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Das Tierökologie-Zertifikat. Bisher (Februar 2024) ist Stufe 1 veröffentlicht, mit 250 Arten Tirols. Verfügbar unter https://doi.org/10.25651/1.2021.0001.

Das Tierökologie-Zertifikat präsentiert heimische Tiere mit Bestimmungshilfe, Fotos und spannenden Gschichtln. Stufe 1 mit 250 Arten ist bereits auf großes Interesse gestoßen. In den Stufen 2 und 3 kommen jeweils noch 250 Arten dazu. Also nichts wie los, wirf einen Blick auf die Steckbriefe und lass Dich von der Tierwelt vor der Haustür begeistern!

Am Anfang waren die Pflanzen: das Freilandbotanik-Zertifikat

Begonnen hat alles mit den Pflanzen. Also eigentlich nicht – Tiere haben uns schon immer um Schnauzenlänge mehr fasziniert. Aber als wir, alle am Institut für Ökologie der Universität Innsbruck, vor vier Jahren das Freilandbotanik-Zertifikat entdeckten, wussten wir sofort: Das wollen wir machen, das ist die Gelegenheit! Es war ein wunderbarer Sommer in den Tiroler Bergen, und bei den Wanderungen sahen und verinnerlichten wir vom Talboden bis zum Gipfel viele der 250 Arten der Stufe 1. Es ist einfach ein gutes Gefühl, wenn man für die Bestimmung nicht mehr bei jeder Pflanze die Exkursionsflora zücken, eine Bestimmungsapp verwenden oder gar verdrossen aufgeben muss.

Portrait von Birgit C. Schlick-Steiner, Florian M. Steiner, Iris S. und Julia S. Schlick-Steiner
Die Autor:innen: Birgit C. Schlick-Steiner (links) und Florian M. Steiner (rechts) sind Forschende und Lehrende, Iris S. (Mitte rechts) und Julia S. Schlick-Steiner (Mitte links) Master-Studierende am Institut für Ökologie, Universität Innsbruck. Gemeinsam (mit vielen anderen) realisieren sie ihren Traum von einem Tierökologie-Zertifikat, das die heimische Tierwelt ins Rampenlicht stellt.

Und Tiere? Die Geburtsstunde des TÖZ, des Tierökologie-Zertifikats

Jetzt konnten wir die Frage nicht mehr ignorieren: Warum gibt es sowas nicht für Tiere? Tatsächlich herrscht zumindest im deutschsprachigen Raum ein richtiges Tier-Zertifikat-Vakuum – das wollten wir ändern. An den langen Abenden des pandemischen Winters 2020/2021 entstand durch Debattieren, Recherchieren und Zoom-Konferieren mit den KollegInnen Timo Kopf und Barbara Thaler-Knoflach das Konzept für das Tierökologie-Zertifikat (TÖZ). Bald verstanden wir auch den Grund für das bisherige Vakuum: Es ist einfach schwierig! Denn in Österreich leben 54 000 Tierarten – und es gibt nicht das eine umfassende Bestimmungsbuch wie bei den heimischen Gefäßpflanzen, sondern die Information zu Bestimmung und Lebensweise ist über tausende Schriftstücke verstreut. So entschieden wir uns für eine pragmatische Lösung. Wir wollten aus jeder Tiergruppe markante Vertreter vorstellen und für jede Art einen Steckbrief basteln, damit die Interessierten Information zur Bestimmung, Bilder (interaktiv zu vergrößern) und gaaaanz viele Gschichtln (Abb. 1-4) erhielten. Im ganzen Arbeitsprozess (u.a. Artenauswahl, Schreiben der 250 Steckbriefe, Design und Produktion der pdf-Version) bekamen wir viel Mithilfe aus dem Institut für Ökologie, aber bald auch über die Universität Innsbruck hinaus, sodass schließlich 76 Personen mitwirkten (siehe Infokasten am Ende des Beitrages).

Abb. 1 Steckbrief zum Distelfalter – hast Du gewusst, dass der Distelfalter ein Wanderfalter ist und Tausende Kilometer aus dem Winterquartier in Afrika bis nach Österreich zurücklegt? Verfügbar unter https://doi.org/10.25651/1.2021.0001.

2021: Die Stufe 1 des TÖZ und eine schnell wachsende Community

Im Juli 2021 war es dann soweit: Die Stufe 1 des „Tierökologie-Zertifikat: Arten Tirols“ war fertig. Und zusätzlich zur pdf-Datei mit allen Steckbriefen (Infobox 1) entstanden ein Selbsttest auf der Lernplattform OpenOlat und ein Karteikartenset für die Lernsoftware Anki zur Überprüfung der Artenkenntnis. Außerdem wurde ein Projekt im sozialen Netzwerk iNaturalist eingerichtet (Infobox 1) mit dem Ziel möglichst viele zu motivieren, die im Zertifikat enthaltenen Arten zu suchen, zu fotografieren und die Beobachtung hochzuladen. So können diese Beobachtungen von ExpertInnen verifiziert werden und die ganze Tierökologie-Community kann gemeinsam dem „Viecherl-Jagdfieber“ frönen. All das kam richtig in Fahrt und hat schon sehr viele für die Tierwelt Tirols begeistert. Beispielsweise enthält das iNaturalist-Projekt des TÖZ aktuell rund 4000 Beobachtungen von 500 BeobachterInnen, von 1000 BestimmerInnen bearbeitet. Da darf natürlich auch ein zum Zertifikat passendes T-Shirt nicht fehlen ( siehe Infobox), welches es schon in entfernte Teile der Welt geschafft hat.

