Foto: Anna Geisler

Neben der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzung ökologischer Lebensräume, steigt nun auch die Priorität derer Erhaltung und Wiederherstellung. In einem Interview mit Herrn Dr. Thomas Ofenböck befassen wir uns mit der Renaturierung von Fließgewässern in Wien am speziellen Beispiel der Liesing. Herr Dr. Ofenböck der MA45 stellte sich dankenswerter Weise für ein Interview über die bereits erfolgte und weiterhin geplante Renaturierung der Liesing bereit. Das in sechs Abschnitte geteilte Projekt wird zwischen Kaiser-Franz-Josefstraße und Großmarktstraße umgesetzt. Bis 2009 arbeitete Dr. Ofenböck am Institut für Hydrobiologie und ist nun seit September 2009 bei der Stadt Wien angestellt. Dort ist er insbesondere mit der Renaturierung Wiener Fließgewässer involviert.

Foto: Dr. Thomas Ofenböck

Wie werden Gewässerabschnitte, wie beispielsweise an der Liesing, für die Renaturierung ausgewählt?

Es gibt die europäische Wasserrahmenrichtlinie, die dazu verpflichtet, alle Gewässer in einen guten Zustand zu bringen. Dazu gibt es auch den nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan, bei dem alle sechs Jahre ein Plan erstellt wird, was in der kommenden Periode an Maßnahmen gesetzt werden. Berichtspflichtig sind Gewässer an über 10 km² Einzugsgebiet, die prinzipiell Priorität haben.

Guter Zustand:
Der gute Zustand eines Gewässers als Vorgabe der Wasserrahmenrichtlinie, setzt sich aus ökologischen, morphologischen, physikalischen und chemischen Komponenten zusammen. Sowohl Lebensgemeinschaften, als auch Aspekte wie Strömung, Flussbettbeschaffenheit und chemische Schadstoffe fallen unter diese Bewertung. Anhand dessen ist eine Bewertung durchzuführen, in wie weit ein Gewässer vom natürlichen Zustand abweicht. 
Quelle: Umweltbundesamt

Bei der Prioritätensetzung steht vor allem auch die Durchgängigkeit im Vordergrund. Deshalb werden prioritär auch Gewässerstrecken ausgewählt, die für Lang- und Mittelstreckenwanderer unter den Fischen von Bedeutung sind. Es gab in Wien schon vor der Wasserrahmenrichtlinie eine Prioritätenreihung für mögliche Renaturierungsmaßnahmen.

Aktuell ist die Liesing sehr im Fokus. Dort spielt in die Priorität hinein, dass auch Hochwasserschutzmaßnahmen erforderlich waren. Periodisch wird neu berechnet, ob der Hochwasserschutz noch gewährleistet ist. Wenn sich aufgrund der veränderten Niederschlagsverhältnisse, zunehmenden Starkregenereignisse und des zunehmenden Versiegelungsgrads, ergibt, dass Maßnahmen gesetzt werden sollten, werden solche Gewässer prioritär behandelt. Generell wird versucht Hochwasserschutz und Gewässerrenaturierung zu vereinen.

In Wien sind von den berichtspflichtigen Fließgewässern, die in der Zuständigkeit von Wien als Gemeinde liegen, nur Liesing, Mauerbach und Wienfluss betroffen. Donau und Donaukanal sind in Bundeszuständigkeit, da sie Bundesgewässer und Schifffahrtsstraßen sind. Wir sind zwar als Bundesland verantwortlich, dass Maßnahmen umgesetzt werden, aber die Maßnahmensetzung erfolgt in diesem Fall durch die Via Donau. Das Bundesland ist verantwortlich für die Prioritätensetzung.

Wo macht Gewässer Renaturierung in Wien keinen Sinn?

Prinzipiell ist das Ziel, irgendwann alle Gewässer in einen guten Zustand zu bringen. Dazu gibt es auch zusätzlich das gute ökologische Potential für erheblich veränderte Gewässer.

Gutes ökologisches Potential (GÖP):
Zunächst als Definition des „höchsten ökologischen Potentials“ (HÖP). Dabei handelt es sich um den bestmöglichen Zustand, den ein erheblich verändertes oder artifizielles Gewässer erreichen kann. Als GÖP versteht man eine nur geringe Abweichung des HÖP.
Quelle: Wörterbuch der Ökologie

Die Ausweisung als erheblich verändertes Gewässer erfolgt aufgrund der Hydromorphologie. Wenn es übergeordnete Nutzungen gibt, die den guten Zustand verhindern bzw. wenn man den guten Zustand nicht erreichen könnte, ohne diese übergeordnete Nutzung aufzugeben, hat diese Vorrang. Übergeordnete Nutzungen sind zum Beispiel Hochwasserschutz oder auch Energieerzeugung.

Wienfluss und Liesing sind über das ganze Stadtgebiet als erheblich veränderte Gewässer ausgewiesen. Das heißt, das Ziel ist da nicht der gute Zustand, sondern das gute ökologische Potential. Dieses ist etwas abgemindert, weil es heute im urbanen Raum sehr schwierig ist, Maßnahmen so umzusetzen, dass man wirklich einen guten Zustand erreicht, weil einfach in der Regel der Platz nicht vorhanden ist.

Vom personellen und finanziellen Aufwand ist jetzt die Liesing im Fokus. Dabei ist das Ziel, bis 2027 den gesamten Abschnitt soweit zu renaturieren, wie es im Rahmen der Gegebenheiten möglich ist und so, dass die Durchgängigkeit geschaffen wird.

Wer finanziert das Renaturierungsprojekt an der Liesing?

Der unterste Bereich der Liesing, der schon Anfang der 2000er Jahre renaturiert wurde, war ein LIFE Projekt. Der jetzige Abschnitt wird über das Wasserbautenförderungsgesetz gefördert, weil zu der Zeit keine Mittel aus dem Umweltförderungsgesetz zur Verfügung standen und weil es auch eine Hochwasserschutzmaßnahme ist. Für rein morphologischen Maßnahmen gibt’s einen eigenen Fördertopf über das Umweltförderungsgesetz. Dieser ist wurde mit 200 Millionen Euro dotiert. Und da ist die Bundesförderung 60% für kommunale Teilnehmer.

Was ist nach der Auswahl des Gewässerabschnitts der erste Schritt der Renaturierung?

Im Rahmen des nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans werden Grundlagen ja schon erhoben und es gibt auch eine Risikoanalyse. Dazu gibt es natürlich auch Monitoring. Die Biologie steht dabei im Vordergrund. Da werden die Abschnitte festgelegt, an denen Maßnahmen gesetzt werden sollen und auch festgelegt, welche das sind. Das sind morphologische Maßnahmen oder stoffliche, je nachdem, was das biologische Monitoring aussagt. Für das gute ökologische Potential muss man auf jeden Fall einen guten stofflichen Zustand erreichen.

Was sind stoffliche Belastungen?

An der Liesing haben wir eine stoffliche Belastung, allerdings auch schon aus Niederösterreich. Es kommt natürlich im Stadtgebiet noch einiges hinzu. Wir haben an der Liesing beim Kanalsystem ein Trennsystem, das für Wien einzigartig ist. Das Schmutzwasser wird zur Kläranlage geleitet, aber das Regenwasser geht direkt in die Liesing. Das hat Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist, dass mit dem Regenwasser einiges an Einträgen mitkommt. Im Regenwasserfall gibt es dabei eine relativ große Verdünnung, das wirkt sich nicht so stark aus. Was wir festgestellt haben ist, dass es im Trockenwetterfall immer wieder zu Fehleinleitungen kommt. Was vielleicht im guten Glauben, dass der Kanal in die Kläranlage führe, in den Kanal geleert wird, gelangt in Wirklichkeit in die Liesing. Zum Teil werden auch ohne Bewilligung Bauwässer eingeleitet, aber es hat auch immer wieder größere Unfälle gegeben.

Die ganzen Wienerwaldbäche kommen aus dem Flysch-Einzugsgebiet. Diese haben bei Niederwasser sehr niedrigen Abfluss, bei Hochwasser dafür sehr schnell einen hohen Abfluss. Deshalb gibt es natürlich keine Verdünnung und ein Eintrag wirkt sich schon sehr stark aus und es kann zu Fischsterben kommen. Die größeren Ereignisse fallen natürlich eher auf, aber man kann davon ausgehen, dass immer eine kleine Belastung stattfindet. Auf den Straßen kommt es natürlich auch zu Staub- und Reifenabrieb und wenn es regnet, hat gelangen diese Verunreinigungen in den ersten Spülstoß.

Flysch:
Ein Schweizer Ausdruck. Eine regelmäßige Schichtung von hauptsächlich Sandsteinen und Mergeln. Der Aufbau ist sehr instabil und neigt zu Hangrutschungen. In Österreich reicht diese Zone vom Nordrand der Ostalpen bis Wien.
Quelle: https://www.gamssteig.de/lexikon/flysch

Welche Maßnahmen gegen solche stofflichen Belastungen gibt es?

Die Lösung dafür ist nicht, die ganzen Regenwässer in die Kläranlage ableiten – das ist seitens der Dimension schwierig – sondern, dass man Begleitkanäle baut, die kleinere Einträge im Trockenwetterfall abfangen können und in die Kläranlage leiten. Wenn es stark regnet, kann so der erste Spülstoß noch aufgefangen werden. Dabei gibt es einen Überlauf, bei dem das Regenwasser bei länger andauerndem Regen wieder in die Liesing führt. Prinzipiell ist es ja erwünscht, das Wasser wieder dem Fließgewässer zukommen zu lassen, weil wir ohnehin oft sehr niedrige Wasserstände haben, was sich durch den Klimawandel verschärft.

Das größere Problem sind die diffusen Belastungen, die über das Einzugsgebiet kommen. Im ländlichen Gebiet stammen diese von Ackerflächen, bei denen Nährstoffe in das Feld eingetragen werden, die dann wieder in die Gewässer gelangen. In intensiv genutzten Gebieten passiert das sehr häufig. Man kann als Maßnahme entweder Programme zur Reduktion der Düngung durchführen, was anschließend vom Land verordnet werden kann oder Pufferstreifen entlang von Gewässern anlegen, in denen man eine gewisse Vegetationszone zur Verfügung hat, durch die diese Nährstoffe zurückgehalten werden. Das Problem ist oft, dass bis zum Gewässerrand geackert wird.
Die Kläranlage in Breitenfurt ist zwar am neuesten Stand, aber von der Kapazität bei Starkregenereignissen dann auch nicht ganz ausreichend.

Kann es von der Bevölkerung bei solchen Projekten zu Widerständen kommen?

Das hatten wir in Wien selbst noch nie. Es ist in der Regel so, dass Renaturierungsmaßnahmen sehr befürwortet werden und dass die Rückmeldungen im Nachhinein sehr positiv sind. Während die Baustelle aktiv ist, hat man in der Regel eine gewisse Lärmbelästigung. Wir versuchen, das Material – die Pflasterung, die abgebaut wird, gleich vor Ort wiedereinzubauen. Es gibt Anlagen, die die Steine brechen und das bringt natürlich eine gewisse Lärmbelästigung. Wenn ein Baum gefällt werden musste, damit man etwas Platz schafft, gab es schon Proteste. Aber insgesamt gibt es keinen Widerstand gegen die Renaturierung und im Nachhinein waren die Reaktionen wirklich immer positiv.

Gibt es vor dem Setzen der Maßnahmen Informationen für die Bevölkerung?

Bei größeren Eingriffen, ja. Wir haben ja ein eigenes Infocenter an der Liesing. Es wird über den Bezirk natürlich kommuniziert. Vor Beginn hat es bereits die Möglichkeit gegeben, sich darüber zu informieren.

Wenn ein Abschnitt renaturiert wurde, welche Maßnahmen muss man weiterhin setzen?

Es braucht immer ein Pflegekonzept dazu, das in der Regel auch im Wasserrechtsverfahren vorgeschrieben wird. Dabei geht es vor allem darum, den Hochwasserschutz zu gewährleisten. Das Ziel ist zumindest, ein 100-jährliches Hochwasser, schadlos abzuführen. Wenn man begrünt und Bäume setzt, muss man darauf achten, dass man den Hochwasserabfluss nicht gefährdet. Die Bäume dürfen nicht zu groß werden. In den Pflegekonzepten wird abschnittsweise festgelegt, welche Bereiche kritisch sind – dort kann man sehr wenig Bepflanzung zulassen.

Ein großes Thema aktuell ist der Klimawandel. Böschungen sind sehr trockene Standorte. Das sollte in der Pflege schon entsprechend berücksichtigt werden. Wenn man die Bepflanzung durchführt, versuchen wir in letzter Zeit mehr Wildaufgeher zu fördern, weil die wesentlich widerstandsfähiger sind und sich besser entwickeln als Bäume in der Baumschule.
Die Böschungen müssen von Zeit zu Zeit auch gemäht werden. Wir versuchen, natürliche Wiesenbestände aufkommen zu lassen und keine Rasenpflege zu betreiben, um auch Blühpflanzen zu fördern.

Gibt es mit Neophyten Probleme bzw. kann man gegen diese vorgehen?

Fallopia japonica, der Japanische Staudenknöterich:
Eine schnellwüchsige, widerstandsfähige Pflanze, die in Japan, China und Korea beheimatet ist. Sie wurde als Futter- und Zierpflanze auch bei uns eingebracht und setzt sich leicht gegen einheimische Arten durch.
Quelle: Landwirtschaftskammer

Weniger bei der Liesing, aber mehr am Wienfluss haben wir große Probleme, gerade mit Fallopia. In den Wienflussbetten hat sich das sehr stark ausgebreitet und es gibt leider überhaupt kein Mittel dagegen, wie man die wirklich bekämpfen kann. Wenn es ganz kleinräumig ist und man sofort Maßnahmen ergreift, hat man eine Chance. Man muss die Pflanzen auch fachgerecht entsorgen. Man kann sie kompostieren in der Kompostieranlage in Wien. Angeblich sind die Temperaturen dort so hoch, dass sie nicht überleben können. Ansonsten muss man sie entweder komplett austrocknen lassen oder verbrennen. Wenn man die Pflanzenreste in den Wiener Restmüll gibt, werden sie mit Sicherheit verbrannt. Das Problem ist, dass Fallopia sehr tief wurzelt und sehr regenerationsstark ist. Es gibt sogar Berichte, bei denen sie bis fünf Meter wurzeln konnten. Man muss aber mindestens ein bis zwei Meter das Erdreich ausheben.

