • Peter Weish; Univ.Doz. Dr., Institut für Zoologie – Universität für Bodenkultur
  • Steven Weiss; Ao.Univ.-Prof. Dr., Institut für Biologie – Karl-Franzens Universität Graz

Will man junge Menschen im schulischen Bereich für Biologie begeistern, braucht es bisweilen spezielle Formate. Dies ist die Geschichte der “Bio-Challenge” und wie man Österreich beinahe dazu bewegt, an einer Biologie Olympiade teilzunehmen.

Vom Brennen fürs Lebendige

Die Biologie – in all ihren Facetten und ihrer strukturellen Vielfalt, vom kleinsten biochemischen Baustein bis zu den komplexen Vernetzungen der Biosphäre – ist ein Quell unserer Inspiration und Motivation. Sie ist ein gewaltiges Konvolut von Disziplinen, die sich alle mit der Faszination des Lebendigen beschäftigen. Wer sich einmal darauf einlässt, dem bleibt letzten Endes nur eine mögliche Haltung demgegenüber: Faszination. Hingabe. Leidenschaft.

Wer nun Feuer für die Biologie fangen oder eine durch Kindheitserlebnisse bereits vorhandene Flamme pflegen möchte, für den bietet sich die Schule an [1]. Vor allem, wenn man dieses Feuer auch in seinen zukünftigen Erwerbsalltag tragen möchte. Schließlich ist der Unterrichtsgegenstand Biologie der wohl wichtigste schulische Gateway in die Medizin und die modernen Life-Sciences.


[1] Passenderweise befanden schon einige alte Griechen, dass es bei Bildung eher um das Entzünden von Fackeln als um das Befüllen von Fässern ginge

Bio Challenge
(c) Martin Bichler

Funkenflug und Schaumbremse

Es brauchte also ein Format, um junge Menschen im schulischen Kontext für Biologie zu begeistern. Einen Brandbeschleuniger quasi. Und dieses Format gab und gibt es tatsächlich seit 30 Jahren in Form der Internationalen Biologie Olympiade (zuletzt in Szeged/HU mit 273 Schüler/innen aus 73 Ländern). Was läge also näher, als mit einem Österreichischen Team auf internationalem Niveau anzutreten? Aus diesem Grund lud die ABA im April 2018 zu einem Erfahrungsaustausch mit unseren befreundeten Biologie-Verbänden des nahen Auslands, welche bereits seit längerer Zeit an den internationalen Bewerben teilnehmen.

Nach Klärung der Regulative und Formalvoraussetzungen war klar, dass eine österreichische Teilnahme ohne eine offizielle Fürsprache und finanzielle Förderung seitens des Bildungsministeriums nicht möglich wäre. Das war der Startschuss für eine Reihe vielversprechender Mails, Treffen und Gespräche. Epizentrum war dabei die Bildungsdirektion Tirol (damals noch Landesschulrat für Tirol), von der aus mit viel Unterstützung das Vorhaben in die ministerielle Ebene getragen wurde.

Doch manches Mal zerschellen Idealvorstellungen einfach an der realitätsschaffenden Hierarchie verwaltender Strukturen. Zu teuer, kein Bedarf, kein Interesse – so in etwa kann die ministerielle Antwort auf unser Anliegen zusammengefasst werden. Dass im Rahmen der Begabtenförderung bereits etablierte Olympiaden aus anderen Gegenständen weiterhin unterstützt werden, stellt aus Sicht des Bildungsministeriums keinen Logikbruch dar. ‚Man will halt derzeit nichts Neues‘[2].

Damit bleibt Österreich auf der Teilnehmerlandkarte bis auf weiteres umzingelt von teilnehmenden Nachbarstaaten und als eines der wenigen Länder Europas in Hinsicht Biologie-Olympiade teilnahmslos. Ein kleines gallisches Dorf im negativen Sinne.


[2] Fairerweise sei hinzugefügt, dass sich das Bildungsministerium zu diesem Zeitpunkt im Zuge der Bildungsreform in einer tiefgreifenden Umstellung befand und an allen Ecken und Enden mit Unsicherheiten bzgl seiner Struktur und Zuständigkeiten konfrontiert sah.

Resilienz

Doch es gibt eine Eigenschaft, die von der Biologie auf die Idee eines Schulwettbewerbs übergesprungen sein könnte: Resilienz. Es lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, ob die Bruchstücke des Vorhabens top-down, bottom-up oder in beiden Richtungen kursierten[3], jedenfalls stand die Idee weiterhin im Raum und wurde schließlich von Franz Gapp und Markus Geiger, zwei Biologielehrern des BG/BRG Innsbruck aufgegriffen und im Rahmen der ARGE Biologie Tirol vorgestellt.

Bio Challenge
(c) Martin Bichler

So wurden vier weitere Mitstreiterschulen gefunden und der Entschluss gefasst, auf Landesniveau einen tirolweiten Schulwettbewerb in Biologie zu etablieren. Das Konzept sah vor, analog zum internationalen Vorbild, die Schüler/innen in Spezialkursen vertiefend in puncto Fachtheorie und Fachpraxis vorzubereiten und am Ende im Rahmen eines Abschlusswettbewerbes den oder die beste Nachwuchsbiologin Tirols zu küren. Die ‚Bio-Challenge‘ war geboren!

