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In Österreich gibt es 50 verschiedene Gelsenarten (Stechmücken). Auch wenn diese sehr unterschiedliche ökologische Nischen besetzen, kann man kann sie grob in Lebensformtypen unterscheiden: Hausgelsen, Überschwemmungsgelsen, Frühjahrsgelsen und die Baumhöhlenbrüter. In den letzten Jahren wurden in Europa auch gebietsfremde Arten (Neobiota) eingeschleppt, wie z.B. die Asiatische Tigermücke.

Weltweit gibt es über 3500 Gelsenarten (=Stechmücken, Culicidae), und alle sind unterschiedlich. Sie unterscheiden sich in Aussehen und Genetik, bewohnen verschiedene Kontinente, haben unterschiedliche Vorlieben bezüglich Lebensraum und Brutgewässer. Manche Gelsenweibchen stechen am liebsten Säugetiere, andere haben es auf Amphibien abgesehen. Es gibt Generalisten (weniger anspruchsvoll) und Spezialisten, verschiedene Paarungssysteme und unterschiedliche Strategien um den Winter zu überstehen. Bevor man das nächste Mal über „die Gelsen“ schimpft, sollte man sich also genau ansehen, wen man da eigentlich vor sich hat.

In Österreich kann man 50 verschiedene Gelsenarten (aus 8 Gattungen) finden [1]. Nach ihren Präferenzen kann man diese grob in verschiedene Lebensraumtypen unterscheiden: Hausgelsen, Überschwemmungsgelsen, Frühjahrsgelsen und die Baumhöhlenbrüter.

Hausgelsen

Hausgelsen (hauptsächlich Arten der Gattung Culex; Abb. 1) sind vor allem im urbanen Raum zu finden. Der häufigste Vertreter dieser Gruppe ist in Österreich, sowie in vielen anderen Teilen Mitteleuropas, die Gemeine Stechmücke (Culex pipiens) [2]. Die Weibchen überwintern in der Natur in hohlen Bäumen und Erdlöchern, im Siedlungsbereich in Kellern, Dachböden oder anderen frostfreien Räumen. Im Frühjahr reichen kleinste Wasseransammlungen (in der Nähe ihres Winterschlafplatzes) für die Eiablage aus. Da diese Gelsen in unseren Behausungen überwintern, sind sie es auch, die uns im Frühling als erstes und im Spätherbst als letztes stechen wollen. Die Hausgelsen-Weibchen suchen ihre Opfer für die nächste Blutmahlzeit meist in der Dämmerung oder Nacht. Waren sie bei der Suche nach einem Wirtstier erfolgreich, nutzen sie nun das Protein aus der Blutmahlzeit, um daraus Eier zu entwickeln. Die Eier werden dann in Paketen – sogenannten Eischiffchen – auf der Wasseroberfläche abgelegt. Als Eiablageplatz eignen sich die Uferbereiche von Teichen und stehenden Wassergräben aber auch Regentonnen, Blumentopfuntersetzer oder Vogeltränken. Ein Weibchen legt etwa 150 - 250 Eier, aus denen sich dann mehrere Generationen pro Jahr entwickeln können [3]. Somit können Hausgelsen abhängig von den herrschenden Klimabedingungen (Niederschlag, Temperatur etc.) mehrere Generationen im Jahr hervorbringen. Je nach Witterung kann ein solches Weibchen bis zum Ende der Saison theoretisch mehrere Millionen Nachkommen haben.

Hausgelsen-Weibchen legt gerade ein Eischiffchen auf der Wasseroberfläche ab.
Abb. 1 Ein Hausgelsen-Weibchen legt gerade ein Eischiffchen auf der Wasseroberfläche ab. (Bild: flickr/Sean McCann, CC BY-NC-SA 2.0)

Frühjahrsgelsen

Im Gegensatz dazu haben Frühjahrsgelsen (diese stammen meist aus der Gattung Aedes, zB. Ae. cantans, Ae. communis, Ae. rusticus; aber auch Culiseta, zB. Cs. morsitans) nur eine Brut pro Jahr. Bei den Frühjahrsgelsen überwintern die Eier oder die Larven. Die Larven entwickeln sich bereits bei geringer Wassertemperatur (10 °C), sodass die ersten adulten Tiere bereits ab April zu finden sind.

Überschwemmungsgelsen

Überschwemmungsgelsen (eine Vielzahl der Aedes-Arten) sind aufgrund ihrer Eilegestrategie stark von der Dynamik der Auwälder abhängig. Die Weibchen legen ihre Eier in trockenliegende Überschwemmungsgebiete, wo diese oft über mehrere Jahre ohne Wasser überdauern können. Wenn nach einem Hochwasserereignis die Eier überflutet werden, kommt es zu einem Massenschlupf der Larven. Überschwemmungsgelsen verbleiben normalerweise in der Nähe ihres Brutplatzes, können aber passiv durch starken Wind weit vertragen werden. Im Gegensatz zur Hausgelse überleben die adulten Überschwemmungsgelsen meist nur bis zum nächsten Wetterumschwung und sterben spätestens im Herbst ab, und nur die Eier überwintern.

Fiebergelsen

Fiebergelsen (Gattung Anopheles) verdanken ihren Namen der Tatsache, dass sie Hauptüberträger der Malaria-Erreger sind. Sie sind vom Lebensformtyp ähnlich den Hausgelsen. Sie sind nachtaktiv und stechen am liebsten Säugetiere (v.a. Rinder, aber auch Menschen). Man findet sie in menschlichen Bauten aber noch häufiger in feuchten Räumen und Tierställen, in denen sie auch überwintern. Als Brutgewässer nutzen sie meist saubere natürliche Gewässer, wie grasige oder verkrautete Ufer von Seen oder Tümpeln.

Baumhöhlenbrüter

Die Baumhöhlenbrüter (hauptsächlich Vertreter der Gattung Aedes) waren bis vor ca. 30 Jahren eine recht wenig beachtete Gruppe. In dieser Gruppe legen Weibchen ihre Eier am Rand kleinster Wassermengen – wie eben in Baumhöhlen – ab. Kulturfolgende Vertreter dieser Gruppe finden im städtischen Raum eine Vielzahl an möglichen Brutgewässern. Regentonnen, Blumentopfuntersetzer, stehengelassener Müll, Spielzeug oder Werkzeug. Alle Gefäße, in denen sich Wasser sammeln kann, sind mögliche Brutgewässer für diese Arten – weshalb sie auch Container-Brüter genannt werden.

Gebietsfremde Arten

Gerade diese Container-brütenden Gelsen sind es, die in den letzten Jahrzehnten vermehrt in Europa eingeschleppt wurden. Hierbei gilt zu beachten, dass diese oft aus weit entfernten Gebieten (meist asiatischer Raum) stammenden, gebietsfremden Arten (Neobiota) nicht mit dem in den Medien gerne verwendeten Begriff „invasive Arten“ gleichzusetzen sind. Nach der Definition der IUCN (International Union for Conservation of Nature) gelten als invasive Arten nur solche, die nachweislich zu Veränderungen in der Struktur und Zusammensetzung von Ökosystemen führen, sich nachteilig auf die Ökosystemleistungen, die menschliche Wirtschaft und das Wohlbefinden auswirken [4]. Dies entspricht neben der Etablierung in einem neuen Gebiet auch der Verdrängung einheimischer Arten. Erst wenn dies zutrifft handelt es sich um invasive Arten.

Eine gebietsfremde Art konnte sich in Österreich bereits etablieren: die Asiatische Buschmücke (Aedes japonicus). Diese Art ist ursprünglich in Korea, Japan, Taiwan, sowie im Süden von China und Südosten von Russland heimisch und wurde in Europa vermutlich durch den Gebrauchtreifen-Handel eingeschleppt [5]. In Europa wurde sie erstmals im Jahr 2000 in der Normandie (Orne), im Norden Frankreichs, nachgewiesen. Seit 2002 gibt es Belege dieser Art in Belgien, in der Schweiz seit 2008 und seit 2011 in Deutschland. In Österreich wurde die Asiatische Buschmücke ebenfalls erstmals 2011 in der Steiermark ermittelt [6], inzwischen ist sie jedoch in allen Bundesländern nachgewiesen worden. Sie ist mammalophil/anthropophil (sticht daher gerne Menschen) und im Gegensatz zu den meisten heimischen Arten auch tagaktiv.

Im Gegensatz dazu konnte sich die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus; Abb. 2) in Österreich bisher noch nicht etablieren. Die Asiatische Tigermücke stammt ursprünglich aus den tropischen Wäldern Südost-Asiens und wurde nach Europa vor allem mit Gütertransporten (insbesondere mit Gebrauchtreifen und Glücksbambus) eingeschleppt [5]. Vor ungefähr 30 Jahren wurde sie erstmals in Albanien und später in Italien nachgewiesen und konnte sich von dort rasch in Südeuropa ausbreiten. Durch den passiven Transport adulter Tiere in Autos und Lastwägen wurde sie auch weiter in nördliche Gebiete verschleppt [7]. So erfolgten in Deutschland und der
Schweiz Nachweise dieser Gelsenart besonders entlang Autobahnrouten aus Südeuropa [8], [9]. Die Asiatische Tigermücke hat sich in den letzten Jahren rapide in Europa ausgebreitet [5], [10] und wurde bereits in allen österreichischen Nachbarländern gefunden. In Italien, der Schweiz und Slowenien bestehen bereits etablierte Populationen.

Auch in Österreich konnte Ae. albopictus bereits nachgewiesen werden: im Jahr 2012 in Tirol und im Burgenland, und seit 2016 an mehreren Standorten in Tirol. Bisher bestehen jedoch keine stabilen, überwinternden Populationen dieser Art in Österreich. Die nachgewiesenen Exemplare der Asiatischen Tigermücke scheinen jedes Jahr aufs Neue aus Nachbarländern importiert worden zu sein. Grund hierfür dürfte vor allem sein, dass diese Art, im Gegensatz zu der Asiatischen Buschmücke, aus tropischen Gebieten stammt. Die nördliche Ausbreitungsgrenze der Asiatischen Tigermücke in Europa wird vor allem durch die vorherrschenden Wintertemperaturen und die jährliche Jahresmitteltemperatur bestimmt [11]. Steigende Temperaturen im Zuge der Klimaerwärmung begünstigen somit die Etablierung von Populationen der Asiatischen Tigermücke in immer nördlicheren Gebieten.

Eine Asiatische Tigermücke (Ae. albopictus)
Abb. 2 Eine Asiatische Tigermücke (Ae. albopictus) erkennt man an dem weißen Streifen am Rückenschild, den weißen Spitzen an den Palpen, sowie den gestreiften Beinen. (Bild: flickr/Sean McCann, CC BY-NC-SA 2.0)
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Ist es eine Tigermücke?

Tigermücken sind sehr kleine Gelsen (passen problemlos auf eine 1-Cent-Münze). Man erkennt sie an ihrem weißen Streifen auf dem schwarzen Rückenschild und den schwarz-weiß gestreiften Hinterbeinen (Abb. 2). Aber Achtung! Die gestreiften Beine alleine sind noch kein eindeutiges Merkmal – auch sehr viele heimische Arten haben diese.
TIPP: Mit der App Mosquito Alert kannst du ganz leicht überprüfen, ob du eine Tigermücke gefunden hast. Übermittle mit der App einfach ein Foto deiner Gelse und ExpertInnen geben dir innerhalb kurzer Zeit Bescheid, ob du tatsächlich eine Tigermücke oder eine andere gebietsfremde Art gefangen hast.
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Literatur

[1] C. Zittra, M. Car, M. Lechthaler, and W. Mohrig, “Diptera: Culicidae,” in Fauna Aquatica Austriaca, 3rd ed., O. Moog and A. Hartmann, Eds. Wien: BMLFUW, 2017, pp. 1–11.
[2] K. Lebl et al., “Mosquitoes (Diptera: Culicidae) and their relevance as disease vectors in the city of Vienna, Austria,” Parasitol. Res., vol. 114, no. 2, 2014.
[3] N. Becker, D. Petric, M. Zgomba, M. Madon, C. Dahl, and A. Kaiser, Mosquitoes and Their Control, 2nd ed. Springer, 2010.
[4] C. Shine, N. Williams, and L. Gründling, Environmental Policy and Law Paper No. 40: A Guide to Designing Legal and Institutional Frameworks on Alien Invasive Species. 2000.
[5] J. M. Medlock et al., “A review of the invasive mosquitoes in Europe: Ecology, public health risks, and control options,” Vector-Borne Zoonotic Dis., vol. 12, no. 6, pp. 435–447, 2012.
[6] B. Seidel, D. Duh, N. Nowotny, and F. Allerberger, “Erstnachweis der Stechmücken Aedes (Ochlerotatus) japonicus japonicus (Theobald, 1901) in Österreich und Slowenien in 2011 und für Aedes (Stegomyia) albopictus (Skuse, 1895) in Österreich 2012 (Diptera: Culicidae),” Entomol. Zeitschrift – Stuttgart, vol. 112, no. 5, pp. 223–226, 2012.
[7] E.-J. Scholte and F. Schaffner, “Waiting for the tiger – establishment and spread of Aedes albopictus mosquito in Europe,” in Emerging pests and vector-borne diseases in Europe. volume 1: Ecology and contro of vector-borne diseases, W. Takken and B. G. J. Knols, Eds. Wageningen Academic, Wageningen, 2007, pp. 241–260.
[8] N. Becker et al., “Repeated introduction of Aedes albopictus into Germany, July to October 2012,” Parasitol. Res., vol. 112, no. 4, pp. 1787–1790, 2013.
[9] E. Flacio, L. Engeler, M. Tonolla, and P. Müller, “Spread and establishment of Aedes albopictus in southern Switzerland between 2003 and 2014: an analysis of oviposition data and weather conditions,” Parasit. Vectors, vol. 9, no. 1, p. 304, 2016.
[10] M. Bonizzoni, G. Gasperi, X. Chen, and A. A. James, “The invasive mosquito species Aedes albopictus: Current knowledge and future perspectives,” Trends Parasitol., vol. 29, no. 9, pp. 460–468, 2013.
[11] D. Roiz, M. Neteler, C. Castellani, D. Arnoldi, and A. Rizzoli, “Climatic factors driving invasion of the tiger mosquito (Aedes albopictus) into new areas of Trentino, Northern Italy,” PLoS One, vol. 6, no. 4, p. e14800, 2011.