Ein weiteres Problem ist, dass sie echte Monokulturen schaffen und jeder Trieb, der abbricht, sofort wieder austreiben kann. Wenn bei Hochwasser an verschiedenen Stellen die Triebe anlanden, die durch das Hochwasser abgerissen wurden, fangen viele davon sofort an, auszutreiben und man hat wieder einen neuen Bestand.
Wir haben aktuell Versuche auf der Donauinsel laufen, bei denen man den Oberboden abgetragen hat, Unkrautvlies und wieder mit Erde bedeckt hat und diese Stellen anschließend mit Weiden bepflanzt. So wird das Wachstum möglichst unterdrückt. Sie kommen mit der Zeit zwar doch wieder durch, aber das Ziel ist, so viel Beschattung zu schaffen, dass sich der Staudenknöterich nicht durchsetzen kann. In Gewässernähe funktioniert es mit Weiden sehr gut, weil diese sehr schnellwüchsig und regenerationsfähig sind.
Das Ganze ist allerdings sehr aufwendig und deshalb auch nicht unbedingt die großflächige Lösung. Man kann Fallopia auch sehr intensiv mähen über viele Jahre. Aber an den Stellen, wo das gemacht wird, gibt es sogar einige, die nach 10 Jahren wieder zurückkommen. In gewissen Bereichen bekämpfen wir Fallopia regelmäßig. Auch beim Riesenbärenklau – wenn der auftaucht, wird sofort etwas gemacht. Bei Fallopia nur dort, wo einzelne, kleine Bestände sind und man eine realistische Chance hat.

Gibt es regelmäßiges Monitoring durch die Stadt Wien?

In Wien haben wir regelmäßiges Landesmonitoring, bei dem natürliche Qualitätselemente untersucht werden. Im Zusammenhang mit der Wasserrahmenrichtlinie sind das die Fische, das Makrozoobenthos und das Phytobenthos. Da gibt es ein Monitoring Programm, bei dem je nach Bedeutung und Größe des Gewässers, unterschiedlich häufig Untersuchungen durchgeführt werden. Das ist vor allem auch wichtig, um den Erfolg von solchen Maßnahmen zu belegen. Und einer der großen Vorteile in der Stadt ist, dass die Ausgangssituation in der Regel so schlecht ist, dass man immer einen Erfolg nachweisen kann. Bei anderen Flüssen ist das oft sehr schwierig: Es werden teure Maßnahmen umgesetzt, zum Beispiel eine große Aufweitung auf mehreren 100 Metern, und oft kann man nicht nachweisen, wenn man den ökologischen Zustand ermittelt, dass es wirklich Verbesserungen gibt, weil diese graduell stattfinden. Oft können Arten gar nicht zuwandern, weil sie durch Hürden gar nicht dorthin gelangen.

Phytobenthos und Makrozoobenthos:
Das Benthos beinhaltet alle bodenbewohnenden Organismen eines Gewässers. Daher bezieht sich das Makrozoobenthos auf alle wirbellosen Tiere der Gewässersohle mit über 1mm. Das Phytobenthos sind dementsprechend die Pflanzen, die den Gewässerboden bewachsen.
Quelle: Amt der oÖ Landesregierung

Bei der Renaturierung der Liesing im untersten Bereich, schon vor 20 Jahren, fand im Rahmen des LIFE Projekts ein intensives Monitoring statt. Dabei sind auch die Libellen, Uferkäfer und Makrozoobenthos betrachtet worden und man konnte zeigen, wie schnell der Bach wieder besiedelt wird. Dort hat sich aber die Problematik der Nährstoffeinträge gezeigt und zusätzlich die Schadstoffeinträge aus dem Regenwasserkanal. Wir haben danach auch noch längere Zeit Monitoring durchgeführt und konnten so feststellen, dass die Artenzahlen steigen. Wenn ein derartiger Schadstoffeintrag stattfand, wurde die Zönose wieder fünf Jahre zurückgeworfen. Sensible Arten fallen dann wieder aus und es dauert eine gewisse Zeit, bis sie sich wieder etablieren können. Das war der Grund, aus dem man wusste, dass man diese Einträge über das Regenwasser möglichst reduzieren muss.

Im Rahmen des Landesmonitorings haben wir in größeren Abständen auch chemisch-physikalische Untersuchungen. Dazu gibt es heuer wieder aktuell ein laufendes Programm, bei dem die wichtigsten Fließgewässer untersucht werden. Dabei gibt es monatliche Beprobungen über ein Jahr, woraufhin man z.B. vergleichen kann, wie sich die Parameter in den letzten 10 Jahren verändert haben. Maßgebend für die Bewertung des ökologischen Zustands sind aber die biologischen Parameter.

Warum ist Gewässer Renaturierung wichtig?

Eine sehr philosophische Frage. Weil man wieder ein bisschen gut machen kann, was in der Vergangenheit passiert ist – auch aus gutem Grund, das darf man auch nicht vergessen. Der Wienfluss ist nicht aus Spaß so verbaut worden. Das war ein sehr verzweigtes Gewässersystem, aber im Zuge der industriellen Revolution haben sich immer mehr Betriebe angesiedelt und es sind Abwässer direkt in das Gewässer geleitet worden. In dieser Zeit war das auch ein Abwasserkanal, der bei Hochwässern über die Ufer getreten ist. So sind die Giftstoffe und Keime auch in das Grundwasser gelangt und es gab immer wieder große Choleraepidemien. Deshalb hat man es damals auch so massiv verbaut. Das ist auch der Grund, warum so viele Bäche, die aus dem Wienerwald kommen, verrohrt wurden. Es war auch eine große Geruchsbelästigung und ein hygienisches Problem.

Heute wären wir froh, wenn wir diese Bäche im natürlichen Zustand wieder hätten. Jetzt ist es leider in der Regel zu spät.

Es ist unsere Verpflichtung, den nachfolgenden Generationen gegenüber, wieder etwas gut zu machen. Es ist auch für die Stadt besonders wichtig im Zuge des Klimawandels, weil solche Grünachsen wichtig sind für das Stadtklima. Es sind oft Frischluftschneisen und Wanderkorridore, nicht nur für aquatische Arten, sondern auch zur Orientierung für Vögel und terrestrische Insekten. Was in der Stadt auch eine besondere Rolle spielt, ist die Verbesserung der Naherholung. Dies ist auch wichtig dafür, damit man die Finanzierung politisch argumentieren kann, dass man Millionen investiert, weil so auch die Bevölkerung davon profitiert.
Den Menschen zieht es immer zum Wasser. Wohnen am Wasser erhöht die Lebensqualität sehr stark und es hat aus meiner Sicht einen Klimaschutzeffekt auch dahingehend, dass man nicht unbedingt darauf angewiesen ist, weit weg zu fahren, sondern man kann sich auch vor der Haustüre erholen. Wien hat dabei den Vorteil mit dem Donauraum. Hier hat man Naherholungsgebiete direkt vor der Haustüre.

Ich bedanke mich im Namen von bioskop für das informative Interview!

Weiterführende Links:

bioskop Beitrag:
Österreichs Fließgewässer: geprägt durch Regulierung und Renaturierung

Stadt Wien

Foto: Anna Geisler

Intakte Fließgewässer sind eine wichtige Lebensgrundlage für Pflanzen-, Tierarten und auch den Menschen, doch der Weg zurück zu einem natürlichen Zustand ist keine einfache Aufgabe. Das Europa des 20. Jahrhunderts war geprägt von einer radikalen Umgestaltung und Kultivierung natürlicher Landschaften, was den Verlust natürlicher Ökosysteme zur Folge hatte. Können wir aber die Schäden wieder ungeschehen machen? Restaurationsökologie befasst sich damit, Ökosysteme zu renaturieren. Derartige Bemühungen etablierten sich sukzessive und sind ein bedeutender Bestandteil nicht nur der Restaurationsökologie, sondern auch des gesellschaftlichen Bildes. Gewässer sind eine Lebensgrundlage für Mensch und Natur. Was Gewässerrenaturierung ist, was sie beinhaltet und welche Auswirkungen sie hat – damit befassen wir uns hier am konkreten Beispiel der Liesing.

Jahrzehnte der Veränderung

Gewässer sind ein essenzieller Bestandteil des Lebens und für viele Arten ein wichtiger Lebensraum. Sowohl die Schaffung von Ackerland, als auch die Fragmentierung der natürlichen Umgebung durch Infrastruktur veränderten unsere Ökosysteme teils drastisch. In Österreich führte nicht nur schädliche Einträge intensiver Landwirtschaft, sondern auch drastische Regulierungsmaßnahmen zu einer maßgeblichen Veränderung vieler Fließ- und Stillgewässer und deren Umgebung. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der einst fünf Kilometer breite Auengürtel der ursprünglichen Donau. Altarme wurden vom Hauptstrom getrennt und liefen als Folge Gefahr, zu eutrophieren oder ganz zu versiegen. Für Auen charakteristische Arten verloren ihren Lebensraum.

Begriffserklärung
In der Restaurationsökologie umfasst ähnlich klingende Begrifflichkeiten:
– Restauration sorgt für die Wiederherstellung des Originalzustandes eines Ökosystems.
– Regeneration ist die Reparatur im Hinblick auf einzelne Ökosystemfunktionen.
– Sanierung ist die “Reparatur unter gezieltem Einsatz von Maßnahmen”.
– Renaturierung bedeutet naturnahe Gestaltung, nicht der Originalzustand.
– Revitalisierung kann als Renaturierung oder Sanierung verstanden werden

Quelle: Schaefer, M. (2012). Wörterbuch der Ökologie. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg.

Rückblick auf die Donauregulierung

Während der 1. Donauregulierung in den 1870ern wurde die natürliche Dynamik der Donau gestoppt, ein neues Flussbett für die Donau angelegt und Seitenarme stillgelegt. Die zweite Regulierung erfolgte in den 1970er bis 1980ern, bei der als Hochwasserentlastungsgerinne die Neue Donau angelegt wurde. Seitenarme, wie das Heustadlwasser, wurden zu einem Altwasser, das einer natürlichen Verlandung und Eutrophierung unterworfen ist.

Eutrophierung
Darunter versteht man die Anreicherung von Nährstoffen in einem Ökosystem. Das führt zu einer erhöhten Produktion, d.h. dem Gewinn an Biomasse. Diese wird von Mikroorganismen nach dem Absterben unter Verbrauch von Sauerstoff zersetzt. Der Sauerstoffmangel, der dadurch entstehen kann, wird allgemein als „Umkippen“ eines Gewässers bezeichnet.

Quelle: Schaefer, M. (2012). Wörterbuch der Ökologie. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg.


Die Liesing – Blick in die Vergangenheit

In Rodaun vereinigen sich Dürre und Reiche Liesing zu einem Fluss, dem Liesingbach, der den 23.Bezirk und das Wiener Becken durchfließt. Zwischen 1770 und 1825 kam es zu verstärkten Hochwasserereignissen von Wiener Gewässern, wodurch so auch zunehmend Regulierungsmaßnahmen, also Begradigungen unter anderem der Liesing vorgenommen wurden. Nachdem auch die Siedlungsfläche im 19. Jahrhundert deutlich zunahm, verstärkte auch die steigende Bodenversiegelung die Hochwassergefahr – weitere Regulierungsmaßnahmen waren die Folge. Da auch mehr Abwasser in die Liesing eingeleitet wurden, belastete auch das den Fischbestand.

Besonders intensiv reguliert wurde die Liesing ab 1939: Die Flusssohle wurde abgesenkt, Uferböschungsbefestigungen gebaut und Schottergruben mit Sohlpflasterungen ersetzt. In den 70er Jahren wurde zeitgleich mit Regulierungsmaßnahmen aber bereits mit vereinzelter Renaturierung begonnen. Um 1980 wurden nach vermehrten Hochwasserschäden Rückhaltebecken in Inzersdorf und Alterlaa gebaut. Obwohl die Kanalisation ausgebaut wurde, floss weiterhin verschmutztes Regenwasser in die Liesing. 

Auswirkungen der Regulierung

Eine direkte Folge von Regulierungsmaßnahmen eines Flusses nimmt die Fließgeschwindigkeit zu. Oftmals werden auch die Uferbereiche wesentlich steiler und verbaut. Somit ergeben sich teils unmögliche Lebensbedingungen für Arten, die langsam fließende Gewässer und Uferstrukturen benötigen. Da Seitenarme komplett durch Regulierungseingriffe versiegen können, wird nicht nur der Lebensraum eingeschränkt, sondern auch das natürliche Wasserrückhaltepotential. Bei Hochwasserereignissen steigt die Gefahr für den Menschen dadurch sogar noch. 

Nicht renaturierter Abschnitt der Liesing. Foto: Anna Geisler

Pläne bis 2027

Bereits über neun Kilometer der Liesing wurden revitalisiert – ein erster Abschnitt bereits 1997, jedoch fand der bisher längste Sanierungsabschnitt zwischen Großmarktstraße und Kledering statt. Die MA45 und Wien Kanal arbeiten in Zusammenarbeit an der Renaturierung der Liesing. 

Der Prozess wird in sechs Bauteile eingeteilt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Bauplan vermerkt sind. Finanziert wurde der erste Abschnitt der Liesing durch ein EU-LIFE Projekt. Mit dem LIFE Projekt sollen auch vor allem die Auswirkungen des Klimawandels bearbeitet werden. Die Finanzierung weiterer Bauabschnitte erfolgt durch das Wasserbautenförderungsgesetz bzw. durch den Fördertopf des Umweltförderungsgesetzes. Fertiggestellt werden sollen die verschiedenen Bauteile voraussichtlich 2027.

Maßnahmen der Renaturierung

Wichtige Bestandteile einer Flussrenaturierung beginnen beim Entfernen der Pflasterung, die einst eine Regulierungsmaßnahme war, und können auch Verbreiterungen des Flussufers beinhalten. Sowohl in der Flusssohle, als auch im Uferbereich wurden verschiedene Strukturen eingebracht. Auch die Fließgeschwindigkeit und die Tiefe des Gewässers sollte heterogener werden, da Tiere, wie Fische oder Insekten, unterschiedliche Zonen bevorzugen. Jungfische beispielsweise brauchen Flachwasserbereiche und kleine Buchten mit ruhigem Wasser können essentiell für manche Insektenlarven sein. Barrieren und Verbauungen können Fische schwer oder gar nicht überwinden, weshalb auch hierbei ein Rückbau notwendig wird. Für große Fische sind Kolke oftmals ein geeigneter Lebensraum – das sind Eintiefungen, die in fließenden Gewässern durch Abrieb entstehen. 