Im darauf folgenden Sommersemester (2019) fanden schließlich die ersten Vorbereitungskurse mit rund 30 Schüler/innen in zwei Gruppen an jeweils 4 Nachmittagsterminen statt. Das Angebot richtete sich an AHS Schüler/innen der 6. und 7. Klassen Oberstufe. Die fachtheoretischen und fachpraktischen Inhalte orientierten sich am Lehrplan und umfassten die Themen ‚Auge‘, ‚Herz-Kreislaufsystem‘, ‚Pflanzenanatomie‘ sowie ‚Nervensystem‘. Dabei konnten die Schüler/innen verschiedene Versuche, Sektions- und Präparations- und Mikroskopiertechniken erlernen.

Dass die Kursblöcke stets an einem Freitagnachmittag stattfanden und teils lange Anreisewege in Kauf genommen werden mussten, spricht für die außerordentlich hohe Motivation und den Ehrgeiz der teilnehmenden Schüler/innen.

Der Abschlusswettbewerb fand schließlich am 26. Juni 2019 statt, bei dem in einer der rund zweistündigen Prüfung die besten Nachwuchsbiologen und –biologinnen ermittelt wurden. Die Siegerehrung erfolgte schließlich durch hochrangige Vertreter der Bildungsdirektion Tirol und die Schulleitung der gastgebenden Schule. Unisono das Credo: Wir können stolz sein auf unsere Nachwuchsbiologen/innen, auf ihr Engagement und ihre Leistungen!

Ein großes Lob verdienen sich in dieser Hinsicht auch die Biologielehrer/innen der aller teilnehmenden Schulen, die in perfekter Teamarbeit die rasche und professionelle Korrektur der Arbeiten durchführen konnten.


[3] in diesem Falle wäre die Bio-Challenge quasi ‚paraphyletisch‘ entstanden ;-)

Evolution

Bio-Challenge
(c) BRG-APP

In Tirol verfolgen wir die Strategie, die Bio-Challenge nicht nur zu einem Spezifikum der allgemeinbildenden höheren Schulen zu machen, sondern auch andere Schultypen aus dem Berufsbildenden Bereich zu involvieren. Das reicht von der Herstellung der Siegerpokale bis zur Erstellung von Homepages und digitalen Druckwerken. Damit sollen auch jene in Kontakt mit Biologie kommen, die ansonsten aufgrund thematischer Ausrichtung der Schule traditionellerweise wenig Berührungspunkte mit Biologie haben.

Ja, die erste Tiroler Bio-Challenge war ein voller Erfolg. Doch dem Format steht noch ein langer Weg bevor, um vom Projekt zum Programm zu werden. Vielversprechend ist in erster Linie die positive Resonanz bei Schüler/innen, Lehrer/innen sowie der Schulleitung und –verwaltung. Wir freuen uns, dass unserer Einladung zum Abschlusswettbewerb auch Vertreter/innen der Biologie ARGEn der Bundesländer Vorarlberg und Salzburg gefolgt sind, die das Format auf der ‚Westachse‘ vermitteln können. Wir wissen um das Interesse weiterer Bundesländer und sogar einen ähnlichen Wettbewerb in Kärnten (Biologie im Team) und wir hoffen, aus diesem Ganzen eine runde Synthese schaffen zu können.

Möglicherweise formiert sich so ein österreichweiter Biologiewettbewerb ‚bottom-up‘ und wir sehen in Zukunft auf internationalen Biologie Olympiaden auch endlich Teams aus Österreich. Die talentierten Jugendlichen dafür hätten wir jedenfalls!

Bilder, Berichte und Kursunterlagen unter bio-challenge.at

Titelfoto: Baustelle im Längental. Foto: Anna Schöpfer

Für die Erweiterung der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz wird das Längental in den Stubaier Alpen zerstört und Wasser aus mehreren Gebirgsbächen abgeleitet – ABA kritisiert Naturzerstörung und die mangelnde Berücksichtigung von EU-Umweltrichtlinien und Alpenkonvention.

Seit Mai hat Tirol eine neue Großbaustelle im Hochgebirge. Über 800 Millionen Euro kostet die unter dem Projektnamen Speicherkraftwerk Kühtai bekannte Erweiterung der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz. Neben einem neuen Pumpspeicherkraftwerk umfasst das Projekt der Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG) die Neuanlage eines Speicherteichs im Längental sowie den Bau eines weitläufigen Stollensystems quer durch die Stubaier Alpen. An dem Kühtai zugewandten Talbeginn des Längentals wurden in den vergangenen Wochen massive Erdumwälzungen und zahlreiche Baumentwurzelungen durchgeführt. Auch der Verbindungsstollen zum Finstertalspeicher befindet sich bereits im Bau. Die Maschinen arbeiten sich bergauf zum weitläufigen Talschluss.

