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Titelbild: Botanische Spaziergänger*innen im Planquadrat-Park (Foto: Austrian Biologist Association)

Im Juni 2022 machte sich die ABA auf die Suche nach botanischen Besonderheiten in Wien. Angeleitet und unterhalten wurden wir dabei von Birgit Lahner und Cristina-Estera Klein, den Autorinnen des kürzlich erschienen Buches „Botanische Spaziergänge – 11 Routen durch die Welt der Wiener Pflanzen und ihre Geschichte“.

Im Rahmen der ABA-Jahresvollversammlung am 11. Juni 2022 spazierten das Vereins-Team, Mitglieder und ABA-Interessierte durch die Wiener Innenstadt. Birgit und Cristina ergänzen einander mit botanischer Artenkenntnis und historisch-kulturellem Hintergrundwissen. Diese spezielle Symbiose spiegelt sich in ihren Texten des empfehlenswerten Buches wider – und machte auch unseren gemeinsamen Spaziergang zu einem besonderen Erlebnis, unabhängig von botanischen Vorkenntnissen der einzelnen Teilnehmer*innen. Es gelang den beiden, einen großen Bogen zu spannen, von ökologischen Ansprüchen verschiedener Pflanzenarten im Lebensraum Stadt, den historischen Hintergründen der Stadtentwicklung, bis zu aktuellen Problemen und Lösungsansätzen im Hinblick auf klimatische Veränderungen.

Botanische Spaziergänge – 11 Routen durch die Welt der Wiener Pflanzen und ihre Geschichte
Cristina-Estera Klein, Birgit Lahner
ISBN: 978-3-85439-705-2
Verlag: Falter

Unser Spaziergang beginnt im Burggarten

Der Burggarten erhielt seine heutige Form, mit geschwungenen Wegen als Landschaftsgarten in kleinem Maßstab, nach mehrfacher Umgestaltung Mitte des 19. Jahrhunderts. Doch erst seit 1919 ist er öffentlich zugänglich. Im Schatten der beeindruckenden Libanon-Zeder erfahren wir von der Burggartenbewegung, die sich 1979 für ein Betretungsrecht des Rasens einsetzte. Erst seit 2007 ist dies gesetzlich gestattet und wird heute von vielen Besucher*innen selbstverständlich genutzt.

Die Libanon-Zeder im Burggarten war ein Geschenk an Kaiser Franz Joseph I. zur Eröffnung des Suez-Kanals 1869. (Foto: GuentherZ via Wikimedia Commons)

Klimafitte Baumarten für den Ring

Vor den Toren des Burggartens machen wir Station an der Ringstraße. Wir erfahren von den gelungenen und weniger gelungenen Bepflanzungsbemühungen seit der Errichtung der Ringstraße als Prachtboulevard 1865. Kastanienbäume und Pappeln erschienen zu proletarisch und nicht repräsentativ genug, Götterbäume wuchsen nicht wie geplant. Schließlich entstand ein vielseitiges Spektrum an Alleebäumen. Die Auswahl der gepflanzten Baumarten ändert sich auch heute wieder. Sie muss an den Klimawandel angepasst werden. Ein häufiger Neuzugang an Wiens Straßen ist der Zürgelbaum (Celtis australis). Er soll aufgrund seiner höheren Hitze- und Trockenheitstoleranz langfristig Rosskastanien und Spitzahorne ablösen.

Pflasterritzenvegetation

Unsere Gruppe überquert den Ring und findet den nächsten Schatten im Schillerpark. Birgit und Cristina lenken unsere Aufmerksamkeit auf die unscheinbare Pflasterritzenvegetation am Rande des Parks. In kurzer Zeit sammeln wir typische Ruderalpflanzen zwischen den Pflastersteinen, u.a. Portulak, Einjähriges Rispengras, Breit-Wegerich, Kahles Bruchkraut, Niederliegendes Mastkraut und Vogel-Knöterich (auch „Hansl am Weg“ genannt).

Links: Auf der Suche nach Pflanzen in den Pflasterritzen. Rechts: Besprechung im Schillerpark. (Fotos: Stefan Kapeller)

Vom Karlsplatz zum Planquadrat-Park im 4. Bezirk

Wir gehen weiter in Richtung Karlsplatz und machen Halt am Zamenhof-Denkmal im Girardipark. Hier finden sich zwischen den stark befahrenen Straßen unscheinbare, aber abwechslungsreiche Staudenbeete mit robusten, hitzetoleranten Gräsern.

