Foto: Elisabeth Zeppetzauer, Psitamex

Im Oktober 2023 haben uns Elisabeth Zeppetzauer und Sarai Anaya Valera, Gründerinnen der Organisation Psitamex, bereits von ihrer Arbeit bei einem JOBTalk erzählt. Seitdem ist vieles passiert, das die Ausdauer und Hoffnung auf die Probe stellt und neue große Herausforderungen mit sich bringt. Im Gespräch mit Elisabeth Zeppetzauer erhiet die ABA ein Update über die aktuelle Situation von Psitamex.

Psitamex, eine österreichisch-mexikanische Initiative, steht für „Psitácidos mexicanos“, oder übersetzt „mexikanische Papageien“. Dieser in Mexiko eingetragene Verein wurde von zwei Biologinnen in Mexiko City gegründet: Sarai Anaya Valera and Elisabeth Zeppetzauer. Bereits davor haben sie in einem mexikanischen Auswilderungsprojekt für Papageien mitgearbeitet und dieses koordiniert. Zwei Jahre nach der ersten begleiteten, erfolreichen Auswilderung wurde schließlich der Verein Psitamex gegründet, dessen Ziel es ist, Papageien in Mexiko aus Käfighaltung zu rehabilitieren und in die Freiheit zu entlassen. Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit ist auch die Öffentlichkeitsarbeit, denn viele Papageienarten sind vom Aussterben bedroht.

Foto: Psitamex


Artenschutz und Biodiversität – eine enge Vernetzung

Papageien können einerseits als “flagship species”, Flagschiffarten, als auch als “umbrella species”, bzw. Schirmarten, bezeichnet werden. Sie ziehen nicht nur viel Aufmerksamkeit auf sich, sondern sind auch ein wesentlicher Bestandteil des Ökosystems ihrer Heimat. Sie verteilen die Samen verschiedener Pflanzenarten und arbeiten (sozusagen) auch als „Gärtner“ in ihrer Umwelt, da sie Äste von Bäumen stutzen und so zur Lichtverfügbarkeit für Pflanzen beitragen. Das fördert die Diversität und trägt zur Bewaldung bei. Artenschutz und Biodiversität sind somit sehr eng verknüpft.

Als flagship species (Flagschiffart) bezeichnet man eine charismatische, populäre Art, die als Stellvertretung für Naturschutz-Anliegen dienen kann. Umbrella species (Schirmarten) hingegen sind für einen Lebensraum typische Arten, die ebenso zum Erhalt weiterer Arten dieses Lebensraumes beitragen.
Quelle: Wörterbuch der Ökologie


Ein weiterer Bestandteil dieses eng verbundenen Netzwerks ist die Einbindung der lokalen Bevölkerung. Bei Monitoring-Projekten, dem Anbringen von Nistkästen und durch Tourenangebote kann die Selbstwirksamkeit der Bevölkerung gefördert werden.

„Papageien können so auch eine Ressource für die Bevölkerung sein. Die Bevölkerung soll ins Handeln miteingebunden werden, damit auch die Zukunft für die Tiere und Menschen stabiler werden kann. Der Zusammenhang zwischen verschiedenen Feldern rückt immer mehr in den Mittelpunkt: Die Kooperation mit anderen Initiativen, die Kindererziehung oder die Sicherheit der lokalen Bevölkerung spielen alle zusammen.“, betont Elisabeth Zeppetzauer.



Über Elisabeth Zeppetzauer

Elisabeth Zeppetzauer hat in Salzburg Zoologie und Verhaltensforschung studiert und hat sich durch ihre Diplomarbeit näher mit Papageien beschäftigt. Dadurch ist sie in Kontakt mit der ARGE Papageienschutz gekommen, die es in Österreich seit 25 Jahren gibt. Im Jahr 2008 hat Elisabeth die Leitung der Schutzstation der ARGE Papageienschutz übernommen, die sich damals noch in Vösendorf bei Wien befand. In diesem Umfeld hat Elisabeth gelernt, dass ein Papagei durch richtige Haltung, ausreichend Stimulierung und genügend Enrichment wieder zum Wildtier werden kann. Und wenige Monate später war sie bereits in der Koordination eines Auswilderungsprojekts tätig.

Enrichment bzw. Environmental Enrichment soll das Umfeld von Tieren, speziell in Gefangenschaft, stimulierend gestalten, um mehr Abwechslung oder eine naturähnlichere Umgebung zu schaffen. Beispielsweise kann die Futtersuche fordernd gestaltet oder Exploration und Kognition gefördert werden. Einige Möglichkeiten umfassen Spielzeuge, verstecktes Futter oder Pflanzen im Gehege oder der Voliere.
Quelle: Smithsonians National Zoo & Conservation Biology Institute

 „Während meiner Tätigkeit bei der ARGE Papageienschutz ist der Gedanke in mir gewachsen, dass ich die Papageien gerne frei lassen möchte.“

Foto: Psitamex


Entwicklung der Vision

Seit vielen Jahren lag der Fokus für Psitamex bereits darauf, einen geeigneten eigenen Standort für die eine Auswilderungsstation in Mexiko zu finden. Dabei gab es bestimmte Kriterien zu beachten: gute Erreichbarkeit, die Nähe zu einem Naturschutzgebiet und Gebäude mit einer ökologischen Bauweise. Nach Jahren der Suche wurde der perfekte Standort in Chiapas ausfindig gemacht. Dieser umfasst 500 Hektar und befindet sich nahe der Grenze zu Guatemala in der Pufferzone eines Biosphärenreservats. Am Standort hätten sieben bis zehn wildlebende Papageienarten vorkommen sollen, gesichtet wurde von Psitamex tatsächlich aber nur eine, was das Problem des Artensterbens deutlich widerspiegelt. Der Plan war, dass Psitamex auf diese Weise zu einer schon bestehenden Öko-Gemeinschaft dazustößt. Doch das letzte Jahr offenbarte neue Hürden.

Ein Biosphärenreservat ist ein geschütztes, repräsentatives Ökosystem, dessen genetische Vielfalt vom Menschen unbeeinflusst bleiben soll.
Quelle: Wörterbuch der Ökologie


Herausforderungen in der Umsetzung

Der vergangene Aufenthalt in Mexiko 2024 hat Psitamex vor neue und unerwartete Herausforderungen gestellt, die Elisabeth Zeppetzauer uns folglich darlegt.

1) Waldbrände

Als Folge des Klimawandels werden Waldbrände auch nahe dem Standort für die geplante Auffangstation häufiger. Im April 2024 war das Geländer über fünf Wochen von einem Waldbrand betroffen. Für Elisabeth Zeppetzauer war das die erste Erfahrung mit einem Waldbrand. Da erste Strukturen am Grundstück bereits standen, kehrte Psitamex nach der ersten Flucht in das nächste Dorf anschließend wieder zurück, um die Ausbreitung und Neuentfachung des Brands zu verhindern. Mit Metallrechen und Schaufel legten sie fünf Wochen lang Brandschneisen an und bedeckten Baumstümpfe mit Erde, um die Ausbreitung des Feuers einzubremsen. Durch diesen intensiven Einsatz konnte Schlimmeres verhindert werden.

Aus dieser katastrophalen Situation konnten schließlich aber lehrreiche Schlüsse gezogen werden, die nun auch in die zukünftige Planung einfließen. So soll etwa ein Evakuierungsplan ausgearbeitet werden und auch Wasserauffangmöglichkeiten haben neue Priorität erhalten. Ein weiterer wichtiger Schritt, der zukünftig vor dem Rauch eines Waldbrandes bewahren kann, ist die Wiederherstellung und Aufforstung, da Bäume die Ausbreitung von Rauch einschränken. Diese weiteren Planungspunkte sollen zukünftig berücksichtigt werden. Denn Feuer hinterlässt nicht nur Verwüstung, sondern ist auch ein natürlicher Prozess, der Furchbarkeit und Wachstum fördert.

Die Waldbrände waren jedoch nur eine von mehreren Herausforderungen.

2) Soziale Herausforderungen

Sozial sehr tiefgreifende Probleme haben sich zum selben Zeitpunkt zugespitzt. Die soziale Unsicherheit ist laut Elisabeth Zeppetzauer schon längst sehr hoch. Sie nennt Beispiele, wie Repression durch die Regierung, Waffenschmuggel, Drogenkartelle, organisierter Widerstand der indigenen Bevölkerung und Abwanderung vieler Menschen als Folge. Als Resultat gibt es weniger Struktur, oftmals keine ausreichende, medizinische Hilfe und mangelnde Bildungsmöglichkeiten. Viele der Problemstellen befinden sich direkt vor Ort, da es sehr nahe zur Grenze an Guatemala liegt. Elisabeth erzählt von Migrationsbewegungen, die teilweise von Afrika und Asien über Mittelamerika über die Grenze in die USA gelangen wollen, und die organisierte Kriminalität anziehen können. Diese Situation hat sich vor allem in den vergangenen zwei Jahren zugespitzt, davor waren es friedliche Gemeinden. „Inzwischen ist Gewalt zum Alltag geworden“, beschreibt Elisabeth Zeppetzauer die Situation.

Aktuelle Wahlen hatten diesen Prozess angeheizt, da neue Regierungsposten besetzt werden mussten, was Mord, Entführungen und Korruption mit sich brachte. Elisabeth beschreibt, wie fünf bewaffnete Männer, während Psitamex vor dem Rauch des Waldbrandes flüchten musste, begonnen hatten, Einwohner:innen zu bedrohen und Geldforderungen zu stellen.

Die sozialen Herausforderungen sind eine Hürde für Psitamex und können auch potentielle Folgen, wie illegale Abholzung, mit sich bringen. 

Im Moment gibt es nur Gerüchte darüber, was vor Ort geschieht und wann es endet, ist unvorhersehbar. Wann Psitamex den Aufbau der Auffangstation abschließen können ist somit auch nicht klar. Eine Hoffnung ist der bestehende Rechtsanspruch auf das Land, da ein kleiner Teil davon von Psitamex bereits offiziell über einen Notar erworben wurde. Da es ein Biosphärenreservat ist, kann es bei der UNESCO eingeklagt werden.

3) Hitzewelle

Eine weitere Herausforderung, die Elisabeth schildert, war eine von mehreren Hitzewellen im letzten Jahr, die Temperaturen bis über 45°C zur Folge hatte. Sie erzählt von Tieren, die kollabierten und von den Bäumen fielen. Nicht alle Tiere seien dabei sofort gestorben, aber die wenigsten Menschen wussten damit umzugehen. Die Ursache könne zwar nicht bekämpft werden, aber Schadensbegrenzung sei möglich, wenn Menschen informiert werden. Deshalb erstellt Psitamex Infografiken und teilt die Information in sozialen Netzwerken, wie man mit verletzten Tieren umgehen kann. Mit dem Aufstellen von Wassertränken kann zumindest vereinzelt Tieren geholfen werden.

Was bringt die Zukunft?

Der letzte Mexikoaufenthalt zeichnete ein ernüchterndes Bild. Dennoch denkt Elisabeth Zeppetzauer auch an die Zukunft und will versuchen, aus den Umständen lehrreiche Schlüsse zu ziehen. Mit Drohnen sei es etwa möglich, genau zu analysieren, welche Bereiche vom Feuer betroffen sind. Um mit potentiell auftretenden Waldbränden künftig besser umgehen zu können, will Elisabeth Pläne für Wasserrückhaltemöglichkeiten schaffen. 

Die Aktivitäten von Psitamex stehen keineswegs still. So wird durch Kooperationen mit anderen Vereinen weiter am Schutz der Papageien gearbeitet. Bis die eigenen Aktivitäten wieder fortgesetzt werden können, hat die Unterstützung durch mediale Aufmerksamkeit, Information der Öffentlichkeit und Spenden anderer Organisationen Priorität. Elisabeth will auch länderübergreifend arbeiten und steuert Kooperationen mit anderen Organisationen an. Ein grundlegender Ansatz, um eine stabile Basis für den Erhalt und Wiedereinführung heimischer Arten zu schaffen ist auch die Wiederherstellung von Ökosystemen.