Nachdem Schritte zur Renaturierung gesetzt werden, soll das Gewässer aber nicht vollkommen sich selbst überlassen sein. Ein regelmäßiges Monitoring und zum Teil auch Pflegemaßnahmen der renaturierten Abschnitte muss geschehen, um den Erfolg der Maßnahmen zu messen und diesen kontinuierlich zu stärken. Zudem zeigt es die Wirksamkeit auf und kann auf zusätzlich nötige Schritte hinweisen.

Strukturreicher Lebensraum für Artenvielfalt

Natürliche bzw. naturnahe Gewässer bieten eine Vielzahl an Strukturen, die von unterschiedlichen Pflanzen- und Tierarten genutzt werden, die wiederum verschiedene ökologische Funktionen haben. Um Beispiele zu nennen – die strukturelle Vielfalt von natürlichen oder naturnahen Gewässern kann durch unterschiedlich große Steine der Gewässersohle entstehen oder tote und lebende Gehölze an Ufern. Diese Elemente im Lebensraum bieten Organismen unterschiedliche Lebensbedingungen. Daher können diese Strukturelemente auch als Maßstab für Biodiversität und Ökosystem Funktion genutzt werden. Denn verschiedene Organismen und Lebensgemeinschaften gedeihen in unterschiedlichen Nischen. An regulierten Flussläufen wird diese Diversität stark eingeschränkt. 

Strukturreiche Uferbereiche und Gewässersohle im renaturierten Bereich der Liesing. Foto: Anna Geisler

Kulturelles Gut und Schutz

Nicht nur den verschiedenen Tier- und Pflanzenarten dienen Renaturierungsmaßnahmen, denn einige wichtige Funktionen dieser Ökosysteme kommen auch Mensch und Gesellschaft zugute. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen unterstützenden, versorgenden, regulierenden und kulturellen Leistungen. Im Fall von Gewässern betrifft das vor allem kulturelle Leistungen, wie mentale Erholung und Entspannung und auch regulierende Leistungen, die das Wasserrückhaltepotential in Auengebieten. In gewisser Weise dienen natürliche und naturnahe Landschaften sowohl Tieren als auch Menschen auf unterschiedliche Art als Lebensraum. 

Strategie zur Renaturierung

Die Wiederherstellung von ökologisch wichtigen Lebensräumen stellt einen Pfeiler der von der Europäischen Kommission formulierten Biodiversitätsstrategie 2030 dar. Inbegriffen in dem 10-Punkte-System ist die “Wiederherstellung für Biodiversität und Klimaschutz besonders wichtiger Ökosysteme”. 

Die Renaturierung unterschiedlicher Ökosysteme, wie Wälder, Wiesen, Moore und Gewässer gehört dabei zu einer wesentlichen Aufgabe. Für die Umsetzung sind die jeweiligen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten bzw. entsprechende Gebietskörperschaften verantwortlich. Aber auch NGOs, Initiativen und Unternehmen setzen sich in Kooperation mit den betroffenen Grundeigentümern für die Umsetzung der qualitativen und quantitativen Ziele ein. 

Zurück an den Ursprung?

Die sichtlichen Verbesserungen, die durch die Renaturierung von Lebensräumen erzielt werden, drücken auch die Notwendigkeit dazu aus. Oftmals spielt bei den Erfolgen aber auch der zeitliche Prozess eine Rolle. Morphologische Veränderungen können im Gegensatz zu den biologischen – je nach Zugänglichkeit zum renaturierten Gebiet – schneller beobachtet werden. Die anfängliche Frage danach, ob wir Schäden wieder gut machen können, lässt sich weder mit „ja“ noch „nein“ beantworten. Wir können Fließgewässer Ökosysteme aufgrund heute gegebener Infrastruktur und Besiedelung nicht mehr in ihren ursprünglichen Zustand zurückführen. Aber wir können sie in einen naturnahen Zustand bringen und mit regelmäßiger Pflege die gewünschte Artenvielfalt erhalten. 


Weitere Infos zur Liesingbach Renaturierung, findet ihr hier.

Titelbild: Platzertal (Foto: Christoph Praxmarer)

40 Umweltvereine und Wissenschafter:innen fordern Ausbau-Stopp für Kraftwerk Kaunertal – Tiroler Landesregierung muss die letzten intakten Alpenflüsse schützen und naturverträgliche Energiewende umsetzen.

Insgesamt 40 Umweltvereine und Stimmen aus der Wissenschaft fordern in einer gemeinsamen Erklärung den Stopp des Ausbaukraftwerks Kaunertal. Stattdessen müsse die Tiroler Landesregierung die letzten intakten Alpenflüsse schützen und eine konsequent naturverträgliche Energiewende umsetzen. „Dieses Großprojekt steht wie kein anderes für die völlig überzogene Ausbaupolitik der TIWAG. Wir brauchen eine naturverträgliche Energiewende statt weiterer Verbauung alpiner Naturräume“, mahnt Bettina Urbanek, Gewässerschutzexpertin des WWF Österreich. Für das Projekt plant die TIWAG bis zu 80 Prozent des Wassers aus dem Ötztal, einem der niederschlagsärmsten Täler Tirols, auszuleiten und im ökologisch einzigartigen Platzertal einen 120 Meter hohen Staudamm zu errichten und dahinter neun Fußballfelder Moorflächen zu fluten. „Das hätte verheerende Folgen für die hochsensible Naturlandschaft, würde wichtige Lebensräume zerstören und die Biodiversitätskrise befeuern.“

Frei fließende Bäche und Flüsse zählen zu den wertvollsten Lebensräumen weltweit – auch in den Alpen. Dennoch werden diese letzten Wildflüsse verbaut und somit zu den Verlierern einer verfehlten Energiepolitik“

Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

„Frei fließende Bäche und Flüsse zählen zu den wertvollsten Lebensräumen weltweit – auch in den Alpen. Dennoch werden diese letzten Wildflüsse verbaut und somit zu den Verlierern einer verfehlten Energiepolitik“, kritisiert Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und fährt fort: „Wasserkraft ist zwar eine erneuerbare aber keinesfalls eine umweltfreundliche oder klimaneutrale Energiequelle. Durch den geplanten Ausbau des Kraftwerks Kaunertal würden vier bisher noch weitgehend intakte Alpenflüsse zu Rinnsalen degradiert.“ Das verändere den Wasserhaushalt einer ganzen Region – mit gravierenden Folgen für Natur und Mensch.

GLOBAL 2000 Geschäftsführerin Agnes Zauner fordert anstelle des Ausbaus eine naturverträgliche Energiewende: „Der jüngste Bericht des Weltklimarates hat eindrücklich gezeigt, dass wir die Klima- und Biodiversitätskrise nur mit Hilfe der Natur bewältigen können. Es geht jetzt darum, wertvolle Naturräume zu schützen und die Energiewende naturverträglich voranzutreiben.“ Dazu gehöre in Tirol ein Schwerpunkt auf Einsparung von Energie, den Photovoltaik-Ausbau und den Austausch von Öl- und Gas-Heizungen gegen Fernwärme, Wärmepumpen und Solarenergie. „Nur so kann Tirol unabhängig von Öl, Gas und Kohle werden.“

„Zusätzliche Speicher müssen unbedingt naturverträglich realisiert werden. Dass das möglich ist, zeigen andere Projekte. Sie funktionieren als geschlossene Systeme, benötigen keine neuen Naturflächen und verursachen keine zusätzliche Schwallbelastung in Flüssen“, ergänzt Bettina Urbanek vom WWF.

Ausbaupläne für das Kraftwerk Kaunertal (Bild: WWF)

Das Kaunertal war früher das Tal der Wasserfälle.

Anita Hofmann, Verein Lebenswertes Kaunertal

Naturgefahren durch Naturzerstörung

Das Kraftwerk Kaunertal zeige bereits in seiner derzeitigen Form das Ausmaß der Naturzerstörung und der Beeinflussung der Menschen im Kaunertal, schildert Anita Hofmann vom Verein Lebenswertes Kaunertal: „Das Kaunertal war früher das Tal der Wasserfälle. Doch seit dem Bau des Kraftwerks liegen unsere ehemaligen Almböden unter Wasser und die sprudelnden Seitenbäche sind versiegt. Wir können und wollen keine weitere Naturzerstörung zulassen.” Besorgt zeigte sich Hofmann auch beim Thema Naturgefahren: „Wir leben seit Jahren mit der Sorge vor einer Hangrutschung beim bereits bestehenden Gepatschstausee. Der Ausbau des Kraftwerks mit Pumpspeicherbetrieb würde dieses Risiko noch weiter erhöhen, da die Gefahr besteht, dass die umliegenden Hänge durch das ständige Fluten und Leeren stärker in Bewegung kommen.” Darüber hinaus drohe der Bau auch den für das Kaunertal so wichtigen, nachhaltigen Tourismus zu gefährden. „Der Ausbau bedeutet für uns massive Großbaustellen mit enormen Deponieflächen, die Naturräume zerstören. Hinzu kommen jahrelange Lärm- und Verkehrsbelastungen mit zahllosen LKW-Fahrten, die jeden Tag das Tal hinaufkeuchen sowie eine signifikante Verschlechterung der Luftqualität.”

Über die Kaunertal-Erklärung 2022

Die vom WWF Österreich initiierte Kaunertal Erklärung wird unterstützt von 30 Organisationen aus den Bereichen Umwelt-, Natur- und Klimaschutz, Fischerei und Wildwassersport. Darunter sind der Verein Lebenswertes Kaunertal, GLOBAL 2000, der Naturschutzbund, der Alpenverein, Fridays for Future Innsbruck, WET Tirol, das Österreichische Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz, die Austrian Biologist Association (ABA) und zahlreiche weitere. Dazu kommen 10 Stimmen aus der Wissenschaft.

Mehr Informationen:
www.fluessevollerleben.at/kaunertal

Vollständige Auflistung der unterstützenden Organisationen (alphabetisch):

Organisationen

  • ABA Austrian Biologist Association
  • Alpenverein Österreich
  • Austrian Youth Biodiversity Network
  • Bayerische Einzelpaddler-Vereinigung e.V.
  • Bayerischer Kanu Verband e.V.
  • Birdlife Österreich
  • BUND Naturschutz in Bayern e.V.
  • EuroNatur Stiftung
  • Forum Wissenschaft & Umwelt
  • Free Rivers Fund
  • Fridays for Future Innsbruck
  • Generation Earth
  • GLOBAL 2000
  • LBV Landesbund für Vogelschutz Bayern
  • Living European Rivers Initiative
  • Naturfreunde Österreich
  • Naturschutzbund Österreich
  • ÖKF FishLife Österreichisches Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz
  • Ökobüro – Allianz der Umweltbewegung
  • Patagonia
  • Riverwalk
  • Riverwatch
  • Save our Rivers
  • The River Collective
  • Umweltdachverband
  • Verein Lebenswertes Kaunertal
  • VÖAFV Verband der Österreichischen Arbeiter-Fischerei-Vereine
  • WET – Wildwasser erhalten Tirol
  • WWF European Policy Office, Brüssel
  • WWF Österreich

Wissenschafter:innen

  • Franz Essl; Ao.Univ-Prof. Mag. Dr., Department für Botanik und Biodiversitätsforschung – Universität Wien
  • Leopold Füreder; Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr., Institut für Ökologie – Universität Innsbruck
  • Armin Landmann; Univ.-Doz. Mag. Dr., Institut für Zoologie – Universität Innsbruck
  • Susanne Muhar; Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr., Inst. für Hydrobiologie und Gewässermanagement – Universität für Bodenkultur
  • Birgit Sattler, Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr., Institut für Ökologie – Universität Innsbruck
  • Gabriel Singer; Univ.-Prof. Mag. Dr., Institut für Ökologie – Universität Innsbruck
  • Klement Tockner; Prof. Dr., Goethe-Universität Frankfurt; Generaldirektor Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
  • Roman Türk; Univ.-Prof. i.R. Dr., – Präsident Naturschutzbund Österreich
  • Peter Weish; Univ.Doz. Dr., Institut für Zoologie – Universität für Bodenkultur
  • Steven Weiss; Ao.Univ.-Prof. Dr., Institut für Biologie – Karl-Franzens Universität Graz

Titelbild: Große Weidetiere übernehmen wichtige Funktionen innerhalb eines Ökosystems. Sie werden oft als eine der ersten Tierarten wiedereingeführt. © Arend de Haas – True Nature Foundation

Rewilding: The radical new science of ecological recovery”. So lautet der Titel des neuen Buches von Paul Jepson und Cain Blythe. Aber was ist Rewilding? Und ist der Ansatz wirklich so radikal?

Hört man Rewilding, denkt man schnell an wilde Tiere, ungezähmte Natur und Wildnis. Da ist die Frage naheliegend, ob so etwas im dichtbesiedelten Mitteleuropa überhaupt möglich ist.

Doch hinter Rewilding steckt mehr als eine idealisierte Vorstellung von wilder Natur. Dass Rewilding auch in Europa möglich ist, zeigen zahlreiche Rewilding-Projekte. True Nature Foundation, Rewilding Europe, Rewilding Britain, Scotland: The big picture sind nur ein paar Beispiele für Organisationen, die Rewilding bereits erfolgreich in die Tat umsetzten.

Zusammenleben von Mensch und Tier: Warnschild im Rewilding Europe-Gebiet im zentralen Apennin © Lina Dilly

Was genau ist Rewilding?

Eine klare Definition gibt es nicht und es gibt verschiedene Rewilding-Ansätze mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Doch im Grunde geht es beim Rewilding darum, der Natur wieder mehr Raum zu geben und natürliche Prozesse und die Funktionalität geschädigter Ökosysteme wiederherzustellen.

Zu Beginn muss der Mensch da häufig eingreifen und der Natur sozusagen einen Anstoß in die richtige Richtung geben. Ein typischer Eingriff ist die Wiederansiedlung wichtiger verlorengegangener Tierarten. Funktionieren die natürlichen Prozesse wieder, kann die Natur dann weitestgehend sich selbst überlassen werden. Intakte Natur reguliert sich selbst. Sie ist dynamisch und verändert sich und daher geht es bei Rewilding auch nicht darum, einen bestimmten Zustand oder Endpunkt zu erreichen und zu erhalten.