Alpine Gewässer und einzigartige Tiroler Landschaft in Gefahr

Das Tal ist geprägt durch einen seltenen und aus naturschutzfachlicher Sicht besonders wertvollen Biotopverbund. Der mäandrierende Längentalbach, Quellfluren, Niedermoore und Alpenrosen-Zwergstrauchheiden prägen die alpine Landschaft. Für die Anlage des Speicherteichs wird das Tal ausgefräst und verschwindet hinter einer 113 Meter hohen Staumauer. Mithilfe eines 25,5 Kilometer langen Stollensystems soll Wasser aus sechs Gletscherbächen in den neuen Speicher im Längental eingeleitet werden. In den Sommermonaten handelt es sich um bis zu 80 % der Abflussmenge. Die betroffenen Fließgewässer entwässern naturgemäß teils in die Ruetz (Fernaubach, Daunkogelfernerbach und Unterbergbach) sowie teils in die Ötztaler Ache (Fischbach, Schranbach und Winnebach).

Der WildeWasserWeg ist bedroht

Der massive Eingriff in den natürlichen Wasserhaushalt der Stubaier Alpen gefährdet den „WildeWasserWeg“ im Stubai. Dem Ötztal als inneralpines Trockental drohen weitreichende Folgen für die Landwirtschaft. Schon jetzt ist durch den Klimawandel in Berglagen des betroffenen Gebiets oft nicht ausreichend Wasser vorhanden, um die Almbewirtschaftung aufrecht zu halten. Die Ableitung großer Wassermengen in den Kraftwerksspeicher würde die Wasserknappheit verschärfen. Absinkende Grundwasserspiegel führen zur Verlandung von Flussauen und anderen Feuchtlebensräumen.

EU-Wasserrahmenrichtlinie sowie Alpenkonvention werden missachtet

Obwohl sowohl die EU-Wasserrahmenrichtlinie als auch die von Österreich ratifizierte Alpenkonvention ein Projekt dieser Art prinzipiell ausschließen, wurde es mit dem Argument des „übergeordneten öffentlichen Interesses“ dennoch auf Schiene gebracht. Da die betroffenen Gebirgsbäche überwiegend im Ruhegebiet Stubaier Alpen verortet sind, waren Eingriffe wie die Ableitung von erheblichen Wassermengen durch das Stollensystem untersagt. Erst eine Abänderung des Tiroler Naturschutzgesetzes, welche eine Ausnahme für Eingriffe im Rahmen der Energiewende einführte, ermöglichte das Voranschreiten der Projektplanung.

Kritik an umweltrechtlicher Verfahrenspraxis in Österreich

„Nicht nur bei der Sellrain-Silz Erweiterung, sondern auch bei vielen anderen UVP-pflichtigen Bauvorhaben, dient das „übergeordnete öffentliche Interesse“ als Totschlagargument im Bewilligungsverfahren. Nicht nachprüfbar und nicht widerlegbar ist diese Argumentationslinie ein praktisches Instrument, um sachliche wie fachlich relevante Bedenken gegen das Projekt abzuweisen“.

Senta Stix (ABA)

Auch die für die Umwelteingriffe im Rahmen des Kraftwerksbaus Kühtai konzipierten Ausgleichsmaßnahmen sind nicht zweckerfüllend. „Im Längental werden sensible Lebensräume, von Gewässern und Mooren bis zu alpinen Heiden, unwiederbringlich zerstört. Auch die umliegende Natur und der menschliche und tierische Lebensraum im gesamten Projektgebiet werden stark geschädigt. Im Gegenzug werden in anderen Bezirken Landwirtschaftsflächen aufgewertet. Dieses Vorgehen entspricht der gängigen Praxis, in der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu Bauvorhaben Ausgleichsmaßnahmen zu formulieren, welche völlig losgelöst vom eigentlichen Gegenstand des Verfahrens sind. Ein Umstand der seit Jahren von ExpertInnen beklagt wird“, so Senta Stix.

In Anbetracht des Vorgehens für den Ausbau von Sellrain-Silz fordert die ABA deshalb:

  • Einhaltung der EU-Naturschutzrichtlinien, der Wasserrahmenrichtlinie und der Alpenkonvention
  • Reflexion der Auslegung der Begrifflichkeit „übergeordnetes öffentliches Interesse“
  • Stopp der zweckentfremdeten Ausgleichsmaßnahmen in Umweltschutzverfahren
  • Energiewende ohne folgenschwere Eingriffe in bedrohte alpine Freiräume und naturbelassene Ökosysteme

(Aktualisierung am 19.06.2020: Heute hat der VwGH die vom Alpenverein und der Gemeinde Neustift eingebrachten Revisionen gegen den Baubescheid abgewiesen. Das gerichtliche Verfahren ist damit formell angeschlossen, der Text wurde adaptiert.)

Titelbild: Auf der Seegrube oberhalb von Innsbruck (Foto: Riccabona)

Sigbert Riccabona und Johannes Kostenzer haben als Umweltanwälte Tirols die Natur stets im Blick gehabt und viel erlebt: von blühenden Projekten und keifenden Bürgermeistern bis hin zu ökologischen Harakiri-Unternehmungen. Im Gespräch mit bioskop erzählen sie, was sich in den letzten Jahrzehnten bezüglich Natur in Tirol getan hat und was noch geschehen muss, damit das Alpenland bleibt, was die Postkartenidylle verspricht.