„Mein Fokus liegt darauf, zurück zum Anfang zu gehen und möglichst viele Papageien freizulassen, weil es für die Vögel und das Ökosystem wichtig ist und in weiterer Folge auch für den Menschen. Es ist emotional befreiend und beglückend, diese Tiere durch den Prozess zu begleiten.“

Foto: Psitamex


Vernetzung schafft Hoffnung

Für Psitamex ist es wichtig, den Blick nach vorne nicht zu verlieren. Elisabeth Zeppetzauer will auch dazu ermutigen, die Aufmerksamkeit auch auf positive Veränderungen zu richten und diese auch zu feiern.

Vernetzung mit anderen Initiativen, Vereinen und Einzelpersonen ist für sie von großer Bedeutung. Allen, die sich gerne selbst engagieren wollen, empfiehlt sie ebenfalls, Kontakt zu Personen und Organisationen herzustellen, die sich für Umwelt-, Natur- und Artenschutz einsetzen. Nicht jeder müsse dabei den gleichen Anhaltspunkt haben -für Elisabeth Zeppetzauer sind es die Papageien.

Weitere Informationen

Die Organisation Psitamex finanziert sich unter anderem über Spenden. Wer weitere Informationen über Psitamex oder Unterstützungsmöglichkeiten erhalten möchte, kann sich auf ihrer Webseite informieren oder direkt mit Psitamex in Kontakt treten.Weitere Informationen: https://psitamex.org/

Foto: Psitamex

Foto: Stefan Schneeweihs; ein wieder angebundener Seitenarm der Donau mit natürlichen Strukturen wie Totholz, Kiesbänken uns steilen Uferanrissen

Im Nationalpark Donau-Auen treffen wir auf die charakteristische, dynamische Flusslandschaft, deren Erhaltungszustand dort noch natürlich bis naturnahe ist. In Österreich ist der natürliche Erhaltungszustand von Flussökosystemen aufgrund von intensiven Flussregulierungen in der Vergangenheit, selten geworden. In den vergangenen Jahrzehnten haben flussbauliche Maßnahmen zur Revitalisierung und Renaturierung zugenommen. Besonders in den Donau-Auen finden aktuelle Projekte zur Sohlstabilisierung, Gewässervernetzung und Uferrückbaumaßnahmen statt, die dem Verlust bestimmter Lebensräume und Lebensgemeinschaften entgegenwirken. Im Nationalpark kann man den Erfolg dieser Maßnahmen in natura beobachten.

Über Renaturierungsprojekte an der Donau hat das bioskop mit Mag. Stefan Schneeweihs, aus dem Team der Nationalpark Verwaltung, gesprochen. Mag. Schneeweihs gibt uns einen Einblick in aktuelle Projekte und die Auswirkungen, die flussbauliche Renaturierungsmaßnahmen haben können.

Im Nationalpark Donau-Auen ist unser Gesprächspartner in alle aktuellen, wasserbaulichen Projekte involviert. Die Projekte werden von verschiedenen Organisationen gemeinsam getragen. Allen voran die viadonau, aber auch der WWF und auch Universitäten können daran beteiligt sein. In jedem Fall gehört zur Planung und Ausführung ein ganzes Team.

Mag. Stefan Schneeweihs

Als Bestandteil des Teams der Nationalparkverwaltung des Nationalpark Donau-Auen, ist Mag. Stefan Schneeweihs sowohl ausgebildeter Park-Ranger, als auch für die wasserbaulichen Projekte des Nationalparks zuständig.

Gibt es ein Projekt, das dir persönlich am meisten am Herzen liegt?

Alles Projekte liegen mir sehr am Herzen, weil jedes für sich ein wichtiger Schritt ist, um das Ziel des Nationalparks zu erfüllen, das der Gesamtheit der Lebensraumtypen und Lebensgemeinschaften Platz bieten soll. Jedes der Projekte erfüllt mich mit Vorfreude auf die Umsetzung. Auch die Entwicklung währenddessen und die Erfolge zu sehen, bereitet mir Freude.

War das auch schon früher dein Ziel?

Das hat sich erst ergeben. Als Biologiestudent kam ich erst bei meiner Abschlussarbeit in Kontakt mit den Donauauen und habe meine Felderhebungen im Nationalpark getätigt. Diese standen auch thematisch im Zusammenhang mit den Flussrenaturierungen. Erst ein paar Jahre später wurde wieder für die Betreuung solcher Projekte jemand gesucht und dabei hat sich meine Beschäftigung im Nationalpark ergeben. Diese Gelegenheit hat damals meine Begeisterung entfacht.

Ziele des Nationalparks

Grundsätzliches Ziel des Nationalparks ist es, ausreichend Platz und Lebensräume für die typischen Vegetationsstadien und die damit zusammenhängende, typische Tierwelt bereitzustellen. Das gesamte Flusssystem hängt in seiner ursprünglichen Form von der hohen Flussdynamik ab. Ein unregulierter Fluss stellt immer wieder einen ursprünglichen Zustand her – das kann eine Schotterbank sein oder ein unbewachsener sandiger oder lehmiger Bereich. Auf diesen ursprünglichen Bereichen kann sich der neue Vegetationszyklus wieder entwickeln.

Im Zentrum steht also der wiederkehrende Neubeginn der Auenlandschaft und die natürlichen Prozesse, die wieder in Gang gebracht werden sollen. Prozessschutz ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Begriff.

Der Prozessschutz hat zum Ziel „Funktionen und Prozesse in Lebensgemeinschaften und Ökosystemen unter möglichst natürlichen Bedingungen sicherzustellen“ (Schaefer, 2012). Das beinhaltet auch die natürliche Sukzession von Lebensräumen.

Quelle: Wörterbuch der Ökologie

Zu diesen natürlichen und unvermeidbaren Prozessen gehören auch Hochwasserereignisse unterschiedlicher Stärke. Ein großer Retentionsraum kann die Folgen eines Hochwassers für den Menschen etwas eingrenzen, indem das Wasser dort zurückgehalten wird. Eine natürliche oder wiederhergestellte Auen Landschaft kann diesen Retentionsraum mit ihren unbesiedelten, weitläufigen Flächen bieten.

Als Retentionsraum oder auch Rückhalteraum wird ein Gebiet bezeichnet, „in dem zeitweilig ein Wasser- oder Stoffrückhalt durch natürliche Gegebenheiten oder künstliche Baumaßnahmen erfolgen kann.“

Quellen:
https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/retentionsraum/6681
https://www.donauauen.at/wissen/natur-wissenschaft/die-donau/die-au-nach-dem-hochwasser

Für das Leben in der Au ist das Hochwasser sogar wichtig, da bestimmte Lebensraumtypen nur auf diese Weise wieder erneuert werden können. Viel Vielfalt in der Au ist so auch vom Hochwasser abhängig. Damit diesem Prozess auch der notwendige Raum geboten werden kann, hat die Renaturierung des Lebensraumes und seiner Strukturen große Bedeutung.

Phasen flussbaulicher Projekte

1) Finanzierung: Damit ein Gewässerabschnitt revitalisiert werden kann, ist Finanzierung eines Projekts notwendig, wofür ein Projektantrag verfasst werden muss.

2) Planung: Wenn die Finanzierung sichergestellt ist, findet die Planungsphase statt, in der sich das Team mit der technischen Planung befasst. Diese ist meist ein sehr intensiver Teil eines Projekts und beinhaltet auch die Einbeziehung von externen, technischen Büros. Regelmäßige Abstimmungssitzungen, um gemeinsam zu einem Konsens zu kommen, finden im Zuge dessen statt.

3) Bewilligung: Wenn die Abstimmungen zu einem Ende kommen, wird das Projekt in der nächsten Phase den zuständigen Behörden zur Bewilligung vorgelegt. Ist diese schließlich geregelt, beginnt die Bauphase.

4) Bau: Dazu sucht man eine passende Baufirma, worauf die Umsetzung folgt. Jede Phase bestellt demnach aus unterschiedlichen Aktivitäten.

Stefan Schneeweihs hält besonders die Planungsphase für sehr spannend, weil die Projekte dabei konkret Form annehmen. „Es sind grundsätzlich ökologische Projekte, die zur Verbesserung der naturräumlichen Situation beitragen sollen, müssen aber immer mit Kompromissen mit anderen Nutzungsformen und Gegebenheiten im Gebiet konstruiert werden.“ Kompromisse, die getroffen werden müssen, involvieren vor allem Schifffahrt und Hochwasserschutz.

Die größte, renaturierte Fläche im Bereich der Donau

Im Großraum Hainburg befindet sich der größte zusammenhängende Bereich, in dem Renaturierungsprojekte stattgefunden haben. Interessant ist das vor allem, weil genau dort ursprünglich das Kraftwerk geplant gewesen war. Anstelle des Kraftwerks gibt es dort einen längeren Flussabschnitt, an dem nun bereits das vierte Renaturierungsprojekt mit Uferrückbaumaßnahmen und Gewässervernetzungen stattfindet. Das umfasst auch die Anpassung der Niederwasserregulierung mit dem Umbau von Buhnen.

Die Dauer von flussbaulichen Projekten

Es dauert immer mehrere Jahre von der ersten Konzeptphase bis zum Ende der Umsetzung. Da die Nationalpark Verwaltung und die Partnerorganisationen schon viel Routine haben, dauert die Planungsphase meist um ein Jahr. Die anschließende Bewilligungsphase dauert meist um ein halbes Jahr. Die Bauphase hängt stark von der Projektgröße ab, oftmals sind das ein bis zwei Saisonen. Addiert kann ein solches Rückbauprojekt eine zeitliche Dimension von fünf Jahren haben.

Aktuelle Projekte im Nationalpark Donau-Auen befinden sich in ganz unterschiedlichen Phasen, wobei die technischen Planungen für einige Projekte weitgehend abgeschlossen sind. Beispielsweise betrifft das Uferrückbauprojekte an der Donau, an der das Ufer revitalisiert wird. Mit einem Gewässervernetzungsprojekt ist Stefan Schneeweihs zum Zeitpunkt des Gesprächs im April 2024 sehr beschäftigt. Ein weiteres Projekt, weiter stromabwärts von Hainburg, befindet sich bereits in der Bauumsetzungsphase.

Initiative und Partner

Bei den diversen Projekten ist es genauso unterschiedlich, wer den ersten Schritt für ein Renaturierungsprojekt setzt. Es sind in jedem Fall mehrere Institutionen beteiligt. Enge Zusammenarbeit gibt es allem voran mit der viadonau, die auch in vielen Fällen der Auftraggeber der Bauaufträge ist. Die viadonau besitzt viel Erfahrung und Know-how in der Abwicklung der Aufträge. Die Entwicklung von Projektideen und deren Entwicklung geschieht gemeinsam. Die viadonau ist eine größere Organisation und auch sogenannter Konsenswerber für ein Projekt, der bei den zuständigen Behörden um Bewilligung ansucht.

Im Nationalpark hat man im Gegenzug vertiefte Gebietskenntnis, was den Zustand von Uferstreifen und Gewässer betrifft, sowie die Zugänglichkeit eines bestimmten Gebiets. Es gibt noch Bereiche mit Infrastruktur und menschlicher Nutzung, an denen es nicht einfach ist, einen Uferabschnitt oder Seitenarm zur Verfügung zu stellen.  

Neben der viadonau ist aber auch der WWF ein regelmäßiger Partner, da dieser Grundeigentümer im Nationalpark ist. Sind Maßnahmen auf dessen Eigentum geplant, ist der WWF ein bedeutender Abstimmungspartner im Planungsprozess.

