Die Vegetationsökologin Dr. Sabine Rumpf ist am Bodensee aufgewachsen. Nach der Schule hat sie Biologie studiert: in Wien, im norwegischen Bergen und auf Spitzbergen in der Arktis. Heute ist sie Professorin an der Universität Basel in der Schweiz. Was macht eine Vegetationsökologin? Das uns viel mehr erzählt sie uns im Interview.
Das Interview gibt es auch zum Nachlesen im bioskop!

Das Naturwissenschaftsparkett – „ein Paradeis, für den, der gut zu tanzen weiß“ … und der männlich ist, wie es oft scheint. Ulrike Tappeiner (EURAC Bozen), Gabriele Werner-Felmayer (Med. Univ. Innsbruck) und Helma Wennemers (ETH Zürich) beweisen mit ihren herausragenden Karrieren das Gegenteil. Ein Gespräch über Forschung aus Leidenschaft, strategische Entscheidungen und persönliche Erfolgsrezepte.

Sendung auf Freies Radio Innsbruck (https://www.freirad.at/) am 8.3.2021

Die Naturwissenschaften sind bisweilen wie gebohnertes Parkett, „ein Paradeis, für den, der gut zu tanzen weiß“ – und der männlich ist, wie es oft scheint. Doch gibt es sie, die weiblichen Vorbilder, die mit ihren Karrieren und Forschungserfolgen aktuell das Gegenteil beweisen. Eine „Tanzanleitung“.

Es ist ein ungewöhnliches Bild, das am 07. Oktober 2020 um die Welt geht – zwei Frauen, ein Nobelpreis für Chemie: Jennifer A. Doudna und Emmanuelle Charpentier überzeugen mit ihrer Forschung zu CRISPR/Cas9. Beide tragen Halstücher, lächeln in die Kamera. An der Stelle hätte so mancher eher Krawatten erwartet, Anzüge, Bärte, womöglich eine Brille zwischen angegrauten Schläfen. Die Naturwissenschaft ist für gewöhnlich männlich, zumindest auf dem Weltmeisterschaftsparkett. Zwei Naturwissenschaftlerinnen auf dieser Bühne, an sich schon selten in Nobelpreissphären, und dann noch als Team ist eine Revolution – ein erfreulicher Fortschritt und zugleich ein gesellschaftlich beschämender: denn unter mehr als 900 Laureaten, die seit 1901 ausgezeichnet wurden, waren trotz vorhandener Kandidatinnen bislang nur 57 Frauen; weniger als die Hälfte davon ausgezeichnet im Bereich Naturwissenschaft.

Mind the gap

Das spiegeln nicht nur die männlich dominierten Bildgalerien vieler Universitäten wider, sondern auch aktuelle Statistiken. Laut Eurostat betrug der Frauenanteil bei rund 15 Millionen WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen in der EU im Jahr 2018 zwar 41 %. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich jedoch länder- und fachspezifisch große Unterschiede. So ist nur in vier EU-Mitgliedsstaaten das Verhältnis relativ ausgewogen (Litauen, Bulgarien, Lettland, Dänemark). In manch anderen Mitgliedsstaaten beträgt der Frauenanteil weniger als ein Drittel, etwa in Deutschland.

Österreich wiederum liegt im EU-weiten Vergleich mit Platz 10 gut im Rennen, bewegt sich aber was den Anteil der Naturwissenschafts-Absolventinnen betrifft noch immer bei nur 38 %: der Löwenanteil davon angesiedelt in den Biowissenschaften, dann folgen mit Abstand Mathematik & Statistik, Exakte Naturwissenschaften und, deutlich abgeschlagen, die Informatik. Schaut man zudem auf das obere Ende der Karriereleiter nehmen die Zahlen weiter ab. In der Schweiz etwa halbiert sich die Zahl der Frauen auf dem Weg Richtung Professur.  

Das verwundert nicht, scheinen doch weibliche Vorbilder, die es in die Spitzenforschung geschafft haben, auf den ersten Blick dünn gesät. Doch es gibt sie durchaus – nicht nur frühere Größen, wie Marie Curie mit ihren Arbeiten zur Radioaktivität oder Emmy Noether, die Begründerin der modernen Algebra. Auch aktuell finden sich weltweit Naturwissenschaftlerinnen mit tollen Karrieren, die in diversen Funktionen tätig sind und damit beweisen, dass man es schaffen kann.