Abb. 1: Johannes Konstanzer, aktueller Landes­umwelt­anwalt von Tirol.

 „Tirol isch lei oans…“ tönt es bei so manchem Volksmusik­abend und meint damit nicht nur heimatliche Gefühle. Im Hintergrund schwingt sie mit, die Postkarten­romantik als „Sehn­suchtsort im Herzen der Alpen“, wie es die Tirol Werbung nennt: Mehr hoch als weit, mit viel Tradition, Sportsgeist und vor allem Natur pur verteilt auf rund 12.640 km2. Wie sehr aber um diese (noch) intakte Natur gerungen werden muss bei all dem Fortschritt und der Globalisierung – vor allem in den letzten 25 Jahren – davon kann die Umwelt­anwaltschaft ebenfalls ein Lied singen.

So treffen dort, mitten in Innsbruck, unlängst zwei aufeinander: Der eine bärtig, mit freundlichen Augen, Jahrgang 1942, der andere etwas jünger, dynamisch in seinen Bewegungen, mit gewinnendem Lächeln. Es handelt sich um den ehemaligen Landesumweltanwalt Sigbert Riccabona und den aktuellen Landesumweltanwalt Johannes Kostenzer. Noch ehe das Gespräch offiziell beginnt, stehen beide im regen Austausch: über früher, über heute – aber was hat sich verändert?

Mehr Achtsamkeit, mehr Technikwahn

Abb. 2: Sigbert Riccabona, ehemaliger Tiroler Landesumweltanwalt. Blick vom Ende der Tiroler Alpen hinaus auf entspanntes, flaches, mitunter sanft-hügeliges Alpenvorland bei Pfronten.

Da ist zum Beispiel das Verständnis der Bevölkerung für die Natur. Grüne Wiesen entlang der Autobahn seien toll, erklärt Riccabona, „wenn ich aber durch diese Wiesen spaziere, ist das ein ganz anderes Erlebnis und dieses fühlende sich in der Natur bewegen, da gibt es heute Impulse, die es früher nicht gegeben hat. Da war das selbstverständlich.“ Grund für diese neue Achtsamkeit mögen auch die technischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte sein. Sie stehen dem Naturerlebnis antagonistisch gegenüber. Gibt das Smartphone beim Wandern nämlich den Geist auf, sei bei vielen Kindern Trübsal blasen statt Natur genießen angesagt, weiß Riccabona. Selbiges gilt wohl auch für manchen Erwachsenen. Die Natur sei dann nur mehr „nette Spielerei“. Der momentane Trend zu mehr Achtsamkeit soll dem entgegenwirken und die Natur wieder in den Fokus rücken.

Gelingen tut das nicht immer. Das Problem bestehe auch darin, dass sich der Mensch seit etwa 30 Jahren immer weniger als Teil der Natur begreift, ist Kostenzer überzeugt. Damit reduziere sich das empathische Miteinander auf ein wirtschaftliches, das sich groteskerweise aber trotzdem wieder der Naturbilder bedient. Warum? „Weil Dinge wie ein Sonnenaufgang am Berg trotzdem jeden Menschen berühren“, stellt Kostenzer klar, „und da würde ich schon erwarten, dass man dem auch Wertschätzung zukommen lässt.“

Natur als Cashcow und Kulisse

Über Definition und Ausdruck dieser Wertschätzung ist man sich aber bisweilen wohl nicht ganz einig. Im Tourismus etwa wird das Grün kombiniert mit steilem Fels sehr wohl geschätzt, aber mehr als Cashcow, denn um seiner selbst wie es scheint. Ein Beispiel dafür stellt der Trend zur Megareisegruppe dar. Eine hat vergangenen Frühling üppig „Selfie bestickt“ unter anderem Schweizer Naturjuwele wie den Dreitausender Titlis erklommen: 12.000 Chinesen und Chinesinnen, verteilt auf drei Wochen. Ähnlich dürfte das Szenario im 700-Seelenort Hallstatt im Salzkammergut sein, mit über 19.000 Bussen jährlich. Die Kassen klingeln – die Anrainer scheinen nur murrende Statisten in diesem „Freilichtmuseum“, die Natur reine Kulisse.

So arg ist es in Tirol noch nicht. Dennoch scheint das Interesse an Wachstum im Tourismus und damit Gewinn auch hier präsent, besonders im Winter. Nicht umsonst pumpen Investoren derzeit 180 Millionen Euro in ein Bauprojekt in Kitzbühel, wie der SPIEGEL neulich berichtete. Ein Nobelresort am Wasenmoos-Gebiet soll es werden, wo es offenbar kaum Plastik geben wird, aber dafür Rodung, 500 neue Betten nebst einem Schutzgebiet und einen Elektro-Porsche für jeden, der eines der dreizehn millionenschweren Chalets kauft.