Ökologisches Gesamtbild und Wiederherstellung von Lebensräumen

Wie bereits erwähnt wurde, stellt ein natürlicher Fluss immer wieder einen ursprünglichen Zustand her. Die natürliche Sukzession beginnt in den neu geschaffenen offenen Bereichen bei den ersten krautigen Pionieren, über eine junge Weichholzau zur älteren Weichholzau, bis zur Entwicklung einer Hartholzau. Durch den Fluss kann diese Entwicklung immer wieder von verschiedenen Stadien aus zurückgesetzt werden auf ein jüngeres Stadium. Das geschieht durch Hochwasser, bei dem Kies, oder Feinsediment angelandet oder weggespült werden. Das ist auch notwendig, denn der Weichholzauwald kann sich nicht mehr selbst erhalten und verjüngen. Dank der Dynamik des Flusses kann dieser Lebensraumtyp wieder neu entstehen.

Die Sukzession beschreibt die zeitliche Veränderung von Artengemeinschaften, die einander ablösen. Im Sinne der Sukzession kann zwischen Weichholzau und Hartholzau als verschiedene Zonen in einer Au unterschieden werden. Vertreter einer Weichholzau, wie beispielsweise Weiden, besiedeln schnell tiefer gelegene, neu entstandene Standorte. Im Gegensatz dazu siedeln sich Gesellschaften einer Hartholzau in den stabieleren Bereichen an. Das sind meist sehr artenreiche Standorte, die weiter entfernt vom Fließgewässer liegen. Unterschiedliche Arten spiegeln dabei die Überschwemmungshäufigkeit wider.

Quellen:
Auen in Österreich (pp 31-34)
Wörterbuch der Ökologie

Dieser Prozess der Verjüngung wird durch die Flussregulierung unterbunden. Stattdessen wird der Wald immer älter und die Sukzession schreitet immer weiter voran. Als Folge verliert die Au ihren typischen Auencharakter. Genau dort setzen Renaturierungsprojekte an, die versuchen, künstliche Barrieren zu entfernen. Dadurch kann der Fluss wieder in das System eingreifen, kann diese charakteristische Störung einbringen, die für diesen Standort typisch ist.

Foto: Stefan Schneeweihs; zeigt ein revitalisiertes Ufer gegenüber von Hainburg

Arten im Fokus

Es geht bei der Renaturierung nicht um einzelnen Artenschutz, sondern viel mehr um die Gesamtheit an Lebensräumen in einem Gebiet. Besonders Pioniergesellschaften in der Pflanzenwelt spielen dabei eine Rolle. Auf die anfänglichen krautigen Pflanzen folgen, wie oben erwähnt, Strauchweiden und anschließend die Weichholzau. Dabei kann man bestimmte Arten hervorheben, die beispielsweise die Schwarzpappel (Populus nigra), die zu den bedrohten Bäumen in Europa gehört. Sie ist ein typischer Bewohner dynamischer Flusslandschaften und hat durch die Flussregulierung ihren Lebensraum verloren. In einem dichten, dunklen Wald kann sie nicht keimen und ist nicht überlebensfähig. Die Schwarzpappel braucht die störungsintensive Flusslandschaft, besonders die Schotterbänke, die durch Hochwasser oder Erosion entstehen können. In wiederhergestellten Bereichen findet eine Verjüngung der Schwarzpappel statt.

Pionier- oder auch Initialgesellschaften genannt, treten an dynamischen Standorten, die neu entstehen können, auf. Sie sind geprägt von Arten, die einen Lebensraum als erstes besiedeln. In einer Auenlandschaft ist es vom Fließgewässer abhängig, wo solche offenen Lebensräume entstehen können. Diese Standorte sind keineswegs stabil, da sie von der Fließgewässer Dynamik ständig gestört werden.

Quelle: Auen in Österreich (pp. 17-23)

„Dem Lebensraum folgen seine Bewohner,“ wie Stefan Schneeweihs erklärt, nicht nur Pflanzen, sondern auch Tiere. Typische Arten sind manchmal nicht plakativ und bekannt, aber dennoch wichtig. Das betrifft unter anderem viele wirbellose Tiere, wie Insekten und Spinnen. Wo wir es wenig erwarten, wie auf einer unbewachsenen Schotterbank, bevölkern diese Tiere ihren Lebensraum zahlreich. Wir sehen sie nicht oft, da sie in den Lücken zwischen Steinen leben. Oftmals sind sie so klein und versteckt, dass man sie selten zu Gesicht bekommt.

Am Ufer

Typisch sind bestimmte Laufkäfergemeinschaften oder Kurzflügelkäfer, deren Artenreichtum eine vielseitige Ernährung einnehmen kann. Manche leben räuberisch, andere wiederum ernähren sich von angeschwemmtem Material. Die Flussuferwolfspinne (Arctosa cinerea) jagt in diesen Lebensräumen. Diese Arten sind alle spezialisiert und typisch für offene Lebensräume, aber auch selten und gefährdet, da ihr natürlicher Lebensraum an unregulierten Flüssen ebenso selten geworden ist. Ersatzstandorte sind oft Schottergruben, wo sie ähnliche Bedingungen finden können. „Für solche Artengruppen wollen wir durch Renaturierungsprojekte Platz schaffen“, betont Schneeweihs.

Es gibt auch Vogelarten, die explizit auf bloßem Schotter brüten. Dazu zählt der Flussregenpfeifer (Charadrius dubius), der nicht einmal ein Nest baut, sondern seine Eier nur zwischen die Steine legt. Diese sind so gut auf die Umgebung abgestimmt, dass sie kaum zu erkennen sind. An renaturierten Uferabschnitten kommt der geeignete Lebensraum für diese Vogelart deutlich häufiger vor als in regulierten Abschnitten. Der Flussuferläufer (Actitis hypoleucos), bevorzugt bereits Standorte, an denen die erste krautige Vegetation und kleine holzige Büsche bereits aufkommen. Er hält sich also etwas weiter entfernt von den vollkommen dynamischen Standorten am Wasser auf, sondern braucht eine Übergangssituation. An befestigten Steilufern fühlen sich diese Arten nicht wohl. Flache Schotterbereiche sind nicht die einzigen Lebensräume, die in naturnahen und renaturierten Gebieten auftreten. Auch steile Sedimentufer, in die der Fluss sich hinein gräbt, können entstehen. Dort kann der Eisvogel (Alcedo atthis) und der Bienenfresser (Merops apiaster) ihre Bruthöhlen anlegen

Unter Wasser

In Uferbereichen, in der Flusssohle und im Kies gehören eine unvorstellbare Vielzahl an wirbellosen Tieren zu den Arten, die von Renaturierung profitieren. „Auch diese entziehen sich oft unserer Wahrnehmung, tragen aber wichtige Funktionen im Ökosystem und erbringen für uns auch wichtige Leistungen.“ Dazu gehören wichtige Reinigungsleistungen. Der Kies unter Wasser ist bewohnt von Lebewesen, die permanent das Wasser filtern und damit auch reinigen. Das ist eine wichtige Vorreinigung, da das Wasser später in das Grundwasser ausfiltriert und uns letztendlich auch als Trinkwasser zur Verfügung steht. All diese Funktionen sind in regulierten Flusssystemen eingeschränkt. Dort sind die Flüsse meist eingeengt, was weniger Lebensraum zur Folge hat, die Ufer sind außerdem mit Blocksteinen befestigt, an denen keine Bewegung mehr stattfindet. Das feine Material verklebt sogar die Poren und macht es Tierarten schwer, das Umfeld gleichermaßen zu besiedeln. Es geht sowohl Fläche als auch Volumen verloren und damit auch die für uns positive Wirkungen.

Bekanntere Arten, die durch Renaturierungsprojekte geschützt werden, umfassen unter anderem strömungsliebende Fischarten, die am Beginn der Fortpflanzung und in jungen Entwicklungsstadien auf seichte Schotterbänke angewiesen sind. Diese müssen auch ausreichend gut angeschwemmt sein, damit die Sauerstoffversorgung ausreicht. In Bereichen mit geringerer Strömung können diese Arten ablaichen. Auch die winzigen Larven können sich in starker Strömung nicht behaupten und sind damit auch abhängig von seichten Bereichen und geschützten Buchten, in denen sie von älteren Verwandten nicht gefressen werden können. Wenn sie größer werden, haben sie wiederum andere Ansprüche, was zeigt, dass eine Vielfalt an verschiedenen Lebensräumen für die Entwicklung dieser Arten notwendig ist. Das können nur natürliche Ufer mit ihrem Strukturreichtum bieten. Nur so können die Populationen langfristig stabil bleiben.

Als Beispiel fällt die Nase, Chondrostoma nasus, in diese Kategorie von Arten. Diese war zu früheren Zeiten ein Fisch, der in Massen auftrat. Mittlerweile kommt sie viel weniger zahlreich vor. Die Barbe, Barbus barbus, ist ein weiteres Beispiel für eine typische Fischart in gut durchströmten Kiesbereichen. Der Huchen, Hucho hucho, als bekannte Fischart, braucht ähnliche Verhältnisse. Das sind Zielarten, die in der Außenwahrnehmung erfolgreicher sind und die von solchen Renaturierungsprojekten profitieren können. Weiters gibt es noch eine Gruppe von Barschartigen, wie Schrätzer, Gymnocephalus schraetser, die eher bodengebunden sind, aber auch typisch für gut durchströmte Bereiche. Im Gegensatz dazu stehen Altarme, die weiter abseits der Donau liegen, an denen kaum Strömung vorhanden ist. So bleibt mehr feines Material am Boden liegen, wodurch es schlammiger wird. Dort fühlen sich wiederum andere Arten wohl.

Ökologische Bauaufsicht

Ein weiterer Zuständigkeitsbereich von Stefan Schneeweihs ist es, als ökologische Bauaufsicht bei anfallenden Bauarbeiten zu wirken. Im weiteren Verlauf geht er auch darauf ein, was die Aufgaben einer ökologischen Bauaufsicht sind. Nicht nur die Aufsicht vor Ort ist von Bedeutung, denn bestimmte Maßnahmen und Rücksichtnahmen sollten bereits im Vorfeld festgelegt werden, unter anderem können diese in der naturschutzfachlichen Bewilligung bereits als Auflage vorhanden sein. Als Beispiel zu nennen sind Brutzeiten von bestimmten Vogelarten. Somit kann es vorkommen, dass es bestimmte Zeiten gibt, zu denen die Bauaktivitäten angepasst werden müssen.

Ein weiteres Beispiel sind sensible Greifvögel, die sich auch erst in der Phase zwischen der Bewilligung und dem Baubeginn ansiedeln können. Umstände, wie diese muss man als ökologische Bauaufsicht im Auge behalten. Manche Schutzgüter sind bereits im Vorfeld vorhanden, andere kommen gegebenenfalls erst im Laufe des Projekts hinzu. Dementsprechend muss darauf reagiert werden.

Auch die Baustelle an sich ist eine Störung für einen eingeschränkten Zeitraum. Diese wird jedoch durch die entsprechend hohen und langfristigen Verbesserungen nach den Bauarbeiten ausgeglichen, die eine bessere Nutzung des Lebensraumes zur Folge haben.

Bei den Revitalisierungsprojekten geht es darum, Hindernisse zu entfernen. Damit der Fluss das Ufer wieder natürlich formen kann, müssen oft große Blocksteine entfernt werden. Auch hierbei muss auf Sorgfalt geachtet werden und überdies ist Gebietskenntnis der Nationalparkverwaltung von Vorteil. Die Bauaufsicht hat den Auftrag der Behörden, einzugreifen, sollte etwas nicht in Ordnung sein und darf dementsprechende Maßnahmen anordnen.

Schließlich soll das Geschehen auf der Baustelle auch dokumentiert werden, was anhand von Fotodokumentation und einem abschließenden Bericht zusammengefasst und an die zuständigen Behörden übermittelt wird.