Will man junge Menschen im schulischen Bereich für Biologie begeistern, braucht es bisweilen spezielle Formate. Dies ist die Geschichte der “Bio-Challenge” und wie man Österreich beinahe dazu bewegt, an einer Biologie Olympiade teilzunehmen.

Vom Brennen fürs Lebendige

Die Biologie – in all ihren Facetten und ihrer strukturellen Vielfalt, vom kleinsten biochemischen Baustein bis zu den komplexen Vernetzungen der Biosphäre – ist ein Quell unserer Inspiration und Motivation. Sie ist ein gewaltiges Konvolut von Disziplinen, die sich alle mit der Faszination des Lebendigen beschäftigen. Wer sich einmal darauf einlässt, dem bleibt letzten Endes nur eine mögliche Haltung demgegenüber: Faszination. Hingabe. Leidenschaft.

Wer nun Feuer für die Biologie fangen oder eine durch Kindheitserlebnisse bereits vorhandene Flamme pflegen möchte, für den bietet sich die Schule an [1]. Vor allem, wenn man dieses Feuer auch in seinen zukünftigen Erwerbsalltag tragen möchte. Schließlich ist der Unterrichtsgegenstand Biologie der wohl wichtigste schulische Gateway in die Medizin und die modernen Life-Sciences.


[1] Passenderweise befanden schon einige alte Griechen, dass es bei Bildung eher um das Entzünden von Fackeln als um das Befüllen von Fässern ginge

Bio Challenge
(c) Martin Bichler

Funkenflug und Schaumbremse

Es brauchte also ein Format, um junge Menschen im schulischen Kontext für Biologie zu begeistern. Einen Brandbeschleuniger quasi. Und dieses Format gab und gibt es tatsächlich seit 30 Jahren in Form der Internationalen Biologie Olympiade (zuletzt in Szeged/HU mit 273 Schüler/innen aus 73 Ländern). Was läge also näher, als mit einem Österreichischen Team auf internationalem Niveau anzutreten? Aus diesem Grund lud die ABA im April 2018 zu einem Erfahrungsaustausch mit unseren befreundeten Biologie-Verbänden des nahen Auslands, welche bereits seit längerer Zeit an den internationalen Bewerben teilnehmen.

Nach Klärung der Regulative und Formalvoraussetzungen war klar, dass eine österreichische Teilnahme ohne eine offizielle Fürsprache und finanzielle Förderung seitens des Bildungsministeriums nicht möglich wäre. Das war der Startschuss für eine Reihe vielversprechender Mails, Treffen und Gespräche. Epizentrum war dabei die Bildungsdirektion Tirol (damals noch Landesschulrat für Tirol), von der aus mit viel Unterstützung das Vorhaben in die ministerielle Ebene getragen wurde.

Doch manches Mal zerschellen Idealvorstellungen einfach an der realitätsschaffenden Hierarchie verwaltender Strukturen. Zu teuer, kein Bedarf, kein Interesse – so in etwa kann die ministerielle Antwort auf unser Anliegen zusammengefasst werden. Dass im Rahmen der Begabtenförderung bereits etablierte Olympiaden aus anderen Gegenständen weiterhin unterstützt werden, stellt aus Sicht des Bildungsministeriums keinen Logikbruch dar. ‚Man will halt derzeit nichts Neues‘[2].

Damit bleibt Österreich auf der Teilnehmerlandkarte bis auf weiteres umzingelt von teilnehmenden Nachbarstaaten und als eines der wenigen Länder Europas in Hinsicht Biologie-Olympiade teilnahmslos. Ein kleines gallisches Dorf im negativen Sinne.


[2] Fairerweise sei hinzugefügt, dass sich das Bildungsministerium zu diesem Zeitpunkt im Zuge der Bildungsreform in einer tiefgreifenden Umstellung befand und an allen Ecken und Enden mit Unsicherheiten bzgl seiner Struktur und Zuständigkeiten konfrontiert sah.

Resilienz

Doch es gibt eine Eigenschaft, die von der Biologie auf die Idee eines Schulwettbewerbs übergesprungen sein könnte: Resilienz. Es lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, ob die Bruchstücke des Vorhabens top-down, bottom-up oder in beiden Richtungen kursierten[3], jedenfalls stand die Idee weiterhin im Raum und wurde schließlich von Franz Gapp und Markus Geiger, zwei Biologielehrern des BG/BRG Innsbruck aufgegriffen und im Rahmen der ARGE Biologie Tirol vorgestellt.

Bio Challenge
(c) Martin Bichler

So wurden vier weitere Mitstreiterschulen gefunden und der Entschluss gefasst, auf Landesniveau einen tirolweiten Schulwettbewerb in Biologie zu etablieren. Das Konzept sah vor, analog zum internationalen Vorbild, die Schüler/innen in Spezialkursen vertiefend in puncto Fachtheorie und Fachpraxis vorzubereiten und am Ende im Rahmen eines Abschlusswettbewerbes den oder die beste Nachwuchsbiologin Tirols zu küren. Die ‚Bio-Challenge‘ war geboren!

Im darauf folgenden Sommersemester (2019) fanden schließlich die ersten Vorbereitungskurse mit rund 30 Schüler/innen in zwei Gruppen an jeweils 4 Nachmittagsterminen statt. Das Angebot richtete sich an AHS Schüler/innen der 6. und 7. Klassen Oberstufe. Die fachtheoretischen und fachpraktischen Inhalte orientierten sich am Lehrplan und umfassten die Themen ‚Auge‘, ‚Herz-Kreislaufsystem‘, ‚Pflanzenanatomie‘ sowie ‚Nervensystem‘. Dabei konnten die Schüler/innen verschiedene Versuche, Sektions- und Präparations- und Mikroskopiertechniken erlernen.

Dass die Kursblöcke stets an einem Freitagnachmittag stattfanden und teils lange Anreisewege in Kauf genommen werden mussten, spricht für die außerordentlich hohe Motivation und den Ehrgeiz der teilnehmenden Schüler/innen.

Der Abschlusswettbewerb fand schließlich am 26. Juni 2019 statt, bei dem in einer der rund zweistündigen Prüfung die besten Nachwuchsbiologen und –biologinnen ermittelt wurden. Die Siegerehrung erfolgte schließlich durch hochrangige Vertreter der Bildungsdirektion Tirol und die Schulleitung der gastgebenden Schule. Unisono das Credo: Wir können stolz sein auf unsere Nachwuchsbiologen/innen, auf ihr Engagement und ihre Leistungen!

Ein großes Lob verdienen sich in dieser Hinsicht auch die Biologielehrer/innen der aller teilnehmenden Schulen, die in perfekter Teamarbeit die rasche und professionelle Korrektur der Arbeiten durchführen konnten.


[3] in diesem Falle wäre die Bio-Challenge quasi ‚paraphyletisch‘ entstanden ;-)

Evolution

Bio-Challenge
(c) BRG-APP

In Tirol verfolgen wir die Strategie, die Bio-Challenge nicht nur zu einem Spezifikum der allgemeinbildenden höheren Schulen zu machen, sondern auch andere Schultypen aus dem Berufsbildenden Bereich zu involvieren. Das reicht von der Herstellung der Siegerpokale bis zur Erstellung von Homepages und digitalen Druckwerken. Damit sollen auch jene in Kontakt mit Biologie kommen, die ansonsten aufgrund thematischer Ausrichtung der Schule traditionellerweise wenig Berührungspunkte mit Biologie haben.

Ja, die erste Tiroler Bio-Challenge war ein voller Erfolg. Doch dem Format steht noch ein langer Weg bevor, um vom Projekt zum Programm zu werden. Vielversprechend ist in erster Linie die positive Resonanz bei Schüler/innen, Lehrer/innen sowie der Schulleitung und –verwaltung. Wir freuen uns, dass unserer Einladung zum Abschlusswettbewerb auch Vertreter/innen der Biologie ARGEn der Bundesländer Vorarlberg und Salzburg gefolgt sind, die das Format auf der ‚Westachse‘ vermitteln können. Wir wissen um das Interesse weiterer Bundesländer und sogar einen ähnlichen Wettbewerb in Kärnten (Biologie im Team) und wir hoffen, aus diesem Ganzen eine runde Synthese schaffen zu können.

Möglicherweise formiert sich so ein österreichweiter Biologiewettbewerb ‚bottom-up‘ und wir sehen in Zukunft auf internationalen Biologie Olympiaden auch endlich Teams aus Österreich. Die talentierten Jugendlichen dafür hätten wir jedenfalls!

Bilder, Berichte und Kursunterlagen unter bio-challenge.at

Titelbild: mohamed Hassan |pixabay

Frauen in der Wissenschaft hatten es bis jetzt noch nicht leicht und an den Zahlen zeigt sich, es ist noch viel zu tun. Frauenförderungsprogramme soll(t)en da Abhilfe schaffen. Aber auch hier machen sich schon Veränderungen breit. Ein Blick zurück, in die Gegenwart und die Zukunft der Frauenförderung.

Die Geschichte der Frauenförderung an österreichischen Universitäten beginnt spät. Mehr als 500 Jahre nach der Gründung der Universität Wien durfte im Jahr 1897 die erste Frau, Gabriele Possaner von Ehrenthal, immatrikulieren. Seit dem sind die Zahlen von weiblichen Studierenden stark gestiegen. Von einem anfänglichen Verhältnis Frauen zu Männern von 1:183 lag das Verhältnis zur Jahrtausendwende 2000/1 bei ungefähr 1,5:1 (Gleichstellung in Wissenschaft und Forschung in Österreich, BMBWF 2018, pdf). Auch im Österreichvergleich lassen sich ähnliche Werte feststellen. Der Frauenanteil an Studierenden liegt bei knapp 53 Prozent [unidata.gv.at]. Woran liegt es dann, dass der Frauenanteil bei Professuren nur bei 23 % liegt?

Die Leaky Pipeline: Frauenanteile nehmen im Karriereverlauf ab

Die so genannte „Leaky Pipeline“ fängt in Österreich schon früh an. Vergleicht man 28 EU-Länder liegt Österreich mit einem Frauenanteil von 42 Prozent unter den AbsolventInnen eines Doktorats –bzw. PhD Studiums abgeschlagen auf Platz 27. Die Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen in Wissenschaft und Forschung sind somit geringer als in anderen EU-Ländern. In Österreich ist jede fünfte Wissenschafterin einer Hochschule teilzeitbeschäftigt. Das wirkt sich auch auf den so genannten „Gender Pay Gap“ aus. In Österreich liegt das Einkommen für Frauen in Wissenschaft und Forschung um durchschnittlich 19,5 Prozent unter dem Einkommen von männlichen Kollegen.