Staudenbeete am Karlsplatz. Im Hintergrund das „Goldene Krauthappl“ der Sezession. (Foto: Stefan Kapeller)

In der Operngasse wird der Grünanteil wieder sehr gering. Umso wertvoller sind Bepflanzungen von Baumscheiben oder die Anlagen kleiner Gärten auf der Fläche ehemaliger Parkplätze. Die kleinen Grünanlagen gehen oft auf die Initiative von Anrainer*innen zurück und spiegeln das große Bedürfnis nach mehr Grün in der Stadt wider.

Abschließend besichtigen wir den Planquadrat-Park. ORF-Mitarbeiter*innen und engagierte Anrainer*innen gründeten hier in den 1970er Jahren einen Verein und schlossen mehrere Innenhöfe zusammen. So entstand ein naturnah und liebevoll gestalteter Grünraum – eine Oase und Erholungsort mitten in einem der am dichtesten bebauten Stadtteile Wiens im 4. Bezirk.

In den „Botanischen Spaziergängen“ von Birgit und Cristina sind viele weitere stadtökologische und historisch-botanische Einblicke aus dem gesamten Stadtgebiet nachzulesen.

Das ABA-Team bedankt sich für die nette Tour!

http://www.birgitlahner.at
https://cristina-estera.at
https://shop.falter.at/botanische-spaziergaenge.html

Was man nicht kennt, kann man nicht schützen, hat Konrad Lorenz gesagt – das gilt auch für Pflanzen. Wer seine Artenkenntnis aufbessern will, kann dies nun spielerisch tun: mit der neuen PflanzenApp aus Tirol. Joseph Molyneux und Senta Stix verraten, was dahintersteckt.

Spikeprotein, Genschere, Mutation – was früher für viele wissenschaftliches Kauderwelsch war, bevölkert nun wie selbstverständlich die Gespräche. Eine normale Entwicklung? Vermutlich. Aber es ist auch ein Paradoxon unserer Zeit, finden die Biologen Joseph Molyneux und Senta Stix, dass sich fast jeder über R-Werte oder Gene unterhalten kann, viele jedoch Schwierigkeiten haben, eine Kiefer von einer Zirbe zu unterscheiden oder eine Eiche zu erkennen. Tatsächlich sind Dinge wie botanische Artenkenntnis oder Systematik auch bei Schul- und Studiencurricula zunehmend auf dem Rückzug. In der Botanik fasst man diese Entwicklung unter dem Begriff plant blindness, Pflanzenblindheit, zusammen. „Bedenklich, zumal ja alle Organismen mit komplexerem Stoffwechsel – wir inklusive – jeden unserer Atemzüge einer Pflanze und ihrer Photosynthese verdanken“, ergänzt Joseph. Grund genug, fand man, die lokale Pflanzenwelt wieder mehr in den Fokus zu rücken.

Auch mit von der Partie bei der App – die Kornelkirsche (Cornus mas ) (c) Peter Ecker

Wind of Change im Alpenraum

Die Idee dazu stammt von Senta: „2019 war die Zeit, in der das Botanik-Zertifikat aufkam, unser Kollege Martin Bichler sein Bugbuddies-Projekt startete und ein weiterer Kollege ein Pflanzenquiz für die ETH Zürich programmierte“, erinnert sich Senta. „Irgendwie lag die Idee für das Format plötzlich in der Luft: eine Quiz-Pflanzenapp, nicht nur zu den wichtigsten Gefäßpflanzen im Tiroler Alpenraum, sondern auch zu Moose und Flechten.“

Die Umsetzung gestaltete sich dann nicht ganz so einfach. „Lange Zeit bin ich auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten auf taube Ohren gestoßen“, erzählt Joseph, der die Projektleitung und Koordination übernommen hat. Aber dank der Unterstützung der Diözese Innsbruck, später dann auch der Abteilung für Naturschutz des Amtes der Tiroler Landesregierung nahm das Projekt 2020 schließlich doch Fahrt auf. Joseph schloss sich mit dem angehenden Informatiker Lukas Auckentaler zusammen, der fortan für die Programmierung der App zuständig war. Für eindrückliche Pflanzenfotos und die fachlich korrekten Informationstexte sorgte  eine Gruppe motivierter Botaniker:innen und Naturpädagog:innen.