Tanz auf dem Naturwissenschaftsparkett – drei Forscherinnen berichten

Im deutschen Raum gehören zu dieser Riege etwa Helma Wennemers,  Professorin für Organische Chemie an der ETH Zürich und Leiterin des Instituts für Organische Chemie; Ulrike Tappeiner, Professorin für  Ökologie an der Universität Innsbruck, Institutsleiterin am Institut für Alpine Umwelt an der EURAC Bozen und Präsidentin der Freien Universität Bozen sowie Gabriele Werner-Felmayer, Professorin für Biologische Chemie an der Medizinischen Universität Innsbruck und Vorsitzende von Ethucation, der österreichischen Einheit des Internationalen Netzwerks für Medizinethik. Alle drei haben sämtliche Stationen durchlaufen, die es braucht, um in einer akademischen Laufbahn erfolgreich zu sein, und haben viele Hürden selbst erlebt oder beobachten können.

Frauen in den Naturwissenschaften
Ulrike Tappeiner (c) unibz, Helma Wennemers (c) ETH Zürich, Gabriele Werner-Felmayer (c) MUI/D. Bullock

#Vorrunde – Mut zu MINT

Beobachtbar sei z.B., dass es schon früh eine gesellschaftliche Erwartungshaltung und stereotype Vorstellungen gibt, welche oft auch von den Medien mitgetragen werden, betont Ulrike Tappeiner. Helma Wennemers hat die Auswirkungen bereits miterlebt: „Bei der Veranstaltung Girls at Science vor einigen Jahren hat ein Journalist ein Mädchen gefragt, ob sie auch Professorin werden wolle“, erzählt Wennemers, „es meinte darauf, als Mädchen wird man Laborantin, studieren ist was für Jungs.“ Das zeige, dass man die Gesellschaft mehr in die Pflicht nehmen müsse.  Studien zeigen zudem, dass die Erwartungshaltung sogar die Notengebung in der Schule negativ beeinflusst – als Folge trauen sich Mädchen manche MINT-Fächer oft nicht zu oder verlieren das Interesse. Das schlägt sich wiederum in der Einschreibungsstatistik der Universitäten nieder. Man müsse daher früh ansetzen, sind sich die Professorinnen einig.  

#Zwischenrunde– Partnersuche

Nach PhD und Post Doc – „wenn die Luft dünner wird“, wie es Gabriele Werner-Felmayer ausdrückt – seien dann härtere Bandagen und Sportsgeist gefragt, sowohl auf Konferenzen als auch bei Forschungsanträgen. Seilschaften und MentorInnen sind in dem Abschnitt der Karriere besonders wichtig. „Allerdings tun sich Männer etwas leichter damit, auf Netzwerke zuzugreifen“, meint Tappeiner. Frauen verfügen oft nicht über solche „Buddy Systeme“, gerade weil es so wenig Frauen in diesen Sphären der Naturwissenschaften gibt. Entweder macht man es also wie Nobelpreisträgerin Frances Arnold und sucht sich kurzerhand einen männlichen Mentor, der einen unterstützt, oder man wendet sich an spezielle Mentoring-Programme wie an jenes in Innsbruck. Gabriele Werner-Felmayer engagiert sich dort seit 15 Jahren beim Helene Wastl Medizin Mentoring-Programm für Frauen: „Es soll Frauen bei der Karriereplanung unterstützen, auch bei Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Forschung.“

#Endrunde – den Balanceakt schaffen

Familiengründung ist nicht leicht als Forscherin, v.a. nicht während der turbulenten Zeit bis zur Habilitierung, sofern diese angestrebt wird. Aber es ist möglich, wie die Professorinnen aus Erfahrung wissen. Allerdings gehe es nicht ohne Unterstützung des Arbeitgebers und des Umfeldes. Da seien auch die Väter gefragt – viele engagieren sich heute bereits sehr, wie die Professorinnen in ihren Forschungsgruppen bemerken. Einen besonders geeigneten Zeitpunkt für Familie gäbe es jedoch nicht, das sei situationsabhängig. Eine gewisse Unsicherheit bei der Planung resultiere da immer auch aus dem System heraus, weiß Tappeiner. „Die kurzen Verträge sind ein großes Problem.“ Auch unterschiedliche Regelungen in der EU machen die Situation schwierig. So gibt es z.B. das international lange etablierte Tenure-Track-System, das angehenden ProfessorInnen eine Laufbahnstelle verschafft, in Österreich de facto erst seit 2015. Da sei auch die Politik in der Pflicht, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, meint Werner-Felmayer.