Biberbau im Baugebiet

Bei Arbeiten am Ufer muss oftmals auf Biberbauten geachtet werden, die sich im Uferbereich befinden können. Auch diese sollten bereits im Vorfeld schon markiert und den Baufirmen mitgeteilt werden. Sobald sich die Bauarbeiten im Abschnitt eines Bibers befinden, bleibt die ökologische Bauaufsicht durchgehend vor Ort und leitet das Baugeschehen entsprechend an und achtet dabei auf ein sorgfältiges Vorgehen.

Die Dotation der Oberen Lobau

Als ein aktuelles Beispiel hat sich das Bioskop nach den Hintergründen der Dotation der Oberen Lobau erkundigt.

Dotation: In ein isoliertes Gewässersystem wird wieder Wasser eingebracht. Das beinhaltet technische Maßnahmen, bei denen die Wasserzugabe kontrolliert wird.

Die Lobau ist als ehemaliger Teil des Donausystems durch den Hochwasserschutz völlig abgetrennt vom Durchflussgeschehen der Donau. Der Hochwasserschutzdamm zieht sich zwischen Donau und Lobau entlang, wodurch auch kein Donauwasser in die Lobau gelangt. Ursprünglich war die Lobau eine der Hauptverzweigungen der Donau, bevor die systematische Donauregulierung in der zweiten Hälfte des 19. Jh. stattgefunden hat. Die Dotation der oberen Lobau erfolgt momentan über zwei Wege. Einer davon ist die seit mehreren Jahren bestehende Wasserzugabe aus der Alten Donau über das Obere Mühlwasser. Seit 2023 gibt es einen zusätzlichen Weg über die Panozzalacke, ein Projekt der Stadt Wien. Dabei wird Wasser aus der Neuen Donau über ein neu errichtetes Bauwerk in die Panozzalacke eingeleitet und gelangt von dort weiter durch das Gewässersystem der Oberen Lobau.

Nach der Renaturierung

Es gibt Bemühungen, den Erfolg der gesetzten Maßnahmen zu messen. Dabei gibt es unterschiedliche Monitoringansätze, die sich aus den verschiedenen Fördertöpfen ergeben. Wird etwas beispielsweise aus dem LIFE Programm gefördert, muss in Bezug auf gewisse Natura 2000 Güter ein Monitoring durchgeführt werden. Häufig findet eine Erhebung der Fischfauna vor und nach den Maßnahmen statt, weil es eine gute Kenntnis der Arten gibt und die Methodik für den Fang einfacher ist. Oft gibt es also praktische Gründe für die Wahl bestimmter Gruppen für ein Monitoring.

Es wird auch versucht, die Veränderung des Lebensraumtyps zu erfassen. Das betrifft die typischen Vegetationseinheiten für den Lebensraumtyp, die vor den Maßnahmen vorhanden sind im Vergleich dazu, welche einige Zeit nach den Maßnahmen vorhanden sind. Dieser Vergleich macht dann Sinn, wenn der Fluss schon die Zeit hatte, die Landschaft umzuformen durch seine natürliche Dynamik und Vegetation bereits darauf reagieren konnte. Das Gebiet wird daraufhin erneut abgegangen und die Daten entsprechend erhoben.

Bei manchen Förderschienen ist dies jedoch nicht vorgeschrieben, aber es liegt im Interesse und Aufgabenbereich der Nationalpark Verwaltung, die Wirkung von Renaturierungsmaßnahmen aufzunehmen und Monitorings durchzuführen.

Im Namen des bioskop Teams bedanken wir uns herzlichst für das informative und ausführliche Gespräch über die zahlreichen Renaturierungsmaßnahmen im Nationalpark Donau-Auen.

Weiterlesen:

https://www.donauauen.at/wissen/natur-wissenschaft/flussbau-an-der-donau
https://www.austrianbiologist.at/aba/magazin/blog/2023/12/08/renaturierung-wiener-gewasser-am-beispiel-der-liesing-ein-interview-mit-dr-thomas-ofenbock/

Foto: Anna Geisler

Neben der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzung ökologischer Lebensräume, steigt nun auch die Priorität derer Erhaltung und Wiederherstellung. In einem Interview mit Herrn Dr. Thomas Ofenböck befassen wir uns mit der Renaturierung von Fließgewässern in Wien am speziellen Beispiel der Liesing. Herr Dr. Ofenböck der MA45 stellte sich dankenswerter Weise für ein Interview über die bereits erfolgte und weiterhin geplante Renaturierung der Liesing bereit. Das in sechs Abschnitte geteilte Projekt wird zwischen Kaiser-Franz-Josefstraße und Großmarktstraße umgesetzt. Bis 2009 arbeitete Dr. Ofenböck am Institut für Hydrobiologie und ist nun seit September 2009 bei der Stadt Wien angestellt. Dort ist er insbesondere mit der Renaturierung Wiener Fließgewässer involviert.

Foto: Dr. Thomas Ofenböck

Wie werden Gewässerabschnitte, wie beispielsweise an der Liesing, für die Renaturierung ausgewählt?

Es gibt die europäische Wasserrahmenrichtlinie, die dazu verpflichtet, alle Gewässer in einen guten Zustand zu bringen. Dazu gibt es auch den nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan, bei dem alle sechs Jahre ein Plan erstellt wird, was in der kommenden Periode an Maßnahmen gesetzt werden. Berichtspflichtig sind Gewässer an über 10 km² Einzugsgebiet, die prinzipiell Priorität haben.

Guter Zustand:
Der gute Zustand eines Gewässers als Vorgabe der Wasserrahmenrichtlinie, setzt sich aus ökologischen, morphologischen, physikalischen und chemischen Komponenten zusammen. Sowohl Lebensgemeinschaften, als auch Aspekte wie Strömung, Flussbettbeschaffenheit und chemische Schadstoffe fallen unter diese Bewertung. Anhand dessen ist eine Bewertung durchzuführen, in wie weit ein Gewässer vom natürlichen Zustand abweicht. 
Quelle: Umweltbundesamt

Bei der Prioritätensetzung steht vor allem auch die Durchgängigkeit im Vordergrund. Deshalb werden prioritär auch Gewässerstrecken ausgewählt, die für Lang- und Mittelstreckenwanderer unter den Fischen von Bedeutung sind. Es gab in Wien schon vor der Wasserrahmenrichtlinie eine Prioritätenreihung für mögliche Renaturierungsmaßnahmen.

Aktuell ist die Liesing sehr im Fokus. Dort spielt in die Priorität hinein, dass auch Hochwasserschutzmaßnahmen erforderlich waren. Periodisch wird neu berechnet, ob der Hochwasserschutz noch gewährleistet ist. Wenn sich aufgrund der veränderten Niederschlagsverhältnisse, zunehmenden Starkregenereignisse und des zunehmenden Versiegelungsgrads, ergibt, dass Maßnahmen gesetzt werden sollten, werden solche Gewässer prioritär behandelt. Generell wird versucht Hochwasserschutz und Gewässerrenaturierung zu vereinen.

In Wien sind von den berichtspflichtigen Fließgewässern, die in der Zuständigkeit von Wien als Gemeinde liegen, nur Liesing, Mauerbach und Wienfluss betroffen. Donau und Donaukanal sind in Bundeszuständigkeit, da sie Bundesgewässer und Schifffahrtsstraßen sind. Wir sind zwar als Bundesland verantwortlich, dass Maßnahmen umgesetzt werden, aber die Maßnahmensetzung erfolgt in diesem Fall durch die Via Donau. Das Bundesland ist verantwortlich für die Prioritätensetzung.

Wo macht Gewässer Renaturierung in Wien keinen Sinn?

Prinzipiell ist das Ziel, irgendwann alle Gewässer in einen guten Zustand zu bringen. Dazu gibt es auch zusätzlich das gute ökologische Potential für erheblich veränderte Gewässer.

Gutes ökologisches Potential (GÖP):
Zunächst als Definition des „höchsten ökologischen Potentials“ (HÖP). Dabei handelt es sich um den bestmöglichen Zustand, den ein erheblich verändertes oder artifizielles Gewässer erreichen kann. Als GÖP versteht man eine nur geringe Abweichung des HÖP.
Quelle: Wörterbuch der Ökologie

Die Ausweisung als erheblich verändertes Gewässer erfolgt aufgrund der Hydromorphologie. Wenn es übergeordnete Nutzungen gibt, die den guten Zustand verhindern bzw. wenn man den guten Zustand nicht erreichen könnte, ohne diese übergeordnete Nutzung aufzugeben, hat diese Vorrang. Übergeordnete Nutzungen sind zum Beispiel Hochwasserschutz oder auch Energieerzeugung.

Wienfluss und Liesing sind über das ganze Stadtgebiet als erheblich veränderte Gewässer ausgewiesen. Das heißt, das Ziel ist da nicht der gute Zustand, sondern das gute ökologische Potential. Dieses ist etwas abgemindert, weil es heute im urbanen Raum sehr schwierig ist, Maßnahmen so umzusetzen, dass man wirklich einen guten Zustand erreicht, weil einfach in der Regel der Platz nicht vorhanden ist.

Vom personellen und finanziellen Aufwand ist jetzt die Liesing im Fokus. Dabei ist das Ziel, bis 2027 den gesamten Abschnitt soweit zu renaturieren, wie es im Rahmen der Gegebenheiten möglich ist und so, dass die Durchgängigkeit geschaffen wird.

Wer finanziert das Renaturierungsprojekt an der Liesing?

Der unterste Bereich der Liesing, der schon Anfang der 2000er Jahre renaturiert wurde, war ein LIFE Projekt. Der jetzige Abschnitt wird über das Wasserbautenförderungsgesetz gefördert, weil zu der Zeit keine Mittel aus dem Umweltförderungsgesetz zur Verfügung standen und weil es auch eine Hochwasserschutzmaßnahme ist. Für rein morphologischen Maßnahmen gibt’s einen eigenen Fördertopf über das Umweltförderungsgesetz. Dieser ist wurde mit 200 Millionen Euro dotiert. Und da ist die Bundesförderung 60% für kommunale Teilnehmer.

Was ist nach der Auswahl des Gewässerabschnitts der erste Schritt der Renaturierung?

Im Rahmen des nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans werden Grundlagen ja schon erhoben und es gibt auch eine Risikoanalyse. Dazu gibt es natürlich auch Monitoring. Die Biologie steht dabei im Vordergrund. Da werden die Abschnitte festgelegt, an denen Maßnahmen gesetzt werden sollen und auch festgelegt, welche das sind. Das sind morphologische Maßnahmen oder stoffliche, je nachdem, was das biologische Monitoring aussagt. Für das gute ökologische Potential muss man auf jeden Fall einen guten stofflichen Zustand erreichen.

Was sind stoffliche Belastungen?

An der Liesing haben wir eine stoffliche Belastung, allerdings auch schon aus Niederösterreich. Es kommt natürlich im Stadtgebiet noch einiges hinzu. Wir haben an der Liesing beim Kanalsystem ein Trennsystem, das für Wien einzigartig ist. Das Schmutzwasser wird zur Kläranlage geleitet, aber das Regenwasser geht direkt in die Liesing. Das hat Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist, dass mit dem Regenwasser einiges an Einträgen mitkommt. Im Regenwasserfall gibt es dabei eine relativ große Verdünnung, das wirkt sich nicht so stark aus. Was wir festgestellt haben ist, dass es im Trockenwetterfall immer wieder zu Fehleinleitungen kommt. Was vielleicht im guten Glauben, dass der Kanal in die Kläranlage führe, in den Kanal geleert wird, gelangt in Wirklichkeit in die Liesing. Zum Teil werden auch ohne Bewilligung Bauwässer eingeleitet, aber es hat auch immer wieder größere Unfälle gegeben.

Die ganzen Wienerwaldbäche kommen aus dem Flysch-Einzugsgebiet. Diese haben bei Niederwasser sehr niedrigen Abfluss, bei Hochwasser dafür sehr schnell einen hohen Abfluss. Deshalb gibt es natürlich keine Verdünnung und ein Eintrag wirkt sich schon sehr stark aus und es kann zu Fischsterben kommen. Die größeren Ereignisse fallen natürlich eher auf, aber man kann davon ausgehen, dass immer eine kleine Belastung stattfindet. Auf den Straßen kommt es natürlich auch zu Staub- und Reifenabrieb und wenn es regnet, hat gelangen diese Verunreinigungen in den ersten Spülstoß.