Häufig werden vier Formen des Rewildings unterschieden:

  1. Trophisches Rewilding
  2. Pleistozän-Rewilding
  3. Translokation-Rewilding
  4. Passives Rewilding

Eine fünfte Form von Rewilding, die in diesem Artikel ebenfalls kurz angesprochen wird, ist urbanes Rewilding.

Trophisches Rewilding

Beim trophischen Rewilding geht es darum, die Verbindung zwischen Beutegreifern und ihrer Beute wiederherzustellen. Große Beutegreifer haben im Ökosystem eine regulierende Funktion. Ihre Abwesenheit wirkt sich auf verschiedenen Ebenen des Nahrungsnetzes aus und kann das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen.

Das wohl berühmteste Beispiel für trophisches Rewilding und gleichzeitig auch der Ursprung von Rewilding ist der Yellowstone Nationalpark in den USA. In den 1990er Jahren hat die Wiederansiedlung von Wölfen dazu geführt, dass wichtige natürliche Prozesse in den aus dem Gleichgewicht geratenen Ökosystem wiederhergestellt wurden. Der Einfluss war so groß, dass selbst Flussläufe sich veränderten.

Wolfsrudel ©unsplash

Pleistozän-Rewilding

Gegen Ende des Pleistozäns vor ca. 12000 Jahren ist ein Großteil der Megafauna wahrscheinlich als Folge der Jagd ausgestorben. In der Arktis führte der Verlust der Megafauna zu einem Ökosystemwandel. Ohne Mammuts, Bisons, Löwen und andere große Tiere, die die Gegend durchstreiften, verwandelten sich die einst offenen Landschaften in die riesigen Tundra- und Taiga-Ökosysteme, die wir heute kennen.

Es gibt Theorien, dass Megafauna und offene Landschaften sich positiv auf die Erhaltung des Permafrosts auswirken können. Doch ausgestorbene Arten lassen sich nicht zurückbringen. Beim Pleistozän-Rewilding werden daher verwandte Arten der Eiszeit-Bewohner, oder Arten mit ähnlicher Funktion im Ökosystem, wiederangesiedelt. Das könnte sich in Zukunft jedoch ändern, denn es wird auch an der „Wiedererschaffung“ ausgestorbener Arten wie dem Mammut geforscht.

Das bislang einzige Beispiel für Pleistozän-Rewilding ist der Pleistozän-Park in Sibirien, wo Permafrost-Wissenschaftler Sergey Zimov gemeinsam mit seinem Sohn Nikita mit der Wiedereinführung von großen Tieren experimentieren.

Translokation-Rewilding

Translokation-Rewilding hat entweder die Verstärkung einer bestehenden Population oder die Wiederansiedlung einer lokal ausgestorbenen Art zum Ziel.

Ist die Zielart bereits ausgestorben, kommen heutige Nachkommen der ausgestorbenen Art, oder funktional ähnlichen Arten in Betracht. In diesem Fall ähnelt Translokation-Rewilding dem Pleistozän-Rewilding. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf Arten der jüngeren Vergangenheit.

Ein gutes Beispiel ist das Iberá-Projekt im Nordosten Argentiniens. Tiere wie Jaguar, Riesenflussotter, Halsbandpekari, Ozelot und viele mehr waren in dem Gebiet entweder komplett ausgestorben oder in ihrer Population stark dezimiert. Seit 2007 wurden ausgestorbene Arten wieder angesiedelt und geschwächte Populationen gestärkt. Heute ist der Iberá Park Argentiniens größtes Naturgebiet und 2018 wurden seit 70 Jahren das erste mal wieder Jaguar-Babys im Park geboren. 

Jaguar-Babys im Iberá Park © Rewilding Argentina
Freilassung von Halsbandpekari im Iberá Park © Rafael Abuin Aido – Rewilding Argentina
Riesenflussotter im Iberá Park © Rafael Abuin Aido – Rewilding Argentina

Passives Rewilding

Wie der Name vermuten lässt, geht es beim passiven Rewilding darum, die menschliche Kontrolle über Landschaften zu reduzieren und der Natur mehr Raum zu geben, um sich selbst zu regulieren. Auch der strengere Artenschutz hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass Tiere und Pflanzen von ganz alleine zurückkommen.

Biberdamm in Tirol in der Nähe von Biberwier. Biber kehren langsam in viele Gebiete Europas zurück, wo sie für viele Jahre abwesend waren © Lina Dilly

Im Idealfall gelangen die oben beschriebenen Formen des Rewildings nach einem anfänglichen Push des Menschen alle in diesen Zustand der Selbstregulation.

Typische Gebiete für passives Rewilding sind von der Landwirtschaft aufgegebene Flächen. Diese Flächen werden nicht mehr aktiv durch den Menschen genutzt und nach und nach erobert sich die Natur diese Flächen zurück.

Urbanes Rewilding

Mit dem Trend der Urbanisierung wird auch urbanes Rewilding immer wichtiger. Urbanes Rewilding findet zwar in einem relativ kleinen Maßstab statt, ist aber dennoch eine wichtige Form des Rewildings. Im städtischen Raum konzentriert sich Rewilding oft auf das Potenzial von Gründächern und der Vergrößerung anderer städtischer Naturflächen. So werden attraktivere Lebensräume für Mensch und Tier geschaffen.

Koexistenz von Mensch und Tier

Bei Rewilding geht es darum, Situationen zu schaffen, bei denen alle Lebewesen gleichermaßen profitieren. Es ist ein innovativer Ansatz im Naturschutz. Doch in gewisser Hinsicht könnte man Rewilding auch als eine Art Philosophie betrachten. Denn Rewilding zielt nicht nur darauf ab, die Funktionalität geschädigter Ökosysteme wiederherzustellen, sondern auch die Beziehung zwischen Mensch und Natur.

Wir Menschen sind Teil der Natur und in einem gesunden Ökosystem ist daher auch Platz für uns Menschen. Zivilisation, Kultur und Natur müssen einander nicht ausschließen.

Ist Rewilding also wirklich ein so radikaler Ansatz? Auf den ersten Blick mag es vielleicht so aussehen. Doch schaut man genauer hin, könnte Rewilding die Lösung für ein harmonisches Miteinander von Mensch, Tier und Natur sein.

Möchtest du selbst aktiv werden, dich engagieren oder einfach mehr zum Thema Rewilding erfahren? Werde Mitglied der GLFx Rewilding Community of Practice oder folge uns auf Facebook und Instagram. Die Rewilding Academy bietet außerdem spannende Rewilding-Kurse.

Quellen
Jepson, P., & Blythe, C. (2020). Rewilding: The radical new science of ecological recovery. London: Icon.
True Nature Foundation: https://truenaturefoundation.org/
Rewilding Europe: https://rewildingeurope.com/

Die Männchen der Langhornbienen (Eucera)  haben ungewöhnlich lange Fühler, die für diese Gattung sehr typisch sind. Viele Arten innerhalb dieser Gattung sind auf den Pollen von Schmetterlingsblütlern spezialisiert. Foto: Christian Kantner – www.lobbyist-of-insects.com

Trotz ihrer Bedeutung als eine der wichtigsten Bestäubergruppen, werden Wildbienen durch den Menschen zunehmend unter Druck gesetzt. In der Ausstellung „Von Einzelgängern und Geselligen – Vielfalt der Wildbienen“ im Botanischen Garten Innsbruck kann man ab 20. Mai in ihr faszinierendes Leben eintauchen und erfahren, wie man zu ihrem Schutz beitragen kann.

Insektensterben – Schützenswerte Vielfalt

Das Thema Insekten weckt bei den meisten Menschen keine besonders positiven Assoziationen, deshalb werden die Leistungen dieser kleinen und großteils unscheinbaren Tiere auf den ersten Blick häufig übersehen. Beispielsweise Nektar- und Pollensammler übernehmen die Bestäubung von zwei Dritteln aller Wild- und Kulturpflanzen. Somit sind sie für den Erhalt der Artenvielfalt und die menschliche Ernährung unverzichtbar. Gerade deswegen ist das aktuelle Insektensterben äußerst besorgniserregend: Wissenschaftler*innen bestätigen einen Rückgang der Fluginsekten um 75 % in den letzten 25 Jahren, sowie einen starken Rückgang der Vielfalt im Allgemeinen. Der Einsatz von Pestiziden, die Zerstörung von Nisträumen und der Mangel an geeigneten Blühwiesen führt dazu, dass die Lebensräume von Insekten immer kleiner und seltener werden.

Aus Wildbiene wird Honigbiene

Mit Maßnahmen wie der Schaffung und dem Erhalt von Lebensräumen wie z.B. Blühwiesen im ländlichen und städtischen Raum sowie der Errichtung von Schutzgebieten und dem Verzicht auf Pestizide können Wildbienen und andere Insekten unterstützt und geschützt werden. Vor allem in privaten Gärten kann man bereits als Einzelperson wesentlich zum Erhalt der Vielfalt von Wildbienen beitragen.

Wenn über das Thema Bienen gesprochen wird, denken die meisten Menschen häufig an die Westliche Honigbiene (Apis mellifera). Sie sind effektive Bestäuber und Honiglieferanten und werden deshalb bereits seit vielen tausenden Jahren als Nutztier vom Menschen gehalten. Der Wildbienen-Experte Sebastian Hopfenmüller erklärt, dass auch die heutige Honigbiene  einmal zu den Wildbienen zählte und über lange Zeit gezüchtet und als „Haustier“ kultiviert wurde. Er betont, dass unter anderem durch Gefahren wie die aus Asien stammende Varroamilbe die Honigbienen heute auf den Imker angewiesen seien und „in Freiheit“ kaum mehr überleben können.

Die Wespenbienen (Nomada) gehören zu den Brutschmarotzern und werden deshalb zu den Kuckucksbienen gezählt. Foto: Christian Kantner – www.lobbyist-of-insects.com

Die Wildbienen als unverzichtbare Bestäuber

Neben der Honigbiene gibt es knapp 700 weitere Arten von Bienen in Österreich – die Wildbienen. Das Aussehen und Verhalten der Wildbienen ist sehr vielseitig und sie existieren in vielen verschiedenen Formen und Farben. Sie „haben sich in der Evolution Seite an Seite mit den Blütenpflanzen entwickelt“ hebt Hopfenmüller hervor, weshalb „80-90 %  aller Wildblumen von Wildbienen oder von anderen Insekten bestäubt sind“. Wildbienen spielen auch für Kulturpflanzen eine große Rolle, so steigert z.B. ihr Vorkommen den Ertrag in einer Kirschplantage erheblich, meint Sebastian Hopfenmüller. Das liege vor allem an ihrem besonderen Flugverhalten und dem sehr hohen Interesse an Pollen. Die Honigbiene könne die Wildbienen in ihrer Funktion als Bestäuber nicht ersetzen. Das hänge vor allem damit zusammen, dass die Honigbiene eine sehr generalistische Art ist, d.h. in ihrer Auswahl an Pollen – und Nektarpflanzen nicht besonders wählerisch sei und gerne auf Massentrachten gehe. Viele Wildblumen werden neben Bestäubern wie Schmetterlingen „viel effektiver oder überhaupt nur von Wildbienen bestäubt“ und können dadurch nicht, auch nicht von der Honigbiene, ersetzt werden, so Hopfenmüller. Gerade deswegen ist der Schutz von Wildbienen besonders wichtig.

Expertenwissen: Wildbienen sind richtige Feinschmecker

Wildbienen ernähren sich ausschließlich von Nektar und Pollen. Besitzen sie keine Vorlieben, wie die Honigbiene, bezeichnet man sie als polylektische Arten. Doch unter den Wildbienen gibt es viele Spezialisten, richtige Feinschmecker, die sehr wählerisch bei der Suche nach Pollen und Nektar sind. Knapp 30 % aller nestbauenden Wildbienen sind auf den Pollen einer ganz bestimmten Pflanzenfamilie, Gattung oder sogar Art angewiesen, um ihren Nachwuchs zu versorgen. Man nennt diese Arten von Wildbienen oligolektisch.

Die Ausstellung „Von Einzelgängern und Geselligen – Vielfalt der Wildbienen“ im Botanischen Garten Innsbruck

Der Botanische Garten der Universität Innsbruck eröffnet am 20. Mai 2021 die Ausstellung „Von Einzelgängern und Geselligen – Vielfalt der Wildbienen“. Sie kann bis November täglich von 8-18 Uhr kostenlos im Freigelände des Botanischen Gartens besucht werden und gibt einen umfassenden und spannenden Einblick in das Leben und die Vielfalt der Wildbienen.

Der Botanische Garten möchte mit der Ausstellung ein breites Bewusstsein, sowie Begeisterung für das Thema Wildbienen schaffen. Die Ausstellung gibt einen umfassenden Einblick in das Leben, Verhalten und die Herausforderungen der vielseitigen Wildbienen. Insektenfreundliche Strukturen wie Blühwiesen, Totholz und Nisthilfen sollen Anregungen geben und zeigen, wie einfach und attraktiv Wildbienenschutz in jedem Garten umgesetzt werden kann.  

Sebastian Hopfenmüller ist Wildbienen-Experte und Autor aus dem Allgäu. Er hat vor wenigen Monaten mit Eva Strangler das Buch „Wildbienen retten“ herausgebracht, das hochwertige Informationen zu den Wildbienen, sowie Tipps und Tricks zur bienen- und insektenfreundlichen Gestaltung des eigenen Gartens bietet.
Er war in der bioskop-Podcastfolge „Wildbienen – Von Generalisten und Spezialisten“ zu Gast und hat dort Rede und Antwort zum Thema Wildbienen gestanden. Die Folge kann kostenlos auf Podcatchern wie Spotify nachgehört werden.

Umweltkommunikation

Die Rückkehr großer Beutegreifer nach Mitteleuropa ist ein Riesenerfolg für den Naturschutz. Bei anderen Parteien sorgt ihre Rückkehr jedoch für Widerstand. Umweltkommunikation und ein offener Dialog sind wichtig, um für mehr Akzeptanz zu sorgen. Mit einer sachlichen und lösungsorientierten Umweltkommunikation setzt sich das Projekt „Leben am Limit“ für Beutegreifer in Mitteleuropa ein.

„Es geht nur das eine: Unserem Vieh die Almen, dem Wolf die Wildnis!“

So heißt es auf den Bannern des Vereins zum Schutz und Erhalt der Land- und Almwirtschaft in Tirol. Wer sich öfters in Tirol aufhält, hat die Banner sicher schon gesehen. Das Thema Wolf polarisiert und sorgt nicht nur in Tirol für verhärtete Fronten.