Das TÖZ – Was? Wie? Wo?


Abb. 2 Steckbrief zur Knautien-Sandbiene – eine von 700 Wildbienenarten in Österreich – und ein Beispiel für die vielen tagesaktuellen Interessenskonflikte, die mit den Steckbriefen aufgegriffen werden: Nektar ist ein kostbares Gut! Verfügbar unter https://doi.org/10.25651/1.2021.0001.

Abb. 3 Steckbrief zum Wolf – vielleicht das Tier, das momentan am stärksten polarisiert. Verfügbar unter https://doi.org/10.25651/1.2021.0001.

Bisher gab es acht Prüfungstermine. Nicht alle haben es beim ersten Anlauf geschafft, aber alle waren begeistert. Diese Begeisterung wollten viele der Zertifizierten teilen und so gibt es auf der Homepage mittlerweile mehr als 50 „Erfahrungsberichte“ (Infobox 2). Inzwischen kommen Prüflinge aus fast allen Bundesländern Österreichs und dem deutschsprachigen Ausland. An der Universität Innsbruck ist das TÖZ auch fixer Bestandteil von Lehrveranstaltungen im Bachelor Biologie, Bachelor Biologie und Umweltkunde und Master Ökologie & Biodiversität.

Warum Dich das TÖZ interessieren könnte?

Die aktuelle Version des TÖZ ist auf Tirol ausgelegt, aber der Großteil der Arten kommt im gesamten deutschsprachigen Raum vor. Ein Ziel des TÖZ ist Tiere (und Natur allgemein) „unters Volk“ zu bringen – egal, ob Du SchülerIn, LehrerIn, StudentIn, ForscherIn bist, ob Du einem der tausenden anderen Berufen nachgehst (oder auch nicht), oder ob Du bereits pensioniert bist, es ist nie zu früh und nie zu spät für ein Eintauchen in die heimische Tierwelt. Das TÖZ schafft dabei auch ein Bewusstsein für die weniger bekannten Tierarten und die Dringlichkeit des Arten- und Naturschutzes. Man liebt nur, was man kennt, und man schützt nur, was man liebt. Das TÖZ trägt somit zu biologischer Bildung und Wertschätzung unserer Natur bei. Beides benötigen wir dringend, um uns den Herausforderungen dieses Jahrhunderts zu stellen und richtige Entscheidungen zu treffen.

Abb. 4 Steckbrief zum Eisvogel – die hohe Schutzbedürftigkeit dieser Art ist eines der vielen Argumente für den Erhalt freifließender Flüsse. Verfügbar unter https://doi.org/10.25651/1.2021.0001.

Das sagen Zertifizierte

„Anfangs dachte ich noch, dass es schon recht lange dauern würde, bis ich mir 250 Arten merken kann. Das Lernen ging mit den Steckbriefen (v.a. den „Gschichtln“), der Online Überprüfung und nicht zuletzt den Anki Karteikarten (lassen sich super in den Alltag integrieren, z.B. perfekt für lange Zug- und Busfahrten) relativ schnell und ich war erstaunt, wie viele Arten ich letztendlich dann in freier Wildbahn finden und benennen konnte.“

Melanie Kobald

„Es ist wirklich beeindruckend, wenn man sagen kann, dass man 250 Tierarten erkennen und benennen kann. Ich konnte mein neu erlangtes Wissen auch schon bei diversen Wanderungen mit Freunden und Familie unter Beweis stellen, wobei alle stets begeistert waren und die Umgebung jetzt auch genauer wahrnehmen. Somit hat die Prüfung nicht nur mir geholfen, sondern auch das Interesse anderer geweckt.“

Johanna Lechleitner

“Ich finde es sehr wichtig, dass es diese Prüfung gibt – einerseits für BiologInnen wie mich, um ein Zertifikat zu haben, das die eigene Artenkenntnis bestätigt. Artenkenntnis ist vor allem bei vielen Naturschutzbelangen essenziell, wird aber an den Universitäten oft nicht ausreichend gelehrt; ein abgeschlossenes Biologiestudium bedeutet also nicht unbedingt gleich eine gute Artenkenntnis. […] Und andererseits auch für naturinteressierte Menschen, die keinen Beruf im biologischen Bereich haben. […] Ich hoffe, dass besonders diese Menschen das Zertifikat belegen – kennt man Arten, steigen die Wertschätzung der Natur und der Wille diese zu schützen.”