Die „Leaky Pipeline“ zeigt sich vor allem auch in der Führungsebene. Hier wird es Frauen weiter erschwert, sobald sie die Karriereleiter erklimmen. „Die Netzwerkstrukturen in Führungsebenen sind immer noch männerdominiert“, so Politikwissenschafterin Sonja Puntscher Riekmann in einem Interview mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Frauen haben es oft noch nicht geschafft, in diese wirklich einzudringen. Warum das nicht gelingt, ist schwer zu sagen“, wie die Archäologin Katharina Rebay-Salisbury meint. Eine Theorie aus der Evolutionsforschung versucht dies jedoch zu erklären: Frauennetzwerke waren immer schon sehr „familienbasiert“, während Männer oft eigene Banden gegründet haben. Dies findet man heutzutage immer noch vor. „Frauen sollten sich davon aber auf keinen Fall unterkriegen lassen“, so Sonja Puntscher Riekmann.

Österreich hat in den letzten zehn Jahren versucht, diese Zahlen in eine andere Richtung zu lenken. So konnte etwa ein Anstieg um 40 Prozent bei den Professuren von Frauen verzeichnet werden. Im EU-Vergleich hat Österreich die höchste Steigerungsrate aufzuweisen. Wie kam es dazu? Gleichstellungsziele wurden das erste Mal Anfang der 1990er Jahre vom Wissenschaftsministerium geschaffen. Zu der Zeit wurden Arbeitskreise für Gleichbehandlungsfragen errichtet, um Diskriminierung bei Personalverfahren zu verhindern. Im Jahr 2002 wurde dann das „Universitätsgesetz 2002“ verabschiedet in dem ein Frauenförderungsplan und ein Gleichstellungsplan in die Satzung aufgenommen wurden. Dies verlagerte die Zuständigkeit der Gleichstellung von Frauen und Männern an die Universitäten.

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Leaky Pipeline

Unter der „Leaky Pipeline“ versteht man den absinkenden Frauenanteil auf steigenden Bildungsabschlüssen und Karrierestufen. Der Begriff wurde in den 1979er Jahren in den USA eingeführt und soll als Metapher dienen. Schüttet man Wasser (junge Frauen) in ein Rohr, welches undicht ist, wird am auf der anderen Seite des Rohres wenig Wasser hinausfließen (Frauen in hohen Führungspositionen). (Understanding STEM: Current Perceptions, pdf)

Das Gesetz orientiert sich an drei Zielen:

1. Integration von Frauen auf allen Hierarchieebenen von Wissenschaft und Forschung.

2. Abschaffung „struktureller Barrieren“ für Frauen, damit beiden Geschlechtern dieselben Karrierewege offenstehen.

3. Integration von Genderfragen in Forschungsinhalte. Zur Unterstützung dieser Zielsetzungen wurden vom Ministerium Förderungsprogramme extra für Frauen ins Leben gerufen.

Frauenförderungsprogramme zur Umsetzung der Gleichstellungsziele

Zur Umsetzung dieser Gleichstellungsziele wurden von ministerieller Seite einige Frauenförderungsprogramme ins Leben gerufen

Zwei wichtige Frauenförderungsprogramme kommen vom Wissenschaftsfonds FWF:

  • Das Hertha-Firnberg-Programm richtet sich an Frauen am Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere. Dabei sollen die Karrierechancen an österreichischen Forschungsseinrichtungen erhöht werden. Außerdem soll das Programm dazu dienen, Frauen nach einer Karenzphase den Wiedereinstieg in die wissenschaftliche Laufbahn zu erleichtern.
  • Das Senior Postdoc-Programm Elise Richter soll Frauen nach Projektabschluss ermöglichen, eine inländische oder ausländische Professur anzutreten.
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Hertha Firnberg

Die 1909 in Niederösterreich geborene Hertha Firnberg war eine sozialdemokratische Politikerin und Soziologin. Sie war die erste Wissenschaftsministerin der Zweiten Republik und hat die Wissenschaftspolitik als eigenes Politfeld etabliert. In ihrer Amtszeit ist sie auch für Frauenrechte und Verbesserung der Bildungschancen von Mädchen und Frauen in der Wissenschaft eingetreten.

Mehr zu Hertha Firnberg auf Webseite der Universität Wien

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Elise Richter

Elise Richter, geboren 1865 in Wien, war die erste habilitierte Frau an der Universität Wien 1905 und erst die vierte promovierte Frau 1901. Ab 1928 leitete sie das „phonetische Institut“ an der Universität Wien und gründete 1922 den „Verband für akademische Frauen in Österreich“. Im Nationalsozialismus wurde sie aus rassistischen Gründen verfolgt und 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie 1943 verstarb. ()

Mehr zu Elise Richter auf der Webseite der Universität Wien

Das Bundesministerium BMK (für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) verfolgt mit dem Programm FEMtech das Ziel, dass Frauen gleiche Rahmenbedingungen und Erfolgschancen vorfinden wie Männer. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und gemischte Teams zu fördern, werden Forschungsinstitutionen mit dem Ziel eines höheren Frauenanteils unterstützt. Das Programm zielt auf die industrielle und außeruniversitäre Forschung ab. Auch junge Frauen werden von FEMtech bei der Praktikumsfindung untersucht.

Frauen sind in der Forschung immer noch unterrepräsentiert

Trotz all dieser Programme ist von Gleichstellung noch keine Rede. Einige vom FWF veröffentlichte Grafiken von 2018 zeigen deutlich die Unterrepräsentation von Frauen in der österreichischen Forschungslandschaft. Nur knapp über ein Drittel der Projektförderungen (35,5 Prozent) gehen an Frauen.

Obwohl die Frauenquoten bei Projekten in den Fachgebieten Biologie, Medizin, Geistes- und Sozialwissenschaften über 40 Prozent liegen, drückt das Fachgebiet Naturwissenschaften und Technik den Durchschnitt. In diesem Bereich liegt die Quote an bewilligten Projekten bei gerade einmal 20 Prozent. Auch die internationalen GutachterInnen sind zum Großteil männlich. Gerade einmal 24,1 Prozent der Gutachten werden von Frauen verfasst. Das ist auch nicht verwunderlich. Global betrachtet, ist weniger als ein Drittel der WissenschafterInnen weiblich (Unesco Institute for Statistics, pdf).

Abb. 1 Gestellte und bewilligte Projekte (FWF Chancengleichheit 2018).

Abb. 2 Angefragte und erhaltene Gutachten (FWF Chancengleichheit 2018).

In den nächsten Jahren soll es beim FWF zu einer Veränderung kommen. Wie im Mehrjahresprogramm 2019-2021 bekannt dargelegt wird, sollen die oben genannten Frauenförderprogramme komplett gestrichen werden. Das Hertha-Firnberg-Programm und das Lise-Meitner-Programm werden zu einem Early-Stage-Programm zusammengeführt und das Elise-Richter-Programm wird mit dem Start-Programm zu einem Advanced-Stage-Programm zusammengelegt. Bei beiden Programmen sollen sowohl männliche, als auch weibliche Forschende einreichen dürfen. Das Early-Stage-Programm richtet sich demnach an WissenschafterInnen am Beginn ihrer Karriere, um in der Forschung Fuß zu fassen. Das Advanced-Stage-Programm soll bei der Weiterentwicklung und Durchführung innovativer Projekte helfen. Warum aber ein bestehendes Modell verändern?

Abb. 3 Politische Meilensteine der Frauenförderung in Österreich.

Die Karriereprogramme werden „regelmäßig einer Zielüberprüfung unterzogen und – wo notwendig – weiterentwickelt“, so der FWF. „Die Universitäten verändern sich, so müssen es die Karriereproramme auch“. Besonders hervorgehoben wird allerdings, dass sich die Programme besonders auch an Frauen richten. Die Hälfte der Mittel soll an Frauen gehen und die Bewilligungsquote darf die der Männer nicht unterschreiten. Dabei soll auch an Frauen mehr Geld gehen, da diese Programme mit 40 Millionen Euro budgetiert werden sollen. Das Elise-Richter-Programm und Lise-Meitner-Programm waren zusammen auf 13 Millionen Euro budgetiert.

Es wird also wieder weniger auf Frauenförderprogramme gesetzt, sondern die Entwicklung soll wieder in Richtung Quotenregelungen gehen. Es besteht jetzt natürlich auch Grund zur Sorge, dass gute Projekte von Männern abgelehnt werden, weil zu wenige Frauen eingereicht haben und so wieder ein Ungleichgewicht entstehen wird. Der FWF teilt diese Bedenken jedoch nicht. „Die Anzahl der Doktorandinnen und Absolventinnen könne man nicht dahingehend deuten“, so Barbara Zimmermann vom FWF.

Dass die altbewährten Frauenförderprogramme auf der anderen Seite auch belächelt werden, hat Sonja Puntscher Riekmann auch schon am eigenen Leib erfahren. Sätze wie „Sie haben den Grant ja nur bekommen, weil Sie eine Frau sind“, gab es schon öfter. Trotzdem haben die Frauenexzellenzprogramme einen hervorragenden Ruf. Dies ist dem FWF bewusst. „Etablierte Frauenförderungsmaßnahmen“ sollen weitergeführt werden. Wie das aussehen wird, ist noch nicht ganz ersichtlich. Es wird sich also in den nächsten Jahren zeigen, wie das Projekt „Frauenquoten“ funktionieren wird. Der Staat sollte sich aber die Chance nicht entgehen lassen, gut ausgebildete Frauen zu fördern und diese 50 Prozent deshalb nicht einfach vergessen.

Titelfoto: Sciene Raft am Inn. Foto: J. Ecker

Die Innauen erforschen, wie keiner zuvor, und auf diese sensiblen Ökosysteme aufmerksam machen: Das haben sich sechs Mitglieder der ABA-Regionalgruppe Westösterreich (WÖB) mit dem Science Raft zum Ziel gesetzt. Vor kurzem haben sie via Boot rund 65 Kilometer auf dem Inn zurückgelegt und dabei Interessantes entdeckt.

Kälte. Sie kommt zuerst, wenn man sich in die milchig-grünen Fluten des Inn gleiten lässt, spürt, wie sein Wasser das Neopren durchdringt, bevor sich eine wärmende Isolationsschicht aufbauen kann. Heftig gegen die Strömung ankämpfend, beginnt man zu verstehen, welche Kräfte die Landschaftsstrukturen und Lebensgemeinschaften bestimmen, die unter dem Begriff „Au“ bekannt sind. Es sind schützenswerte Ökosysteme, die in ständigem Austausch mit dem Fluss stehen – wie also könnte man dieses teils schwer zugängliche Terrain besser erforschen als per Boot? Sechs „Science Rafter“ – Anna Schöpfer, Lena Nicklas, Gabriel Gruber, Moritz Falch, Vera Margreiter und Julia Ecker – haben sich, unterstützt vom WWF Interreg-Projekt INNsieme sowie der Wasserrettung Innsbruck und einer Filmemacherin auf die Reise begeben und Interessantes entdeckt.

Start in der Milser Au_(c) L. Reggentin / WWF

Von Mils bis Silz via Wildwasser

Die Expedition startete frühmorgens an einem sonnigen Tag – zunächst noch an Land, mit der Milser Au: ein botanisches Kleinod, das man hinter der stark frequentierten Raststätte dort kaum vermutet hätte. Den Lebensraumtyp hier, Großröhricht, gibt es in Tirol sehr selten. Prompt fielen den Botanikern der Crew auch Typha angustifolia (Schmalblättriger Rohrkolben) und vor allem Eleocharis mamillata (Zitzen-Sumpfbinse) ins Auge, letztere haben sie vorher noch nie gesehen.

Der Platz gefiel, doch der straffe Zeitplan trieb zur Eile: In 4 Tagen wollte das Team mit Hilfe der Wasserrettung flussabwärts bis Langkampfen raften, also 140 Kilometer per Fluss zurücklegen – das Ziel dabei: während der kurzen Stopps so viele Arten und geomorphologische Besonderheiten wie möglich in den Auen zu dokumentieren. „Das ist wichtig. Die Auen sind ein dynamischer Lebensraum“, erklärt Vera, „es gibt da einige Spezialisten, die verschwinden, wenn das nicht mehr so dynamisch ist – zum Beispiel, wenn die Wasserzufuhr wegfällt. Man muss einfach kennen, was man schützen soll.“

Fürs Erste galt es aber im Rafting-Boot Etappe 1 zu bestreiten. Zwischen Mils und Imst ging es zunächst noch ruhig dahin. Man bestaunte, wie das Wasser in hundert glitzernden kleinen Rinnsalen die hineinragenden Schotterbänke überspülte und von dort wieder zurück in den Hauptarm floss. Dann änderte der Auslass des Kraftwerks Imst die Wasserfarbe des eben noch klaren Inns zu milchig-graugrün und brachte neue Strömungskraft mit sich. Ab Imst klang der Expeditionscrew bereits das laute „vorwärts, kräftig vorwärts!“ und „stop!“ des Rafting-Guides zwischen den Wellenbergen der gewundenen Imster Schlucht in den Ohren. Ein Riesenspaß – aber kein Kindergeburtstag. Während man seine Beine krampfhaft in die Bootsritzen krallte, um während der Manöver auf der meist befahrendsten Rafting-Strecke Europas genug Halt zu haben, und paddelte, was das Zeug hielt, war das Fachliche einen Augenblick völlig vergessen. Da zeigte der Inn, was er kann – ebenso wie der Rafting-Guide, der sich über das Gejauchze im Boot sichtlich freute.