Das hat Geschichte, wie Riccabona weiß. Schon in der Zwischenkriegszeit habe das bäuerliche Tirol mit dem Tourismus angefangen, „da waren die skifahrenden Städter für die Bauern allerdings noch Spinner.“ Nach dem zweiten Weltkrieg sei die Landwirtschaft dann versorgungstechnisch noch wichtiger geworden: 90 % des Grund und Bodens habe den Bauern gehört, die zunehmend in die Politik drängten. Man entdeckte erneut, dass sich Tourismus auszahlen könnte. Pragmatisch fällte man Bäume und baute Häuser – „Hotels, die alle ausschauen wie aufgeblasene Bauernhöfe“, bemerkt Riccabona, „die Geburtsstunde des bäuerlichen Kitschs.“ Ab da musste es immer schneller gehen. „Wenn ein Seilbahnunternehmer damals eine Seilbahn bauen wollte, habe ich gesagt: Schaut‘s wenigstens auf eine ordentliche Architektur“, erzählt Riccabona, da kam‘s postwendend zurück: „Hört‘s ja nicht auf den, die Architektur kostet nur Zeit und Geld.“

Abb. 3: Beschneiungsanlage Sölden. Erdbewegungen, Teich und Leitungen im Gletschervorfeld; Foto: S. Riccabona

Naturschutzprobleme als Raumordnungsprobleme

Heutzutage mag man im touristischen Tirol stilvoller bauen. Der Anfang bleibe laut Riccabona aber der gleiche: Ein neues Produkt, dass in die Zeit passt, nachhaltig wirkt, aber am Ende zu einem rein technischen Projekt avanciert, ohne soziale Betrachtung. Das betrifft auch Innsbrucks Beschaffenheit. Der ehemalige Umweltanwalt sieht das kritisch: „Vielleicht gibt‘s jetzt eine Seilbahn mitten in der Stadt, um die Mobilität zu verbessern, vielleicht geht es ums Energiesparen, aber nicht darum, dass man beim Bauen ein Miteinander sucht und durchmischte Gebiete erhält mit Lebensqualität.“

Das Miteinander insgesamt in Tirol gestaltet sich durch den hohen Zerschneidungsgrad der Täler tatsächlich schwierig. Schuld daran sind auch die größeren Bau- und Pistenprojekte der letzten Jahre. Manche Zusammenschließungen von Skigebieten wie etwa Saalbach-Fieberbrunn seien relativ harmlos, meint Kostenzer, andere wiederum wie etwa das aktuelle Projekt Kappl-St. Anton durchschneide wichtige Korridore und Rückzugsräume für Tiere. Mit der Raumordnung seien auch derartige Überlegungen ins Hintertreffen geraten. „Es gibt zwar eine Wohlmeinung dazu, dass es gescheit wäre, solche Dinge in die Planung einzubeziehen. De facto passiert in die Richtung aber wenig bis nichts. Man müsste überörtlich Überlegungen anstellen – nicht nur für Tiere, sondern auch für den Mensch“, betont Kostenzer. So seien auch neue Siedlungserschließungen oft nur auf Autos ausgerichtet: „Da gibt`s dann Schleifen, wo man mit dem Auto super reinfahren kann, aber wenn einer zur Kirche gehen will, dann muss der das Auto nehmen oder einen riesen Umweg gehen. Das sind Kleinigkeiten, aber da ist viel falsch gelaufen. 70 % der Naturschutzprobleme sind heute eigentlich Raumordnungsprobleme.“

Das kommt auch vom Inseldenken, ergänzt Riccabona. Man fokussiere oft nur einen Aspekt. Neben dem Naturschutz gehe es in wachsenden Ballungsräumen wie dem Inntal auch darum, eine neue Kulturlandschaft zu finden und dafür brauche es zusätzlich gezielte Landschaftsplanung:

„Wenn man die Gewässer in den Vordergrund stellen würde, hätte man eine Multifunktionalität: Naherholungsräume, Überflutungsräume, aber auch Übergangszonen. Ganzheitlich gedacht wäre das das Um und Auf, und nicht, dass jede Gemeinde der anderen Gemeinde die Hochhäuser aufsetzt und nur an sich denkt. Das ist ein großes Manko.“

Sigbert Riccabona

Mit der Idee, Korridore und Übergangszonen zu schaffen, sei man übrigens schon bis zum Landtag gegangen – dort fand man die Idee gut, aber die Umsetzung habe man sich nicht vorstellen können. Man wolle bei etwaigen Unfällen in diesen Bereichen nicht haften, habe es da geheißen.