Elisabeth Glatzhofer

„Man hat wortwörtlich nichts zu verlieren (keine begrenzten Prüfungsantritte, keine Kosten) und es macht auch noch tierisch Spaß. P.S.: „Was ist das für ein …?“ Ist wahrscheinlich eine der häufigsten Fragen, die man als Biologe/in oder Biologiestudent/in gestellt bekommt. Das Zertifikat hilft einem dabei mindestens einige dieser Fragen besser beantworten zu können. ;)“

Anna Letrari

„Ich kann gar nicht sagen wie oft ich, seitdem ich mich mit den Steckbriefen befasse, einfach stehen bleibe und mir ansehe, was denn da gerade die nächste Blume anfliegt. Der ganze Prozess fühlt sich auch nicht wirklich nach lernen an, wie man es möglicherweise von den Klausuren gewohnt ist, vielmehr ist es eine Bereicherung des eigenen Wissensdursts und die Prüfung am Ende ist auch nicht mehr als eine Bestätigung des eigenen Könnens.“

Jakob Paal

„Wir haben bewiesen, dass es sich beim Tierökologie-Zertifikat um eine Prüfung für alle – jung bis alt und universitätsextern wie -intern – handelt. Ich, Jonathan, bin der bisher jüngste Teilnehmer mit 11 Jahren und habe die Prüfung mit ausgezeichnetem Erfolg bestanden. Es war ein Geschenk von meiner Schwester, die mich zu dieser Prüfung eingeladen hatte. Diese Herausforderung habe ich gerne angenommen. Es hat Spaß gemacht, gemeinsam zu lernen. Das schönste Tier für mich war die Bienenwolf-Goldwespe.“

Jonathan und Elena Steiner

„Immer wieder wurde ich als Biologiestudentin nach Tieren und Pflanzen am Wegesrand gefragt und viel zu oft musste ich mir selbst eingestehen, wie wenig Ahnung ich hatte. Ich wünschte, dieses Zertifikat hätte es damals schon gegeben =). Jetzt, während der Elternkarenz, bin ich viel in der Natur und der Wissensdrang der Kinder ist schier unendlich. Was liegt also näher, als die Chance zu nutzen und sich das super zusammengefasste Wissen in diesen Unterlagen anzueignen …“

Hannah Holzer

„Nach 40 Jahren als Biologielehrer in Innsbruck hatte ich in der Pension endlich viel Zeit, um mich meinem liebsten Hobby noch mehr zu widmen: Hinausgehen, beobachten, erkennen. […] Mein Dank gilt all jenen, die sich die sicherlich enorme Mühe angetan haben, dieses Zertifikat in die Tat umzusetzen: Ihr habt da etwas Großartiges geschaffen, dem ich möglichst weite Verbreitung, z.B. auch in Schulen, wünsche!“

Helmuth Bayer

„Ich habe es unerwarteterweise als besonders bereichernd empfunden mich gerade mit den Taxa intensiver zu beschäftigen, die ich aus mir heraus nicht so ansprechend finde. Meine Angst vor Spinnen hat sich beispielsweise durch die Teilnahme am Zertifikat wahnsinnig gebessert.“

Sarah Zimmermann

„Für mich als Botaniker war das Tierökologiezertifikat ein willkommener Anlass einmal meine Komfortzone zu verlassen und in neue Organismengruppen einzutauchen. Bei Tieren passiert es leicht, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Die Beschränkung auf 250 Arten hilft da sehr.“

Moritz Falch


„Doch auch für das Studium und die zukünftige Karriere ist eine solche Artenkenntnis durchaus von Nutzen und teilweise sicher auch notwendig. Umso wichtiger ist es, dass man seine Artenkenntnis steigert. Auch deshalb warte ich gespannt und motiviert auf die nächsten Stufen (500 & 750 Arten)!“

Tom Fischbach

Ausblick: Stufen 2 und 3 des TÖZ

Seit Ende 2023 laufen die Arbeiten an den von vielen Prüflingen schon heiß ersehnten Stufen 2 und 3 auf Hochtouren – es wird allerdings noch ein Zeitl brauchen, da das Ganze ja schon bei Stufe 1 nicht so einfach war. Jedenfalls darf schon Vorfreude aufgebaut werden auf insgesamt 500 weitere faszinierende Tierarten. Auch diesmal sind neben alten Bekannten auch seltener beobachtete Arten vertreten und es ist garantiert für jede/n etwas Neues dabei. Jetzt einmal ehrlich: (Er)kennst Du die Tiere in Abbildung 5?

Finanziell unterstützt werden die Stufen 2 und 3, wie bereits Stufe 1, von der Fakultät für Biologie und dem Institut für Ökologie, sowie diesmal auch vom Rektorat der Universität Innsbruck.

Und wer weiß, vielleicht folgen ja bald Initiativen zu Tierökologie-Zertifikaten in anderen Regionen – der Aufwand des Anpassens an die regionalen Gegebenheiten wäre überschaubar.

Abb. 5 Roter Kurzbein-Springschwanz (links) und Haselmaus (rechts). Bildrechte: © bugzone, CC BY-NC 4.0 (links); © tadkawecki, CC BY-NC 4.0 (rechts).