Botanisieren in der Silzer Au_(c) J. Ecker

Schatzkiste Silzer Au

Bei der Silzer Au angekommen, ließen sich die Ausmaße der Inn-Gewalt und ihr Einfluss auf die umgebende Landschaft erkennen. Flussseitig hatte die Au noch eine recht „aufgeräumte“ Uferstruktur und wirkte – abgesehen vom Lärm der nahen Autobahn bzw. Zugstrecke fast idyllisch. Doch dort, wo der Inn sich gelegentlich seinen Weg ins Innere des Auwaldes bahnt, zeigte sich ein wilderes Bild: Im untertags kaum Wasser führenden, gefurchten Seitenarm lag viel angeschwemmtes und abgelagertes Totholz, das den Arm unterteilte, als wären es schlampig gezimmerte Biberburgen, mit trüben Pfützen dazwischen.

„Aber das ist es grade: Wenn man sich die Flüsse in Österreich anschaut, gibt es wenige Orte, wo es so vielfältige Strukturen gibt. Das Wertvolle dran ist einfach, dass es Lebensraum ist für verschiedenste Lebewesen; für Amphibien, Insekten, Mikroorgansimen, die hier Strukturen haben, wo sie sich wohlfühlen. Die haben sie nicht mehr, wenn alles hart verbaut ist, weil der Fluss einfach in einer Linie fließt.“

Gabriel Gruber, Limnologe

Auch botanisch gesehen seien solche Schwemmfluren wie Schatzkisten, ergänzt Moritz. Man wisse vorher nie, was man hier findet. Der Austausch mit dem Wasser ist also maßgeblich für die Auen: „Es sind Hotspots der Artenvielfalt – zwar nicht so bekannt wie der Amazonas“, räumt Anna ein, „aber es sind bei uns oft die letzten Refugien, weil hier so ein breites Spektrum an ökologischen Nischen da ist.“ Mit einer Renaturierung ließen sich diese Nischen mancherorts teilweise wiederherstellen: Man schafft damit wieder Strukturen, die geeignet sind für Pioniergehölze, und die gut vom Hochwasser überflutete werden können.

Natürliche Strukturen in der Silzer Au_(c) J. Ecker

Von Mieming und Müll

Stromabwärts trugen bald schon ruhigere Gewässer die Rafter vorbei an der Mieminger Kette, was für Staunen sorgte – der Blick vom Wasser aus macht selbst Bekanntes wieder neu erlebbar. Die Mieminger Au prägt zum einen der Wasserfall, der sein Wasser aufgesplittet in kleinen Bächlein durch ein breites Kiesbett zum Inn schickt. Viel Geröll kommt hier in den Fluss. Es finden sich schöne Schotterbänke, Sandbänke und Seitenarme, und in Ufernähe diverse Weidenarten. Die Au zeigt aber auch den menschlichen Einfluss: Müllspuren. „Die Leute gehen gern in die Schutzgebiete, weil es sonst nicht mehr so viele Orte gibt, die schön sind, und da gibt es dann öfters einen Nutzungskonflikt“, weiß Lena. Das kann auch Schutzgebietsbetreuer Gebhard Tschavoll vom WWF bestätigen. Als die Gruppe anlegte, war er gerade dabei Abfall in der Au einzusammeln. Neben der Verbauung ist auch das ein Problem, zumal Tafeln keine Wirkung zu zeigen scheinen. „Aber es gibt auch Leute, die sich gut verhalten“, betont Anna, und da sei es schön zu sehen, wie wohl sich die Leute am Fluss fühlen.

In der Mieminger Au_geomorphologische Beobachtungen (c) J. Ecker

Mit der Regenfront von Gaisau bis Kranebitten

Weniger wohl fühlt sich nasser Neopren bei Regen und kühlem Wind an: Die prophezeite Regenfront hatte die Rafter schließlich eingeholt. Trotzdem erwanderte man sich – noch immer im Anzug – die teils wild wuchernde Gaisau. Sie verbirgt sich hinter einer Böschung und beinhaltet neben umgebenden Feuchtwiesen auch einen idyllischen Weiher, an dem viele seltene Pflanzen- und Tierarten, unter anderem der Eisvogel, leben.

Mit kräftigen Ruderschlägen gegen die Kälte, erreichten die Rafter am späten Nachmittag die Kranebitter und Völser Auen bei Innsbruck, die allerdings wetterbedingt noch bis zum nächsten Tag warten mussten. Die Purpurweiden sowie Reifweiden und Grauerlen dort sind typisch für eine weiche Au. Von den Strukturen war allerdings am nächsten Tag nicht mehr viel zu erkennen – durch das Regen bedingte Hochwasser waren beim Besuch der Rafter einige Schotterbänke schon überspült, auch die Flutmulden des Auwalds haben sich mit Wasser gefüllt – ebenso wie die Schuhe der Crew. Da war der Neoprenanzug wieder willkommen.   

Weiher in der Gaisau_(c) J. Ecker

Endspurt mit Rettungseinsatz

Dem Endspurt nach Innsbruck zur geplanten Pressekonferenz kam allerdings noch ein Notfall der Wasserrettung dazwischen. Hektisch wurde umgeplant. Nichtsdestotrotz landete die Truppe schließlich doch sicher am Marktplatz an – bei immer noch strömendem Regen. Vizebürgermeisterin Uschi Schwarzl ließ sich die Begrüßung trotzdem nicht nehmen, wäre sie doch ursprünglich gern selbst ein Stück mitgefahren. Auch Elisabeth Sötz vom WWF interreg Projekt INNsieme war da. Das Fazit der Rafter bei der Endbesprechung war klar: Noch mehr Renaturierung wäre gut für die Auen, denn auch wenn es einige schöne, naturnahe Abschnitte am Inn gibt, gibt es immer noch zu viel hart verbaute Uferabschnitte, die die Auen austrocknen lassen. Auch ein direkterer Zugang zum Inn in der Stadt Innsbruck wäre wünschenswert, natürlich unter Berücksichtigung des Hochwasserschutzes.

Unter Berücksichtigung des eigenen Schutzes vertagte man Etappe 4 nach Lamgkampfen auf ein Wochenende im Oktober. Schweren Herzens. Als allerdings die ersten Baumstämme den nunmehr schlammfarbigen, stark angestiegenen Inn hinunterströmten, bereute diese Entscheidung keiner mehr. Die Rafter überließen die Auen vorerst wieder den formenden Kräften des Hochwassers, denn mittlerweile konnte man sie wieder deutlich spüren, die Kälte – trotz der Isolationsschicht des Neoprens. Das letzte Streckenstück ist aber bereits in Planung, mit neuen spannenden Augebieten flussabwärts, und hoffentlich etwas mehr Sonne.

WOEB Rafting Team und die Wasserrettung_(c) Christina Schmölz

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Weiterführende Links und Artikel

https://www.wwf.at/de/innsieme-erster-science-raft-am-inn-gestartet/?useMobile=false

https://www.krone.at/2220107

https://tirol.orf.at/stories/3064438/

Der Unterrichtsgegenstand Biologie und Umweltkunde umfasst vielfältige Lerninhalte. Um diese Themenfülle zu ordnen, wurden im Lehrplan für die Oberstufe (2018) sieben Basiskonzepte der Biologie formuliert. Sie helfen, erlernte Inhalte zu vernetzen und wiederkehrende biologische Grundprinzipien zu erkennen.

Themenvielfalt im Biologieunterricht

Mit der letzten Lehrplanbearbeitung 2017/2018 der Sekundarstufe II (Oberstufe) wurden für den Unterrichtsgegenstand Biologie und Umweltkunde sieben „Basiskonzepte der Biologie“ definiert. Sie sollen Ordnung in die biologische Themendiversität bringen.
Grundsätzlich legen die Lehrpläne des Bundesministeriums  fest, welche Themen (Lerninhalte) eines Unterrichtsgegenstandes in welcher Schulstufe unterrichtet werden. In der Biologie reihen sich vielfältige Themen aneinander, wie ein stichwortartiger Auszug aus der 5. Klasse für allgemeinbildende, höhere Schulen zeigt: Die Zelle, Mitose, Pro- und Eukaryoten, Mikroorganismen, Biotechnologie, Botanik, Assimilation und Dissimilation, Ökologie und Nachhaltigkeit, Organsysteme des Stoffwechsels, gesunde und ausgewogene Ernährung. Die Reihenfolge der Einheiten ist den Lehrkräften überlassen. In den Folgejahren setzt sich die bunte biologische Vielfalt fort.

Auf den ersten Blick scheint der Biologieunterricht ein Sammelsurium von Themen ohne roten Faden zu sein. Natürlich basiert die Strukturierung des Lehrplans aber auf didaktischen Überlegungen. Dem Alter der Schülerinnen und Schüler entsprechend gehen die Lerninhalte von bekannten Phänomenen aus und nähern sich dem Unbekannten: Haustiere, Verdauungsorgane und Aufbau einer Blüte in der 1. Klasse bis zu Gentechnik und Evolutionstheorien in der 8. Klasse. Trotz einiger Bearbeitungen in den letzten Jahren hat sich im groben Aufbau des Lehrplans wenig geändert. Vorschläge, Wünsche und Kritik an der Lehrplangestaltung hat es auch von Seiten der ABA bereits bei der Gründung des Vereins vor 25 Jahren gegeben (damals noch als VÖBL Verein österreichischer Biologielehrer).

Die Basiskonzepte im Lehrplan 2018

Auch die letzte Bearbeitung des Oberstufenlehrplans hat keine wesentliche Veränderung der Inhalte gebracht. Eine wichtige neue Ergänzung sind die sieben Basiskonzepte. Sie sind in der Oberstufe für alle Schulstufen gleichlautend formuliert und stellen quasi „sieben rote Fäden“ durch die Biologie dar. Der Lehrplan für die Sekundarstufe I (Mittelschule, Unterstufe) ist derzeit in Bearbeitung. Es ist anzunehmen, dass die Basiskonzepte demnächst auch dort Einzug finden werden.

Das Ziel dieser Basiskonzepte ist es, den Schülerinnen und Schülern einen strukturierten Blick über den Themendschungel Biologie zu ermöglichen. Die Wiederholung derselben Basiskonzepte über Kapitel und Jahrgänge hinweg ermöglicht eine Quervernetzung von Inhalten, die im Alltag üblicherweise nicht miteinander in Verbindung gebracht werden (z.B. Stoffaustausch in der menschlichen Lunge und an Blättern eines Baumes, siehe Abb. 1). Neu erlernte Inhalte werden dadurch mit bereits bekannten Phänomenen verknüpft und das Verständnis für wesentliche Merkmale biologischer Systeme und Prozesse wird gefestigt.

Abb. 1: Struktur und Funktion. Das Prinzip der Oberflächenvergrößerung ist überall dort von Bedeutung, wo an Oberflächen ein Stoffaustausch stattfindet, z. B. im Blattwerk von Bäumen oder der Lunge des Menschen.

Keine Revolution, aber Unterstützung

Hinsichtlich der übrigen Vorgaben und den erforderlichen Lerninhalten wurde der Lehrplan wenig verändert. Die Anzahl der Themen, die in einem Schuljahr unterrichtet werden müssen, ist nach wie vor sehr groß. Inhaltlich und didaktisch revolutionieren die Basiskonzepte den Unterricht sicherlich nicht, denn Quer- und Rückverweise auf bereits Erlerntes haben Lehrerinnen und Lehrer immer schon in ihren Unterricht einfließen lassen. Mithilfe der Basiskonzepte geschieht dies nun routinemäßig und strukturiert. Mit der Verankerung im Lehrplan werden sie auch in den Schulbüchern Einzug halten.

Die Basiskonzepte im Überblick

Struktur und Funktion

Ausprägung und Form von Merkmalen lebendiger Systeme (Struktur) hängt mit deren Wirkungsweise (Funktion) zusammen. Beispiele sind das Prinzip der Oberflächen­vergrößerung oder das Schlüssel-­­Schloss-­Prinzip.