Screenshots PflanzenApp: Quizauswahl (l) und kurze Informationstexte (r) (c) Joseph Molyneux

Unterhaltsamer Quizmaster

Am Ende ist aus dieser Zusammenarbeit eine kostenlos downloadbare, kurzweilige PflanzenApp entstanden, mit der Schüler:innen und Interessierte nun spielerisch einen Überblick über die wichtigsten Wildpflanzen, Nutzpflanzen, Moose und Flechten im Alpenraum gewinnen können. „Ziel war es einfach die relevantesten Lebensräume in Tirol rauszupicken und jeweils etwa zehn Arten zu präsentieren, die typisch für hier sind oder didaktisch wichtig“, erklärt Joseph, „bisweilen ist zwar auch was Seltenes dabei, die meisten vorgestellten Arten lassen sich aber gut im Alltag finden.“ Auch traditionelle Tiroler Nutzpflanzen sind Bestandteil der Artenauswahl. Den Zugang bildet dabei kein Bestimmungsschlüssel, sondern ein ausgeklügeltes Quizsystem. Zusätzlich sind in der App informative Pflanzenportraits integriert, die jeweils interessante Details über die Pflanzen verraten.

Beispiele für Quizfragen in der PflanzenApp (c) Josephy Molyneux

Begeisterung für das Thema schaffen

Dass die App nun online geht, freut Joseph und bedeutet auch eine gewisse Erleichterung: „Letztenendes ist so ein Projekt doch zeitintensiver als man denkt und besonders zwischenmenschlich eine Herausforderung. Es braucht Fürsprecher, um die Idee an der richtigen Stelle positionieren zu können und die richtigen Worte, um die Mitarbeitenden bis zum Schluss zu motivieren.“

Nach einem ersten Probelauf soll die App bald kostenlos für Linux-, Windows-, Android- und Apple-Systeme zur Verfügung stehen. Als erstes wird eine Version für das Betriebssystem Android realisiert. Das Projektteam hofft, dass die App gut angenommen wird und zu einer besseren Artenkenntnis anregt. Im Idealfall soll dem Blick auf den Bildschirm der Weg ins Freie und der Kontakt zu Pflanzen folgen. Es gilt die Vielfalt an pflanzlichen Lebensformen und ihre Verflechtungen mit anderen Lebewesen zu entdecken.

Dafür verlost die Westösterreichische Biologenvereinigung unter Schulklassen, die die App testen, zwei naturpädagogische Führungen. Letztendlich zählt das sinnliche Erleben von Pflanzen. Wie der Innsbrucker Botanikprofessor Hans Pitschmann schon sagte:

Vergiss bei aller Wissenschaftlichkeit und Systematik nie, dass Pflanzen einfach nur schön sind.

Hans Pitschmann

Titelfoto: evdn via pixabay

2019 wurde das „Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat“ ins Leben gerufen. Es soll einen Anreiz bieten, sich in pflanzlicher Diversität zu vertiefen. Das Zertifikat gibt Interessierten die Möglichkeit, ihre botanischen Artenkenntnisse und weitere freilandrelevante Fähigkeiten unabhängig und nach einheitlichen Standards überprüfen zu lassen.

Schlagwörter wie Artenschwund, Diversitätsverlust oder Biodiversitätskrise haben heute mittlerweile auch den Weg über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Flora und Fauna hinaus gefunden. Veränderung unserer heimischen Diversität in Form von Wandel und Verlust finden unbestreitbar statt  und sie ist regelmäßiger Teil der medialen Berichterstattung geworden und so auch ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

Artenkennerinnen und -kenner werden selten

Es gibt aber einen weiteren Aspekt in Zusammenhang mit Biodiversität, der kaum nach außen dringt und damit der Allgemeinheit meist verborgen bleibt – nämlich die Situation der Artenkenner. Aussagen wie „Artenkenntnis bzw. Artenkenner stehen selbst auf der Roten Liste“ bringen zum einen den Zustand zum Ausdruck, dass versierte Freilandbiologinnen und -biologen mit fundierter Artenkenntnis selbst zu den bedrohten Arten zählen. Sie spiegeln aber auch den subjektiven Eindruck beharrlich abnehmender Artenkenntnis wider. Tatsächlich zeigt sich die Situation in Form von Gutachten und Kartierungen im Auftrag der öffentlichen Hand, im Wissenschaftsbetrieb von universitären Einrichtungen oder wissenschaftlichen Sammlungen von Museen und Universitäten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nicht zuletzt kommt auch der Verschiebung der Schwerpunktsetzung in der einschlägigen Ausbildung an den Universitäten, angepasst an die Vergabekriterien von Wissenschaftsfonds und den Schwerpunktsetzungen wissenschaftlicher Zeitschriften oder Tagungen eine tragende Rolle zu.

Die derzeit zunehmende Diskussion im Zusammenhang mit dem Biodiversitätswandel verdeutlicht einmal mehr, dass oft die Grundlagen für eine seriöse Beurteilung der Veränderungen fehlt. Eine entsprechende Datenerhebung wäre dringend notwendig, dazu fehlt jedoch meist das Geld und immer öfter auch qualifizierte Artenkenner, für manche Organismengruppen gibt es sie fast gar nicht mehr.

