Titelfoto: Baustelle im Längental. Foto: Anna Schöpfer

Für die Erweiterung der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz wird das Längental in den Stubaier Alpen zerstört und Wasser aus mehreren Gebirgsbächen abgeleitet – ABA kritisiert Naturzerstörung und die mangelnde Berücksichtigung von EU-Umweltrichtlinien und Alpenkonvention.

Seit Mai hat Tirol eine neue Großbaustelle im Hochgebirge. Über 800 Millionen Euro kostet die unter dem Projektnamen Speicherkraftwerk Kühtai bekannte Erweiterung der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz. Neben einem neuen Pumpspeicherkraftwerk umfasst das Projekt der Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG) die Neuanlage eines Speicherteichs im Längental sowie den Bau eines weitläufigen Stollensystems quer durch die Stubaier Alpen. An dem Kühtai zugewandten Talbeginn des Längentals wurden in den vergangenen Wochen massive Erdumwälzungen und zahlreiche Baumentwurzelungen durchgeführt. Auch der Verbindungsstollen zum Finstertalspeicher befindet sich bereits im Bau. Die Maschinen arbeiten sich bergauf zum weitläufigen Talschluss.

Alpine Gewässer und einzigartige Tiroler Landschaft in Gefahr

Das Tal ist geprägt durch einen seltenen und aus naturschutzfachlicher Sicht besonders wertvollen Biotopverbund. Der mäandrierende Längentalbach, Quellfluren, Niedermoore und Alpenrosen-Zwergstrauchheiden prägen die alpine Landschaft. Für die Anlage des Speicherteichs wird das Tal ausgefräst und verschwindet hinter einer 113 Meter hohen Staumauer. Mithilfe eines 25,5 Kilometer langen Stollensystems soll Wasser aus sechs Gletscherbächen in den neuen Speicher im Längental eingeleitet werden. In den Sommermonaten handelt es sich um bis zu 80 % der Abflussmenge. Die betroffenen Fließgewässer entwässern naturgemäß teils in die Ruetz (Fernaubach, Daunkogelfernerbach und Unterbergbach) sowie teils in die Ötztaler Ache (Fischbach, Schranbach und Winnebach).

Der WildeWasserWeg ist bedroht

Der massive Eingriff in den natürlichen Wasserhaushalt der Stubaier Alpen gefährdet den „WildeWasserWeg“ im Stubai. Dem Ötztal als inneralpines Trockental drohen weitreichende Folgen für die Landwirtschaft. Schon jetzt ist durch den Klimawandel in Berglagen des betroffenen Gebiets oft nicht ausreichend Wasser vorhanden, um die Almbewirtschaftung aufrecht zu halten. Die Ableitung großer Wassermengen in den Kraftwerksspeicher würde die Wasserknappheit verschärfen. Absinkende Grundwasserspiegel führen zur Verlandung von Flussauen und anderen Feuchtlebensräumen.

EU-Wasserrahmenrichtlinie sowie Alpenkonvention werden missachtet

Obwohl sowohl die EU-Wasserrahmenrichtlinie als auch die von Österreich ratifizierte Alpenkonvention ein Projekt dieser Art prinzipiell ausschließen, wurde es mit dem Argument des „übergeordneten öffentlichen Interesses“ dennoch auf Schiene gebracht. Da die betroffenen Gebirgsbäche überwiegend im Ruhegebiet Stubaier Alpen verortet sind, waren Eingriffe wie die Ableitung von erheblichen Wassermengen durch das Stollensystem untersagt. Erst eine Abänderung des Tiroler Naturschutzgesetzes, welche eine Ausnahme für Eingriffe im Rahmen der Energiewende einführte, ermöglichte das Voranschreiten der Projektplanung.

Kritik an umweltrechtlicher Verfahrenspraxis in Österreich

„Nicht nur bei der Sellrain-Silz Erweiterung, sondern auch bei vielen anderen UVP-pflichtigen Bauvorhaben, dient das „übergeordnete öffentliche Interesse“ als Totschlagargument im Bewilligungsverfahren. Nicht nachprüfbar und nicht widerlegbar ist diese Argumentationslinie ein praktisches Instrument, um sachliche wie fachlich relevante Bedenken gegen das Projekt abzuweisen“.

Senta Stix (ABA)

Auch die für die Umwelteingriffe im Rahmen des Kraftwerksbaus Kühtai konzipierten Ausgleichsmaßnahmen sind nicht zweckerfüllend. „Im Längental werden sensible Lebensräume, von Gewässern und Mooren bis zu alpinen Heiden, unwiederbringlich zerstört. Auch die umliegende Natur und der menschliche und tierische Lebensraum im gesamten Projektgebiet werden stark geschädigt. Im Gegenzug werden in anderen Bezirken Landwirtschaftsflächen aufgewertet. Dieses Vorgehen entspricht der gängigen Praxis, in der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu Bauvorhaben Ausgleichsmaßnahmen zu formulieren, welche völlig losgelöst vom eigentlichen Gegenstand des Verfahrens sind. Ein Umstand der seit Jahren von ExpertInnen beklagt wird“, so Senta Stix.

In Anbetracht des Vorgehens für den Ausbau von Sellrain-Silz fordert die ABA deshalb:

  • Einhaltung der EU-Naturschutzrichtlinien, der Wasserrahmenrichtlinie und der Alpenkonvention
  • Reflexion der Auslegung der Begrifflichkeit „übergeordnetes öffentliches Interesse“
  • Stopp der zweckentfremdeten Ausgleichsmaßnahmen in Umweltschutzverfahren
  • Energiewende ohne folgenschwere Eingriffe in bedrohte alpine Freiräume und naturbelassene Ökosysteme

(Aktualisierung am 19.06.2020: Heute hat der VwGH die vom Alpenverein und der Gemeinde Neustift eingebrachten Revisionen gegen den Baubescheid abgewiesen. Das gerichtliche Verfahren ist damit formell angeschlossen, der Text wurde adaptiert.)