Abb. 4: Rückbau. Renaturierung am Inn in der Imsterau; Foto: Riccabona

Die Sache mit der Artenvielfalt

Trotzdem gab bzw. gibt es in Tirol weiterhin Bemühungen für mehr Biodiversität und geschützte Übergangsorte im Siedlungsraum. „Blütenreich“ nennt sich zum Beispiel ein Projekt der Umweltanwaltschaft, welches seit September 2015 in mittlerweile fast 30 Tiroler Gemeinden erfolgreich läuft.  Dabei werden naturferne Flächen wie Begleitstreifen von Geh- oder Radwegen möglichst naturnahe gestaltet, um Verbindungswege, Lebensräume und Rückzugsorte für (bedrohte) Tiere und Pflanzen zu schaffen. „Richtig behandelt wird ein schmaler Streifen zum Biotop,“ erklärt Kostenzer. Es geht ihm aber nicht nur um solche Flächen. Tirol zeichnet die Höhenerstreckung aus, dadurch sind nur 12% des Bundeslandes dauerhaft besiedelbare Fläche. So gebe es zwar wesentlich mehr Tier- und Pflanzenarten als in homogenem Gelände, gleichzeitig aber „ist es weniger auffällig, wenn eine Vogelart nach der anderen verschwindet. Wir erleben es gerade ganz akut, dass die Artenvielfalt, die wir gewohnt sind und als Kinder selbstverständlich gefunden haben, die wir in den letzten 20 Jahren mit Monitoring und Schutzmaßnahmen versucht haben zu erhalten, trotzdem abnimmt. Das ist ein Problem, mit dem man sich auseinandersetzen muss.“

Dialoge von Klimanotstand bis Wasserkraft

Der Klimawandel erschwert die Situation zusätzlich. Da braucht es Fingerspitzengefühl im Dialog. Riccabona kennt das noch von seiner Zeit als Umweltanwalt, wo ihm ein schimpfender Bürgermeister einst die Augen öffnete. „Auf scharfe Angriffe scharf zurückreden bringt nichts“, hat er damals gelernt, „man sollte lieber fragen: Warum hat der eine andere Meinung…“  Nachhaltigkeit sei eben auch ein soziales Projekt, wo die Zivilgesellschaft  eingebunden gehöre. Man müsse erkennen, dass das längere Prozesse sind und da brauche es Leute, die das begreifen.

In Innsbruck gibt es mit der jetzigen Grünen Stadtregierung, die heuer auch den Klimanotstand ausgerufen hat, durchaus guten Willen. Nur das Land müsse insgesamt noch nachziehen, meint Kostenzer:

„Wenn ich mir anschaue, wo und wie überall gebaut werden darf, bis hinauf zu den Bergstationen und Skierschließungen, die eine Dimension haben, größer wie ein Museum für moderne Kunst im Tal, quasi Shopping-Malls am Berg – und das alles ohne irgendeine raumordnerische Prüfung, das versteh‘ ich einfach nicht und das geht nach wie vor.“

Johannes Konstenzer

Ähnliches gilt für den Ausbau der Energieversorgung, Stichwort Wasserkraft. „Ein energieautarkes Haus ist gar nicht so futuristisch, aber für die TIWAG wäre das ein Horror, wenn jeder sich selbst versorgt. Da wird ziemlich geschwiegen oder man hat Angst davor“, mutmaßt Riccabona. Schon bei seinen damaligen Verhandlungen mit dem Landeshauptmann habe es geheißen, man müsse zwecks Geld den Strom ins Ausland verkaufen. Dagegenreden sei schwierig gewesen, auch dank einer Tiroler Eigenheit:

Egal welch gute Gespräche man in der Kaffeepause geführt habe, in der Verhandlung habe sich plötzlich alles dem Grundsatz „Zum Wohle des Landes“ gebeugt. Wer nicht dafür sei, kritisiere das Land. „Ein freier Dialog war damals nie möglich“, räumt Riccabona ein.

Kostenzer setzt heute eher auf fachliche Kompetenz: Er legt unaufgefordert eigene Daten zu bestimmten Sachverhalten vor und macht mit seinem Team gebetsmühlenartig auf die Problematiken aufmerksam. So finde man langsam immer mehr Gehör und es habe sich auch einiges geändert. Beispielsweise hat Kostenzer vor 25 Jahren als Sachverständiger für Wasserkraftanlagen noch miterlebt, wie zahlreiche neue Anlagen ohne ausreichende Berücksichtigung ökologischer Aspekte durch das Land genehmigt wurden – das war modern. Gewusst wo, gewusst wie sei mittlerweile nicht nur der Ansatz der Umweltanwaltschaft, sondern auch der Behörde und vieler Planungsbüros.

Trotzdem, er halte sich nicht mit Überzeugungsarbeit auf: „Davon habe ich mich schon lang verabschiedet. Das Beste, was man erreichen kann, ist dem anderen verständlich zu machen, warum man selber so denkt”, sagt Konstenzer, „wenn das einen Nachdenkprozess auslöst, ist das für mich schon ein Erfolg und ändert oft auch die Situation.“

Künftig mehr Weitblick statt Tunnelblick

Vieles konnte in den letzten Jahrzehnten verbessert werden, manches ist noch in der Pipeline. Grundsätzlich aber müsse für die Zukunft auch im Umweltverständnis umgedacht werden, meint Riccabona. Es gehe um eine neue Strategie. Zurzeit habe noch jeder seinen Tunnelblick auf den eigenen Bereich gerichtet: die Wasserkraft auf ihre Pläne, der Tourismus auf seine und die Biologie auf ganz eigene Interessen. Inseldenken eben. Dabei ließe sich oft eine Verbindung herstellen.