Wer wagt gewinnt

„Was man in der Wissenschaft braucht sind Förderer“, sagt Tappeiner, Förderer und MentorInnen, die weiblich oder eben auch männlich sein können und sollen. Je bunt gemischter das Umfeld, desto besser. Das gilt für Forschungsgruppen ebenso wie für Gremien und Kommissionen, die z.B. über eine Berufung entscheiden. Hier können Frauenförderprogramme helfen sowie Quoten, aber mit Maß. Schließlich wolle keine nur als “Quotenfrau” berufen werden oder der Quote wegen ihre ganze Zeit in Gremien zubringen müssen, statt zu forschen, betont Tappeiner. Prinzipiell aber „macht unser System solche Regelungen nötig, damit sich was ändert“, ist Werner-Felmayer überzeugt. Am Ende hat jedoch jede Forscherin ihre Karriere selbst in der Hand. Frauen, die das Naturwissenschaftsparkett erobern möchten, sollten es daher wie beim Tanzen machen: eine grundsätzliche „Choreographie“ überlegen, individuelle Schritte wählen, die begeistern, optimistisch sein, dass es klappen wird und dann step by step ihren eigenen Weg auf dem Parkett machen. In jedem Falle sollten sie aber – da sind sich die Professorinnen einig – „an sich glauben und sich nicht beirren lassen.“

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Weiterführende Literatur

Helene Wastl Mentoring Programm für Frauen

Frauenanteil Österreich

Forschung als Männerdomäne

Studie Schulnoten Mädchen

Sie fressen sich durch fremde Körper den Weg ins Leben, werfen ihre Brut wie Bomben ab, verleihen Begriffen wie Oralsex oder Vorspiel neue Dimension und gehen für den Fortbestand ihrer Art buchstäblich über Leichen: Was immer Hollywood erfindet, hat die Natur im Stamm der Gliederfüßer bereits realisiert. Passend zum Valentinstag, werfen wir mit Dr. Michael Greeff (ETH Zürich) einen Blick auf einige der bizarrsten Liebes- und Fortpflanzungsrituale von Insekten & Co. 

Die Kälte erzeugt fast Gänsehaut im Keller der Zürcher Weinbergstrasse 56. Doch sie hat ihren Grund – es ist die vorerst letzte Ruhestätte eines gigantischen toten Zoos, der vor lebenden (gefräßigen) Artgenossen geschützt werden muss. Was hier noch lebt, stört nur die Toten: namentlich zwei Millionen vollständig präparierte Insekten, von stecknadelkopfklein bis handtellergroß, teils zwei Jahrhunderte alt, gebettet in unzähligen Holzschubladen – viele davon Vertreter von Arten mit bizarren Biographien und noch bizarrerem Liebesleben.

(c) Entomologische Sammlung / ETH Zürich

Die Freaks unter den Lebewesen

Evolutionsbiologe Dr. Michael Greeff kann seinem Publikum ein Lied davon singen. Als Leiter der Entomologische Sammlung der ETH Zürich ist er fürs Kuratieren, Digitalisieren, aber auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Insekten sind die Freaks und Hippster unter den Lebewesen“, schmunzelt Greeff, „wenn ich sie als ‚Tiere‘ bezeichne, schauen mich die Leute manchmal erstaunt an. Es sind Tiere, aber sie haben einen anderen Status für uns als etwa Wirbeltiere. Insekten und andere Gliederfüßer sind uns nicht ähnlich. Sie sind dekorativ, schön, aber auch bizarr, ausgeflippt, für viele eklig.“ Man habe da bisweilen eher die Assoziation zu Aliens, und das zu Recht – speziell, wenn es um die Fortpflanzung geht. Wo gibt es beim Menschen schon Embryonen, die sich durch einen Körper fressen und daraus hervorbrechen? Aber der Reihe nach.