Steuerung und Regelung

Lebewesen reagieren auf Veränderungen, um bestimmte Zustände aufrechtzuerhalten. Beispiele sind Rückkoppelung-Mechanismen im Stoffwechsel (Homöostase) oder Räuber-Beute-Beziehungen auf ökosystemarer Ebene.

Reproduktion

Die Lebensdauer von Organismen ist begrenzt. Sie müssen sich selbst reproduzieren, um das Überleben ihrer Art zu sichern. Das gilt für Menschen genauso wie für Bakterien oder Bäume (“eine Eiche ist das Mittel einer Eichel neue Eicheln zu produzieren”). Möglich ist das dadurch, dass jede Zelle aller Organismen ihren genetischen Bauplan in sich trägt und diesen verdoppeln kann.

Stoff- und Energieumwandlung

Lebewesen sind auf eine Energiezufuhr von außen angewiesen, um den eigenen Energiebedarf auszugleichen. Die externe Energie muss in eine Form umgewandelt werden, die im Organismus gespeichert und wieder freigesetzt werden kann. Diese Prozesse finden sich u.a. bei der Ernährung des Menschen und bei der Foto- und Chemosynthese anderer Organismen.

Kompartimentierung

Abgegrenzte Reaktionsräume innerhalb von Zellen oder Organismen ermöglichen den ungestörten, parallelen Ablauf verschiedener Prozesse. Zellen stellen eine wichtige Grund­einheit lebendiger Systeme dar (Baustein­prinzip). Kompartimentierung findet sich auf Ebene von Zellen (Zellorganellen), Geweben und Organen (Viel­zelligkeit, Spezialisierung) oder auch bei Gesell­schaften und Populationen (Arbeits­teilung).

Information und Kommunikation

Zellen, Gewebe, Organe und Organismen können Information aus ihrer Umwelt aufnehmen, bearbeiten und weiterleiten. Signale müssen dabei vom Sender verschlüsselt und vom Empfänger ent­schlüsselt werden können. Austausch von Informationen findet zwischen Zellen, Individuen und per Erb­information sogar über Generationen hinweg statt.

Variabilität, Verwandtschaft, Geschichte und Evolution

„Nothing in Biology makes sense except in the light of evolution” (Dobzhansky, 1973). Dieses Zitat unterstreicht die Bedeutung dieses zentralen Basis­konzeptes, das mit allen anderen verknüpft ist.
Lebewesen sind an ihre jeweilige Umwelt angepasst, als (Zwischen-)Ergebnis eines andauernden Entwicklungs­prozesses. Alle rezenten Arten sind ein Produkt ihrer stammes­geschichtlichen Entwicklung und stehen in einem Verwandt­schafts­verhältnis zueinander.
Der Grad der Verwandtschaft wird auf molekularer Ebene, z.B. beim Blick auf DNA-Sequenzen, ebenso ersichtlich wie bei morphologischen Untersuchungen. Dieses Verständnis schärft die Eigen­wahrnehmung des Menschen als Teil der Natur und ist somit Voraussetzung für ein ökologisches und nachhaltiges Handeln.

Titelfoto: evdn via pixabay

2019 wurde das „Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat“ ins Leben gerufen. Es soll einen Anreiz bieten, sich in pflanzlicher Diversität zu vertiefen. Das Zertifikat gibt Interessierten die Möglichkeit, ihre botanischen Artenkenntnisse und weitere freilandrelevante Fähigkeiten unabhängig und nach einheitlichen Standards überprüfen zu lassen.

Schlagwörter wie Artenschwund, Diversitätsverlust oder Biodiversitätskrise haben heute mittlerweile auch den Weg über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Flora und Fauna hinaus gefunden. Veränderung unserer heimischen Diversität in Form von Wandel und Verlust finden unbestreitbar statt  und sie ist regelmäßiger Teil der medialen Berichterstattung geworden und so auch ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

Artenkennerinnen und -kenner werden selten

Es gibt aber einen weiteren Aspekt in Zusammenhang mit Biodiversität, der kaum nach außen dringt und damit der Allgemeinheit meist verborgen bleibt – nämlich die Situation der Artenkenner. Aussagen wie „Artenkenntnis bzw. Artenkenner stehen selbst auf der Roten Liste“ bringen zum einen den Zustand zum Ausdruck, dass versierte Freilandbiologinnen und -biologen mit fundierter Artenkenntnis selbst zu den bedrohten Arten zählen. Sie spiegeln aber auch den subjektiven Eindruck beharrlich abnehmender Artenkenntnis wider. Tatsächlich zeigt sich die Situation in Form von Gutachten und Kartierungen im Auftrag der öffentlichen Hand, im Wissenschaftsbetrieb von universitären Einrichtungen oder wissenschaftlichen Sammlungen von Museen und Universitäten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nicht zuletzt kommt auch der Verschiebung der Schwerpunktsetzung in der einschlägigen Ausbildung an den Universitäten, angepasst an die Vergabekriterien von Wissenschaftsfonds und den Schwerpunktsetzungen wissenschaftlicher Zeitschriften oder Tagungen eine tragende Rolle zu.

Die derzeit zunehmende Diskussion im Zusammenhang mit dem Biodiversitätswandel verdeutlicht einmal mehr, dass oft die Grundlagen für eine seriöse Beurteilung der Veränderungen fehlt. Eine entsprechende Datenerhebung wäre dringend notwendig, dazu fehlt jedoch meist das Geld und immer öfter auch qualifizierte Artenkenner, für manche Organismengruppen gibt es sie fast gar nicht mehr.

Das „Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat“ bescheinigt Artenkenntnis

Vor diesem Hintergrund wurde unter der Federführung des Instituts für Botanik der Universität Innsbruck in einer Zusammenarbeit von einschlägigen botanischen Forschungs- und Sammlungseinrichtungen wie Universitäten und Museen nach einer Möglichkeit gesucht, einen Anreiz zu schaffen und Freilandbotanik und botanische Artenkenntnis wieder ins Gespräch zu bringen. 2019 wurde basierend auf einem in der Schweiz seit Jahren erfolgreichen Modell das „Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat“ ins Leben gerufen.

Das „Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat“ gibt allen Interessierten die Möglichkeit, ihre botanische Artenkenntnis und weitere freilandrelevante Fähigkeiten unabhängig nach einheitlichen Standards überprüfen zu lassen. Die Prüfungen werden von einschlägigen botanischen Einrichtungen öffentlicher Institutionen wie Universitäten oder Museen abgehalten. Die Zertifizierung umfasst die Prüfungsabwicklung und Ausstellung des Zertifikates. Eigene Kurse werden im Rahmen der Zertifizierung nicht angeboten. Die Ausstellung des Zertifikates erfolgt im Namen des „Verein zur Erforschung der Flora Österreichs“, die verwaltungsmäßige Abwicklung über das Institut für Botanik der Universität Innsbruck.

Das Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat soll Interesse an pflanzlicher Diversität wecken und gleichzeitig auch Anreiz sein, sich darin zu vertiefen. Der Zugang zu den Prüfungen ist daher einfach und unkompliziert, Voraussetzungen werden nicht verlangt. Zudem hat man die Möglichkeit, je nach eigenem Kenntnisstand und eigener Einschätzung derzeit zwischen drei Stufen zu wählen, die jeweils drei unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden vom Einsteiger bis stark Fortgeschrittenen entsprechen. Grundsätzlich liegt bei allen Stufen der Fokus auf Artenkenntnis.

Drei Stufen zum Freilandbotanik-Gütesiegel

Die erste Stufe verlangt ausschließlich das sichere Erkennen von 250 Arten. Die Stufen zwei und drei umfassen 500 bzw. 750 Arten. Hier kommen aber zunehmend weitere, ebenfalls durchwegs Freiland relevante Kenntnisse dazu. Insbesondere die dritte Stufe soll mit 750 Arten, 60 Gattungen und 40 Familien und deren Merkmalen, erweitert durch das Ansprechen von Lebensräumen und Lebensgemeinschaften, Kartierung und Bestimmung eine echte Herausforderung darstellen, die einem „Gütesiegel“ gleichkommt.

Es gibt ein österreichweites Zertifikat mit einer Basisliste an Arten. Regionale Unterschiede in der österreichischen Flora können aber berücksichtigt werden, indem der Tausch von bis zu 50 Arten gegenüber der Basisliste pro Stufe und Prüfungsstandort möglich ist. Dies soll insbesondere Einsteigenrinnen und Einsteigern den Zugang erleichtern. Derzeit kann man zwischen fünf Prüfungsstandorte wählen. Zur Erlangung des Zertifikates sind für die Stufen 1 und 2 dezentrale Prüfungen an allen fünf Prüfungsstandorten vorgesehen, die Stufe 3 wird zentral in Innsbruck durchgeführt. Die Prüfungsantritte pro Person sind nicht begrenzt und Einsteigen ist auf jeder Stufe möglich.

Ein paar Fotos gleich zur Übung (deswegen stehen keine Namen dabei):

Interesse geweckt?

Konnten Sie die Arten erkennen und die Fragen beantworten?
Die heurigen Prüfungstermine finden Anfang Juli und im September 2020 statt!
Weitere Informationen zum Zertifikat, Artenlisten, Prüfungsstandorten und Prüfungsterminen finden Sie unter folgendem Link:

Titelbild: Dipetalogaster maxima während des Saugvorganges an einem Schabrackentapir (Tapirus indicus); Bild: André Stadler

Blutproben liefern Veterinärmedizinern wichtige Rückschlüsse auf das Wohlbefinden eines Tieres. Deswegen ist eine Blutentnahme zur Erstellung einer Diagnose bei Wirbeltieren von großer Bedeutung. Während die Blutprobenentnahme bei Haustieren noch relativ einfach zu erledigen ist, gestaltet sich diese bei Zoo- und Wildtieren deutlich schwieriger. Viele Tierarten, die in zoologischen Gärten gehalten werden, können nicht beliebig fixiert oder soweit beruhigt werden, dass der Tierarzt eine Blutprobe mit Hilfe einer Kanüle abnehmen kann. Dieses ist bei vielen Tieren nur unter Narkose möglich, die wiederum eine zusätzliche Gefahr für die Tiere darstellt. Dieses Risiko wird bei vielen Arten nicht oder nur in Notfällen eingegangen. Eine Alternative dazu stellt der Einsatz von blutsaugenden Raubwanzen aus Mittel- und Südamerika dar.

Die Wanzen der Unterfamilie Triatominae ernähren sich ausschließlich von Blut. Sie werden auf Grund dieser Eigenschaft für die Xenodiagnose bei Menschen empfohlen (MARSDEN et al. 1979). Bei dieser schon kurz nach der Erstbeschreibung der Chagas-Krankheit (Trypanosoma cruzi) Anfang des 20. Jahrhunderts eingesetzten Diagnosemethode, werden Raubwanzen aus sterilen Laborzuchten beim Menschen eingesetzt. Diese saugen das Blut mit Hilfe ihres Saugrüssels, welcher feiner ist als eine handelsübliche Kanüle. Enthält das Blut Trypanosomen, so vermehren sich diese in den Wanzen und können später mikroskopisch viel leichter nachgewiesen werden, als die wenigen ursprünglich im Blut der Menschen enthaltenen Parasiten (BRUMPT 1914).

Neben der Xenodiagnose werden Triatominen aus Laborzuchten in den letzten Jahren auch zunehmend als „lebende Spritzen“ zur Blutgewinnung bei kleinen Wirbeltieren eingesetzt, bei denen die Entnahme mit einer Kanüle risikoreich ist. Bei bisherigen Studien an Fledermäusen (Microchiroptera), Flussseeschwalben (Sterna hirundo), Primaten und Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) fanden Untersuchungen zum Energieaufwand der nektarsaugenden Fledermäuse und zur Hormonanalytik bei Kaninchen erfolgreich statt (VON HELVERSEN & REYER 1984, VON HELVERSEN et al. 1986, VOIGT et al. 2004, 2006, BECKER et al. 2005, THOMSEN & VOIGT, 2006).

Abb. 1 Nahaufnahme des Saugrüssels der Raubwanze, angesetzt an einer Afrikanischen Zwergziege (Capra hircus f. dom.). Foto: André Stadler
Abb. 2 Nahaufnahme des fünften Larvenstadiums (L5) von Dipetalogaster maxima. Foto: Stephan Gatzen

Während bisher vor allem der Nachweis von Parasiten bzw. die Bestimmung von Hormontitern im Vordergrund standen, sollten die Untersuchungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit überprüfen, ob sich die Raubwanzen der Familie Reduviidae ebenfalls zur nicht-invasiven Gewinnung von Blutproben bzw. zur anschließenden Bestimmung klinisch relevanter Blutparameter bei Zootieren eignen.