Das „Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat“ bescheinigt Artenkenntnis

Vor diesem Hintergrund wurde unter der Federführung des Instituts für Botanik der Universität Innsbruck in einer Zusammenarbeit von einschlägigen botanischen Forschungs- und Sammlungseinrichtungen wie Universitäten und Museen nach einer Möglichkeit gesucht, einen Anreiz zu schaffen und Freilandbotanik und botanische Artenkenntnis wieder ins Gespräch zu bringen. 2019 wurde basierend auf einem in der Schweiz seit Jahren erfolgreichen Modell das „Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat“ ins Leben gerufen.

Das „Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat“ gibt allen Interessierten die Möglichkeit, ihre botanische Artenkenntnis und weitere freilandrelevante Fähigkeiten unabhängig nach einheitlichen Standards überprüfen zu lassen. Die Prüfungen werden von einschlägigen botanischen Einrichtungen öffentlicher Institutionen wie Universitäten oder Museen abgehalten. Die Zertifizierung umfasst die Prüfungsabwicklung und Ausstellung des Zertifikates. Eigene Kurse werden im Rahmen der Zertifizierung nicht angeboten. Die Ausstellung des Zertifikates erfolgt im Namen des „Verein zur Erforschung der Flora Österreichs“, die verwaltungsmäßige Abwicklung über das Institut für Botanik der Universität Innsbruck.

Das Österreichische Freilandbotanik-Zertifikat soll Interesse an pflanzlicher Diversität wecken und gleichzeitig auch Anreiz sein, sich darin zu vertiefen. Der Zugang zu den Prüfungen ist daher einfach und unkompliziert, Voraussetzungen werden nicht verlangt. Zudem hat man die Möglichkeit, je nach eigenem Kenntnisstand und eigener Einschätzung derzeit zwischen drei Stufen zu wählen, die jeweils drei unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden vom Einsteiger bis stark Fortgeschrittenen entsprechen. Grundsätzlich liegt bei allen Stufen der Fokus auf Artenkenntnis.

Drei Stufen zum Freilandbotanik-Gütesiegel

Die erste Stufe verlangt ausschließlich das sichere Erkennen von 250 Arten. Die Stufen zwei und drei umfassen 500 bzw. 750 Arten. Hier kommen aber zunehmend weitere, ebenfalls durchwegs Freiland relevante Kenntnisse dazu. Insbesondere die dritte Stufe soll mit 750 Arten, 60 Gattungen und 40 Familien und deren Merkmalen, erweitert durch das Ansprechen von Lebensräumen und Lebensgemeinschaften, Kartierung und Bestimmung eine echte Herausforderung darstellen, die einem „Gütesiegel“ gleichkommt.

Es gibt ein österreichweites Zertifikat mit einer Basisliste an Arten. Regionale Unterschiede in der österreichischen Flora können aber berücksichtigt werden, indem der Tausch von bis zu 50 Arten gegenüber der Basisliste pro Stufe und Prüfungsstandort möglich ist. Dies soll insbesondere Einsteigenrinnen und Einsteigern den Zugang erleichtern. Derzeit kann man zwischen fünf Prüfungsstandorte wählen. Zur Erlangung des Zertifikates sind für die Stufen 1 und 2 dezentrale Prüfungen an allen fünf Prüfungsstandorten vorgesehen, die Stufe 3 wird zentral in Innsbruck durchgeführt. Die Prüfungsantritte pro Person sind nicht begrenzt und Einsteigen ist auf jeder Stufe möglich.

Ein paar Fotos gleich zur Übung (deswegen stehen keine Namen dabei):

Interesse geweckt?

Konnten Sie die Arten erkennen und die Fragen beantworten?
Die heurigen Prüfungstermine finden Anfang Juli und im September 2020 statt!
Weitere Informationen zum Zertifikat, Artenlisten, Prüfungsstandorten und Prüfungsterminen finden Sie unter folgendem Link:

Episode

Zum derzeitigen Wissensstand umfasst die Flora Tirols rund 2400 Pflanzenarten. Wie ist man zu diesem Stand gekommen, was gibt es noch Neues zu entdecken und auf welche Arten müssen wir besonders aufpassen? Mit dieser Folge wollen wir der zunehmenden Pflanzenblindheit entgegenwirken und für die Flora Tirols begeistern. Lena Nicklas interviewt die beiden Botaniker Konrad Pagitz und Peter Schönswetter von der Universität Innsbruck und stellt die frisch entwickelte PflanzenApp der ABA vor. Mitautorin und Botanikerin Vera Margreiter entführt in die faszinierende Pflanzenwelt der Gebirge.