Pfauenspinnenmännchen (c) Jurgen Otto / Wikipedia Commons

Gefährliches Vorspiel

Auch bei Gliederfüßern gilt: Die Angebetete muss erstmal gefunden und überzeugt werden – oft eine Sache auf Leben und Tod. Pfauenspinnen-Männchen – ein schönes, aber exotisches Beispiel – richten ihren prächtig gefärbten Hinterleib auf und vollführen damit einen Tanz, der an einen maskierten Medizinmann bei der Regenanrufung erinnert. Ist das Weibchen beeindruckt, hat das Männchen Glück; falls nicht, schwebt es in doppelter Lebensgefahr: Nicht nur das Weibchen wird ihn attackieren, auch Fressfeinde könnte das Gewedle bereits angelockt haben. Aber immerhin, seine Balz ist nicht ganz so verzweifelt wie jene mancher Mantisarten hierzulande – deren Tanz soll sicherstellen, dass die Auserkorenen das Männchen nicht fälschlicherweise schon vor der Paarung für Beute hält. In jedem Fall gilt: Je satter das Weibchen, desto sicherer der Sex.

Tierisches Kamasutra in vier Akten

Wenn es zur Sache geht, sind Spinnentiere wohl die kreativsten Vertreter unter den Arthropoden. „Webspinnenmännchen zum Beispiel bauen ein Netz, worauf sie die Spermien abgeben“, erklärt Greeff, „an der Pedipalpe verfügt das Männchen über eine Art Boxhandschuh mit einer leeren Röhre. Damit saugen sie die Spermien vom Netz auf, suchen das Weibchen, hoffen, die Balz zu überleben und führen dann, wenn das Weibchen es zulässt, diesen Bulbus – so heißt der Boxhandschuh – samt Spermien zur Geschlechtsöffnung des Weibchens. Es ist ein Schlüssel-Schloss Prinzip – der Bulbus passt nur zur Öffnung von Weibchen der gleichen Art.“

Männchen einer Webspinnenart mit Bulbi (c) Entomologie/Botanik, ETH Zürich /Albert Krebs 

Bei den Zwergfüßern (Tausendfüßer) wiederum gehen die Männchen lieber kein Risiko ein, bei der Balz gefressen zu werden. Sie lösen das Problem durch eine Spermatophore am Boden – praktisch Sperma am Stil – und gehen dann ihrer Wege. „Dieses Konstrukt findet das Weibchen und nimmt die Spermien in den Mund“, erzählt Greeff, „dann legt das Weibchen ein Ei ab, gibt die Spermien aus dem Mund auf dieses Ei und bringt das Ganze dann – wiederum mit dem Mund – auf ein Moospflänzchen auf, wo der Nachwuchs aus dem Ei schlüpft und sich vom Moos ernährt.“

Eine Spielart davon finde sich übrigens auch bei Pinselfüßern: „Da produziert das Männchen allerdings ein kleines Spermiennetz und lässt einen langen Faden übrig, der in die Landschaft ragt. Per Zufall stoße dann das Weibchen auf den einsamen Leitfaden. Es folgt ihm, fast wie Theseus Ariadnes Faden im Labyrinth des Minotauros, bis es das Spermiennetz erreicht und die Eier damit befruchtet. Kurzum: Das Weibchen trifft das Männchen nie.

Ameise und Bläuling (c) Entomologie/Botanik, ETH Zürich / Albert Krebs 

Bei einer australischen Schmetterlingsart aus der Familie der Bläulinge wäre das undenkbar. Sie bevorzugen Kontrolle. „Die Männchen schlüpfen sogar früher “, erklärt Greeff, „und warten dann extra bei einer weiblichen Puppe bis das Weibchen schlüpft – allerdings in Gesellschaft von zig anderen Freiern. Öffnet sich die Puppe, beginnt das Gerangel und endet mit der Vergewaltigung des Weibchens durch das stärkste Männchen.“ Bisweilen warten die Männchen irrtümlich bei der falschen, also einer noch ungeschlüpften männlichen Puppe. Diese wird trotzdem vergewaltigt, „möglicherweise damit das eine Männchen auch das Spermienpaket des anderen bei der Kopulation überträgt“, mutmaßt Greeff. Verwundern würde es nicht, geht es doch in der Biographie der Bläulinge skurril weiter: Manche ihrer Raupen duften und hören sich z.B. an wie Ameisenlarven, werden also von Ameisen versorgt und sogar auf die Weide getragen.