Institut für Ökologie der Universität Innsbruck 2021 Tierökologie-Zertifikat:

250 Arten Tirols (Version 5, 250 Arten, Juli 2021). Erstellt von (alphabetisch) Ernst Bauernfeind, Erhard Christian, Sylvia Flucher, Hans Frey, Leopold Füreder, Barbara-Amina Gereben-Krenn, Florian Glaser, Wolfram Graf, Marlene Haider, Helge Heimburg, Veronika Hierlmeier, Rudolf Hofer, Rüdiger Kaufmann, Gabriel Kirchmair, Philipp Kirschner, Yvonne Kiss, Elena Kmetova-Biro, Christian Komposch, Timo Kopf, Gernot Kunz, Alice Laciny, Armin Landmann, Patrick Leitner, Jan Martini, Georg Niedrist, Thomas Peham, Katharina L. Platzdasch, Hubert Rausch, Renate Rausch, Maria M. Reiter, Alexander Rief, Johannes Rüdisser, Birgit Sattler, Petra Schattanek, Heinrich Schatz, Irene Schatz, Martin Schebeck, Birgit C. Schlick-Steiner, Iris S. Schlick-Steiner, Julia S. Schlick-Steiner, Martin Schwarz, Julia Seeber, Gabriel Singer, Christian Stauffer, Florian M. Steiner, Michael Steinwandter, Carolin Strutzmann, Matthew Talluto, Barbara Tartarotti, Barbara Thaler-Knoflach, Anton Vorauer, Alexander Weigand, Werner Weißmair, Herbert Zettel, Richard Zink; unter Mitarbeit von (alphabetisch) Felix Berkmann, Fritz Gusenleitner, Peter Huemer, Martina Kinzl, Patrick Krapf, Florian Lehne, Reinhard Lentner, Markus H. Möst, Rainer Neumeyer, Alejandro Ostalé,Wolfgang Scherzinger, Andreas Schmidt-Rhaesa, Peter Sehnal, Bernhard Seifert, Magdalena Stiftinger, Iris Tichelmann, Stephanie Vallant, Elisabeth Weninger, Andreas Zahn, Elisabeth Zangerl, Thomas Zuna-Kratky
https://doi.org/10.25651/1.2021.0001 CC BY-NC-SA 4.0
https://www.uibk.ac.at/ecology/tieroekologie-zertifikat/

Titelbild: Untersuchungsfläche am Hochschwab. Quelle: Harald Pauli

Gebirge sind häufig Hotspots der Biodiversität. Gleichzeitig sind sie aber aufgrund ihres Arten- und Endemiten-Reichtums und den speziellen klimatischen Gegebenheiten durch den Klimawandel besonders gefährdet. Seit mittlerweile zwei Jahrzehnten beschäftigen sich Forscherteams in der ganzen Welt mit den möglichen Folgen für die alpine Flora. Die Idee dazu entstand in Österreich.

Die internationale Ausrichtung spürt man nicht sofort, wenn man das GLORIA-Büro im 19. Bezirk/Wien betritt. Es ist eine lichtdurchflutete Altbauwohnung in einer ruhigen Lage, umgeben von schicken Häusern und Grünflächen vor den hohen Fenstern. Doch tatsächlich ist GLORIA mittlerweile eine der wenigen langfristigen internationalen Forschungsinitiativen mit Sitz in Österreich.

GLORIA (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments)
Ist eine Initiative, die ein internationales Monitoring-Netzwerk für Langzeitbeobachtungen alpiner Pflanzengesellschaften betreibt. Die vergleichenden Studien (sowohl nationaler als auch internationaler Art) zielen vor allem darauf ab, Biodiversitätsmuster zu erfassen und die Auswirkung des Klimawandels auf die Hochgebirgsvegetation festzustellen.

Als Anfang der Neunziger der Klimawandel zu einem Begriff und langsam auch zu einem Thema der öffentlichen Medien wurde, gab es noch sehr wenige Initiativen, die sich mit Langzeitveränderungen durch die globale Erwärmung befassten. „Zu der Zeit war ich Diplomand bei Georg Grabherr und in meiner Dissertation wollten wir die Veränderung in der alpinen Flora untersuchen“, erzählt Harald Pauli, der mittlerweile der Kopf des GLORIA Teams ist. Die Idee war, Gipfel, wie die Hochwilde in den Ötztaler Alpen, von denen es historisch vollständige Artenlisten gab, erneut zu besuchen und ein aktuelles Arteninventar zu erstellen. „Natürlich war nur ein geringer Teil der historischen Daten für einen Vergleich geeignet, doch es ließ sich dennoch ohne Zweifel feststellen, dass nun viel mehr Arten auf den Gipfeln vorkamen“, erinnert sich Pauli an die Resultate der Arbeit, die ihn und seinen Kollegen Michael Gottfried zwei Sommer lang beschäftigte. Die zweite Publikation zu den Ergebnissen schaffte es dann überraschend in der Zeitschrift Nature. „Damit war klar, dass wir in diese Richtung weitermachen müssen“, so Pauli.

Von einer Publikation zu einem weltweiten Netzwerk

Die Motivation, das Projekt fortzuführen war gegeben, allerdings gab es kaum Vergleichsdaten auf nationaler und internationaler Ebene, vor allem aber außerhalb Europas. Meist waren nur mehr oder weniger unvollständige Artenlisten vorhanden, was die Auswertungsmöglichkeiten einschränkte.

„Wir brauchten Genaueres“, schildert Pauli die Situation, die schließlich zu dem mittlerweile internationalen GLORIA-Netzwerk führte. Anfang des Jahrtausends tastete das Team um Georg Grabherr das Interesse der internationalen Forschungsgemeinschaft zu den Forschungsbestrebungen ab und erntete sogleich positive Reaktionen. Das erste EU-Projekt wurde daraufhin eingereicht. Das Netzwerk, das mit 18 Gebieten begann, umfasst mittlerweile 130 Gebiete verteilt auf sechs Kontinente.