In den letzten Jahrzehnten hat der Naturschutz in Europa viel bewirkt. Strengere Auflagen und neue Richtlinien haben nicht nur dem Wolf die Rückkehr nach Mitteleuropa ermöglicht. Auch Bär- und Luchspopulationen wachsen langsam aber stetig. Doch obwohl die großen Beutegreifer wichtige Bestandteile intakter Ökosysteme sind, bietet ihre Anwesenheit viel Konfliktpotenzial.

Während Umweltschützer die Rückkehr von Bär, Wolf und Luchs als großen Erfolg feiern, sehen vor allem Landwirte in ihrer Rückkehr eine Bedrohung für die Land- und Almwirtschaft und fordern den erleichterten Abschuss.

Speziell der Wolf sorgt in Österreich für negative Schlagzeilen. Insbesondere Konflikte mit Nutztierhaltern mindern die Akzeptanz in der Bevölkerung und stehen einer dauerhafte Wiederansiedlung im Weg. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu illegalen Abschüssen.

Wolf (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Die Situation ist nicht einfach und erfordert Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten und den Willen etwas zu ändern. Im dichtbesiedelten Mitteleuropa teilen sich Mensch und Tier zumindest partiell die gleichen Lebensräume und gelegentliche Aufeinandertreffen lassen sich daher kaum vermeiden. Daran müssen sich viele erst noch gewöhnen.

Im europäischen Kontext geht es beim Naturschutz vor allem darum, Wege für ein harmonisches Miteinander zu finden, bei dem menschliches und nicht-menschliches Leben gleichermaßen profitieren. Im dichtbesiedelten Europa ist das eine Herausforderung aber gleichzeitig auch eine Chance. Doch nicht immer werden Chancen auch als solche erkannt. Denn wie wir Dinge wahrnehmen, hängt auch davon ab, wir darüber kommunizieren.

Die Rolle der Umweltkommunikation

In der Debatte um die Rückkehr großer Beutegreifer sorgt eine oftmals emotional aufgeladene, problemfokussierte und teils vorurteilsbehaftete Kommunikation für die Verschärfung des Konflikts. Wut und gegenseitiges Unverständnis sind die Folge und erschweren die Findung dauerhafter Lösungen.

Eine lösungsorientierte und sachliche Umweltkommunikation hingegen schafft Raum für einen offenen Dialog und eröffnet neue Zukunftsperspektiven. Durch gegenseitiges Verständnis lassen sich Chancen besser erkennen und nutzen.

Fotoausstellung Leben am Limit. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Leben am Limit – Umweltkommunikation mit Bildern

Wie so eine Kommunikation aussehen kann, zeigt das Projekt “Leben am Limit”.

Trotz der Herausforderungen, die mit der Rückkehr der Beutegreifer einhergehen, ist Mitgründerin Christine Sonvilla davon überzeugt, dass es auch in Österreich passende Lebensräume für die großen Tiere gibt.

Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Marc Graf und ihrem Kollegen Robert Haasman hat die Naturfotografin und Biologin daher 2015 das Foto- und Filmprojekt ins Leben gerufen.

Mit „Leben am Limit“ wollen Sonvilla und ihre Kollegen zeigen „wo überall vor allem große Beutegreifer am Limit sind“ und „für Tierarten werben, die es schwer haben“.

In Mitteleuropa erobern sich Beutegreifer langsam ihren Lebensraum zurück. Über 120 Wolfsrudel gibt es in Deutschland, Slowenien hat eine der dichtesten Braunbärenpopulationen weltweit und durch Schweizer Wälder streifen wieder Luchse.

Luchs in den österr. Kalkalpen. Noch immer ein seltener Anblick in Österreich. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf
Luchsspur im Vordergrund, dahinter Forscher beim Abchecken der Fotofalle – nicht immer sind Sonvilla und ihre Kollegen vor Ort zum Fotografieren; (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Nach Österreich sind die Tiere, wenn man von ein paar Individuen absieht, allerdings noch nicht wieder dauerhaft zurückgekehrt. Dieses Ungleichgewicht habe letztendlich den Anstoß zu „Leben am Limit“ gegeben, erzählt Sonvilla.

Mit Fotos und Filmmaterial dokumentieren sie und ihre Kollegen das Zusammenleben von Mensch und Beutegreifer in Mitteleuropa. Besonders wichtig sei ihnen dabei, dass ihre Bilder eine klare Message haben. „Ich glaube es braucht diese Kombination aus Foto, Film und Message“, erklärt Sonvilla. Ihre Fotos sollen zeigen, dass ein Miteinander von Mensch und Tier auch im dichtbesiedelten Mitteleuropa, wo die Tiere in unmittelbarer Nähe zu uns Menschen leben, möglich ist.

Herdenschutzhund in den österreichischen Alpen. Herdenschutzhunde in Kombination mit Elektrozäunen sind wichtige Maßnahmen, um Nutztiere gegen Angriffe von Beutegreifern zu schützen. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf
Ein Elektrozaun schützt die Bienenstöcke vor Bärenangriffen. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Auf ihren Bildern sieht man oft einen Mix aus Natur- und Kulturlandschaft; man sieht Tiere und Menschen. In unaufgeregter Art und Weise machen die Fotos deutlich, wie sehr unser Lebensraum sich mit dem der Tiere überschneidet. Die Bilder vermitteln Normalität und zeigen ein Europa, in dem nicht jeder Bär, der sich in die Nähe eines Dorfes wagt, zwangsläufig ein Problembär ist.

Kulturlandschaft in unmittelbarer Nähe zu Beutegreifer-Gebieten. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf
Bären im Garten eines kleinen Dorfes in Slowenien. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Offener Dialog: Mit Leuten ins Gespräch kommen

Doch die Fronten beim Thema Beutegreifer sind verhärtet. Kommunikation sieht Sonvilla daher als „das Mittel, das wirklich um und auf ist“ um zwischen den Fronten zu vermitteln.

Mit ihrer Arbeit wollen sie und ihre Kollegen einen Dialog ermöglichen und auch „all jene erreichen, die vielleicht gar nicht per se naturaffin sind“. Dazu gehören laut Sonvilla vor allem auch die sogenannten Schlüsselleute: „Menschen aus der Landwirtschaft, die Nutztierhalter, die Jägerschaft, also jene Bereiche, in denen es wirklich zu Konflikten kommt“.

Besonders Vorträge schätzt Sonvilla, um einen Dialog und Austausch zu ermöglichen. Denn immer wieder würden sich auch Nutztierhalter und Jäger ihre Vorträge anhören und im Anschluss komme man dann häufig miteinander ins Gespräch, sagt sie. Bei solchen Gesprächen in entspanntem Rahmen merkt sie dann immer wieder, dass auch bei vielen Skeptikern durchaus Bereitschaft bestehe, etwas zu ändern.

Fotoausstellung + Führung für Schulen beim Fotofestival Montier im Nov. 2019. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Etwas ändern kann sich ihrer Meinung nach jedoch nur, wenn die Betroffenen auch dabei unterstützt werden, sich auf die neue Situation einzustellen. Leider überlasse man die Betroffenen in Österreich aber noch immer viel zu sehr sich selbst, kritisiert Sonvilla.

Sachlich und neutral statt emotional aufgebauscht

In den Medien wird das Thema Beutegreifer häufig aufgegriffen. Doch statt Lösungsansätze aufzuzeigen, werde die Debatte leider oft durch eine einseitige und unsachliche Berichterstattung weiter angeheizt, sagt Sonvilla. „Das ist eine irrsinnig gefährliche Form von Diskurs, weil es eben keinen Diskurs darstellt und auf vorgefassten Meinungen fußt […]. Es braucht einfach wirklich diese neutrale Basis“.

Was das angeht, sieht Sonvilla einen großen Vorteil in ihrer Unabhängigkeit. Denn im Vergleich zu größeren Umweltorganisationen wie dem WWF, hätten sie weniger mit Vorurteilen zu kämpfen und könnten auf einer neutraleren Ebene agieren. Dabei heiße neutral keinesfalls emotionslos, aber eben auch nicht „emotional aufgebauscht“.

Hoffnungsvoll, auch hinsichtlich einer offenen und neutralen Umweltkommunikation, stimmen Sonvilla grenzübergreifende Beutegreifer-Projekte wie das EU-finanzierte LIFE-DINALP BEAR. „Denn da ist wirklich zu hoffen, dass da dann auch wirklich mal ein Dialog zu Stande kommt“, sagt sie.

Christine Sonvilla und Marc Graf  2019 bei einem Vortrag in Belgien. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Das LIFE-DINALP BEAR Projekt ist ein EU-finanziertes Projekt. Das Projekt setzt sich für ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Bär ein und erforscht Mensch-Bär Konflikte und Management-Strategien, die keine Tötung der Tiere vorsehen. 2020 hat das Projekt den renommierten LIFE-Award in der Kategorie Natur gewonnen.

Das Beispiel Beutegreifer zeigt, wie wichtig die Meinung der Öffentlichkeit im Natur- und Umweltschutz ist. Sie entscheidet oftmals darüber, wie mit bestimmten Themen und Herausforderungen umgegangen wird. Eine sachliche und lösungsorientierte Umweltkommunikation ist wichtig, um einen Rahmen für Austausch und gemeinsames Handeln zu schaffen und so gemeinsame Zukunftsvisionen zu entwickeln.

Bären in der Nähe einer Siedlung (im Hintergrund des Fotos zu erkennen). (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Weiterführende Links

Leben am Limit

LIFE DINALP-BEAR homepage

DINALP-BEAR Analysis

Sonvilla-Graf-Homepage



Sie fressen sich durch fremde Körper den Weg ins Leben, werfen ihre Brut wie Bomben ab, verleihen Begriffen wie Oralsex oder Vorspiel neue Dimension und gehen für den Fortbestand ihrer Art buchstäblich über Leichen: Was immer Hollywood erfindet, hat die Natur im Stamm der Gliederfüßer bereits realisiert. Passend zum Valentinstag, werfen wir mit Dr. Michael Greeff (ETH Zürich) einen Blick auf einige der bizarrsten Liebes- und Fortpflanzungsrituale von Insekten & Co. 

Die Kälte erzeugt fast Gänsehaut im Keller der Zürcher Weinbergstrasse 56. Doch sie hat ihren Grund – es ist die vorerst letzte Ruhestätte eines gigantischen toten Zoos, der vor lebenden (gefräßigen) Artgenossen geschützt werden muss. Was hier noch lebt, stört nur die Toten: namentlich zwei Millionen vollständig präparierte Insekten, von stecknadelkopfklein bis handtellergroß, teils zwei Jahrhunderte alt, gebettet in unzähligen Holzschubladen – viele davon Vertreter von Arten mit bizarren Biographien und noch bizarrerem Liebesleben.

(c) Entomologische Sammlung / ETH Zürich

Die Freaks unter den Lebewesen

Evolutionsbiologe Dr. Michael Greeff kann seinem Publikum ein Lied davon singen. Als Leiter der Entomologische Sammlung der ETH Zürich ist er fürs Kuratieren, Digitalisieren, aber auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Insekten sind die Freaks und Hippster unter den Lebewesen“, schmunzelt Greeff, „wenn ich sie als ‚Tiere‘ bezeichne, schauen mich die Leute manchmal erstaunt an. Es sind Tiere, aber sie haben einen anderen Status für uns als etwa Wirbeltiere. Insekten und andere Gliederfüßer sind uns nicht ähnlich. Sie sind dekorativ, schön, aber auch bizarr, ausgeflippt, für viele eklig.“ Man habe da bisweilen eher die Assoziation zu Aliens, und das zu Recht – speziell, wenn es um die Fortpflanzung geht. Wo gibt es beim Menschen schon Embryonen, die sich durch einen Körper fressen und daraus hervorbrechen? Aber der Reihe nach.

Pfauenspinnenmännchen (c) Jurgen Otto / Wikipedia Commons

Gefährliches Vorspiel

Auch bei Gliederfüßern gilt: Die Angebetete muss erstmal gefunden und überzeugt werden – oft eine Sache auf Leben und Tod. Pfauenspinnen-Männchen – ein schönes, aber exotisches Beispiel – richten ihren prächtig gefärbten Hinterleib auf und vollführen damit einen Tanz, der an einen maskierten Medizinmann bei der Regenanrufung erinnert. Ist das Weibchen beeindruckt, hat das Männchen Glück; falls nicht, schwebt es in doppelter Lebensgefahr: Nicht nur das Weibchen wird ihn attackieren, auch Fressfeinde könnte das Gewedle bereits angelockt haben. Aber immerhin, seine Balz ist nicht ganz so verzweifelt wie jene mancher Mantisarten hierzulande – deren Tanz soll sicherstellen, dass die Auserkorenen das Männchen nicht fälschlicherweise schon vor der Paarung für Beute hält. In jedem Fall gilt: Je satter das Weibchen, desto sicherer der Sex.

Tierisches Kamasutra in vier Akten

Wenn es zur Sache geht, sind Spinnentiere wohl die kreativsten Vertreter unter den Arthropoden. „Webspinnenmännchen zum Beispiel bauen ein Netz, worauf sie die Spermien abgeben“, erklärt Greeff, „an der Pedipalpe verfügt das Männchen über eine Art Boxhandschuh mit einer leeren Röhre. Damit saugen sie die Spermien vom Netz auf, suchen das Weibchen, hoffen, die Balz zu überleben und führen dann, wenn das Weibchen es zulässt, diesen Bulbus – so heißt der Boxhandschuh – samt Spermien zur Geschlechtsöffnung des Weibchens. Es ist ein Schlüssel-Schloss Prinzip – der Bulbus passt nur zur Öffnung von Weibchen der gleichen Art.“

Männchen einer Webspinnenart mit Bulbi (c) Entomologie/Botanik, ETH Zürich /Albert Krebs 

Bei den Zwergfüßern (Tausendfüßer) wiederum gehen die Männchen lieber kein Risiko ein, bei der Balz gefressen zu werden. Sie lösen das Problem durch eine Spermatophore am Boden – praktisch Sperma am Stil – und gehen dann ihrer Wege. „Dieses Konstrukt findet das Weibchen und nimmt die Spermien in den Mund“, erzählt Greeff, „dann legt das Weibchen ein Ei ab, gibt die Spermien aus dem Mund auf dieses Ei und bringt das Ganze dann – wiederum mit dem Mund – auf ein Moospflänzchen auf, wo der Nachwuchs aus dem Ei schlüpft und sich vom Moos ernährt.“

Eine Spielart davon finde sich übrigens auch bei Pinselfüßern: „Da produziert das Männchen allerdings ein kleines Spermiennetz und lässt einen langen Faden übrig, der in die Landschaft ragt. Per Zufall stoße dann das Weibchen auf den einsamen Leitfaden. Es folgt ihm, fast wie Theseus Ariadnes Faden im Labyrinth des Minotauros, bis es das Spermiennetz erreicht und die Eier damit befruchtet. Kurzum: Das Weibchen trifft das Männchen nie.