[AUDIO]

Eine kurze Geschichte von Ameisen und Bläulingen, erzählt von Michael Greeff

Showdown mit Eierbomben und alienistischen Kuckuckskindern

Geht es um den Nachwuchs, sind auch parasitoide Formen typisch für Insekten – wie jene kreative des Wollschwebers: „Er umwickelt seine Eier mit Staub und baut so kleine Bomben, die er dann über den Nesteingängen von solitären Wildbienen abwirft“, sagt Greeff. Die Wildbienen verstauen dort normal ihre eigene Brut samt Pollenpaket. „Verschließen sie den Eingang, ohne das Staub-Ei entdeckt zu haben, kann die Larve des Wollschwebers getrost schlüpfen, die Bienenlarve fressen und dann obendrauf noch das Pollen-Lunchpaket genießen.“

Großer Wollschweber (c) Entomologie/Botanik, ETH Zürich / Albert Krebs 

Toppen können das fast nur Schlupfwespenarten. Diese dreisten Insekten-Vertreter legen ihre Eier direkt in die Jungstadien von anderen Insekten. Die Jungwespen fressen dann von innen her die fremde Larve auf, ohne diese zu töten. „Sie lassen alle lebenswichtigen Organe bis zum Schluss unberührt. Erst, wenn sie bereit sind sich zu verpuppen, werden sie gefressen. Kein Wunder also, dass manche Leute bei Insekten an Aliens denken“, meint Greeff. Embryos, die einen von innen auffressen und aus einem Körper hervorbrechen kenne man ja sonst nur von Hollywood – tatsächlich sei das aber typisch Insekt.

Schützenswerte Vielfalt

Wertschätzung für den Erhalt und die Erforschung genau diese Vielfalt generiert sich laut Michael Greeff in erster Linie über Faszination für diese sensiblen Lebewesen, die auf den ersten Blick oft nur eklig und unangenehm scheinen mögen. „Nur wenige Faktoren reichen aus, damit eine Art nicht mehr vorkommt. Daher sind sie ein Indikator dafür, wie sich unsere Umwelt verändert.“ So gesehen dokumentiert eine Sammlung wie jene der ETH Zürich immer auch die Welt – einschließlich ihrer evolutionären Siege und Sackgassen. Was den Ideenreichtum in der Fortpflanzung betrifft, toppen Insekten und andere Gliederfüßer den Menschen jedenfalls bei Weitem. Langeweile kommt da keine auf – nicht mal im toten Zoo der Weinbergstraße 56, legen doch Museumskäfer ihre Eier bevorzugt in totes Insektengewebe…aber das ist eine andere Geschichte.

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(c) Michael Greeff

Michael Greeff ist derzeit Leiter der Entomologischen Sammlung der ETH Zürich. Am Beginn seiner Karriere forschte er zum Paarungsverhalten von Hummeln sowie zur Frage, weshalb sich die sexuelle Fortpflanzung bei Pflanzen und Tieren durchgesetzt hat. Dann wechselte er in die Bioinformatik, entwickelte Software in Japan und München, bis er in Zürich durch Zufall zurück zu den Insekten fand und seitdem als Kurator sowie Lehrender maßgeblichen Anteil daran hat, dass die Entomologische Sammlung von 1858 zeitgemäß wiedererweckt und weitervermittelt wird.

Weiterführende Links: Artenschutz-Projekte Insekten Tirol

Bug Buddies

Projekt “Blütenreich” Tiroler Umweltanwaltschaft

Tagfalter-Monitoring (Projekt Viel-Falter)

Artenhilfsprogramm Alpenbockkäfer

Wenn Tiernomaden über die Leinwand ziehen, Bären mit Biologen vor der Kamera sitzen und das Publikum über Umweltskandale und den Nobelpreis für die CRISPR-Methode diskutiert, dann ist wieder Natur Film Festival Zeit in Innsbruck. Die Umstände waren 2020 allerdings herausfordernd wie nie. Bettina Lutz, Daniel Dlouhy und Johannes Kostenzer erzählen wie Corona zum Einfallsreichtum zwang und doch inspirierende Begegnungen ermöglichte.