Abb.1: Europäische Gebirgsregionen mit GLORIA-Erhebungsflächen. Diejenigen 17 Regionen, die in die erste Erhebung 2001-2008 eingebunden waren sind mit schwarz umrandeten gelben Punkten gekennzeichnet. Quelle: Harald Pauli
Abb.1: Europäische Gebirgsregionen mit GLORIA-Erhebungsflächen. Diejenigen 17 Regionen, die in die erste Erhebung 2001-2008 eingebunden waren sind mit schwarz umrandeten gelben Punkten gekennzeichnet. Quelle: Harald Pauli

Erste Ergebnisse

Im Jahr 2001 erfolgte die erste Erhebung der Gefäßpflanzengemeinschaften auf den Dauerflächen der 66 Gipfel in den 17 europäischen Regionen. Nach der Wiederholungskartierung 2008, lagen die ersten Vergleichsdaten vor. Dabei war ein Höhersteigen der Arten auf fast allen Gipfeln erkennbar. Im Schnitt verschoben sich die Artengrenzen um 2,7 Meter nach oben. Die Artenvielfalt stieg ebenfalls um durchschnittlich acht Prozent an. Dies bedeutet, dass die Pflanzen nicht nur ihre Obergrenzen ausweiten, sondern auch Pflanzen von unten nachdrängen. Dies könnte zu Problemen vor allem bei jenen Pflanzen führen, die bereits am Limit ihrer oberen Verbreitungsgrenze wachsen und nicht mehr weiter ausweichen können. Der Gletscher-Hahnenfuß kann sich beispielsweise gar nicht an höhere Temperaturen anpassen. Er würde, bei Fehlen geeigneter kühlerer Habitate, schnell seine physiologischen Reserven aufbrauchen. Im schlimmsten Fall würde dies lokale Aussterbeereignisse nach sich ziehen. „Ein Aussterben ist aber natürlich schwer festzustellen. Wir können nur einen Rückgang in der Bedeckung oder eine Verdrängung durch andere Pflanzen festhalten und daraus mögliche Schlüsse ziehen“, erklärt Pauli.

Abb.2: Der Gletscher-Hahnenfuß (Ranunculus glacialis) ist gut an das raue alpine Klima angepasst. Unter wärmeren Bedingungen sind seine physiologischen Grenzen schnell erreicht. Quelle: Harald Pauli
Abb.2: Der Gletscher-Hahnenfuß (Ranunculus glacialis) ist gut an das raue alpine Klima angepasst. Unter wärmeren Bedingungen sind seine physiologischen Grenzen schnell erreicht. Quelle: Harald Pauli

Die Zunahme der Artenzahlen vollzieht sich jedoch nicht in allen europäischen Regionen gleichermaßen. In mediterranen Gebieten zeigt sich gar eine Abnahme der Artenzahlen. Dies könnte auf einen kombinierten Effekt von Klimaerwärmung und abnehmender Niederschlagsmenge zurückzuführen sein. „Weniger Regen führt zu Trockenstress, den nur wenige Pflanzen aushalten“, folgert Pauli. Diese Ergebnisse seien vor allem deshalb besorgniserregend, führt er weiter aus, da „gerade in den mediterranen Gebieten, die verfügbaren Hochgebirgsflächen sehr klein sind und ein hoher Grad an Endemismus besteht“. Diese endemischen Pflanzen haben wenig Möglichkeiten, ihre Verbreitung den klimatischen Gegebenheiten anzupassen. Bereits nach den ersten sieben Jahren wurden 31 Prozent der 2001 aufgenommenen Endemiten nicht erneut gefunden (Pauli et al., 2012).

Außerdem konnte eine zunehmende Thermophilisierung der alpinen Flora festgestellt werden. Das bedeutet, dass in den untersuchten Regionen, die Bedeckung jener Pflanzen zunimmt, die an höhere Temperaturen angepasst sind. Diese Pflanzen, die normalerweise weiter unten (in der montanen oder subalpinen Zone) wachsen und größer als die meist klein- und langsam-wüchsigen alpinen Arten werden, wandern nach oben und konkurrieren mit den alpinen Arten um Licht. Im Schnitt konnte festgestellt werden, dass sich die Höhenstufen in sieben Jahren um fünf Prozent nach oben verschoben. Dies führt zu einem Schrumpfen der Hochgebirgszonen mit genügend niedrigen Temperaturen für an Kälte angepasste Hochgebirgsarten (Gottfried et al., 2012).

Abb.3: Der Indikator für die Thermophilisierung (D) ist signifikant positiv auf europäischer Ebene. Der rote Strich repräsentiert die mittlere Thermophilisierung in Europa, der grüne Bereich ist das 95% Konfidenzintervall. Orange Punkte und horizontale Balken stehen für den Mittelwert D pro Region sowie die dazugehörigen 95% Konfidenzintervalle. Quelle: Gottfried et al., (2012)
Abb.3: Der Indikator für die Thermophilisierung (D) ist signifikant positiv auf europäischer Ebene. Der rote Strich repräsentiert die mittlere Thermophilisierung in Europa, der grüne Bereich ist das 95% Konfidenzintervall. Orange Punkte und horizontale Balken stehen für den Mittelwert D pro Region sowie die dazugehörigen 95% Konfidenzintervalle. Quelle: Gottfried et al., (2012)