Ameise und Bläuling (c) Entomologie/Botanik, ETH Zürich / Albert Krebs 

Bei einer australischen Schmetterlingsart aus der Familie der Bläulinge wäre das undenkbar. Sie bevorzugen Kontrolle. „Die Männchen schlüpfen sogar früher “, erklärt Greeff, „und warten dann extra bei einer weiblichen Puppe bis das Weibchen schlüpft – allerdings in Gesellschaft von zig anderen Freiern. Öffnet sich die Puppe, beginnt das Gerangel und endet mit der Vergewaltigung des Weibchens durch das stärkste Männchen.“ Bisweilen warten die Männchen irrtümlich bei der falschen, also einer noch ungeschlüpften männlichen Puppe. Diese wird trotzdem vergewaltigt, „möglicherweise damit das eine Männchen auch das Spermienpaket des anderen bei der Kopulation überträgt“, mutmaßt Greeff. Verwundern würde es nicht, geht es doch in der Biographie der Bläulinge skurril weiter: Manche ihrer Raupen duften und hören sich z.B. an wie Ameisenlarven, werden also von Ameisen versorgt und sogar auf die Weide getragen.

[AUDIO]

Eine kurze Geschichte von Ameisen und Bläulingen, erzählt von Michael Greeff

Showdown mit Eierbomben und alienistischen Kuckuckskindern

Geht es um den Nachwuchs, sind auch parasitoide Formen typisch für Insekten – wie jene kreative des Wollschwebers: „Er umwickelt seine Eier mit Staub und baut so kleine Bomben, die er dann über den Nesteingängen von solitären Wildbienen abwirft“, sagt Greeff. Die Wildbienen verstauen dort normal ihre eigene Brut samt Pollenpaket. „Verschließen sie den Eingang, ohne das Staub-Ei entdeckt zu haben, kann die Larve des Wollschwebers getrost schlüpfen, die Bienenlarve fressen und dann obendrauf noch das Pollen-Lunchpaket genießen.“

Großer Wollschweber (c) Entomologie/Botanik, ETH Zürich / Albert Krebs 

Toppen können das fast nur Schlupfwespenarten. Diese dreisten Insekten-Vertreter legen ihre Eier direkt in die Jungstadien von anderen Insekten. Die Jungwespen fressen dann von innen her die fremde Larve auf, ohne diese zu töten. „Sie lassen alle lebenswichtigen Organe bis zum Schluss unberührt. Erst, wenn sie bereit sind sich zu verpuppen, werden sie gefressen. Kein Wunder also, dass manche Leute bei Insekten an Aliens denken“, meint Greeff. Embryos, die einen von innen auffressen und aus einem Körper hervorbrechen kenne man ja sonst nur von Hollywood – tatsächlich sei das aber typisch Insekt.

Schützenswerte Vielfalt

Wertschätzung für den Erhalt und die Erforschung genau diese Vielfalt generiert sich laut Michael Greeff in erster Linie über Faszination für diese sensiblen Lebewesen, die auf den ersten Blick oft nur eklig und unangenehm scheinen mögen. „Nur wenige Faktoren reichen aus, damit eine Art nicht mehr vorkommt. Daher sind sie ein Indikator dafür, wie sich unsere Umwelt verändert.“ So gesehen dokumentiert eine Sammlung wie jene der ETH Zürich immer auch die Welt – einschließlich ihrer evolutionären Siege und Sackgassen. Was den Ideenreichtum in der Fortpflanzung betrifft, toppen Insekten und andere Gliederfüßer den Menschen jedenfalls bei Weitem. Langeweile kommt da keine auf – nicht mal im toten Zoo der Weinbergstraße 56, legen doch Museumskäfer ihre Eier bevorzugt in totes Insektengewebe…aber das ist eine andere Geschichte.

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(c) Michael Greeff

Michael Greeff ist derzeit Leiter der Entomologischen Sammlung der ETH Zürich. Am Beginn seiner Karriere forschte er zum Paarungsverhalten von Hummeln sowie zur Frage, weshalb sich die sexuelle Fortpflanzung bei Pflanzen und Tieren durchgesetzt hat. Dann wechselte er in die Bioinformatik, entwickelte Software in Japan und München, bis er in Zürich durch Zufall zurück zu den Insekten fand und seitdem als Kurator sowie Lehrender maßgeblichen Anteil daran hat, dass die Entomologische Sammlung von 1858 zeitgemäß wiedererweckt und weitervermittelt wird.

Weiterführende Links: Artenschutz-Projekte Insekten Tirol

Bug Buddies

Projekt “Blütenreich” Tiroler Umweltanwaltschaft

Tagfalter-Monitoring (Projekt Viel-Falter)

Artenhilfsprogramm Alpenbockkäfer

Zum diesjährigen „fish migration day“ haben Lena Fehlinger und die ABA zusammen ein Online-Event organisiert. ZOOM sei Dank mussten wir trotz der Einschränkungen durch die Covid19-Bestimmungen nicht auf eine spannende Vortragsreihe verzichten. Der offizielle „fish migration day“ wurde übrigens in den Oktober verlegt – im Herbst dürfen dann hoffentlich die tollen Workshops und Aktionen wieder stattfinden. Für alle, die nicht teilnehmen konnten oder die Vorträge noch einmal Revue passieren lassen möchten, haben wir noch einmal kurz zusammen gefasst, womit wir uns am 16. Mai beschäftigten.

Der World Fish Migration Day (WFMD) ist ein jährlicher Aktionstag, um das Bewusstsein für die Bedeutung von Wanderfischen und frei-fließenden Flüssen zu stärken.

Fischwanderhilfen-Monitoring beim Kraftwerk Greifenstein

Mag. Dr. Michael Schabuss hat die Vortragsreihe eröffnet und über seine Arbeit und das fischökologische Monitoring der Fischwanderhilfe beim Kraftwerk Greifenstein berichtet.

Im Rahmen des LIFE+ 10 NAT/AT/016 „Network Danube“ Projekts, welches von 2011 bis Ende 2019 lief, sollte die Durchgängigkeit für die Donau-Fische wiederhergestellt,  mehrere Natura2000 Gebiete vernetzt  und Schlüsselhabitate wiederhergestellt und geschaffen werden, vor allem Jung- und Laichfischlebensräume.

Beim KW Greifenstein wurde ein naturnaher Umgehungsbach von circa vier Kilometern Länge konstruiert. Mittels Fischreusen, PIT-Antennen, Elektrobefischungen und Fang-Wiederfang-Methodik wurden im ersten und zweiten Jahr nach der Fertigstellung Fische markiert und kartiert.


Die Fischaufstiegshilfe beim KW Greifenstein
copyright: PROFISCH, Michael Schabuss

In den Jahren 2018 und 2019 wurden an die 17.000 Fische aus 50 Arten in der Reuse, der Donau und der Fischwanderhilfe beim KW Greifenstein gefangen. Davon waren 42 Arten heimische Fische und acht nicht-heimische Arten. Es wurden ebenso 13 geschützte Arten nach der FFH (Annex II & V) nachgewiesen. Insgesamt waren es an die 11.600 Fische, die in der Auf- und Abstiegsreuse der Fischwanderhilfe dokumentiert wurden.

Mittels Elektrobefischung wurden 29 Arten im Umgehungsgerinne gefangen, in der Donau waren es 27 Arten – auch seltene Arten wie der Sichling (Pelecus cultratus) und der Perlfisch (Rutilus meidingeri) wurden nachgewiesen. Die häufigsten Arten in den Reusen waren Rotauge (Rutilus rutilus), Laube (Alburnus alburnus), Aitel/Döbel (Squalius cephalus) und Flussbarsch (Perca fluviatilis).

Mittels PIT-Tag wurden insgesamt 10.000 Fische aus 46 Arten markiert. 56 Prozent der markierten Fische wurden an einer der Antennen und 40 Prozent am Ausstieg registriert. Der Großteil der Fische nutzte das System über einen längeren Zeitraum, die maximale Verweildauer eines Fisches lag gar bei 16 Monaten, was für eine gute Akzeptanz der Maßnahme durch die Fische spricht! Rund 30 Prozent der Fische, die in der Donau unterhalb des KW Greifenstein markiert wurden,  konnten in der Fischwanderhilfe Greifenstein mittels PIT-Tag-Antennen registriert werden. Hierbei zeigte sich außerdem, dass auch kleine Arten wie die Laube über sehr weite Strecken wandern, schließlich sind es von Greifenstein nach Ottensheim an die 200 Flusskilometer.

Eine weitere Vermutung ist, dass Fische auch die Schiffsschleusen nutzen, wie es sie zum Beispiel beim KW Ybbs-Persenbeug, das noch keine Fischwanderhilfe hat, gibt.

Grundsätzlich zeigten die Ergebnisse, dass die Fische die Wanderhilfe gut annehmen und nutzen, sowohl große Adulte als auch sehr kleine und/oder juvenile Fische.

Die Kombination von herkömmlichen Methoden (Elektrobefischungen in der Donau und im Umgehungsgerinne, sowie Reusenuntersuchungen) mit PIT-Tag-Untersuchungen liefert wichtige Daten über die Fischzönose und das Wanderverhalten der Donaufischfauna und ermöglicht somit eine Funktionsüberprüfung von Fischwanderhilfen an großen Fließgewässern.

Rechtliche Hürden der Fischmigrationen

Darauf folgend widmete sich Mag. Christoph Cudlik den „rechtlichen Hürden“ der Fischmigrationen.

In Österreich bestanden 2015 an die 30.000 Wanderhindernisse, wovon an die 70 Prozent Hochwasserschutzmaßnahmen und an die 11 Prozent der Wasserkraftnutzung zuzurechnen sind, die restlichen Hindernisse kommen durch u.a. den Tourismus, Fischzuchten und Bewässerungsanlagen zustande. Nach der Wasserrahmenrichtlinie (RL 2000/60/EG; kurz: WRRL) besteht die Hauptaufgabe darin, die bestehenden Hindernisse passierbar zu machen und neue Hindernisse direkt mit Hinblick auf Durchwanderbarkeit zu planen. Dabei ist zu beachten, dass hinter jedem Wanderhindernis auch ein Wasserrecht steht, das durch die im Verfassungsrecht verankerte „Eigentumsgarantie“ geschützt ist und eine besondere Rechtfertigung für jeden Eingriff erforderlich macht.

Überdies dienen Wanderhindernisse regelmäßig auch öffentlichen Interessen,  wie beispielsweise Hochwasserschutz, Energieerzeugung, Nahrungsmittelsicherheit und Trinkwasserversorgung.

Diesen öffentlichen Interessen stehen die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie WRRL,  das Verschlechterungsverbot und das Verbesserungsgebot gegenüber. Nach dem Verschlechterungsverbot ist eine Verschlechterung des ökologischen Zustandes von Wasserkörpern zu verhindern, nach dem Verbesserungsgebot sind Wasserkörper überdies zu sanieren und zu verbessern, um einen guten Zustand und ein gutes ökologisches Potential zu erreichen.

Um den Gewässerzustand und damit die Einhaltung der Umweltziele zu beurteilen,  enthält die WRRL unterschiedliche Qualitätskomponenten, wie die biologische Qualitätskomponente Fische. Zur Erreichung des Zielzustands müssen lediglich geringfügige Abweichungen von der typspezifischen Gemeinschaft hinsichtlich Zusammensetzung und Abundanz sowie das Fehlen einzelner Altersstufen in der Population toleriert werden. Wanderhindernisse sind insbesondere dann passierbar zu gestalten, wenn selbst dieser (herabgesetzte) Zielzustand der Qualitätskomponente Fische nicht erreicht werden kann.


So oder so ähnlich könnte es unter Fischen ablaufen bei der Wanderung.
copyright: Lena Fehlinger

Die WRRL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Pläne darüber aufstellen, wie sie die Umweltziele der Richtlinie erreichen wollen: Im Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan (NGP)  Österreichs werden in sechsjährigen Planungszyklen prioritäre Sanierungsräume und Maßnahmen zur Zielerreichung festgelegt. Die Maßnahmen des NGP sind jedoch nicht unmittelbar verbindlich. Es kommen drei Möglichkeiten in Betracht, um die Sanierungsziele zu erreichen: Eine freiwillige Sanierung, eine Sanierungsprogrammverordnung (der Landeshauptleute) oder einen §21a Bescheid der zuständigen Wasserrechtsbehörde.

Wenn eine Zielerreichung per Verordnung durchgesetzt werden soll, legt der/die LH Sanierungsziele und -maßnahmen fest, die Wasserberechtigten haben dann innerhalb von zwei Jahren ein Sanierungsprojekt vorzulegen. Dabei ist auch eine Leermeldung möglich, wenn laut Wasserberechtigtem das Ziel bereits erreicht oder der Eingriff unverhältnismäßig wäre. Sowohl ein Sanierungsprojekt als auch eine Leermeldung werden in weiterer Folge von der zuständigen Wasserrechtsbehörde geprüft, bei Vorliegen aller Voraussetzungen (hinsichtlich der Zielerreichung) bewilligt und in weiterer Folge umgesetzt.

Ein Weiterbestand eines Wanderhindernisses ist insbesondere dann denkbar, wenn der Zielzustand erreicht oder die Maßnahmen zur Zielerreichung unverhältnismäßig wären. Der Zielzustand kann insbesondere dann erreicht sein, wenn  entweder ein „erheblich veränderter Wasserkörper“ vorliegt, weil in diesen Wasserkörpern bestehende Nutzungen bei der Festlegung des Umweltziels zu berücksichtigen sind, oder der Zielzustand nur kleinräumig überschritten wird. Ein Eingriff wird als unverhältnismäßig erachtet, wenn der Aufwand nicht in Relation zum Nutzen steht, wenn die Maßnahme nicht das gelindeste zum Ziel führende Mittel ist beziehungsweise wenn die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht gesetzeskonform erfolgte.

Ein §21a Bescheid kommt zustanden, wenn sich nach der Bestandsaufnahme ergibt, dass öffentliche Interessen nicht hinreichend geschützt sind. In diesem Fall werden individuelle Anpassungsziele festgelegt und Auflagen vorgeschrieben. Es wäre sogar denkbar, dass die Wasserbenutzung vorübergehend oder auf Dauer eingeschränkt oder untersagt wird.