Flysch:
Ein Schweizer Ausdruck. Eine regelmäßige Schichtung von hauptsächlich Sandsteinen und Mergeln. Der Aufbau ist sehr instabil und neigt zu Hangrutschungen. In Österreich reicht diese Zone vom Nordrand der Ostalpen bis Wien.
Quelle: https://www.gamssteig.de/lexikon/flysch

Welche Maßnahmen gegen solche stofflichen Belastungen gibt es?

Die Lösung dafür ist nicht, die ganzen Regenwässer in die Kläranlage ableiten – das ist seitens der Dimension schwierig – sondern, dass man Begleitkanäle baut, die kleinere Einträge im Trockenwetterfall abfangen können und in die Kläranlage leiten. Wenn es stark regnet, kann so der erste Spülstoß noch aufgefangen werden. Dabei gibt es einen Überlauf, bei dem das Regenwasser bei länger andauerndem Regen wieder in die Liesing führt. Prinzipiell ist es ja erwünscht, das Wasser wieder dem Fließgewässer zukommen zu lassen, weil wir ohnehin oft sehr niedrige Wasserstände haben, was sich durch den Klimawandel verschärft.

Das größere Problem sind die diffusen Belastungen, die über das Einzugsgebiet kommen. Im ländlichen Gebiet stammen diese von Ackerflächen, bei denen Nährstoffe in das Feld eingetragen werden, die dann wieder in die Gewässer gelangen. In intensiv genutzten Gebieten passiert das sehr häufig. Man kann als Maßnahme entweder Programme zur Reduktion der Düngung durchführen, was anschließend vom Land verordnet werden kann oder Pufferstreifen entlang von Gewässern anlegen, in denen man eine gewisse Vegetationszone zur Verfügung hat, durch die diese Nährstoffe zurückgehalten werden. Das Problem ist oft, dass bis zum Gewässerrand geackert wird.
Die Kläranlage in Breitenfurt ist zwar am neuesten Stand, aber von der Kapazität bei Starkregenereignissen dann auch nicht ganz ausreichend.

Kann es von der Bevölkerung bei solchen Projekten zu Widerständen kommen?

Das hatten wir in Wien selbst noch nie. Es ist in der Regel so, dass Renaturierungsmaßnahmen sehr befürwortet werden und dass die Rückmeldungen im Nachhinein sehr positiv sind. Während die Baustelle aktiv ist, hat man in der Regel eine gewisse Lärmbelästigung. Wir versuchen, das Material – die Pflasterung, die abgebaut wird, gleich vor Ort wiedereinzubauen. Es gibt Anlagen, die die Steine brechen und das bringt natürlich eine gewisse Lärmbelästigung. Wenn ein Baum gefällt werden musste, damit man etwas Platz schafft, gab es schon Proteste. Aber insgesamt gibt es keinen Widerstand gegen die Renaturierung und im Nachhinein waren die Reaktionen wirklich immer positiv.

Gibt es vor dem Setzen der Maßnahmen Informationen für die Bevölkerung?

Bei größeren Eingriffen, ja. Wir haben ja ein eigenes Infocenter an der Liesing. Es wird über den Bezirk natürlich kommuniziert. Vor Beginn hat es bereits die Möglichkeit gegeben, sich darüber zu informieren.

Wenn ein Abschnitt renaturiert wurde, welche Maßnahmen muss man weiterhin setzen?

Es braucht immer ein Pflegekonzept dazu, das in der Regel auch im Wasserrechtsverfahren vorgeschrieben wird. Dabei geht es vor allem darum, den Hochwasserschutz zu gewährleisten. Das Ziel ist zumindest, ein 100-jährliches Hochwasser, schadlos abzuführen. Wenn man begrünt und Bäume setzt, muss man darauf achten, dass man den Hochwasserabfluss nicht gefährdet. Die Bäume dürfen nicht zu groß werden. In den Pflegekonzepten wird abschnittsweise festgelegt, welche Bereiche kritisch sind – dort kann man sehr wenig Bepflanzung zulassen.

Ein großes Thema aktuell ist der Klimawandel. Böschungen sind sehr trockene Standorte. Das sollte in der Pflege schon entsprechend berücksichtigt werden. Wenn man die Bepflanzung durchführt, versuchen wir in letzter Zeit mehr Wildaufgeher zu fördern, weil die wesentlich widerstandsfähiger sind und sich besser entwickeln als Bäume in der Baumschule.
Die Böschungen müssen von Zeit zu Zeit auch gemäht werden. Wir versuchen, natürliche Wiesenbestände aufkommen zu lassen und keine Rasenpflege zu betreiben, um auch Blühpflanzen zu fördern.

Gibt es mit Neophyten Probleme bzw. kann man gegen diese vorgehen?

Fallopia japonica, der Japanische Staudenknöterich:
Eine schnellwüchsige, widerstandsfähige Pflanze, die in Japan, China und Korea beheimatet ist. Sie wurde als Futter- und Zierpflanze auch bei uns eingebracht und setzt sich leicht gegen einheimische Arten durch.
Quelle: Landwirtschaftskammer

Weniger bei der Liesing, aber mehr am Wienfluss haben wir große Probleme, gerade mit Fallopia. In den Wienflussbetten hat sich das sehr stark ausgebreitet und es gibt leider überhaupt kein Mittel dagegen, wie man die wirklich bekämpfen kann. Wenn es ganz kleinräumig ist und man sofort Maßnahmen ergreift, hat man eine Chance. Man muss die Pflanzen auch fachgerecht entsorgen. Man kann sie kompostieren in der Kompostieranlage in Wien. Angeblich sind die Temperaturen dort so hoch, dass sie nicht überleben können. Ansonsten muss man sie entweder komplett austrocknen lassen oder verbrennen. Wenn man die Pflanzenreste in den Wiener Restmüll gibt, werden sie mit Sicherheit verbrannt. Das Problem ist, dass Fallopia sehr tief wurzelt und sehr regenerationsstark ist. Es gibt sogar Berichte, bei denen sie bis fünf Meter wurzeln konnten. Man muss aber mindestens ein bis zwei Meter das Erdreich ausheben.

Ein weiteres Problem ist, dass sie echte Monokulturen schaffen und jeder Trieb, der abbricht, sofort wieder austreiben kann. Wenn bei Hochwasser an verschiedenen Stellen die Triebe anlanden, die durch das Hochwasser abgerissen wurden, fangen viele davon sofort an, auszutreiben und man hat wieder einen neuen Bestand.
Wir haben aktuell Versuche auf der Donauinsel laufen, bei denen man den Oberboden abgetragen hat, Unkrautvlies und wieder mit Erde bedeckt hat und diese Stellen anschließend mit Weiden bepflanzt. So wird das Wachstum möglichst unterdrückt. Sie kommen mit der Zeit zwar doch wieder durch, aber das Ziel ist, so viel Beschattung zu schaffen, dass sich der Staudenknöterich nicht durchsetzen kann. In Gewässernähe funktioniert es mit Weiden sehr gut, weil diese sehr schnellwüchsig und regenerationsfähig sind.
Das Ganze ist allerdings sehr aufwendig und deshalb auch nicht unbedingt die großflächige Lösung. Man kann Fallopia auch sehr intensiv mähen über viele Jahre. Aber an den Stellen, wo das gemacht wird, gibt es sogar einige, die nach 10 Jahren wieder zurückkommen. In gewissen Bereichen bekämpfen wir Fallopia regelmäßig. Auch beim Riesenbärenklau – wenn der auftaucht, wird sofort etwas gemacht. Bei Fallopia nur dort, wo einzelne, kleine Bestände sind und man eine realistische Chance hat.

Gibt es regelmäßiges Monitoring durch die Stadt Wien?

In Wien haben wir regelmäßiges Landesmonitoring, bei dem natürliche Qualitätselemente untersucht werden. Im Zusammenhang mit der Wasserrahmenrichtlinie sind das die Fische, das Makrozoobenthos und das Phytobenthos. Da gibt es ein Monitoring Programm, bei dem je nach Bedeutung und Größe des Gewässers, unterschiedlich häufig Untersuchungen durchgeführt werden. Das ist vor allem auch wichtig, um den Erfolg von solchen Maßnahmen zu belegen. Und einer der großen Vorteile in der Stadt ist, dass die Ausgangssituation in der Regel so schlecht ist, dass man immer einen Erfolg nachweisen kann. Bei anderen Flüssen ist das oft sehr schwierig: Es werden teure Maßnahmen umgesetzt, zum Beispiel eine große Aufweitung auf mehreren 100 Metern, und oft kann man nicht nachweisen, wenn man den ökologischen Zustand ermittelt, dass es wirklich Verbesserungen gibt, weil diese graduell stattfinden. Oft können Arten gar nicht zuwandern, weil sie durch Hürden gar nicht dorthin gelangen.

Phytobenthos und Makrozoobenthos:
Das Benthos beinhaltet alle bodenbewohnenden Organismen eines Gewässers. Daher bezieht sich das Makrozoobenthos auf alle wirbellosen Tiere der Gewässersohle mit über 1mm. Das Phytobenthos sind dementsprechend die Pflanzen, die den Gewässerboden bewachsen.
Quelle: Amt der oÖ Landesregierung

Bei der Renaturierung der Liesing im untersten Bereich, schon vor 20 Jahren, fand im Rahmen des LIFE Projekts ein intensives Monitoring statt. Dabei sind auch die Libellen, Uferkäfer und Makrozoobenthos betrachtet worden und man konnte zeigen, wie schnell der Bach wieder besiedelt wird. Dort hat sich aber die Problematik der Nährstoffeinträge gezeigt und zusätzlich die Schadstoffeinträge aus dem Regenwasserkanal. Wir haben danach auch noch längere Zeit Monitoring durchgeführt und konnten so feststellen, dass die Artenzahlen steigen. Wenn ein derartiger Schadstoffeintrag stattfand, wurde die Zönose wieder fünf Jahre zurückgeworfen. Sensible Arten fallen dann wieder aus und es dauert eine gewisse Zeit, bis sie sich wieder etablieren können. Das war der Grund, aus dem man wusste, dass man diese Einträge über das Regenwasser möglichst reduzieren muss.

Im Rahmen des Landesmonitorings haben wir in größeren Abständen auch chemisch-physikalische Untersuchungen. Dazu gibt es heuer wieder aktuell ein laufendes Programm, bei dem die wichtigsten Fließgewässer untersucht werden. Dabei gibt es monatliche Beprobungen über ein Jahr, woraufhin man z.B. vergleichen kann, wie sich die Parameter in den letzten 10 Jahren verändert haben. Maßgebend für die Bewertung des ökologischen Zustands sind aber die biologischen Parameter.

Warum ist Gewässer Renaturierung wichtig?

Eine sehr philosophische Frage. Weil man wieder ein bisschen gut machen kann, was in der Vergangenheit passiert ist – auch aus gutem Grund, das darf man auch nicht vergessen. Der Wienfluss ist nicht aus Spaß so verbaut worden. Das war ein sehr verzweigtes Gewässersystem, aber im Zuge der industriellen Revolution haben sich immer mehr Betriebe angesiedelt und es sind Abwässer direkt in das Gewässer geleitet worden. In dieser Zeit war das auch ein Abwasserkanal, der bei Hochwässern über die Ufer getreten ist. So sind die Giftstoffe und Keime auch in das Grundwasser gelangt und es gab immer wieder große Choleraepidemien. Deshalb hat man es damals auch so massiv verbaut. Das ist auch der Grund, warum so viele Bäche, die aus dem Wienerwald kommen, verrohrt wurden. Es war auch eine große Geruchsbelästigung und ein hygienisches Problem.