Ausblick in die Zukunft

„Unser Schwerpunkt in den nächsten Jahren wird es sein, vermehrt funktionelle Merkmale gemeinsam mit den anderen Monitoring-Daten aufzunehmen.“, beantwortet Pauli die Frage nach der Zukunft von GLORIA. Damit werden die Interpretationsmöglichkeiten und die Aussagekraft der Daten erheblich verbessert. Funktionelle Merkmale können eine mögliche Thermophilisierung anzeigen oder auf den Rückgang von Niederschlägen hindeuten (skleromorphe Pflanzen). In den mediterranen Gebieten ist der Rückgang der Niederschlagsmenge (siehe „Erste Ergebnisse“) derweil nur eine mögliche Erklärung für den Artenrückgang. Da es weder möglich noch praktikabel wäre überall Wetterstationen zu bauen, kann die Hypothese durch die Untersuchung funktioneller Merkmale geklärt werden.

Allerdings gibt es keine einheitliche Literatur zu diesen Merkmalen, die einen Vergleich über Ländergrenzen hinweg zuließe. Deshalb ist eines der nächsten Ziele des GLORIA-Teams einen vollständigen Datensatz mit diesen Zusatzinformationen, zumindest einmal für Europa, zu erstellen.

Außerdem müssen die Daten, die 2015 im dritten Durchgang des Projekts erhoben wurden, noch analysiert werden. Anhand dieser könnte nun bereits ein Trend in den Entwicklungen prognostiziert werden.

Hürden eines internationalen Langzeitprojekts

Langzeitmonitoring-Initiativen wie GLORIA stoßen aber auch auf viele Probleme, die gleichzeitig als Kritik am Forschungsalltag gesehen werden können, der in den meisten Wissenschaften nun eingekehrt ist. Pauli erklärt die Schwierigkeiten so: „Monitoring-Daten, die nur alle fünf bis zehn Jahre erhoben werden, fallen nicht unter die Kriterien der meisten Fördertöpfe. Aber in Bezug auf den Biodiversitäts- und Klimawandel sind nur solche Projekte wirklich sinnvoll“.

Europaweit gibt es kaum Fördergelder für Projekte, die über mehr als fünf Jahre laufen. Langfristige Finanzierungskonzepte sind nicht en vogue. Deshalb müssen immer neue Projektanträge geschrieben werden, „obwohl sich an der grundsätzlichen Fragestellung nichts ändert und ein Projektdurchgang vielleicht auch gar nicht genug ist, um sie zu beantworten“, so Pauli. Um ein Bestehen der Initiative zu sichern, müsse das Team vermehrt Strategien entwickeln, wie das Monitoring langfristig finanziert werden kann, „weil die Daten ja auch mit jedem Durchgang interessanter und wertvoller werden“.

Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, neue Dauerbeobachtungsflächen außerhalb Europas zu schaffen. Gerade in Afrika und Asien gibt es wenige Monitoring-Flächen. Dies liegt einerseits an der weniger ausgeprägten Tradition zur Feldbiologie und andererseits an der teils fehlenden oder unvollständigen Bestimmungsliteratur. Auch politisch ist die Kooperation zwischen manchen Ländern kaum möglich und Sprachbarrieren erschweren die Zusammenarbeit weiter.

Trotz dieser Hürden ist mit GLORIA etwas gelungen, was bisher kaum denkbar war: In allen Klimaregionen der Erde verteilt auf sechs Kontinente, gibt es WissenschafterInnen, die in gemeinsamer Anstrengung an einer Fragestellung zum möglicherweise brisantesten Problem unserer Zeit arbeiten – den Auswirkungen des Klimawandels.

Harald Pauli

Harald Pauli
Die Berge begleiten den Hochgebirgsökologen bereits in seiner gesamten Laufbahn. Harald Pauli studierte Biologie mit dem Schwerpunkt Botanik an der Universität Wien und arbeitete dann lange Zeit in der Forschungsgruppe um Georg Grabherr zu klimawandel-induzierten Veränderungen von Gefäßpflanzen in der alpinen und nivalen Zone. Mittlerweile ist er Leiter des internationalen GLORIA Netzwerkes und Monitoringprogramms an der BOKU und der ÖAW sowie Vizedirektor des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung, IGF, an der ÖAW.

Titelbild: Quelle: Katharina Rogenhofer

Österreich ist im mitteleuropäischen Vergleich eines der artenreichsten Länder. Dies lässt sich vor allem auf die landschaftliche und klimatische Vielfalt zurückführen, zu welcher wiederum das Höhenprofil der Alpen maßgeblich beiträgt. Viele Tiere und Pflanzen sind jedoch, vor allem durch den Klimawandel sowie land- und forstwirtschaftliche Nutzung, gefährdet.

Welche Rolle spielen die Alpen in Österreich?

Die Alpen nehmen rund 60 Prozent der Gesamtfläche Österreichs ein und sind für die Landschafts- und Biotopvielfalt in Österreich von unmittelbarer Bedeutung. Sie sind Lebensraum für eine große Zahl an Tier- und Pflanzenarten. Durch das Höhenprofil und die sich dadurch ergebenden unterschiedlichen Klimabedingungen findet man auf kleinem Raum viele verschiedene Biotope.