„Wie ist denn euer Gefühl, rückblickend, jetzt da das Festival vorüber ist?“, tönt die Frage blechern durch die Kopfhörer. Normalerweise hätte man sowas gemütlich bei einem Bier besprochen und nicht über eine instabile Zoom-Verbindung. Aber ungewöhnliche Zeiten, erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Wie sehr, hätten sich die Kulturvermittler Bettina Lutz und Daniel Dlouhy – die beiden hier am anderen Ende der Zoomleitung – zu Beginn der Festival-Planung im Jänner allerdings wohl nicht träumen lassen.  

Anfang Oktober eröffnete Festivaldirektor Johannes Kostenzer das Innsbruck Nature Film Festival zum 19. Mal – diesmal aus Platzgründen im Metropol. Wie schon im Vorjahr, fand es im Rahmen des International Nature Festivals statt – dabei steht Tirol einige bunte Herbstwochen lang ganz im Zeichen von Natur und Umwelt: mit Workshops, Exkursionen, Vorträgen und vielen anderen Aktivitäten (Programm „Senses“). Ein Highlight aber bleibt die Filmwoche, dieses Jahr organisiert von Bettina und Daniel.

(c) INFF 2020_Eine Herauforderung in Krisenzeiten

„Uns ist, als hätten wir zwei Festivals organisiert“, schildert Bettina. „Es war wahnsinnig viel Arbeit. Planbarkeit hat es keine gegeben, weil sich alle zwei Wochen was ändern konnte.“ Dazu sei noch der Umzug ins größere Kino gekommen, um den nötigen Abstand im Saal gewährleisten zu können – „das war für mich die größte Herausforderung“, schmunzelt Daniel, Metropol ist doch normalerweise eher knalliges Blockbusterkino, weniger Naturfilm. Trotzdem habe es gut funktioniert, auch weil die Freiwilligen einen guten Job gemacht haben, wirft Bettina ein. Man sei teils auch ausverkauft gewesen, Corona-Maßnahmen entsprechend ausverkauft, aber immerhin. „Die Leute waren happy, dass da was Kulturelles passiert, etwas, das zum Nachdenken über Natur und Umwelt anregt“, meint auch Daniel. Bettina nippt an ihrer Tasse: „Das zeigt doch, dass Präsenzveranstaltungen was anderes auslösen im Menschen, und wie wichtig es ist, dass man aktuellen Themen Raum zur Diskussion einräumt.“

(C) INFF2020_”Nomads”_Tierische Migranten

Von CRISPR/Cas bis Nachtigall

Anlass zu Gesprächen dürfte das bewusst breitgefächerte Programm zur Genüge geboten haben. So konnte man in manchen Sälen Natur von einer neuen Seite kennenlernen: etwa wenn Young Talent Megan Brown vorführte, was genau in einem Schmetterlingskokon passiert oder wenn Emiliano Ruprah das Thema Migration aus tierischer Perspektive zeigte und Roman Droux von seinen Abenteuern mitten im Braunbärengebiet in Alaska erzählte. Ferner hat man gelernt, dass „Madenteppiche“ auf Kadavern zwar eklig sein mögen, aber auch enorm wichtig für die Nährstoffkreisläufe, und dass Nachtigallen offenbar gerne mit Berliner Musikern musizieren (oder sich zumindest nicht von ihnen beim Gezwitscher stören lassen).

"Der Bär in mir"_Mit Natur und Wildnis auf Tuchfühlung
(c) INFF 2020_”Der Bär in mir”_Mit Natur und Wildnis auf Tuchfühlung

In anderen Sälen wiederum ging es nachdenklicher zu: Man diskutierte vor dem Hintergrund der Nobelpreisverleihung an J. Doudna und E. Charpentier die Dokumentation Human Nature – The CRISPR Revolution; sinnierte darüber, wie es sein kann, dass in Afrika immer noch verbotene, giftige Substanzen auf dem freien Markt verkauft werden oder war ergriffen von der Geschichte eines Whistleblowers, der die furchtbaren Zustände in einem Delfinarium schilderte.