Biologie der Raubwanzen

Bei der Insekten-Familie Reduviidae ernähren sich die mehr als 130 Arten der Unterfamilie Triatominae in den postembryonalen Stadien ausschließlich von Blut, das sie für die Häutung benötigen. Die Häutung findet nach einer verdauten Blutmahlzeit statt (LENT & WYGODZINSKY 1979, SCHOFIELD 1994). Diese größten blutsaugenden Insekten besitzen Speichelkomponenten, die die Reizleitung unterbinden, sodass der Anstich und die bis zu 20 Minuten andauernde Aufnahme von bis zu 3,8 ml Blut vom Wirt nicht wahrgenommen wird (SCHAUB & POSPISCHIL 1995, DAN et al.1999). Triatominen nehmen das 6-12fache ihres Körpergewichtes an Blut auf, das zunächst in den großen erweiterbaren Abschnitt des Mitteldarmes, den Magen, gelangt. Durch die rasche Entnahme der wässrigen Blutbestandteile wird der Mageninhalt aufkonzentriert und – abgesehen von einer Auflösung (Hämolyse) der Blutzellen erst nach ca. 3 – 4 Tagen – unverändert gelagert. Anschließend gelangt er portionsweise in den verdauenden Mitteldarmabschnitt, den Dünndarm (BAUER 1981, SCHAUB 2001).

Da der Hinterleib der Wanzen (Abdomen) vollgesogener Larven fast kugelrund ist und sich die Larven schlecht fortbewegen können, besitzen Triatominen das effektivste Exkretionssystem des Tierreiches und beginnen z.T. schon zum Ende der Blutaufnahme mit der Ausscheidung der wässrigen Blutbestandteile (MADRELL 1969). Triatominen kommen fast nur in Lateinamerika vor, vom Süden der USA bis nach Argentinien, und können dort den Erreger der Chagas Krankheit, den Einzeller Trypanosoma cruzi, übertragen (SCHAUB 1996).

Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit eingesetzte Art Dipetalogaster maxima findet sich nur in der Nebelwüste auf der niederkalifornischen Halbinsel in Mexiko und ist mit 33 – 42 mm die größte bekannte Triatominen-Art (RYCKMAN & RYCKMAN 1963, LENT & WYGODZINSKY 1979). Wegen der lebensfeindlichen klimatischen Bedingungen müssen diese Raubwanzen sehr aggressiv sein und stechen die Wirte rasch an. Sie saugen an allen warmblütigen Vertebraten, vor allem an Reptilien und kleinen boden- oder baumlebenden Säugetieren sowie Vögeln und sind im Gegensatz zu den meisten nur nachtaktiven Triatominen auch tagaktiv (RYCKMAN & RYCKMAN 1963, LENT & WYGODZINSKY 1979).

Methodik

Die eingesetzte Raubwanze Dipetalogaster maxima wird unter standardisierten Bedingungen bei 26 ± 1°C, 70 – 80% relativer Feuchte und einem 16/8 Hell-Dunkel-Rhythmus mit Hühnern (Gallus gallus f. dom.) als Wirten im Labor gezüchtet (SCHAUB 1989). Verwendet werden meist die vierten oder fünften Larvenstadien (L4 bzw. L5) ihres Entwicklungszyklus.

Bei der Blutentnahme mit der Raubwanze werden verschiedene Einsatzmöglichkeiten überprüft. Hierdurch soll festgestellt werden, ob und wie Raubwanzen in der täglichen Arbeit von Veterinären in Zoologischen Gärten als Hilfsmittel bei der Bestimmung von hämatologischen und chemischen Blutparametern eingesetzt werden können.

Die Raubwanzen werden in drei verschiedenen Weisen an die zu untersuchenden Tiere gebracht. Die erste Variante ist, entsprechend der generellen Praxis bei Xenodiagnosen, das Anhalten eines Gefäßes, bei dem die Öffnung mit Gaze verschlossen wird, durch die hindurch die Raubwanzen das zu beprobende Tier anstechen können. Dies wurde im Zoo bereits erfolgreich vom Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW, Berlin) bei Primaten eingesetzt (HOFFMANN et al. 2005). Im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen wurden durchsichtige Plastikbecher eingesetzt, welche keine Vorrichtung zum Fixieren der Raubwanzen enthielten, sondern – wie bei der Xenodiagnose – nur kleine Pappkartons, in denen sich die Tiere frei bewegen konnten, um den Wirt in Verlängerung ihrer Körperachse anstechen zu können. Dies bewirkte meistens ein rascheres Anstechen als die Verwendung eines Gefäßes ohne Karton (SCHAUB 1990). Vor dem Ansetzen der Gläser wurde mehrmals kräftig in die Gläser gehaucht oder das Gefäß an den eigenen Unterarm gehalten, um die Saugbereitschaft der Wanzen zu erhöhen.

Abb. 3 An einem Afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana) angesetztes Gefäß, befüllt mit Dipetalogaster maxima. Foto: Stephan Gatzen
Abb. 4 Stimulation der Raubwanzen in ihrem Gefäß über die Atemluft. Foto: Zoo Wuppertal

Bei der zweiten Variante wurden die Raubwanzen direkt auf das zu untersuchende Tier gebracht. Teilweise wurden die Raubwanzen hierbei, um das Wiederfinden zu erleichterten, mit weißen Bindfäden markiert. Diese wurden entweder mit Sekundenkleber an der Brust der Raubwanze (Thorax) befestigt oder um selbigen geknotet. Diese Methode wurde u.a. an einem Asiatischen Löwen (Panthera leo persica), Okapis (Okapia johnstoni), Tapiren (Tapirus sp.), Banteng (Bos javanicus), Nebelparder (Neofelis nebulosa), Kanadischen Wölfen (Canis lupus hudsonicus) und an Afrikanischen Zwergziegen (Capra hircus f. dom.) eingesetzt.

Abb. 5 Zwei blutsaugende Raubwanzen auf dem Rücken eines Asiatischen Löwens (Panthera leo persicus). Foto: André Stadler
Abb. 6 An einem Okapi (Okapia johnstoni ) saugende Raubwanze, markiert mit einem weißen Bindfaden. Foto: André Stadler

Eine dritte Variation der Positionierung der Raubwanzen war bei Tieren zu bevorzugen, die bestimmte Positionen in Ruhezonen einnehmen. Bei ihnen konnte unter die Ruhezone eine Schublade mit den Gefäßen der Raubwanzen eingebracht werden. Diese Methode wurde problemlos in den Schlafboxen von Erdmännchen (Suricata suricatta) (STADLER 2005) und bei Sandkatzen (Felis margarita) eingesetzt. Die Schlafbox wies einen modifizierten Boden auf, der an sechs verschiedenen Stellen mit einer Metallgaze verschlossene Öffnungen aufwies. Darunter befanden sich die Plastikgefäße mit den Raubwanzen.

Abb. 7 Sandkatze (Felis margarita) in einer mit Raubwanzen vorbereiteten Schlafkiste. Foto: André Stadler
Abb. 8 Präparierter Boden einer Schlafkiste für Erdmännchen (Suricata suricatta) im Wuppertaler Zoo. Foto: André Stadler

Direkt oder zu definierten Zeiten nach der Blutaufnahme wurde das Blut analog zu vorherigen Studien (z.B. VON HELVERSEN 1986) mit einer handelsüblichen 21G Kanüle aus dem Magen der Raubwanzen in eine Spritze aufgenommen und umgehend in ein Lithium-Heparin-Gefäß überführt. Letzteres ist aber nicht unbedingt notwendig, da der Speichel der Raubwanzen ausreichend Gerinnungshemmer (Antikoagulantien) enthält, führt aber zu einer verbesserten Genauigkeit der Parameter. Mit Hilfe des Blutgasanalyse-Gerätes i-STAT und mit Hilfe eines Vetscan oder in kommerziellen Laboren wurden bis zu 22 klinisch relevante Blutparameter bestimmt. Die molekularbiologischen Analysen erfolgten per PCR während die Untersuchungen auf Tierseuchen mit Ausnahme der Malariadiagnostik ausschließlich in zertifizierten Diagnostiklaboren erfolgte. Eine Bestimmung der Malariaparasiten im Blut erfolgte per Blutausstrichanalyse während die Hormonmetabolitbestimmung per ECLIA bzw. Elisa-Test erfolgten (STADLER 2019).

Abb. 9 Einführen der Kanüle in das Abdomen der Raubwanze, um das Blut abzuziehen. Foto: Stephan Gatzen

Abb. 10 Raubwanze während des Saugvorganges an einem Sambischen Kleingraumull (Fukomys anselli). Foto: André Stadler

Ergebnisse und Diskussion

In insgesamt 12 europäischen Ländern wurde in 47 Institutionen bei 72 verschiedenen Arten erfolgreich Blut abgenommen. Dazu gehörten neben vier Reptilien- auch drei Vogelarten und 65 Arten von Säugetieren. Eingesetzt wurde ausschließlich die Triatomine Dipalogaster maxima als „lebende Spritze“, da diese Art die höchste Aggressivität zeigte und die größte Blutmenge aufnahm. Bei der methodischen Anwendung im Zooalltag, um über gewonnene Blutproben die klassische Hämatologie zu untersuchen, erwiesen sich die Raubwanzen als sehr gut einsetzbar. Dabei war der Kaliumwert ein guter Richtwert, um die ggf. einsetzende Hämolyse der Probe beurteilen zu können. Auch der erstmalig nachgewiesene Glukoseabbau innerhalb des Wanzenmagens betont die Notwendigkeit des raschen Arbeitens.

Bei der genetischen Unterartbestimmung der Erdferkel fand sich zwar kein genetisches Muster, aber es bestätigte sich die Hypothese, dass die „lebenden Spritzen“ gut zur Probengewinnung eingesetzt werden können. Die Analyse auf verschiedene Tierseuchen – Brucellose, Tuberkulose, Malaria und Blauzungen-Krankheit – war erfolgreich und lieferte keine falschpositiven oder falschnegativen Nachweise. Die Stresshormon-Untersuchungen bestätigten die Vorteile der minimal invasiven Blutentnahme über Raubwanzen. Bei Ratten und Elenantilopen ist die Blutentnahme mittels Raubwanzen empfehlenswert, da sie relativ stressfrei ist. Problematischer waren bei den endokrinologischen Analysen die Progesteronanalysen, bei denen zwar die Konzentrationen erfolgreich bestimmt wurden, aber die Genauigkeit des Testverfahrens verstärkt mit konventionell entnommenem Blut verglichen werden musste, da bei Elenantilopen in 78 % der mit Raubwanzen gewonnenen Proben eine sechsfach höhere Konzentration vorlag.

Abb. 11 Einsatz der Spezialgefäße an einem weiblichen Okapi (Okapi johnstoni) im Wuppertaler Zoo. Foto: Zoo Wuppertal

Literatur
Die Literatur kann beim Verfasser angefordert werden.

Logo Alpenzoo Innsbruck

Alpenzoo Innsbruck-Tirol

https://www.alpenzoo.at/de

Weiherburggasse 37

A-6020 Innsbruck

Titelbild: Bernt Ruttner

Anlässlich unseres 25-jährigen Bestehens befragten wir langjährige Vereinsmitglieder zur Entwicklung des Vereins und der Biologie in Österreich. Vielen Dank an Dr. Bernt Ruttner, Gründungsmitglied der ABA (vormals VÖBL), für das Interview.

Mit welchen Erwartungen und Hoffnungen sind Sie vor 25 Jahren der Austrian Biologist Association (ABA) beigetreten?

Die ABA wurde als VÖBL, als Vereinigung Österreichischer Biologielehrer, von den Landes­arbeits­gemeinschaftsleitern der AHS gegründet. Gedacht war, einen Biologielehrer-Verein zu schaffen, der – analog zu den Vereinen der Chemie- oder der Geographielehrer – außerhalb des Ministeriums und der Landesschulräte Informationen und Fortbildungen organisieren kann. Im Gegensatz zu den anderen Vereinen fehlten uns aber zahlungskräftige Sponsoren. Landwirtschaftskammern oder Pharmafirmen trauten den Biologielehrern nicht so richtig über den Weg. Bei Chemie und Geographie waren die wirtschaftlichen Interessen klar, bei Biologie nicht. Außerdem erlebte die politische Partei der Grünen ihren ersten Aufschwung und irgendwie nahm man an, dass Biologielehrer automatisch Grüne sein müssten. Dennoch wurde der Verein gegründet und gleich auch das Konzept einer informativen Zeitschrift erarbeitet, an der sich jede interessierte Biologielehrkraft beteiligen konnte. Sie hieß VÖBL und wandelte sich im Laufe der Zeit ins „bioskop“.