Heute wären wir froh, wenn wir diese Bäche im natürlichen Zustand wieder hätten. Jetzt ist es leider in der Regel zu spät.

Es ist unsere Verpflichtung, den nachfolgenden Generationen gegenüber, wieder etwas gut zu machen. Es ist auch für die Stadt besonders wichtig im Zuge des Klimawandels, weil solche Grünachsen wichtig sind für das Stadtklima. Es sind oft Frischluftschneisen und Wanderkorridore, nicht nur für aquatische Arten, sondern auch zur Orientierung für Vögel und terrestrische Insekten. Was in der Stadt auch eine besondere Rolle spielt, ist die Verbesserung der Naherholung. Dies ist auch wichtig dafür, damit man die Finanzierung politisch argumentieren kann, dass man Millionen investiert, weil so auch die Bevölkerung davon profitiert.
Den Menschen zieht es immer zum Wasser. Wohnen am Wasser erhöht die Lebensqualität sehr stark und es hat aus meiner Sicht einen Klimaschutzeffekt auch dahingehend, dass man nicht unbedingt darauf angewiesen ist, weit weg zu fahren, sondern man kann sich auch vor der Haustüre erholen. Wien hat dabei den Vorteil mit dem Donauraum. Hier hat man Naherholungsgebiete direkt vor der Haustüre.

Ich bedanke mich im Namen von bioskop für das informative Interview!

Weiterführende Links:

bioskop Beitrag:
Österreichs Fließgewässer: geprägt durch Regulierung und Renaturierung

Stadt Wien

Foto: Anna Geisler

Intakte Fließgewässer sind eine wichtige Lebensgrundlage für Pflanzen-, Tierarten und auch den Menschen, doch der Weg zurück zu einem natürlichen Zustand ist keine einfache Aufgabe. Das Europa des 20. Jahrhunderts war geprägt von einer radikalen Umgestaltung und Kultivierung natürlicher Landschaften, was den Verlust natürlicher Ökosysteme zur Folge hatte. Können wir aber die Schäden wieder ungeschehen machen? Restaurationsökologie befasst sich damit, Ökosysteme zu renaturieren. Derartige Bemühungen etablierten sich sukzessive und sind ein bedeutender Bestandteil nicht nur der Restaurationsökologie, sondern auch des gesellschaftlichen Bildes. Gewässer sind eine Lebensgrundlage für Mensch und Natur. Was Gewässerrenaturierung ist, was sie beinhaltet und welche Auswirkungen sie hat – damit befassen wir uns hier am konkreten Beispiel der Liesing.

Jahrzehnte der Veränderung

Gewässer sind ein essenzieller Bestandteil des Lebens und für viele Arten ein wichtiger Lebensraum. Sowohl die Schaffung von Ackerland, als auch die Fragmentierung der natürlichen Umgebung durch Infrastruktur veränderten unsere Ökosysteme teils drastisch. In Österreich führte nicht nur schädliche Einträge intensiver Landwirtschaft, sondern auch drastische Regulierungsmaßnahmen zu einer maßgeblichen Veränderung vieler Fließ- und Stillgewässer und deren Umgebung. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der einst fünf Kilometer breite Auengürtel der ursprünglichen Donau. Altarme wurden vom Hauptstrom getrennt und liefen als Folge Gefahr, zu eutrophieren oder ganz zu versiegen. Für Auen charakteristische Arten verloren ihren Lebensraum.

Begriffserklärung
In der Restaurationsökologie umfasst ähnlich klingende Begrifflichkeiten:
– Restauration sorgt für die Wiederherstellung des Originalzustandes eines Ökosystems.
– Regeneration ist die Reparatur im Hinblick auf einzelne Ökosystemfunktionen.
– Sanierung ist die “Reparatur unter gezieltem Einsatz von Maßnahmen”.
– Renaturierung bedeutet naturnahe Gestaltung, nicht der Originalzustand.
– Revitalisierung kann als Renaturierung oder Sanierung verstanden werden

Quelle: Schaefer, M. (2012). Wörterbuch der Ökologie. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg.

Rückblick auf die Donauregulierung

Während der 1. Donauregulierung in den 1870ern wurde die natürliche Dynamik der Donau gestoppt, ein neues Flussbett für die Donau angelegt und Seitenarme stillgelegt. Die zweite Regulierung erfolgte in den 1970er bis 1980ern, bei der als Hochwasserentlastungsgerinne die Neue Donau angelegt wurde. Seitenarme, wie das Heustadlwasser, wurden zu einem Altwasser, das einer natürlichen Verlandung und Eutrophierung unterworfen ist.

Eutrophierung
Darunter versteht man die Anreicherung von Nährstoffen in einem Ökosystem. Das führt zu einer erhöhten Produktion, d.h. dem Gewinn an Biomasse. Diese wird von Mikroorganismen nach dem Absterben unter Verbrauch von Sauerstoff zersetzt. Der Sauerstoffmangel, der dadurch entstehen kann, wird allgemein als „Umkippen“ eines Gewässers bezeichnet.

Quelle: Schaefer, M. (2012). Wörterbuch der Ökologie. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg.


Die Liesing – Blick in die Vergangenheit

In Rodaun vereinigen sich Dürre und Reiche Liesing zu einem Fluss, dem Liesingbach, der den 23.Bezirk und das Wiener Becken durchfließt. Zwischen 1770 und 1825 kam es zu verstärkten Hochwasserereignissen von Wiener Gewässern, wodurch so auch zunehmend Regulierungsmaßnahmen, also Begradigungen unter anderem der Liesing vorgenommen wurden. Nachdem auch die Siedlungsfläche im 19. Jahrhundert deutlich zunahm, verstärkte auch die steigende Bodenversiegelung die Hochwassergefahr – weitere Regulierungsmaßnahmen waren die Folge. Da auch mehr Abwasser in die Liesing eingeleitet wurden, belastete auch das den Fischbestand.

Besonders intensiv reguliert wurde die Liesing ab 1939: Die Flusssohle wurde abgesenkt, Uferböschungsbefestigungen gebaut und Schottergruben mit Sohlpflasterungen ersetzt. In den 70er Jahren wurde zeitgleich mit Regulierungsmaßnahmen aber bereits mit vereinzelter Renaturierung begonnen. Um 1980 wurden nach vermehrten Hochwasserschäden Rückhaltebecken in Inzersdorf und Alterlaa gebaut. Obwohl die Kanalisation ausgebaut wurde, floss weiterhin verschmutztes Regenwasser in die Liesing. 

Auswirkungen der Regulierung

Eine direkte Folge von Regulierungsmaßnahmen eines Flusses nimmt die Fließgeschwindigkeit zu. Oftmals werden auch die Uferbereiche wesentlich steiler und verbaut. Somit ergeben sich teils unmögliche Lebensbedingungen für Arten, die langsam fließende Gewässer und Uferstrukturen benötigen. Da Seitenarme komplett durch Regulierungseingriffe versiegen können, wird nicht nur der Lebensraum eingeschränkt, sondern auch das natürliche Wasserrückhaltepotential. Bei Hochwasserereignissen steigt die Gefahr für den Menschen dadurch sogar noch. 

Nicht renaturierter Abschnitt der Liesing. Foto: Anna Geisler

Pläne bis 2027

Bereits über neun Kilometer der Liesing wurden revitalisiert – ein erster Abschnitt bereits 1997, jedoch fand der bisher längste Sanierungsabschnitt zwischen Großmarktstraße und Kledering statt. Die MA45 und Wien Kanal arbeiten in Zusammenarbeit an der Renaturierung der Liesing. 

Der Prozess wird in sechs Bauteile eingeteilt, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Bauplan vermerkt sind. Finanziert wurde der erste Abschnitt der Liesing durch ein EU-LIFE Projekt. Mit dem LIFE Projekt sollen auch vor allem die Auswirkungen des Klimawandels bearbeitet werden. Die Finanzierung weiterer Bauabschnitte erfolgt durch das Wasserbautenförderungsgesetz bzw. durch den Fördertopf des Umweltförderungsgesetzes. Fertiggestellt werden sollen die verschiedenen Bauteile voraussichtlich 2027.

Maßnahmen der Renaturierung

Wichtige Bestandteile einer Flussrenaturierung beginnen beim Entfernen der Pflasterung, die einst eine Regulierungsmaßnahme war, und können auch Verbreiterungen des Flussufers beinhalten. Sowohl in der Flusssohle, als auch im Uferbereich wurden verschiedene Strukturen eingebracht. Auch die Fließgeschwindigkeit und die Tiefe des Gewässers sollte heterogener werden, da Tiere, wie Fische oder Insekten, unterschiedliche Zonen bevorzugen. Jungfische beispielsweise brauchen Flachwasserbereiche und kleine Buchten mit ruhigem Wasser können essentiell für manche Insektenlarven sein. Barrieren und Verbauungen können Fische schwer oder gar nicht überwinden, weshalb auch hierbei ein Rückbau notwendig wird. Für große Fische sind Kolke oftmals ein geeigneter Lebensraum – das sind Eintiefungen, die in fließenden Gewässern durch Abrieb entstehen. 

Nachdem Schritte zur Renaturierung gesetzt werden, soll das Gewässer aber nicht vollkommen sich selbst überlassen sein. Ein regelmäßiges Monitoring und zum Teil auch Pflegemaßnahmen der renaturierten Abschnitte muss geschehen, um den Erfolg der Maßnahmen zu messen und diesen kontinuierlich zu stärken. Zudem zeigt es die Wirksamkeit auf und kann auf zusätzlich nötige Schritte hinweisen.

Strukturreicher Lebensraum für Artenvielfalt

Natürliche bzw. naturnahe Gewässer bieten eine Vielzahl an Strukturen, die von unterschiedlichen Pflanzen- und Tierarten genutzt werden, die wiederum verschiedene ökologische Funktionen haben. Um Beispiele zu nennen – die strukturelle Vielfalt von natürlichen oder naturnahen Gewässern kann durch unterschiedlich große Steine der Gewässersohle entstehen oder tote und lebende Gehölze an Ufern. Diese Elemente im Lebensraum bieten Organismen unterschiedliche Lebensbedingungen. Daher können diese Strukturelemente auch als Maßstab für Biodiversität und Ökosystem Funktion genutzt werden. Denn verschiedene Organismen und Lebensgemeinschaften gedeihen in unterschiedlichen Nischen. An regulierten Flussläufen wird diese Diversität stark eingeschränkt. 

Strukturreiche Uferbereiche und Gewässersohle im renaturierten Bereich der Liesing. Foto: Anna Geisler

Kulturelles Gut und Schutz

Nicht nur den verschiedenen Tier- und Pflanzenarten dienen Renaturierungsmaßnahmen, denn einige wichtige Funktionen dieser Ökosysteme kommen auch Mensch und Gesellschaft zugute. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen unterstützenden, versorgenden, regulierenden und kulturellen Leistungen. Im Fall von Gewässern betrifft das vor allem kulturelle Leistungen, wie mentale Erholung und Entspannung und auch regulierende Leistungen, die das Wasserrückhaltepotential in Auengebieten. In gewisser Weise dienen natürliche und naturnahe Landschaften sowohl Tieren als auch Menschen auf unterschiedliche Art als Lebensraum. 

Strategie zur Renaturierung

Die Wiederherstellung von ökologisch wichtigen Lebensräumen stellt einen Pfeiler der von der Europäischen Kommission formulierten Biodiversitätsstrategie 2030 dar. Inbegriffen in dem 10-Punkte-System ist die “Wiederherstellung für Biodiversität und Klimaschutz besonders wichtiger Ökosysteme”. 

Die Renaturierung unterschiedlicher Ökosysteme, wie Wälder, Wiesen, Moore und Gewässer gehört dabei zu einer wesentlichen Aufgabe. Für die Umsetzung sind die jeweiligen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten bzw. entsprechende Gebietskörperschaften verantwortlich. Aber auch NGOs, Initiativen und Unternehmen setzen sich in Kooperation mit den betroffenen Grundeigentümern für die Umsetzung der qualitativen und quantitativen Ziele ein. 