Daniel: „Uns war es wichtig, dass wir filmbranchenmäßig relevante und thematisch interessante Filme zeigen – auch welche, die unter dem Radar schwimmen, aber trotzdem wertvoll sind. Der Walrossfilm zum Beispiel spielt in Kanada – ist der also für uns hier interessant? Ja, ist er – wir müssen über Zoos nachdenken, die haben wir ja auch.“

Bettina: „Den Ausschlag gegeben hat hier aber vor allem der interessante Protagonist, obwohl der mir persönlich doch eher unsympathisch ist…

Daniel: „..aber er ist auch nie schwarz-weiß. Er beleuchtet die Graubereiche, oder? Das macht es spannend.“

Welcher Film ins Programm kommt, entscheiden oft mehrere Faktoren: Ausgewogenheit zwischen den verschiedenen Typen von Naturdokus und Umweltdokus, der Lernaspekt und eben die Spannung. „Manchmal geht‘s aber auch darum, einfach etwas einzubringen, um es dann gezielt zu diskutieren“, präzisiert Daniel, „dieses Jahr hatten wir so einen Fall mit „Protect our Winters“ – da geht es um Leute, die für nachhaltiges Snowboarden eintreten, aber zwischenzeitlich mit dem Helikopter nach Patagonien fliegen. Wir haben sie eingeladen, um darüber zu diskutieren, wie das jetzt eigentlich ist mit der Nachhaltigkeit.“

(c) INFF 2020_”First we eat”_Suzanne auf Huflattichsuche

Schöne Begegnungen auf Distanz

All das wurde beim Festival erfolgreich bewerkstelligt. Neben den omnipräsenten Masken und elefantösen Abständen zeigte sich Corona letztlich aber vor allem in der bis zum Ende geschrumpften Liste der Filmemacher und Gäste, die am Ende nicht anreisen konnten. Bisweilen aber fanden sich trotzdem kreative Lösungen, aus denen schöne Begegnungen auf Distanz wurden. Suzanne Crocker etwa, Regisseurin von „First we eat“, wollte es sich nicht nehmen lassen, die Gesichter ihres Publikums zu sehen und mit ihm in Dialog zu treten. So holte man sie virtuell her, wie Bettina erzählt:

„Das ist schon was Schönes, wenn du merkst, dass diese Virtualität keine Rolle spielt“, meint Bettina, „ob Suzanne nun im Raum gewesen ist oder nicht, das war komplett egal.“  Ähnlich sei es auch bei der Preisverteilung gewesen oder bei Workshops im Kino, die kurzerhand als Livestream präsentiert wurden. „Ich glaube, dass man da für die Zukunft gelernt hat“, meint Daniel, „online allein ist für das Festival zwar weniger interessant – dazu ist es zu wichtig, dass man live da ist und die Atmosphäre mitkriegt – aber es hilft, die Dinge weiter zu denken. Leonardo di Caprio etwa wird schwer herzuholen sein, wie wir letztes Jahr bei seiner Doku festgestellt haben, aber wer weiß. Ihn oder eine andere Persönlichkeit bei Bedarf mal anzuskypen, geht schon wieder in eine Richtung, die klappen könnte.“

(c) INFF 2020_Ausstellung zum Nature Festival im Foyer des Metropol

Fürs Erste freut man sich über das positive Feedback der Besucher und ist froh, das Festival inner- und außerhalb des Kinos gut gemeistert zu haben. „Der neue Standort und Corona stellten uns vor viele Herausforderungen“, räumt Festivaldirektor und Umweltanwalt Johannes Kostenzer ein, „gleichzeitig wurden wir aber von vielen Seiten sehr unterstützt. Ein Festival ist nur dann ein Festival, wenn sich Menschen begegnen können, sich austauschen, gegenseitig bereichern und inspirieren. Dafür ist das Miteinander an einem großartigen Ort wie der Stadt Innsbruck essentiell.“ Es sei schön, dass so viele FilmemacherInnen das Innsbruck Nature Film Festival als attraktiven Ort für Begegnung und Austausch schätzen. Am Ende sei es auch heuer bestens gelungen, „den Themen Film, Natur und Umwelt hier in den Alpen einen Ort zu geben und zu sensibilisieren für einen sorgsamen Umgang mit unserer Umwelt“, freut sich Kostenzer.

Eines ist dem gesamten Festivalteam aber bereits bei der Nachbesprechung klar: Nach dem Festival ist vor dem Festival und die gesammelte Liste an Verbesserungsvorschlägen wird Ansporn sein, das 20. Innsbruck Nature Film Festival im Oktober 2021 noch interessanter, abwechslungsreicher und spannender zu gestalten.

Du bist Natur - Fassade am Metropol
(c) INFF 2020_Fassade am Metropol

Weiterführende Links

International Nature Festival

Innsbruck Nature Film Festival