Zudem wollte die ABA gegenüber dem Ministerium eine weisungs­unabhängige Vertretung erreichen und sich aktiv an der Lehrplan-Diskussion beteiligen beziehungs­weise die Stundentafel für die Biologie ändern – Stichwort: 7.-Klasse-Loch. Auch die Ausweitung des Vereines auf andere Schulformen wie zum Beispiel den Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) wurde angestrebt, um eine Vertretung aller Biologielehrer zu erreichen. Das gelang auch, allerdings schlug sich diese Erweiterung nicht unbedingt in den Mitgliederzahlen zu Buche, wie erhofft.

Enttäuscht waren wir vom Ministerium, weil nie ein maß­geblicher Vertreter (Vorstandsmitglied, Präsident) in die Lehrplankommission eingeladen wurde und auch das Schließen der 7.-Klassler-Lücke wurde leider nicht erreicht. Allerdings konnten wir im schulautonomen Bereich Modelle erstellen, wo dieses Vorhaben gelang.

Welches Resümee ziehen Sie nach 25 Jahren?

Die VÖBL beziehungsweise die ABA haben eine lange Entwicklung hinter sich. Der erste Schritt vom reinen Biologielehrer-Verein weg gelang mit dem Andocken an die EU. Die ABA vertritt damit die biologischen Interessen EU-weit. Die Öffnung für alle Biologen war der nächste Schritt. Schon der zweite Präsident war keine Lehrkraft. Zunehmend kristallisierte sich heraus, dass die ABA eine Vertretung aller in biologischen Fachbereichen Tätigen sein sollte, sprich: Die Biologie in Österreich hat einen Namen. Dazu fand auch die Umbenennung von VÖBL zu ABA statt. Die modernen IT-Technologien machten eine intensive Vernetzung möglich. Mit dem Newsletter wurde ein weiterer Schritt zur Attraktivität erreicht. Dank junger Kräfte im Vorstand konnten auch die Universitäten „erobert“ werden. Es freut mich auch, dass wir jetzt eine sehr engagierte und durchschlagskräftige Präsidentin haben.

Selbst wenn die Mitgliederzahl höher sein könnte – viele „Gründungslehrer“ sind mittlerweile in Pension – ist die ABA für die Biologie in Österreich wichtig und hat eine 25-jährige Erfolgsgeschichte hinter sich. Die Gründung lag seinerzeit sozusagen in der Luft. Der Zulauf vor allem junger Biologen zeigt, dass die Anliegen der ABA noch immer aktuell sind.

Warum braucht es eine Österreichische Biologen-Vereinigung?

Biologische Berufe sind weit gestreut, vom Lehrer über Angestellte in den verschiedenen Verwaltungsebenen (Land, Bund) und bei den Kammern sowie in der Industrie (zum Beispiel Pharma- und Umweltreferenten) und vor allem als Selbstständige. Auch wenn die Wirtschaftskammer die Vertretung der Selbstständigen beansprucht, bin ich mir nicht sicher, ob die ideellen und fachlichen biologischen Ziele bei der Kammer wirklich gut aufgehoben sind. Daher ist die Vernetzung der Biologen Österreichs ein wichtiger Aspekt der ABA. Sie dient einerseits als Stellenbörse, andererseits der Abstimmung untereinander, um über bestimmte aktuelle Themen eine einheitliche Meinung zu repräsentieren.

Wie soll die Österreichische Biologen-Vereinigung diese Ziele ihrer Meinung nach erreichen?

Viele Ziele sind bereits erreicht. Was wir noch besser machen können, ist die Kommunikation mit der medialen Öffentlichkeit via Presseaussendungen oder Pressekonferenzen. Damit die Stimme überall gehört wird. Das würde wahrscheinlich auch einen gewissen Mitglieder-Zulauf mit sich bringen. Allerdings muss ich selbstkritisch dazu anmerken, wir haben dieses Ziel in der Vergangenheit auch nur selten geschafft. Über die Formulierung von Positionspapieren sind wir auch nicht weit hinaus gekommen. Die IT-Generation wird das aber sicher besser machen.

Wen betrachten Sie unter Österreichs Biologen für sich persönlich als die größte Inspiration und warum?

Das ist schwierig zu sagen, da ich die Biologie praktisch mit der „Vatermilch“ aufgesogen habe. Mein Vater war ebenfalls Naturgeschichtelehrer, wie es damals hieß, und Botaniker. Ich lernte also von klein auf Freilandbiologie. Er gründete auch die Landesorganisation der Österreichischen Naturschutzjugend, kurz ÖNJ, in Oberösterreich und vor ein paar Jahren stellte sich heraus, dass er der beste floristische Kenner des Castelfeders war. Das ist ein naturgeschützter Porphyrhügel im Südtiroler Unterland. Dort hielt er im Sommer immer ein ÖNJ-Lager ab. Auch diese Tradition führte ich noch circa 30 Jahre lang weiter. Weiters wurde ich natürlich auch von meinem Doktorvater Heinrich Wagner beeinflusst, der mir mitgab, die Pflanzendecke nicht „einzuschachteln“ sondern als Kontinuum zu betrachten. Eine Sichtweise, die nicht nur für die Pflanzendecke gilt, sondern auch in der Evolution und damit für die  ganze Betrachtungsweise der Biologie wichtig ist.

Mit welchem biologischem Fachbereich beschäftigen Sie sich zurzeit?

Eigentlich interessiert mich noch immer alles und ich versuche von den neuesten Erkenntnissen in allen Fachbereichen etwas mitzubekommen – also Genetik, Humanevolution, Evolution und Systematik und und und … Das geht ganz gut über diverse Newsletter und auch gute Sachbücher. So zum Beispiel jetzt gerade ein Buch über „Künstliche Photosynthese“, das gute und sachliche Argumente in der laufenden Diskussion zu E-Autos oder H-Antrieb liefert.

Im Herbst hielt ich einen Vortrag über das Verhältnis von Religion und Wissenschaft. Ebenfalls ein spannendes Kapitel, das weit über den bekannten Streit Darwin versus Kirche hinaus geht.

Daneben bemühe ich mich in meinem Heimatort Timelkam die naturwissenschaftliche Abteilung im neuen Heimat- und Archivmuseum einzurichten. Ich halte die Popularisierung der Naturwissenschaften – im besten Sinne – für einen ganz wichtigen Aspekt unserer gesellschaftlichen Entwicklung. In England gibt es dafür sogar einen eigenen Lehrstuhl.

Vielen Dank!

Dr. Bernt Ruttner ist Gründungsmitglied der ABA (vormals VÖBL), AHS-Biologielehrer (in Ruhe), ehem. Landes ARGE-Leiter v. OÖ, ehem. Bundessprecher der ARGE-Leiter, Schulbuchautor, Pflanzensoziologe und Exkursionsleiter.

Titelbild: Auf der Seegrube oberhalb von Innsbruck (Foto: Riccabona)

Sigbert Riccabona und Johannes Kostenzer haben als Umweltanwälte Tirols die Natur stets im Blick gehabt und viel erlebt: von blühenden Projekten und keifenden Bürgermeistern bis hin zu ökologischen Harakiri-Unternehmungen. Im Gespräch mit bioskop erzählen sie, was sich in den letzten Jahrzehnten bezüglich Natur in Tirol getan hat und was noch geschehen muss, damit das Alpenland bleibt, was die Postkartenidylle verspricht.

Abb. 1: Johannes Konstanzer, aktueller Landes­umwelt­anwalt von Tirol.

 „Tirol isch lei oans…“ tönt es bei so manchem Volksmusik­abend und meint damit nicht nur heimatliche Gefühle. Im Hintergrund schwingt sie mit, die Postkarten­romantik als „Sehn­suchtsort im Herzen der Alpen“, wie es die Tirol Werbung nennt: Mehr hoch als weit, mit viel Tradition, Sportsgeist und vor allem Natur pur verteilt auf rund 12.640 km2. Wie sehr aber um diese (noch) intakte Natur gerungen werden muss bei all dem Fortschritt und der Globalisierung – vor allem in den letzten 25 Jahren – davon kann die Umwelt­anwaltschaft ebenfalls ein Lied singen.

So treffen dort, mitten in Innsbruck, unlängst zwei aufeinander: Der eine bärtig, mit freundlichen Augen, Jahrgang 1942, der andere etwas jünger, dynamisch in seinen Bewegungen, mit gewinnendem Lächeln. Es handelt sich um den ehemaligen Landesumweltanwalt Sigbert Riccabona und den aktuellen Landesumweltanwalt Johannes Kostenzer. Noch ehe das Gespräch offiziell beginnt, stehen beide im regen Austausch: über früher, über heute – aber was hat sich verändert?

Mehr Achtsamkeit, mehr Technikwahn

Abb. 2: Sigbert Riccabona, ehemaliger Tiroler Landesumweltanwalt. Blick vom Ende der Tiroler Alpen hinaus auf entspanntes, flaches, mitunter sanft-hügeliges Alpenvorland bei Pfronten.

Da ist zum Beispiel das Verständnis der Bevölkerung für die Natur. Grüne Wiesen entlang der Autobahn seien toll, erklärt Riccabona, „wenn ich aber durch diese Wiesen spaziere, ist das ein ganz anderes Erlebnis und dieses fühlende sich in der Natur bewegen, da gibt es heute Impulse, die es früher nicht gegeben hat. Da war das selbstverständlich.“ Grund für diese neue Achtsamkeit mögen auch die technischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte sein. Sie stehen dem Naturerlebnis antagonistisch gegenüber. Gibt das Smartphone beim Wandern nämlich den Geist auf, sei bei vielen Kindern Trübsal blasen statt Natur genießen angesagt, weiß Riccabona. Selbiges gilt wohl auch für manchen Erwachsenen. Die Natur sei dann nur mehr „nette Spielerei“. Der momentane Trend zu mehr Achtsamkeit soll dem entgegenwirken und die Natur wieder in den Fokus rücken.

Gelingen tut das nicht immer. Das Problem bestehe auch darin, dass sich der Mensch seit etwa 30 Jahren immer weniger als Teil der Natur begreift, ist Kostenzer überzeugt. Damit reduziere sich das empathische Miteinander auf ein wirtschaftliches, das sich groteskerweise aber trotzdem wieder der Naturbilder bedient. Warum? „Weil Dinge wie ein Sonnenaufgang am Berg trotzdem jeden Menschen berühren“, stellt Kostenzer klar, „und da würde ich schon erwarten, dass man dem auch Wertschätzung zukommen lässt.“

Natur als Cashcow und Kulisse

Über Definition und Ausdruck dieser Wertschätzung ist man sich aber bisweilen wohl nicht ganz einig. Im Tourismus etwa wird das Grün kombiniert mit steilem Fels sehr wohl geschätzt, aber mehr als Cashcow, denn um seiner selbst wie es scheint. Ein Beispiel dafür stellt der Trend zur Megareisegruppe dar. Eine hat vergangenen Frühling üppig „Selfie bestickt“ unter anderem Schweizer Naturjuwele wie den Dreitausender Titlis erklommen: 12.000 Chinesen und Chinesinnen, verteilt auf drei Wochen. Ähnlich dürfte das Szenario im 700-Seelenort Hallstatt im Salzkammergut sein, mit über 19.000 Bussen jährlich. Die Kassen klingeln – die Anrainer scheinen nur murrende Statisten in diesem „Freilichtmuseum“, die Natur reine Kulisse.

So arg ist es in Tirol noch nicht. Dennoch scheint das Interesse an Wachstum im Tourismus und damit Gewinn auch hier präsent, besonders im Winter. Nicht umsonst pumpen Investoren derzeit 180 Millionen Euro in ein Bauprojekt in Kitzbühel, wie der SPIEGEL neulich berichtete. Ein Nobelresort am Wasenmoos-Gebiet soll es werden, wo es offenbar kaum Plastik geben wird, aber dafür Rodung, 500 neue Betten nebst einem Schutzgebiet und einen Elektro-Porsche für jeden, der eines der dreizehn millionenschweren Chalets kauft.