Tatsächlich hieß es in einem Zeitungsartikel unlängst, Tourismus und Umweltanwaltschaft seien in gewisser Hinsicht eher „Zwillinge als Gegner“. Das stimme zumindest in der Hinsicht, als eine „attraktive Naturlandschaft genau das ist, was auch der Gast möchte“, präzisiert Kostenzer. Gleichzeitig steige dadurch unsere Lebensqualität. Die Balance macht`s, zudem eine gewisse Vielfalt und Flexibilität. „Es darf nur alles nicht allzu sehr beschleunigt werden“, gibt Riccabona zu bedenken, „es muss wachsen können, dass es auch gelebt werden kann.“ Bei der Jugend habe er da bereits interessante Denkanstöße bemerkt, etwa bei Architekturstudenten, die versuchen ganzheitliche Projekte mit Weitblick zu gestalten oder jungen Künstlern, die sich der Vergangenheit bedienen, um in der Gegenwart Neues für die Zukunft zu schaffen. Dafür müsse längerfristig aber auch ein gesünderes Verhältnis zwischen Tourismus, einheimischer Bevölkerung, Landschaft und Bewirtschaftung erreicht werden, ist Kostenzer überzeugt. Denn letztendlich isch Tirol eben net lei oans, es ist Vieles und all das müsse in Zukunft wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

Sigbert Riccabona

ist 1942 in Innsbruck geboren und hat Kulturtechnik und Wasserwirtschaft sowie Raumplanung und Raumordnung in Wien studiert. Als Jungingenieur sollte er durch Entwässerungen und Flussbegradigungen das „10. Bundesland“ Österreichs miterschaffen, erkannte aber die fatalen Auswirkungen und rief später den ersten Förderschlüssel zum Rückbau von Gewässern ins Leben. Von 1990 bis 2007 wurde er zum ersten Landesumweltanwalt Tirols und behielt neben den Fakten fortan auch die ästhetische und emotionale Landschaftskomponente im Blick. Riccabona lebt heute in Innsbruck.

Johannes Kostenzer

ist Kufsteiner, Jahrgang 1965, Biologe und seit 2008 Landesumweltanwalt von Tirol. Sein Interesse an unversehrter Natur war immer schon groß und dieses Interesse möchte er auch bei anderen wecken. So ist Kostenzer unter anderem auch der Initiator des jährlich stattfindenden, international bekannten Nature (Film) Festivals in Innsbruck. In seiner Freizeit beschäftigt er sich gern mit Kunst bzw. Architektur und paddelt auf europäischen Flüssen oder Bächen. Nachdenken kann er aber am besten im Gehen, am liebsten über mehrere Tage hinweg, wie er sagt. Kostenzer hat zwei Kindern und lebt in Innsbruck.

Tiroler Umweltanwaltschaft: http://www.tiroler-umweltanwaltschaft.gv.at/

Titelbild: Julie-Kolibrie auf Pixabay

Anlässlich unseres 25-jährigen Bestehens befragten wir langjährige Vereinsmitglieder zur Entwicklung des Vereins und der Biologie in Österreich. Vielen Dank an Dr. Günter Krewedl für das Interview!

Weiterlesen

Fotos des Monats (ABA Kalender)

Foto: Iris Schlick-Steiner, Text: Klara Füreder

Die Flussuferwolfsspinne (Arctosa cinerea) benötigt naturnahe Flussabschnitte mit hoher Dynamik - in Mitteleuropa ein höchst selten gewordener Lebensraum.
Die Flussuferwolfsspinne (Arctosa cinerea) benötigt naturnahe Flussabschnitte mit hoher Dynamik – in Mitteleuropa ein höchst selten gewordener Lebensraum. Foto: Iris Schlick-Steiner

Zum Bild:

Die Flussuferwolfsspinne (Arctosa cinerea) zählt mit einer Körpergröße von bis zu 14 mm bei den Männchen und bis zu 17 mm bei den Weibchen zu den größten Arten innerhalb der Gattung der Wühlwölfe. Durch ihre Färbung mit verwaschenen dunklen Flecken auf heller graubrauner bis gelblichgrauer Grundfärbung ist sie in Ruhestellung hervorragend getarnt.

Die Flussuferwolfsspinne ist im paläarktischen Raum verbreitet, wo sie von naturbelassenen Gewässern mit sandigen oder kiesigen Ufern abhängig ist. Besonders geeignet sind Flussabschnitte, die regelmäßig von Hochwassern betroffen sind und somit vegetationsfrei bleiben. In solchen Lebensräumen baut sich die Flussuferwolfsspinne eine fingerdicke Wohnröhre in den Untergrund, die sie mit Spinnseide auspolstert. Überflutungen kann die Spinne unbeschadet überstehen, indem sie den Bau verschließt und in der darin gebildeten Luftblase überdauert.

Den Tag verbringt die Spinne versteckt in ihrer Wohnröhre, in der Nacht verlässt sie diese, um Beute aktiv zu jagen. Zur Überwinterung sucht sie weiter landeinwärts einen geschützten Standort auf und legt dort eine Überwinterungsröhre an.