Zusammenfassend ist ein Weiterbestand von Wanderhindernissen aus rechtlicher Sicht nur unter sehr strengen Voraussetzungen beziehungsweise in Ausnahmefällen denkbar.  Nach der WRRL sollen bis 2027 in allen Wasserkörpern die Umweltziele erreicht werden. Aus rechtlicher Sicht sind die gesetzlichen Mittel dazu jedenfalls vorhanden. Allerdings könnte die Zielerreichung in vielen Wasserkörpern vor allem an den wirtschaftlichen Voraussetzungen scheitern.

Von der Vjosa zur Donau

Dr. Paul Meulenbroek vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement (IHG) der Universität für Bodenkultur (BOKU)  hielt einen Vortrag über die Vjosa in Albanien und zeigte anhand eindrucksvoller Aufnahmen, wie dieser oft als „letzter wilder Fluss Europas“ betitelter Fluss sich von den hierzulande bekannten, teils begradigten und veränderten Flussläufen unterscheidet.


Die Vjosa – so kann ein wilder Fluss aussehen.
https://www.euronatur.org/unsere-themen/kampagnen-und-initiativen/rettet-das-blaue-herz-europas/aktuell/detail/news/berner-konvention-fordert-albanien-zum-schutz-der-vjosa-auf/
copyright: Gregor Subic

Anadrome Fische kommen zum Ablaichen ins Süßwasser (z.B.: Stör), katadrome Fische wandern zum Laichen ins Meer (z.B.: Aal) und potamodrome Fische wandern im Süßwasser von Standort zu Standort (z.B.: Barbe oder Nase). Für all diese Fischarten ist es notwendig, durchgängig passierbare Flussläufe zu haben oder wieder zu schaffen, um ihrem natürlichen Lebenszyklus zu entsprechen. An der Vjosa mit ihren teils abgeschnittenen, ruhigen Seitenkanälen, dem Hauptkanal und ausgedehnten Schotterbänken finden nicht nur unterschiedlichste Fischarten den für sie perfekten Lebensraum, auch profitieren die Lebensräume um den Fluss – Uferzonen, Wälder, Grasland – von den regelmäßigen Überschwemmungen und Sedimentumlagerungen.

Im Zuge der geplanten Bauprojekte an der Vjosa wurde das „Scientists for Vjosa“-Komitee gegründet, welches sich zum Ziel setzt, international Aufmerksamkeit auf die Lage der Vjosa und deren unsichere Zukunft zu lenken.

  • Im Hauptkanal (Eupotamon A) finden sich beispielsweise Arten wie Dünnlippige Meeräsche (Liza ramada), Europäischer Aal (Anguilla anguilla), Briana (Barbus prespensis) oder Chondrostoma vardarense.
  • In den seichteren Verbindungsstücken des Hauptkanals, in welchen sich auch regelmäßig Totholz-Ansammlungen bilden – wenn auch nicht so viele wie es sein sollten) findet man u.a.die Pindus-Schmerle (Oxynoemacheilus pindus), Skadar-Gründling (Gobio skadarensi)s und Briana (Barbus prespensis).
  • In den zum Hauptkanal verbundenen Seitenarmen (Parapotamon) tummeln sich u.a. Alburnus scoronza und der Schneider (Alburnoides bipunctatus).
  • In abgeschnittenen Seitenarmen (Plesiopotamon) welche nur bei Überflutungsereignissen mit dem Hauptkanal in Verbindung treten, kann man den Blaubandbärbling (Pseudorasbora parva) und Cobitis ohridana finden.
  • Ausgeprägte Makrophytenbestände (Paläopotamon) in Altwassergebieten bieten ein weiteres wichtiges Habitat.
  • In Teichen in Flussnähe finden sich zudem Arten wie Pelasqus thesproticus, Pachychilon pictum und Cobitis ohridana.

Die „connectivity“ (Verbundenheit) dieser unterschiedlichen verfügbaren Habitate führt dazu, dass saisonalen und alltäglichen Ansprüchen von Arten in unterschiedlichsten Lebenszyklusstadien und artspezifischen Ansprüchen gleichermaßen Genüge getan wird.

Momentan sind am Balkan, besonders auch um und an der Vjosa, unzählige Bauprojekte in Planung, teilweise auch schon in Konstruktion oder fertiggestellt.

Wenn die Pläne an der Vjosa umgesetzt werden, wird sich die Vjosa in eine Kette von Stauseen verwandeln, der Rückstau der einzelnen Hindernisse wird sich also bis zum jeweils dahinterliegenden Hindernis ziehen. Man kann sich ausmalen, was das für die vielen verschiedenen Arten bedeuten würde, wenn sich statt des vielfältigen Flusslaufes ein riesiger Stausee  bilden würde.

Im Zuge der Recherche und Forschung an der Vjosa hat sich nun ergeben, dass an die 625 Hektaran Lebensräumen, die durch Habitat-Richtlinie eigentlich geschützt wären, direkt durch den Stau verloren gehen würden. Zudem sindweitere 2578 Hektar flussabwärts von den Veränderungen indirekt betroffen. Man kann davon ausgehen, dass sie langfristig ebenso verloren gehen werden.

An der Vjosa wurden insgesamt mehr als 1200 Arten nachgewiesen, wovon viele in den Gefährdungskategorien der IUCN und albanischen Roten Liste geführt werden.

Verglichen mit anderen europäischen Flüssen, welche sich aufgrund der historischen Änderungen von einem wilden Fluss, welcher viel Raum beanspruchte, zu einem Kanal und einer Aneinanderreihung von Rückstau-Gebieten entwickelte, kann die Vjosa als eines der letzten Referenzsysteme für einen noch unverbauten Fluss herangezogen werden.

Grundlegende Funktionen von natürlichen Fließgewässern können hier noch untersucht  und Restaurierungsmöglichkeiten für andere degradierte Flüsse abgeleitet werden.

Immer der Nase nach …

Kristof Reuther studiert an der Universität für Bodenkultur „Applied Limnology“ (Angewandte Gewässerökologie) und dreht weiters großartige Filme. Auf seiner persönlichen Webseite kann man sich u.a. seinen 2020 gedrehten Film über die Nase ansehen: www.kristof-reuther.de.

Sein Vortrag drehte sich vornehmlich um die Notwendigkeit von Renaturierung und Revitalisierung am Beispiel von Wanderfischarten wie der Nase. Zunächst wurden die beiden Begriffe näher definiert: Renaturierung bezieht sich auf die Wiederherstellung naturnaher Lebensräume und Revitalisierung wertet bestehende Lebensräume in Teilaspekten auf. Physische Veränderungen von Flussbett, Flusslauf, Uferzone und sämtliche Hindernisse (Querbauwerke) sind die Hauptgründe für Revitalisierungs- und Renaturierungsmaßnahmen.

Global betrachtet nehmen die Artenzahlen der Süßwasserarten drastisch ab.

Wanderfische, insbesondere Kieslaicher (wie die Nase), die Ihre Eier auf oder im Substrat ablegen, stellen besonders hohe Ansprüche an die Durchgängigkeit und die Intaktheit der Habitate.

Nasen beispielsweise nutzen die Zubringer der Donau als Laich- und Jungfischhabitate. Früher kamen sie in großen Schwärmen vor, durch die Zerstörung und Zerschneidung der Lebensräume schrumpfen die Populationen jedoch und damit auch die anderen Fischarten.

Junge Nasen sind ein Indikator für einen guten Gewässerzustand. Die Fische laichen zwischen März und Mai bei 8-12 Grad Wassertemperatur an schnell fließenden Stellen, sogenannten Riffeln oder Furten. Bei funktionalem Substrat können wesentlich mehr Eier ins Substrat gelangen und die embryonale Entwicklung bis zur Emergenz vergleichsweise ungestört stattfinden, wohingegen bei verschlämmtem (kolmatiertem) Substrat die Eier nur in die oberste Schicht gelangen und viel leichter gestört werden und verdriften, und so vergleichsweise viel weniger zur Emergenz gelangen.

Das Laichgeschehen wird durch viele Faktoren beeinflusst, beispielsweise Wassertemperatur, Wassertiefe, die schon erwähnte Substratbeschaffenheit und Fließgeschwindigkeiten. Alle diese Faktoren können durch (hauptsächlich) anthropogene Störungen beeinträchtigt werden: die Wassertemperaturen verändern sich zunehmend durch den Klimawandel, Fließgeschwindigkeiten und Wassertiefen werden durch Flussbegradigungen homogenisiert, der Geschiebetrieb wird durch Wasserkraftwerke unterbrochen. Wenn das Gewässer nicht mehr in der Breite arbeiten kann, tieft es sich ein und die Seitenbäche verlieren ihre Anbindung.

An der Pielach (LIFE+ Projekt 2009-2014) und der Traisen (LIFE+ Projekt 2012-2016) wurde neuer Lebensraum geschaffen und die Mündung und Anbindung verbessert.


Die Donau und die darin einmündende Traisen
copyright: Kristof Reuther

Studenten der BOKU, wie Kristof Reuther, untersuchten, ob die gesetzten Maßnahmen an diesen Zubringern erfolgreich waren. Es zeigte sich, dass in der Pielach die Nasenpopulation aktuell sogar zu steigen scheint und hunderte von Nasen jedes Jahr in die Traisen zum Laichen ziehen. Auch andere Fischarten wie Barben, Aitel und Rußnasen profitieren von den Maßnahmen und finden in den neu geschaffenen Abschnitten der Traisen passende Habitate.

Es wird deutlich, dass durch die Schaffung von geeigneten Habitaten geschwächte Fischpopulationen unterstützt werden können und auch müssen.

Wir hoffen mit dieser Vortragsreihe Anstoß gegeben zu haben – zum Nachdenken, Grübeln, sich informieren und aktiv werden.

Titelbild: (c) Eppenberger

Häufig verlieren wir viele Worte darüber, warum wir Natur und Umwelt schützen sollen. Dabei sind keine Worte nötig. Wir müssen nur hinschauen – egal, wo wir sind. Watch & enjoy!


Fragaria vesca
(c) Julia Ecker

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am Fuji
# SonnenaufgangamFuji / Japan_(c) Michael Steinwandter


Ahorn am Inn
#Inn / Innsbruck_(c) Julia Ecker


Braunbär
#BärenlandKamtschatka_(c) Eppenberger

Morgentau
(c) Julia Ecker

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Moos
#ohneMoosnixlos / Salzburg_(c) Julia Ecker

Skorpion
#AristotelesSkorpion / Samos_(c) Julia Ecker

Löwenzahn
(c) Julia Ecker

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Muscheln
#Adriaküste (morgens)_(c) Julia Ecker

Griechische Insel
#Vigla / Samos_(c) Julia Ecker

Durchs Mikroskop
#TheHiddenKingdomOfFungi_(c) Julia Ecker

Am Lech
#Lech / Tirol_(c) Anna Schöpfer

Langfühlerheuschrecke
#Poecilimon hamatus / Samos_(c) Julia Ecker

Earth Day
#Bayern_(c) Julia Ecker

Spinne
(c) Julia Ecker

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Moos
#Cladonia sp. (Flechte) / Salzburg_(c) Julia Ecker

Earth Day
#Lotus Peak in den Huangshan Mountains / China_(c) Michael Steinwandter

Widderchen
#Widderchen / Südtirol_(c) Peter E.

Earth Day
#SonnenuntergangReintalerSee / Tirol_(c) Julia Ecker

Happy Earth Day

Ernst Bromeis hat die größten Seen der Schweiz durchschwommen, den Rhein in voller Länge und ein Stück des Baikals – nicht für den Sport, sondern für eine besondere Botschaft. Die WÖB hat mit dem Extremschwimmer über das Wasser als Menschenrecht gesprochen, über Mut und Grenzerfahrung, trügerische Lösungen und die Chance, mit den eigenen Fähigkeiten durch kleine Aktionen Größeres in Gang zu setzen.

Es ist Rushhour unter dem Blick von Niki de Saints Phalles buntem Engel: Ankommende Züge, Menschen mit Reiseutensilien, viele von ihnen edel mit Zigarren, noblen Anzügen, Wildledertaschen oder sonstigen Attributen, die vom gehobenen Lebensstil Zürichs zeugen. Mittendrin, am vereinbarten Treffpunkt, sticht ein Mann aus dieser Masse hervor – etwas zu sportlich in seiner Aufmachung für die Noblesse ringsum.

Ernst Bromeis grüßt freundlich, vergibt die paar Minuten Unpünktlichkeit und weiß auch gleich wohin. Ob „Mundart“ für das Gespräch gut sei, fragt er über seine Espressotasse hinweg – einen Stock oberhalb der wuselnden Bahnhofshalle, ruhiger, obgleich nicht weniger schick. Er dachte vermutlich erst an seine Heimatsprache Romanisch vom Engadin – bleibt aber dann doch bei einer schweizerischen Standardvariante, als er beginnt vom Rhein zu erzählen. Ihm fühlt er sich am nächsten, weil er alles in sich trägt und irgendwie auch sein Leben widerspiegelt.

(c) Das blaue Wunder – Andrea Badrutt

Zwischen zwei Polen

Als Bromeis zum ersten Mal in den Rhein stieg, um ihn der Länge nach zu durchschwimmen, und damit scheiterte, war ihm nicht bewusst, was diesen Fluss wirklich ausmachte. „Er bewegt sich zwischen zwei Polen oder Kontrapunkten“, erklärt Bromeis, als passionierter Klavierspieler mit den Begriffen der Musik vertraut. „Der Rhein entspringt in den Alpen, in einer sehr archaischen, menschenleeren Landschaft, und mündet schließlich bei Rotterdam – einem der größten Häfen der Welt, Sinnbild für Zivilisation und Globalisierung – in die Nordsee…

…sich ins Wasser zu begeben, einzutauchen und vom Archaischen in die Zivilisation reinzuschwimmen, das fasziniert mich bis heute.”