Zurück an den Ursprung?

Die sichtlichen Verbesserungen, die durch die Renaturierung von Lebensräumen erzielt werden, drücken auch die Notwendigkeit dazu aus. Oftmals spielt bei den Erfolgen aber auch der zeitliche Prozess eine Rolle. Morphologische Veränderungen können im Gegensatz zu den biologischen – je nach Zugänglichkeit zum renaturierten Gebiet – schneller beobachtet werden. Die anfängliche Frage danach, ob wir Schäden wieder gut machen können, lässt sich weder mit „ja“ noch „nein“ beantworten. Wir können Fließgewässer Ökosysteme aufgrund heute gegebener Infrastruktur und Besiedelung nicht mehr in ihren ursprünglichen Zustand zurückführen. Aber wir können sie in einen naturnahen Zustand bringen und mit regelmäßiger Pflege die gewünschte Artenvielfalt erhalten. 


Weitere Infos zur Liesingbach Renaturierung, findet ihr hier.

Titelbild: Platzertal (Foto: Christoph Praxmarer)

40 Umweltvereine und Wissenschafter:innen fordern Ausbau-Stopp für Kraftwerk Kaunertal – Tiroler Landesregierung muss die letzten intakten Alpenflüsse schützen und naturverträgliche Energiewende umsetzen.

Insgesamt 40 Umweltvereine und Stimmen aus der Wissenschaft fordern in einer gemeinsamen Erklärung den Stopp des Ausbaukraftwerks Kaunertal. Stattdessen müsse die Tiroler Landesregierung die letzten intakten Alpenflüsse schützen und eine konsequent naturverträgliche Energiewende umsetzen. „Dieses Großprojekt steht wie kein anderes für die völlig überzogene Ausbaupolitik der TIWAG. Wir brauchen eine naturverträgliche Energiewende statt weiterer Verbauung alpiner Naturräume“, mahnt Bettina Urbanek, Gewässerschutzexpertin des WWF Österreich. Für das Projekt plant die TIWAG bis zu 80 Prozent des Wassers aus dem Ötztal, einem der niederschlagsärmsten Täler Tirols, auszuleiten und im ökologisch einzigartigen Platzertal einen 120 Meter hohen Staudamm zu errichten und dahinter neun Fußballfelder Moorflächen zu fluten. „Das hätte verheerende Folgen für die hochsensible Naturlandschaft, würde wichtige Lebensräume zerstören und die Biodiversitätskrise befeuern.“

Frei fließende Bäche und Flüsse zählen zu den wertvollsten Lebensräumen weltweit – auch in den Alpen. Dennoch werden diese letzten Wildflüsse verbaut und somit zu den Verlierern einer verfehlten Energiepolitik“

Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

„Frei fließende Bäche und Flüsse zählen zu den wertvollsten Lebensräumen weltweit – auch in den Alpen. Dennoch werden diese letzten Wildflüsse verbaut und somit zu den Verlierern einer verfehlten Energiepolitik“, kritisiert Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und fährt fort: „Wasserkraft ist zwar eine erneuerbare aber keinesfalls eine umweltfreundliche oder klimaneutrale Energiequelle. Durch den geplanten Ausbau des Kraftwerks Kaunertal würden vier bisher noch weitgehend intakte Alpenflüsse zu Rinnsalen degradiert.“ Das verändere den Wasserhaushalt einer ganzen Region – mit gravierenden Folgen für Natur und Mensch.

GLOBAL 2000 Geschäftsführerin Agnes Zauner fordert anstelle des Ausbaus eine naturverträgliche Energiewende: „Der jüngste Bericht des Weltklimarates hat eindrücklich gezeigt, dass wir die Klima- und Biodiversitätskrise nur mit Hilfe der Natur bewältigen können. Es geht jetzt darum, wertvolle Naturräume zu schützen und die Energiewende naturverträglich voranzutreiben.“ Dazu gehöre in Tirol ein Schwerpunkt auf Einsparung von Energie, den Photovoltaik-Ausbau und den Austausch von Öl- und Gas-Heizungen gegen Fernwärme, Wärmepumpen und Solarenergie. „Nur so kann Tirol unabhängig von Öl, Gas und Kohle werden.“

„Zusätzliche Speicher müssen unbedingt naturverträglich realisiert werden. Dass das möglich ist, zeigen andere Projekte. Sie funktionieren als geschlossene Systeme, benötigen keine neuen Naturflächen und verursachen keine zusätzliche Schwallbelastung in Flüssen“, ergänzt Bettina Urbanek vom WWF.

Ausbaupläne für das Kraftwerk Kaunertal (Bild: WWF)

Das Kaunertal war früher das Tal der Wasserfälle.

Anita Hofmann, Verein Lebenswertes Kaunertal

Naturgefahren durch Naturzerstörung

Das Kraftwerk Kaunertal zeige bereits in seiner derzeitigen Form das Ausmaß der Naturzerstörung und der Beeinflussung der Menschen im Kaunertal, schildert Anita Hofmann vom Verein Lebenswertes Kaunertal: „Das Kaunertal war früher das Tal der Wasserfälle. Doch seit dem Bau des Kraftwerks liegen unsere ehemaligen Almböden unter Wasser und die sprudelnden Seitenbäche sind versiegt. Wir können und wollen keine weitere Naturzerstörung zulassen.” Besorgt zeigte sich Hofmann auch beim Thema Naturgefahren: „Wir leben seit Jahren mit der Sorge vor einer Hangrutschung beim bereits bestehenden Gepatschstausee. Der Ausbau des Kraftwerks mit Pumpspeicherbetrieb würde dieses Risiko noch weiter erhöhen, da die Gefahr besteht, dass die umliegenden Hänge durch das ständige Fluten und Leeren stärker in Bewegung kommen.” Darüber hinaus drohe der Bau auch den für das Kaunertal so wichtigen, nachhaltigen Tourismus zu gefährden. „Der Ausbau bedeutet für uns massive Großbaustellen mit enormen Deponieflächen, die Naturräume zerstören. Hinzu kommen jahrelange Lärm- und Verkehrsbelastungen mit zahllosen LKW-Fahrten, die jeden Tag das Tal hinaufkeuchen sowie eine signifikante Verschlechterung der Luftqualität.”

Über die Kaunertal-Erklärung 2022

Die vom WWF Österreich initiierte Kaunertal Erklärung wird unterstützt von 30 Organisationen aus den Bereichen Umwelt-, Natur- und Klimaschutz, Fischerei und Wildwassersport. Darunter sind der Verein Lebenswertes Kaunertal, GLOBAL 2000, der Naturschutzbund, der Alpenverein, Fridays for Future Innsbruck, WET Tirol, das Österreichische Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz, die Austrian Biologist Association (ABA) und zahlreiche weitere. Dazu kommen 10 Stimmen aus der Wissenschaft.

Mehr Informationen:
www.fluessevollerleben.at/kaunertal

Vollständige Auflistung der unterstützenden Organisationen (alphabetisch):

Organisationen

  • ABA Austrian Biologist Association
  • Alpenverein Österreich
  • Austrian Youth Biodiversity Network
  • Bayerische Einzelpaddler-Vereinigung e.V.
  • Bayerischer Kanu Verband e.V.
  • Birdlife Österreich
  • BUND Naturschutz in Bayern e.V.
  • EuroNatur Stiftung
  • Forum Wissenschaft & Umwelt
  • Free Rivers Fund
  • Fridays for Future Innsbruck
  • Generation Earth
  • GLOBAL 2000
  • LBV Landesbund für Vogelschutz Bayern
  • Living European Rivers Initiative
  • Naturfreunde Österreich
  • Naturschutzbund Österreich
  • ÖKF FishLife Österreichisches Kuratorium für Fischerei und Gewässerschutz
  • Ökobüro – Allianz der Umweltbewegung
  • Patagonia
  • Riverwalk
  • Riverwatch
  • Save our Rivers
  • The River Collective
  • Umweltdachverband
  • Verein Lebenswertes Kaunertal
  • VÖAFV Verband der Österreichischen Arbeiter-Fischerei-Vereine
  • WET – Wildwasser erhalten Tirol
  • WWF European Policy Office, Brüssel
  • WWF Österreich

Wissenschafter:innen

  • Franz Essl; Ao.Univ-Prof. Mag. Dr., Department für Botanik und Biodiversitätsforschung – Universität Wien
  • Leopold Füreder; Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr., Institut für Ökologie – Universität Innsbruck
  • Armin Landmann; Univ.-Doz. Mag. Dr., Institut für Zoologie – Universität Innsbruck
  • Susanne Muhar; Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr., Inst. für Hydrobiologie und Gewässermanagement – Universität für Bodenkultur
  • Birgit Sattler, Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr., Institut für Ökologie – Universität Innsbruck
  • Gabriel Singer; Univ.-Prof. Mag. Dr., Institut für Ökologie – Universität Innsbruck
  • Klement Tockner; Prof. Dr., Goethe-Universität Frankfurt; Generaldirektor Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
  • Roman Türk; Univ.-Prof. i.R. Dr., – Präsident Naturschutzbund Österreich
  • Peter Weish; Univ.Doz. Dr., Institut für Zoologie – Universität für Bodenkultur
  • Steven Weiss; Ao.Univ.-Prof. Dr., Institut für Biologie – Karl-Franzens Universität Graz

Titelbild: Große Weidetiere übernehmen wichtige Funktionen innerhalb eines Ökosystems. Sie werden oft als eine der ersten Tierarten wiedereingeführt. © Arend de Haas – True Nature Foundation

Rewilding: The radical new science of ecological recovery”. So lautet der Titel des neuen Buches von Paul Jepson und Cain Blythe. Aber was ist Rewilding? Und ist der Ansatz wirklich so radikal?

Hört man Rewilding, denkt man schnell an wilde Tiere, ungezähmte Natur und Wildnis. Da ist die Frage naheliegend, ob so etwas im dichtbesiedelten Mitteleuropa überhaupt möglich ist.

Doch hinter Rewilding steckt mehr als eine idealisierte Vorstellung von wilder Natur. Dass Rewilding auch in Europa möglich ist, zeigen zahlreiche Rewilding-Projekte. True Nature Foundation, Rewilding Europe, Rewilding Britain, Scotland: The big picture sind nur ein paar Beispiele für Organisationen, die Rewilding bereits erfolgreich in die Tat umsetzten.

Zusammenleben von Mensch und Tier: Warnschild im Rewilding Europe-Gebiet im zentralen Apennin © Lina Dilly

Was genau ist Rewilding?

Eine klare Definition gibt es nicht und es gibt verschiedene Rewilding-Ansätze mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Doch im Grunde geht es beim Rewilding darum, der Natur wieder mehr Raum zu geben und natürliche Prozesse und die Funktionalität geschädigter Ökosysteme wiederherzustellen.

Zu Beginn muss der Mensch da häufig eingreifen und der Natur sozusagen einen Anstoß in die richtige Richtung geben. Ein typischer Eingriff ist die Wiederansiedlung wichtiger verlorengegangener Tierarten. Funktionieren die natürlichen Prozesse wieder, kann die Natur dann weitestgehend sich selbst überlassen werden. Intakte Natur reguliert sich selbst. Sie ist dynamisch und verändert sich und daher geht es bei Rewilding auch nicht darum, einen bestimmten Zustand oder Endpunkt zu erreichen und zu erhalten.

Häufig werden vier Formen des Rewildings unterschieden:

  1. Trophisches Rewilding
  2. Pleistozän-Rewilding
  3. Translokation-Rewilding
  4. Passives Rewilding

Eine fünfte Form von Rewilding, die in diesem Artikel ebenfalls kurz angesprochen wird, ist urbanes Rewilding.