Durch Maßnahmen zur Flussregulierung sind in Mitteleuropa geeignete Lebensräume weitgehend verschwunden. So ist die Art auch in Österreich vom Aussterben bedroht.

Das hier abgebildete Individuum wurde am Lech bei Forchach gefunden, einer der wenigen Flüsse Österreichs, an denen die Flussuferwolfspinne noch vorkommt. Dies ist nicht zuletzt Bürgerinitiativen zu verdanken, welche den Bau mehrerer Kraftwerksprojekte verhindern konnten. Neben der Flussuferwolfspinne bietet dieser Lebensraum, welcher zum Naturpark der Lechauen gehört, fast 400 weiteren Tier- und Pflanzenarten ein geschütztes Habitat. Als letzter Wildfluss der Nordalpen ist der Lech ein höchst bedeutsames Naturschutzgebiet.



Foto: Monika Hamacher, Text: Anna Schöpfer

Das noch unberührte Längental im Winter 2016. Foto: Monika Hamacher

Zum Bild:

Seit Mai 2020 hat Tirol eine neue Großbaustelle im Hochgebirge. Für die Erweiterung der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz wird im Längental bei Kühtai ein Speicherteich errichtet. Das Verfahren zur Umwelt­verträglichkeits­prüfung (UVP) des rund eine Milliarde schweren Bauprojekts hatte bereits im Dezember 2009 begonnen und letzte Revisionen gegen den Baubescheid wurden 2020 vom Verwaltungs­gerichtshof zurückgewiesen. Für einen raschen Bauverlauf ist eine große Anzahl von Großgeräten, Baggern, Raupen und Kränen in Einsatz. Ausgefräst wird das, was das Längental ausgezeichnet hat:  der seltene und aus naturschutz­fachlicher Sicht besonders wertvollen Biotopverbund, mit dem Braun­seggen-Niedermoor, den Quellfluren, Alpenrosen-Zwergstrauch­heiden und den locker angeordneten Zirben auf den Hanglagen, die das Tal geprägt haben. Zerstört findet man jetzt auch das Flussbett des Längentalbachs, der auf 2600 m Seehöhe zwischen Wechner- und Hochbrunn­achkogel entspringt und bisher durch das Hochgebirgstal mäanderte.

Hinter einem 113 m hohen Damm, der das Tal absperrt, wird ein komplexer Lebensraum, der sich über Jahrtausende unter extremen Umwelt­bedingungen geformt hat, unwiederbringlich verloren gehen.

Der geplante Speicher der Kraftwerks­gruppe Sellrain-Silz wird über ein Volumen von 31 Mio m3 verfügen. Um ihn zu befüllen, wird mithilfe eines 25,5 km langen Stollensystems Wasser aus sechs Gletscher­bächen der Stubaier Alpen eingeleitet.

Bei den betroffenen Fließgewässern handelt es sich um den Fernaubach, den Daunkogel­fernerbach und den Unterbergbach, die in die Ruetz ins Stubai entwässern, sowie um den Fischbach, den Schranbach und den Winnebach, allesamt Zubringer der Ötztaler Ache. Jeder dieser Gletscher­bäche war bisher noch weitestgehend naturnah. Gletscherbäche sind besonders dynamische Ökosysteme und die gewässertypische Fauna und Flora ist an die extremen Standort­bedingungen angepasst. Diese spezialisierten Arten reagieren besonders sensibel auf Eingriffe in das natürliche Abfluss­regime. Nun sollen Wasserfassungen errichtet werden, welche in den Sommermonaten bis zu 80 % der Abflussmenge ableiten.



Episode

Anna Schöpfer interviewt Werner Kräutler (Schule der Alm) über das Naturschutzgebiet Valsertal und die Zukunft der Bergmähder.

Zum derzeitigen Wissensstand umfasst die Flora Tirols rund 2400 Pflanzenarten. Wie ist man zu diesem Stand gekommen, was gibt es noch Neues zu entdecken und auf welche Arten müssen wir besonders aufpassen? Mit dieser Folge wollen wir der zunehmenden Pflanzenblindheit entgegenwirken und für die Flora Tirols begeistern. Lena Nicklas interviewt die beiden Botaniker Konrad Pagitz und Peter Schönswetter von der Universität Innsbruck und stellt die frisch entwickelte PflanzenApp der ABA vor. Mitautorin und Botanikerin Vera Margreiter entführt in die faszinierende Pflanzenwelt der Gebirge.

Wir interviewen Marianne Götsch von der BI Schütz das Forchet zu der Rodungsbewilligung, die Teile des Haiminger Naturwalds Forchet betrifft. Außerdem: Was sind die Umweltauswirkungen von Skifahren? Gerhard Aigner und Anna Schöpfer führen durch die Sendung.

In unserer ersten Sendung widmen wir uns dem Thema „Flüsse“ und sprechen unter anderem über den Weltflusstag, Kraftwerkspläne an der Ötztaler Ache, Fischfabriken am Mekong und den ökologischen Zustand des Inns. Als Studiogast begrüßen wir den Fischökologen Wolfgang Mark vom Institut für Zoologie der Universität Innsbruck. Durch die Sendung führen Gerhard Aigner und Anna Schöpfer.