Das hat Geschichte, wie Riccabona weiß. Schon in der Zwischenkriegszeit habe das bäuerliche Tirol mit dem Tourismus angefangen, „da waren die skifahrenden Städter für die Bauern allerdings noch Spinner.“ Nach dem zweiten Weltkrieg sei die Landwirtschaft dann versorgungstechnisch noch wichtiger geworden: 90 % des Grund und Bodens habe den Bauern gehört, die zunehmend in die Politik drängten. Man entdeckte erneut, dass sich Tourismus auszahlen könnte. Pragmatisch fällte man Bäume und baute Häuser – „Hotels, die alle ausschauen wie aufgeblasene Bauernhöfe“, bemerkt Riccabona, „die Geburtsstunde des bäuerlichen Kitschs.“ Ab da musste es immer schneller gehen. „Wenn ein Seilbahnunternehmer damals eine Seilbahn bauen wollte, habe ich gesagt: Schaut‘s wenigstens auf eine ordentliche Architektur“, erzählt Riccabona, da kam‘s postwendend zurück: „Hört‘s ja nicht auf den, die Architektur kostet nur Zeit und Geld.“

Abb. 3: Beschneiungsanlage Sölden. Erdbewegungen, Teich und Leitungen im Gletschervorfeld; Foto: S. Riccabona

Naturschutzprobleme als Raumordnungsprobleme

Heutzutage mag man im touristischen Tirol stilvoller bauen. Der Anfang bleibe laut Riccabona aber der gleiche: Ein neues Produkt, dass in die Zeit passt, nachhaltig wirkt, aber am Ende zu einem rein technischen Projekt avanciert, ohne soziale Betrachtung. Das betrifft auch Innsbrucks Beschaffenheit. Der ehemalige Umweltanwalt sieht das kritisch: „Vielleicht gibt‘s jetzt eine Seilbahn mitten in der Stadt, um die Mobilität zu verbessern, vielleicht geht es ums Energiesparen, aber nicht darum, dass man beim Bauen ein Miteinander sucht und durchmischte Gebiete erhält mit Lebensqualität.“

Das Miteinander insgesamt in Tirol gestaltet sich durch den hohen Zerschneidungsgrad der Täler tatsächlich schwierig. Schuld daran sind auch die größeren Bau- und Pistenprojekte der letzten Jahre. Manche Zusammenschließungen von Skigebieten wie etwa Saalbach-Fieberbrunn seien relativ harmlos, meint Kostenzer, andere wiederum wie etwa das aktuelle Projekt Kappl-St. Anton durchschneide wichtige Korridore und Rückzugsräume für Tiere. Mit der Raumordnung seien auch derartige Überlegungen ins Hintertreffen geraten. „Es gibt zwar eine Wohlmeinung dazu, dass es gescheit wäre, solche Dinge in die Planung einzubeziehen. De facto passiert in die Richtung aber wenig bis nichts. Man müsste überörtlich Überlegungen anstellen – nicht nur für Tiere, sondern auch für den Mensch“, betont Kostenzer. So seien auch neue Siedlungserschließungen oft nur auf Autos ausgerichtet: „Da gibt`s dann Schleifen, wo man mit dem Auto super reinfahren kann, aber wenn einer zur Kirche gehen will, dann muss der das Auto nehmen oder einen riesen Umweg gehen. Das sind Kleinigkeiten, aber da ist viel falsch gelaufen. 70 % der Naturschutzprobleme sind heute eigentlich Raumordnungsprobleme.“

Das kommt auch vom Inseldenken, ergänzt Riccabona. Man fokussiere oft nur einen Aspekt. Neben dem Naturschutz gehe es in wachsenden Ballungsräumen wie dem Inntal auch darum, eine neue Kulturlandschaft zu finden und dafür brauche es zusätzlich gezielte Landschaftsplanung:

„Wenn man die Gewässer in den Vordergrund stellen würde, hätte man eine Multifunktionalität: Naherholungsräume, Überflutungsräume, aber auch Übergangszonen. Ganzheitlich gedacht wäre das das Um und Auf, und nicht, dass jede Gemeinde der anderen Gemeinde die Hochhäuser aufsetzt und nur an sich denkt. Das ist ein großes Manko.“

Sigbert Riccabona

Mit der Idee, Korridore und Übergangszonen zu schaffen, sei man übrigens schon bis zum Landtag gegangen – dort fand man die Idee gut, aber die Umsetzung habe man sich nicht vorstellen können. Man wolle bei etwaigen Unfällen in diesen Bereichen nicht haften, habe es da geheißen.

Abb. 4: Rückbau. Renaturierung am Inn in der Imsterau; Foto: Riccabona

Die Sache mit der Artenvielfalt

Trotzdem gab bzw. gibt es in Tirol weiterhin Bemühungen für mehr Biodiversität und geschützte Übergangsorte im Siedlungsraum. „Blütenreich“ nennt sich zum Beispiel ein Projekt der Umweltanwaltschaft, welches seit September 2015 in mittlerweile fast 30 Tiroler Gemeinden erfolgreich läuft.  Dabei werden naturferne Flächen wie Begleitstreifen von Geh- oder Radwegen möglichst naturnahe gestaltet, um Verbindungswege, Lebensräume und Rückzugsorte für (bedrohte) Tiere und Pflanzen zu schaffen. „Richtig behandelt wird ein schmaler Streifen zum Biotop,“ erklärt Kostenzer. Es geht ihm aber nicht nur um solche Flächen. Tirol zeichnet die Höhenerstreckung aus, dadurch sind nur 12% des Bundeslandes dauerhaft besiedelbare Fläche. So gebe es zwar wesentlich mehr Tier- und Pflanzenarten als in homogenem Gelände, gleichzeitig aber „ist es weniger auffällig, wenn eine Vogelart nach der anderen verschwindet. Wir erleben es gerade ganz akut, dass die Artenvielfalt, die wir gewohnt sind und als Kinder selbstverständlich gefunden haben, die wir in den letzten 20 Jahren mit Monitoring und Schutzmaßnahmen versucht haben zu erhalten, trotzdem abnimmt. Das ist ein Problem, mit dem man sich auseinandersetzen muss.“

Dialoge von Klimanotstand bis Wasserkraft

Der Klimawandel erschwert die Situation zusätzlich. Da braucht es Fingerspitzengefühl im Dialog. Riccabona kennt das noch von seiner Zeit als Umweltanwalt, wo ihm ein schimpfender Bürgermeister einst die Augen öffnete. „Auf scharfe Angriffe scharf zurückreden bringt nichts“, hat er damals gelernt, „man sollte lieber fragen: Warum hat der eine andere Meinung…“  Nachhaltigkeit sei eben auch ein soziales Projekt, wo die Zivilgesellschaft  eingebunden gehöre. Man müsse erkennen, dass das längere Prozesse sind und da brauche es Leute, die das begreifen.

In Innsbruck gibt es mit der jetzigen Grünen Stadtregierung, die heuer auch den Klimanotstand ausgerufen hat, durchaus guten Willen. Nur das Land müsse insgesamt noch nachziehen, meint Kostenzer:

„Wenn ich mir anschaue, wo und wie überall gebaut werden darf, bis hinauf zu den Bergstationen und Skierschließungen, die eine Dimension haben, größer wie ein Museum für moderne Kunst im Tal, quasi Shopping-Malls am Berg – und das alles ohne irgendeine raumordnerische Prüfung, das versteh‘ ich einfach nicht und das geht nach wie vor.“

Johannes Konstenzer

Ähnliches gilt für den Ausbau der Energieversorgung, Stichwort Wasserkraft. „Ein energieautarkes Haus ist gar nicht so futuristisch, aber für die TIWAG wäre das ein Horror, wenn jeder sich selbst versorgt. Da wird ziemlich geschwiegen oder man hat Angst davor“, mutmaßt Riccabona. Schon bei seinen damaligen Verhandlungen mit dem Landeshauptmann habe es geheißen, man müsse zwecks Geld den Strom ins Ausland verkaufen. Dagegenreden sei schwierig gewesen, auch dank einer Tiroler Eigenheit:

Egal welch gute Gespräche man in der Kaffeepause geführt habe, in der Verhandlung habe sich plötzlich alles dem Grundsatz „Zum Wohle des Landes“ gebeugt. Wer nicht dafür sei, kritisiere das Land. „Ein freier Dialog war damals nie möglich“, räumt Riccabona ein.

Kostenzer setzt heute eher auf fachliche Kompetenz: Er legt unaufgefordert eigene Daten zu bestimmten Sachverhalten vor und macht mit seinem Team gebetsmühlenartig auf die Problematiken aufmerksam. So finde man langsam immer mehr Gehör und es habe sich auch einiges geändert. Beispielsweise hat Kostenzer vor 25 Jahren als Sachverständiger für Wasserkraftanlagen noch miterlebt, wie zahlreiche neue Anlagen ohne ausreichende Berücksichtigung ökologischer Aspekte durch das Land genehmigt wurden – das war modern. Gewusst wo, gewusst wie sei mittlerweile nicht nur der Ansatz der Umweltanwaltschaft, sondern auch der Behörde und vieler Planungsbüros.

Trotzdem, er halte sich nicht mit Überzeugungsarbeit auf: „Davon habe ich mich schon lang verabschiedet. Das Beste, was man erreichen kann, ist dem anderen verständlich zu machen, warum man selber so denkt”, sagt Konstenzer, „wenn das einen Nachdenkprozess auslöst, ist das für mich schon ein Erfolg und ändert oft auch die Situation.“

Künftig mehr Weitblick statt Tunnelblick

Vieles konnte in den letzten Jahrzehnten verbessert werden, manches ist noch in der Pipeline. Grundsätzlich aber müsse für die Zukunft auch im Umweltverständnis umgedacht werden, meint Riccabona. Es gehe um eine neue Strategie. Zurzeit habe noch jeder seinen Tunnelblick auf den eigenen Bereich gerichtet: die Wasserkraft auf ihre Pläne, der Tourismus auf seine und die Biologie auf ganz eigene Interessen. Inseldenken eben. Dabei ließe sich oft eine Verbindung herstellen.

Tatsächlich hieß es in einem Zeitungsartikel unlängst, Tourismus und Umweltanwaltschaft seien in gewisser Hinsicht eher „Zwillinge als Gegner“. Das stimme zumindest in der Hinsicht, als eine „attraktive Naturlandschaft genau das ist, was auch der Gast möchte“, präzisiert Kostenzer. Gleichzeitig steige dadurch unsere Lebensqualität. Die Balance macht`s, zudem eine gewisse Vielfalt und Flexibilität. „Es darf nur alles nicht allzu sehr beschleunigt werden“, gibt Riccabona zu bedenken, „es muss wachsen können, dass es auch gelebt werden kann.“ Bei der Jugend habe er da bereits interessante Denkanstöße bemerkt, etwa bei Architekturstudenten, die versuchen ganzheitliche Projekte mit Weitblick zu gestalten oder jungen Künstlern, die sich der Vergangenheit bedienen, um in der Gegenwart Neues für die Zukunft zu schaffen. Dafür müsse längerfristig aber auch ein gesünderes Verhältnis zwischen Tourismus, einheimischer Bevölkerung, Landschaft und Bewirtschaftung erreicht werden, ist Kostenzer überzeugt. Denn letztendlich isch Tirol eben net lei oans, es ist Vieles und all das müsse in Zukunft wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

Sigbert Riccabona

ist 1942 in Innsbruck geboren und hat Kulturtechnik und Wasserwirtschaft sowie Raumplanung und Raumordnung in Wien studiert. Als Jungingenieur sollte er durch Entwässerungen und Flussbegradigungen das „10. Bundesland“ Österreichs miterschaffen, erkannte aber die fatalen Auswirkungen und rief später den ersten Förderschlüssel zum Rückbau von Gewässern ins Leben. Von 1990 bis 2007 wurde er zum ersten Landesumweltanwalt Tirols und behielt neben den Fakten fortan auch die ästhetische und emotionale Landschaftskomponente im Blick. Riccabona lebt heute in Innsbruck.

Johannes Kostenzer

ist Kufsteiner, Jahrgang 1965, Biologe und seit 2008 Landesumweltanwalt von Tirol. Sein Interesse an unversehrter Natur war immer schon groß und dieses Interesse möchte er auch bei anderen wecken. So ist Kostenzer unter anderem auch der Initiator des jährlich stattfindenden, international bekannten Nature (Film) Festivals in Innsbruck. In seiner Freizeit beschäftigt er sich gern mit Kunst bzw. Architektur und paddelt auf europäischen Flüssen oder Bächen. Nachdenken kann er aber am besten im Gehen, am liebsten über mehrere Tage hinweg, wie er sagt. Kostenzer hat zwei Kindern und lebt in Innsbruck.

Tiroler Umweltanwaltschaft: http://www.tiroler-umweltanwaltschaft.gv.at/

Titelbild: Julie-Kolibrie auf Pixabay

Anlässlich unseres 25-jährigen Bestehens befragten wir langjährige Vereinsmitglieder zur Entwicklung des Vereins und der Biologie in Österreich. Vielen Dank an Dr. Günter Krewedl für das Interview!

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