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Gefahren für die Alpen

Lokale Ebene:
Urbanisierung, Tourismus, Land- und Viehwirtschaft, Habitat-Fragmentierung, Einbringung allochthoner Arten, Verkehr, Wasserverbrauch und Wasserverschmutzung.
Globale Ebene:
Klimaveränderungen, Luftverschmutzung, Stickstoffdüngung

Der Mensch und die Alpen

Menschlicher Einfluss war in der Geschichte der Alpen wesentlich für die Prägung der Landschaft. Ein nicht unbedeutender Teil der Biodiversität in den Alpen ist daher eng mit traditioneller Land- und Forstwirtschaft verzahnt. Die Nutzung der Alpen hat sich in den letzten Jahrzehnten jedoch rasch geändert. Tourismus und neue landwirtschaftliche Methoden führen zu intensiverer Nutzung und Ausbeutung einiger Gebiete. Andere Flächen werden aufgegeben, was eine Verringerung der Landschaftsdiversität zur Folge hat. Grasländer werden daraufhin durch die Ausbreitung von Busch- und Waldgesellschaften verdrängt und es kommt so zu einem Verlust der Artenvielfalt.

Endemiten

Die Alpen sind ein Hotspot für Endemiten – d.h. Spezies, die auf ein bestimmtes Areal (in diesem Fall Österreich) beschränkt sind. Klimatische Fluktuationen im Pleistozän führten zur Vergletscherung weiter Gebiete der Alpen und somit zur Migration und Restriktion von vielen Arten auf bestimmte Areale. Heutige Gebiete mit besonders hoher Anzahl an endemischen Arten befinden sich oft in solchen eiszeitlich wenig bis nicht vergletscherten Teilen der Alpen und stehen vermutlich in engem Zusammenhang mit eiszeitlichen Refugialgebieten (Schönswetter et al., 2005; Tribsch & Schönswetter, 2003). Diese Endemiten-Hotspots findet man dabei in den nordöstlichen Kalkalpen zwischen Schneeberg und westlichem Toten Gebirge, in Teilen der östlichen Zentralalpen zwischen den Eisenerzer Alpen und den westlichen Hohen Tauern sowie in den Südalpen (Abb.1).

Abb. 1: Raster-Summenkarte aller endemischen Tiere (575 Taxa) und Pflanzen (150 Gefäßpflanzen, 16 Flechten) in Österreich. Quelle: Rabitsch, W. & Essl, F. (2008).

Endemiten erreichen ihre maximale Artenzahl in deutlich höheren Gebieten als alle anderen Tier- und Pflanzenarten (Abb.2). Sie sind überwiegend auf kleine Areale beschränkt – so auch in den Alpen (45 Taxa der Gefäßpflanzen sind auf Areale unter 700 km2 angewiesen). Kleine ökologische Nischen, sehr spezifische Anforderungen und die geringe Artenzahl der Endemiten machen sie besonders vulnerabel und aufgrund der Höhenlage sind sie weitaus sensibler gegenüber klimatischen Schwankungen. Schon kleine Änderungen können dazu führen, dass die jetzigen Verbreitungsgebiete als Lebensräume nicht mehr geeignet sind, was zu einer starken Gefährdung endemischer Arten führt – besonders jener, die nicht in höhere Lagen ausweichen können.

Abb.2: Höhenverbreitung der endemischen Gefäßpflanzen (ohne Apomikten und Autogame) und Tiere Österreichs. Dargestellt in 100m Höhenintervallen. Quelle: Rabitsch, W. & Essl, F. (2008).

Endemiten und Schutzgebiete

Ein großer Teil der Endemiten-Hotspots sind durch das österreichische Schutzgebietsnetz erfasst. Schutzgebiete umfassen 59 Prozent aller endemischen Gefäßpflanzen. Bei endemischen Tierarten sind 55 Prozent aller besiedelten Quadranten durch Schutzgebiete abgedeckt. Allerdings sind einige der am stärksten gefährdeten Arten durch Schutzgebiete nur ungenügend erfasst.
Die Mehrheit der Endemiten Österreichs besiedelt naturnahe Standorte. Deshalb müssen Schutzmaßnahmen vor allem darin bestehen, Störungseinflüsse zu verringern und den Lebensraum in seiner charakteristischen Ausprägung zu erhalten.