Diese Faszination mag auch daher rühren, dass sich Bromeis mit seiner Tätigkeit ebenfalls zwischen zwei „Polen“ oder vielmehr Welten bewegt: An Land ist er heute Wasserbotschafter – einer, der bei Vorträgen vor seinem Publikum steht und versucht, es mit Worten zu bewegen, zum Nachdenken zu bringen über dieses lebensnotwendige Element. Im Wasser aber ist er es, der sich bewegt und dazu schweigt. Dort ist er nur Schwimmer: „Ich bin dann in einem fluiden Element, wo ich keinen Stand mehr habe, wo ich nichts greifen kann“, erklärt Bromeis, „im Wasser ist alles anders als an Land, da herrschen andere physikalische Gesetze. Auch der Mensch funktioniert anders im Wasser. Ich finde es sehr bereichernd, dass ich zwischen beiden Welten wählen und leben darf.“

Der Traum von der Tour de France (c) Bromeis

Zwei „Welten“ waren es auch, die Bromeis durch seine Kindheit im Engadin begleiteten. In der Familie stand die Musik im Zentrum, in der Gesellschaft der Sport. Gepflegt hat er beides. Er wollte zunächst Lehrer werden, um beide Fächer unterrichten zu können. Als ihn der Lehrberuf nicht ausfüllte, träumte er von der Tour de France.

„Aber ich war nicht für die Träume als Spitzenathlet in einem gedopten Umfeld gemacht.“

Was nun? Musik oder doch Sport? Ganz klar, der Ernst geht in die Musik, haben die meisten Leute gesagt und sich geirrt – denn „der Ernst“ machte schon damals nie, was nach Meinung anderer geschehen sollte. Bromeis wählte Sport, diesmal aber nicht als Athlet. Er wurde Trainer im Spitzensport und hatte damit Erfolg, blieb aber unruhig. Er merkte, dass er sich sein eigenes „Gefäß“ schaffen musste, um kreativ zu sein. „Ich wollte etwas bewirken – nicht nur Medaillenträume erfüllen, sondern gesellschaftlich etwas gestalten, aber mit den Mitteln, die ich habe, um mich ausdrücken zu können. So ist 2007 das Projekt Das blaue Wunder entstanden“, erzählt er und nimmt noch einen Schluck Kaffee.

Premiere: Bromeis durchschwimmt die großen Seen des Oberengadins (c) Das blaue Wunder – Andrea Badrutt

Grenzschwimmer – 1.230 km von der Quelle bis zur Mündung

Die Idee war plötzlich da: Er würde das Wasser zu seinem Beruf machen und als Schwimmer hinweisen auf jene Ressource, die in unseren Breiten viel zu oft als selbstverständlich und unerschöpflich wahrgenommen wird. Das größte Süßwasser- reservoir der Welt wollte er durchschwimmen, um ein Zeichen zu setzen. „Aber du kannst beim Klettern auch nicht mit dem größten Berg anfangen“, räumt Bromeis ein, „also bin ich vor meiner Haustüre gestartet.“ Er durchschwamm zunächst 200 Bergseen in seinem Heimatkanton Graubünden. Danach folgte der größte See in jedem Schweizer Kanton. Er legte, wenn zeitlich möglich, die Strecken dazwischen mit dem Rennrad zurück. So brachte er das Wasserthema unter die Leute, hielt Vorträge, sprach mit den Medien. Das Echo war enorm und Bromeis schnell klar: Der Aktionsradius muss weiterwachsen.

2012 nimmt er schließlich die 1.230 Kilometer des Rheins in Angriff – von der Quelle in Graubünden bis zur Nordsee. „Wenn du an der Quelle stehst, am Anfang dieses Weges, ist da immer Demut“, erinnert er sich an diesen besonderen Moment, „aber du musst auch mutig sein. Du springst hinein in eine andere Welt, das kann Angst machen – gleichzeitig ist es aber auch Vorfreude.“

Am Rheinfall (c) Das blaue Wunder – Dorothée Meddens

Das erste Mal klappt das Vorhaben tatsächlich nicht. Erst beim zweiten Anlauf 2014 bezwingt Bromeis den Rhein trotz Hochwasser und Kälte. Dabei schwimmt er sechs bis acht Stunden am Tag, mit kleinen Pausen. Am Schluss taten ihm die Schultern weh, der Rücken, so vieles schmerzte. Durchhalten ließ ihn der Glaube an die Wirkung seiner Aktion. „Es geht mir nicht um die Stoppuhr“, betont er. Es geht ihm um die selbst gestellte Aufgabe, im Dienste einer Botschaft an die Gesellschaft:

Wasser ist lebensnotwendig, aber endlich und darum schützenswert.

Schwimmt man so lange Strecken, fällt nämlich auf: Wasser ist nicht gleich Wasser. Es verändert sich. Am Rhein habe es viel Treibgut wegen der Regenfälle gegeben, so Bromeis. Bei seiner Expedition 2015 Richtung Mailand habe er die Veränderung dann sogar schmecken können. Irgendwann war es einfach nicht mehr Lago Maggiore Wasser, es war dann der Fluss Ticino, dann der Kanal: „Durch den Kanal geht’s hinab, es ist Ende Sommer, alles steht. Du siehst, dass Verschiedenes mit dir mitfließt, ob Exkremente oder nicht kannst du nicht sagen, aber vor Mailand spürst du dann schon, dass es nicht einfach Sedimente sind, die da mit dir mitkommen – es ist Dreck.“ Laut Kanalbetreiber sei das Wasser okay gewesen, die Ärzte in Mailand hielten Bromeis für verrückt. Schwimmen, in dieser Brühe?!

© Das blaue Wunder-Christian-Gartmann

Vom Mikroplastik zum Makroproblem

Er selbst fand das bezeichnend für ein generelles Problem, das wir heute mit der Wassergüte haben. „Uns wird suggeriert, dass wir im Wasserschloss leben. Wunderbare Gewässer, touristisches Kapital. Das ist aber nur so, weil man die ganze Makroverunreinigung herausgebracht hat. Es stinkt nicht mehr, ist nicht offensichtlich dreckig“, bemerkt Bromeis. Vom Mikroplastik wisse man zwar, dass es existiere, aber dazu habe man keinen Bezug. „Das ist das, was uns in einer falschen Sicherheit wiegt und uns nicht sehen lässt, was wirklich ist. Aber wie wichtig wäre es, dass wir jetzt den nächsten Schritt machen.“ Man könne immer etwas tun, so Bromeis, überall auf der Welt. Sogar für Orte wie den Nil, den Ganges oder den Amazonas.

„Man bedenke: Die Kläranlage von Basel ist erst 1982 gebaut worden. Bis zu dem Zeitpunkt ist in Basel, in der hochentwickelten Schweiz, der ganze Dreck in den Fluss gekippt worden – heute unvorstellbar. Es gibt also sehr wohl Hoffnung, dass größere und kleinere Flüsse sauberer sein könnten, wenn wir Menschen die richtigen Schlüsse und schließlich auch die Konsequenzen zögen.“

Projekte für technisch ausgeklügelte, teure Abwassersysteme lassen sich heute in der finanziell gut situierten Schweiz allerdings etwas leichter umsetzen als etwa in Indien oder Afrika, vorausgesetzt die Bereitschaft zur Veränderung ist da. Das ist auch Bromeis klar. In manchen Gegenden Afrikas beispielsweise müsse daher ein wesentlich leistbareres Abwassersystem her – mancherorts sei nämlich nicht die Wasserknappheit das Problem, sondern die Kontamination. Aus dem Teufelskreis müsse man rauskommen – Wasser und freier Zugang dazu sei ein Menschenrecht und eine Menschenpflicht.

Kraftwerk Reckingen © Das blaue Wunder – Dorothée Meddens

Differenzierung statt One-Way-Solution

Nicht, dass in der Schweiz alles Gold wäre was glänzt. Das zeige laut dem Wasserbotschafter auch der Energiesektor. Beinahe 60 % der erneuerbaren Energie in der Schweiz werden über Wasserkraft produziert. Seit größere Wasserkraftwerke kaum mehr gebaut werden dürfen, stürze man sich auf Kleinwasserkraft:

„Das versucht man dann als saubere Energie zu verkaufen“, meint Bromeis kopfschüttelnd, „so werden aber auch die letzten Seitenarme der Flüsse zerstört.“

Dabei gebe es Alternativen. Die Lösung wäre mehr Differenzierung, findet Bromeis, „man sollte sich fragen: Was wäre die richtige Energie für den Alpenraum, was für Menschen am Meer? Was für Indien, was für Afrika? Doch der nötige Dialog dazu fehlt.“ Die Politik sei darin kein Vorbild und das mache es schwer. „Stattdessen will sie einfach die ganze Gesellschaft elektrifizieren – über Nacht.“

Es ist ein bisschen wie bei der Rheinexkursion: Neues braucht eben Mut. „Mut, das partikulare Interesse in den Wind zu schießen für die Allgemeinheit. Aufeinander zugehen hat für beide Seiten Vorteile. Wir haben das als Menschheit nur noch nicht gelernt“, ist Bromeis überzeugt, „Momentan leben wir in einer Welt, wo ein Teil ständig versucht zu bewahren, was früher einmal funktioniert hat. Nun wagt man aber nicht den Schritt nach vorn. Die Schneesportindustrie ist das beste Beispiel.

Lej-da-Rosatsch-(c)-Andrea-Badrutt

“Wir versuchen krankhaft an etwas festzuhalten, das 150 Jahre gut lief, aber jetzt mit der Klimakrise kommen wir an den Anschlag.“

Die Industrie und die ökologische Seite müssten endlich einen Kompromiss finden. „Aber jeder denkt nur an sich: Noch fünf Jahre arbeiten, dann bin ich pensioniert, dann hab ich mein Problem gelöst. Die Zusammenarbeit aber wagt keiner.“ Auch das sieht Bromeis als seine Aufgabe: Brückenbauer sein zwischen verschiedenen Zielgruppen. Er setzt sich für die Wasserbildung im Tourismus ein und für das Wassersolidaritätsprojekt Solidarit’eau Suisse oder Blue Peace. 

„Ich halte Vorträge für völlig verschiedene Menschen: Für Spitzensportler, Kirchengemeinden, für die ETH Zürich.  Es liegt bei mir, wie ich mit wem rede. Der Sinn bleibt immer der gleiche. Ich kann jedoch der sein, der den Zugang legt.“

Allerdings gibt es auch skeptische Leute, die auf Distanz gehen und nicht kooperieren wollen – man nehme ihn dann als Eindringling wahr, als Konkurrenten, der in ein fremdes Territorium eindringt und dort alles über den Haufen werfen will. So mancher zweifelt auch an seinen Absichten. „Trotzdem versuche ich zu verbinden, nicht zu teilen“, betont Bromeis, „Polarisierung führt uns weg von der Differenzierung, sie bringt nur Konflikt.“

Am Baikal (c) Das blaue Wunder – Maurice Haas

Schwimmend den ältesten See der Welt bezwingen

Am 11. Juli 2019 bricht Bromeis zu seinem bislang größten Abenteuer auf: zum über 670 km langen, von Gebirgen umsäumten Baikalsee in Sibirien. Mit seinen 1.642 m Tiefe und den rund 25 Millionen Jahren auf dem Buckel, ist der Baikal der tiefste und älteste Süßwassersee und damit das größte Süßwasser-Reservoir der Welt. Die schiere Größe des Sees wird für Bromeis zur unüberwindbaren Herausforderung. „Ist man sehr lange im Wasser unterwegs, ist es viel schwieriger den Fokus zu behalten als an Land“, erklärt der Schwimmer, „an Land ist der Fokus sichtbar. Das Phänomen ist vergleichbar, wenn man beispielsweise die Antarktis quert und ein Whiteout erlebt. Aber an Land gibt’s theoretisch immer einen Horizont, der dir Kraft und Orientierung gibt. Im Wasser allerdings – und der Baikalsee hat in der Regel auch nicht Korallenriffe – siehst du nur ins Schwarze hinab, du verlierst den Fokus.“ Nach 60 km gibt Bromeis auf, gezwungenermaßen.

Warum?

Das interessiert die Zuhörer immer am meisten, verrät er schmunzelnd über seine Kaffeetasse hinweg. Aber auch ihn scheint die Frage immer noch zu beschäftigen. Er denkt kurz nach: „Weil es auf vielerlei Weise eine Überforderung gewesen ist“, sagt er dann langsam „und das hat sich mit den Herzrhythmusstörungen gezeigt. Wenn etwas nicht geht, gibt es immer Gründe. Aber wer scheitert, kann auch gescheiter werden, nur ist das in unserer westlichen Gesellschaft immer negativ konnotiert, oder? Du darfst schon tausend Mal scheitern, aber du musst tausendundeinmal wieder aufstehen. Etwas anderes geht nicht in unseren Breitengraden.“

Zukunftspläne – Von Bächen und Strömen

Und nun? Am Ende ist auch Bromeis ein Kind dieser Gesellschaft. Scheitern gilt nicht, dafür ist er wohl zu sehr Sportler. Die letzte Exkursion hat er abgeschlossen, aber der Baikal an sich lässt ihm keine Ruhe. Bei einem zweiten Anlauf, würde er allerdings im Norden anfangen, weil er im Süden schon war, und weil es ein ganz unglaubliches Gefühl wäre, am Ende nochmal dort vorbeizukommen, wo er schon mal vorbeigeschwommen ist, sagt er. Außerdem…

„bin ich auch an den Baikal gegangen mit dem Wissen, dass ein Wasserbotschafter zu wenig ist für die Welt. Es braucht mehr. Dem Gedanken will ich jetzt weiter nachgehen und sehen, ob ich es schaffe, eine Wasserbot- schafterInnen-Bewegung in Gang zu setzen.“

Was er bislang erreicht hat, möchte er nicht in Zahlen oder Statistiken fassen. Qualität messe sich nicht an Statistiken. So wie er versucht seinen Kindern im Alltag Achtsamkeit beizubringen, so möchte er die Menschen mit seinem Engagement für das Wasser anstecken. Das sei sein „Geschenk“ an die Menschen, sagt er und lässt den Blick durchs mittlerweile halbleere Café Richtung Fenster schweifen, wo sich bereits der Abend ankündigt. „Ich habe nie das Ziel den ganzen Saal zu überzeugen. Es reicht, wenn nur ein paar darunter sind. Ich sehe, dass ich mit Leuten, die für die gleiche Sache kämpfen wie ich, etwas erreiche. Sollte ich nur ein Tropfen sein und der andere ein Tropfen, sind wir zusammen schon zwei und dann noch einer und so weiter. Menschen, die sich auf ihre Art für etwas engagieren, sind vielleicht ein Bach, vorerst noch kein Strom, aber es ist eine Bewegung da und ich bin glücklich ein Teil von dieser Bewegung zu sein, die zum Strom wachsen kann.”

Mehr Infos unter: Das blaue Wunder