Klimawandel und die Alpen

Allgemein nimmt die Temperatur mit zunehmender Höhe ab. Dieses Phänomen führt dazu, dass sich Höhenstufen ergeben, die durch eine besondere Vegetation und bestimmte klimatische Verhältnisse gekennzeichnet sind. Durch den Klimawandel wird sich die Verteilung der Lebensräume in den Alpen jedoch dramatisch ändern. Die Erwärmung bedingt eine Verschiebung der Baumgrenze nach oben, was eine der größten Gefahren für die, auf wenige Gebiete beschränkten, alpinen Arten darstellt. Die Erwärmung alleine ist für die meisten Arten noch kein Gefährdungsfaktor. Es wurde gar gezeigt, dass sehr viele Pflanzen die erhöhten Temperaturen aushalten würden. Doch mit der Erwärmung kommt es zu erhöhter Konkurrenz, da Pflanzenarten aus tieferen Lagen immer weiter hinaufwandern. Die sich verschiebende Baumgrenze führt zum Schrumpfen der möglichen Besiedelungsgebiete vieler Arten. Dirnböck et al. (2011) zeigen, dass Endemiten fünf taxonomischer Gruppen (Gefäßpflanzen, Schnecken, Spinnen, Schmetterlinge und Käfer) bis 2100 ca. 77 Prozent ihrer bevorzugten Lebensräume verlieren werden, selbst wenn man von den konservativsten Klimaszenarien ausgeht. Dabei sind die Auswirkungen auf Spinnen und Schmetterlinge am geringsten, da diese sich schneller und effektiver auf andere Habitate ausbreiten können (fliegen, ballooning). Die Gefahr auszusterben ist daher sehr stark mit der Fähigkeit verbunden, andere Lebensräume besiedeln zu können.
Engler et al. (2011) sagen ähnliche Habitatverluste voraus. Es führt aber nicht nur die Erwärmung alleine zu dramatischen Veränderungen. Auch die vorausgesagten Veränderungen der Niederschlagsmengen werden zu einem Verlust passender Habitate führen.
Gerade für die alpine Stufe (den Bereich oberhalb der Waldgrenze) werden gravierende Auswirkungen erwartet. Hier werden Organismen immer weiter nach oben verdrängt, bis ihnen keine Ausweichmöglichkeit mehr zur Verfügung steht. All dies birgt Grund zu Sorge, da alpine Ökosysteme unverzichtbare Ressourcen zur Verfügung stellen – auch in Form von Ökosystemleistungen.

Ökosystemleistungen

Ökosystemleistungen sind wirtschaftliche Versorgungsleistungen (Produktion zahlreicher Güter, wie z.B. Trinkwasser, Nahrungsmittel, Energieträger, Baumaterialien oder medizinische Wirkstoffe), regulierende Leistungen (Speicherung von CO2, Schutz vor Lawinen und Hochwasser, Verhinderung von Erosion und Regulierung des Klimas), unterstützende Leistungen (Sauerstoffproduktion, Aufrechterhaltung der Nährstoffkreisläufe und des Wasserkreislaufs) sowie kulturelle Leistungen (Erholungsleistung usw.).
Wenn die Ökosystemleistungen der Alpen berechnet und in monetäre Einheiten übersetzt werden, beläuft sich der Wert der wirtschaftlichen Versorgungsleistungen auf bis zu 1400 €/ha Jahr. Die regulierenden Leistungen machen einen Wert von bis zu 760 €/ha Jahr aus (Paletto et al., 2015).

Die Alpen als Quellgebiete

Auch die Biodiversität in Süßwasserhabitaten ist den Gefahren des Klimawandels ausgesetzt. Zu einem nicht unwesentlichen Teil wird dies durch das Abschmelzen der Gletscher verursacht. Der Rückgang der Gletscher resultiert in einer Reduktion an Schmelzwasser, das wesentlich für einige Flusssysteme ist. Dies verändert die Artenzusammensetzung der von Gletschern gespeisten Flüsse. Jacobsen et al. (2012) zeigen, dass dadurch die Biodiversität sowohl lokal als auch regional abnehmen wird und 11-38 Prozent aller untersuchten Makroinvertebraten (darunter auch Endemiten) aussterben könnten.
Auch die Artenzusammensetzung in Quellgebieten wurde untersucht. Quellen sind zwar kleine Lebensräume, aber es findet sich eine überraschende Diversität an Taxa. Durch den hohen Grad an Spezialisierung und den azonalen Charakter (durch stabile physiochemische Gegebenheiten) sind Tiere die hier leben meist stenök. Das bedeutet, sie können nur eine kleine Schwankungsbreite der überlebenswichtigen Parameter tolerieren. Deshalb gibt es einige Organismen die entweder ausschließlich oder zumindest bevorzugt in Quellen vorkommen.
Durch indirekte oder direkte Einflussnahme auf diese Quellregionen, kommt es zur Gefährdung vieler spezialisierter Moose, Milben, Diptera, Schnecken und Köcherfliegen (Cantonati et al., 2006).

Was kann gegen Artenverluste getan werden?

In Europa sind Naturschutzbemühungen wegen der räumlich und zeitlich intensiven Nutzung durch den Menschen besonders kompliziert durchzusetzen. Einerseits scheint extensive Landwirtschaft wichtig für den Erhalt vieler Arten zu sein, andererseits sind Gebiete, die noch in einem ursprünglichen Zustand erhalten sind (wilderness areas), relativ selten und sehr gefährdet. Der Verlust an Biodiversität und wichtiger Ökosystemleistungen zeigt deshalb, dass ein effektiverer Naturschutz gebraucht wird. Nationale und internationale Abkommen, aber auch die Gründung und Erhaltung von Naturschutzgebieten spielen dabei eine wichtige Rolle.

Weiterführende Literatur

Chemini, C. & Rizzoli, A. (2003). Land use change and biodiversity conservation in the Alps. Journal of Mountain Ecology 7, 1-7.
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Episode

Im Frühling erobern die ersten Wildbienen, wie beispielsweise Hummeln die üppigen Wiesen und Gärten. Welche Rolle Wildbienen in der Natur spielen und wie man sie im eigenen Garten oder Balkon fördern und unterstützen kann, erfahrt ihr im Interview mit dem Wildbienenexperten Sebastian Hopfenmüller. Durch die Sendung führt Deniz Scheerer.