Trophisches Rewilding

Beim trophischen Rewilding geht es darum, die Verbindung zwischen Beutegreifern und ihrer Beute wiederherzustellen. Große Beutegreifer haben im Ökosystem eine regulierende Funktion. Ihre Abwesenheit wirkt sich auf verschiedenen Ebenen des Nahrungsnetzes aus und kann das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen.

Das wohl berühmteste Beispiel für trophisches Rewilding und gleichzeitig auch der Ursprung von Rewilding ist der Yellowstone Nationalpark in den USA. In den 1990er Jahren hat die Wiederansiedlung von Wölfen dazu geführt, dass wichtige natürliche Prozesse in den aus dem Gleichgewicht geratenen Ökosystem wiederhergestellt wurden. Der Einfluss war so groß, dass selbst Flussläufe sich veränderten.

Wolfsrudel ©unsplash

Pleistozän-Rewilding

Gegen Ende des Pleistozäns vor ca. 12000 Jahren ist ein Großteil der Megafauna wahrscheinlich als Folge der Jagd ausgestorben. In der Arktis führte der Verlust der Megafauna zu einem Ökosystemwandel. Ohne Mammuts, Bisons, Löwen und andere große Tiere, die die Gegend durchstreiften, verwandelten sich die einst offenen Landschaften in die riesigen Tundra- und Taiga-Ökosysteme, die wir heute kennen.

Es gibt Theorien, dass Megafauna und offene Landschaften sich positiv auf die Erhaltung des Permafrosts auswirken können. Doch ausgestorbene Arten lassen sich nicht zurückbringen. Beim Pleistozän-Rewilding werden daher verwandte Arten der Eiszeit-Bewohner, oder Arten mit ähnlicher Funktion im Ökosystem, wiederangesiedelt. Das könnte sich in Zukunft jedoch ändern, denn es wird auch an der „Wiedererschaffung“ ausgestorbener Arten wie dem Mammut geforscht.

Das bislang einzige Beispiel für Pleistozän-Rewilding ist der Pleistozän-Park in Sibirien, wo Permafrost-Wissenschaftler Sergey Zimov gemeinsam mit seinem Sohn Nikita mit der Wiedereinführung von großen Tieren experimentieren.

Translokation-Rewilding

Translokation-Rewilding hat entweder die Verstärkung einer bestehenden Population oder die Wiederansiedlung einer lokal ausgestorbenen Art zum Ziel.

Ist die Zielart bereits ausgestorben, kommen heutige Nachkommen der ausgestorbenen Art, oder funktional ähnlichen Arten in Betracht. In diesem Fall ähnelt Translokation-Rewilding dem Pleistozän-Rewilding. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf Arten der jüngeren Vergangenheit.

Ein gutes Beispiel ist das Iberá-Projekt im Nordosten Argentiniens. Tiere wie Jaguar, Riesenflussotter, Halsbandpekari, Ozelot und viele mehr waren in dem Gebiet entweder komplett ausgestorben oder in ihrer Population stark dezimiert. Seit 2007 wurden ausgestorbene Arten wieder angesiedelt und geschwächte Populationen gestärkt. Heute ist der Iberá Park Argentiniens größtes Naturgebiet und 2018 wurden seit 70 Jahren das erste mal wieder Jaguar-Babys im Park geboren. 

Jaguar-Babys im Iberá Park © Rewilding Argentina
Freilassung von Halsbandpekari im Iberá Park © Rafael Abuin Aido – Rewilding Argentina
Riesenflussotter im Iberá Park © Rafael Abuin Aido – Rewilding Argentina

Passives Rewilding

Wie der Name vermuten lässt, geht es beim passiven Rewilding darum, die menschliche Kontrolle über Landschaften zu reduzieren und der Natur mehr Raum zu geben, um sich selbst zu regulieren. Auch der strengere Artenschutz hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass Tiere und Pflanzen von ganz alleine zurückkommen.

Biberdamm in Tirol in der Nähe von Biberwier. Biber kehren langsam in viele Gebiete Europas zurück, wo sie für viele Jahre abwesend waren © Lina Dilly

Im Idealfall gelangen die oben beschriebenen Formen des Rewildings nach einem anfänglichen Push des Menschen alle in diesen Zustand der Selbstregulation.

Typische Gebiete für passives Rewilding sind von der Landwirtschaft aufgegebene Flächen. Diese Flächen werden nicht mehr aktiv durch den Menschen genutzt und nach und nach erobert sich die Natur diese Flächen zurück.

Urbanes Rewilding

Mit dem Trend der Urbanisierung wird auch urbanes Rewilding immer wichtiger. Urbanes Rewilding findet zwar in einem relativ kleinen Maßstab statt, ist aber dennoch eine wichtige Form des Rewildings. Im städtischen Raum konzentriert sich Rewilding oft auf das Potenzial von Gründächern und der Vergrößerung anderer städtischer Naturflächen. So werden attraktivere Lebensräume für Mensch und Tier geschaffen.

Koexistenz von Mensch und Tier

Bei Rewilding geht es darum, Situationen zu schaffen, bei denen alle Lebewesen gleichermaßen profitieren. Es ist ein innovativer Ansatz im Naturschutz. Doch in gewisser Hinsicht könnte man Rewilding auch als eine Art Philosophie betrachten. Denn Rewilding zielt nicht nur darauf ab, die Funktionalität geschädigter Ökosysteme wiederherzustellen, sondern auch die Beziehung zwischen Mensch und Natur.

Wir Menschen sind Teil der Natur und in einem gesunden Ökosystem ist daher auch Platz für uns Menschen. Zivilisation, Kultur und Natur müssen einander nicht ausschließen.

Ist Rewilding also wirklich ein so radikaler Ansatz? Auf den ersten Blick mag es vielleicht so aussehen. Doch schaut man genauer hin, könnte Rewilding die Lösung für ein harmonisches Miteinander von Mensch, Tier und Natur sein.

Möchtest du selbst aktiv werden, dich engagieren oder einfach mehr zum Thema Rewilding erfahren? Werde Mitglied der GLFx Rewilding Community of Practice oder folge uns auf Facebook und Instagram. Die Rewilding Academy bietet außerdem spannende Rewilding-Kurse.

Quellen
Jepson, P., & Blythe, C. (2020). Rewilding: The radical new science of ecological recovery. London: Icon.
True Nature Foundation: https://truenaturefoundation.org/
Rewilding Europe: https://rewildingeurope.com/

Die Männchen der Langhornbienen (Eucera)  haben ungewöhnlich lange Fühler, die für diese Gattung sehr typisch sind. Viele Arten innerhalb dieser Gattung sind auf den Pollen von Schmetterlingsblütlern spezialisiert. Foto: Christian Kantner – www.lobbyist-of-insects.com

Trotz ihrer Bedeutung als eine der wichtigsten Bestäubergruppen, werden Wildbienen durch den Menschen zunehmend unter Druck gesetzt. In der Ausstellung „Von Einzelgängern und Geselligen – Vielfalt der Wildbienen“ im Botanischen Garten Innsbruck kann man ab 20. Mai in ihr faszinierendes Leben eintauchen und erfahren, wie man zu ihrem Schutz beitragen kann.

Insektensterben – Schützenswerte Vielfalt

Das Thema Insekten weckt bei den meisten Menschen keine besonders positiven Assoziationen, deshalb werden die Leistungen dieser kleinen und großteils unscheinbaren Tiere auf den ersten Blick häufig übersehen. Beispielsweise Nektar- und Pollensammler übernehmen die Bestäubung von zwei Dritteln aller Wild- und Kulturpflanzen. Somit sind sie für den Erhalt der Artenvielfalt und die menschliche Ernährung unverzichtbar. Gerade deswegen ist das aktuelle Insektensterben äußerst besorgniserregend: Wissenschaftler*innen bestätigen einen Rückgang der Fluginsekten um 75 % in den letzten 25 Jahren, sowie einen starken Rückgang der Vielfalt im Allgemeinen. Der Einsatz von Pestiziden, die Zerstörung von Nisträumen und der Mangel an geeigneten Blühwiesen führt dazu, dass die Lebensräume von Insekten immer kleiner und seltener werden.

Aus Wildbiene wird Honigbiene

Mit Maßnahmen wie der Schaffung und dem Erhalt von Lebensräumen wie z.B. Blühwiesen im ländlichen und städtischen Raum sowie der Errichtung von Schutzgebieten und dem Verzicht auf Pestizide können Wildbienen und andere Insekten unterstützt und geschützt werden. Vor allem in privaten Gärten kann man bereits als Einzelperson wesentlich zum Erhalt der Vielfalt von Wildbienen beitragen.

Wenn über das Thema Bienen gesprochen wird, denken die meisten Menschen häufig an die Westliche Honigbiene (Apis mellifera). Sie sind effektive Bestäuber und Honiglieferanten und werden deshalb bereits seit vielen tausenden Jahren als Nutztier vom Menschen gehalten. Der Wildbienen-Experte Sebastian Hopfenmüller erklärt, dass auch die heutige Honigbiene  einmal zu den Wildbienen zählte und über lange Zeit gezüchtet und als „Haustier“ kultiviert wurde. Er betont, dass unter anderem durch Gefahren wie die aus Asien stammende Varroamilbe die Honigbienen heute auf den Imker angewiesen seien und „in Freiheit“ kaum mehr überleben können.

Die Wespenbienen (Nomada) gehören zu den Brutschmarotzern und werden deshalb zu den Kuckucksbienen gezählt. Foto: Christian Kantner – www.lobbyist-of-insects.com

Die Wildbienen als unverzichtbare Bestäuber

Neben der Honigbiene gibt es knapp 700 weitere Arten von Bienen in Österreich – die Wildbienen. Das Aussehen und Verhalten der Wildbienen ist sehr vielseitig und sie existieren in vielen verschiedenen Formen und Farben. Sie „haben sich in der Evolution Seite an Seite mit den Blütenpflanzen entwickelt“ hebt Hopfenmüller hervor, weshalb „80-90 %  aller Wildblumen von Wildbienen oder von anderen Insekten bestäubt sind“. Wildbienen spielen auch für Kulturpflanzen eine große Rolle, so steigert z.B. ihr Vorkommen den Ertrag in einer Kirschplantage erheblich, meint Sebastian Hopfenmüller. Das liege vor allem an ihrem besonderen Flugverhalten und dem sehr hohen Interesse an Pollen. Die Honigbiene könne die Wildbienen in ihrer Funktion als Bestäuber nicht ersetzen. Das hänge vor allem damit zusammen, dass die Honigbiene eine sehr generalistische Art ist, d.h. in ihrer Auswahl an Pollen – und Nektarpflanzen nicht besonders wählerisch sei und gerne auf Massentrachten gehe. Viele Wildblumen werden neben Bestäubern wie Schmetterlingen „viel effektiver oder überhaupt nur von Wildbienen bestäubt“ und können dadurch nicht, auch nicht von der Honigbiene, ersetzt werden, so Hopfenmüller. Gerade deswegen ist der Schutz von Wildbienen besonders wichtig.

Expertenwissen: Wildbienen sind richtige Feinschmecker

Wildbienen ernähren sich ausschließlich von Nektar und Pollen. Besitzen sie keine Vorlieben, wie die Honigbiene, bezeichnet man sie als polylektische Arten. Doch unter den Wildbienen gibt es viele Spezialisten, richtige Feinschmecker, die sehr wählerisch bei der Suche nach Pollen und Nektar sind. Knapp 30 % aller nestbauenden Wildbienen sind auf den Pollen einer ganz bestimmten Pflanzenfamilie, Gattung oder sogar Art angewiesen, um ihren Nachwuchs zu versorgen. Man nennt diese Arten von Wildbienen oligolektisch.

Die Ausstellung „Von Einzelgängern und Geselligen – Vielfalt der Wildbienen“ im Botanischen Garten Innsbruck

Der Botanische Garten der Universität Innsbruck eröffnet am 20. Mai 2021 die Ausstellung „Von Einzelgängern und Geselligen – Vielfalt der Wildbienen“. Sie kann bis November täglich von 8-18 Uhr kostenlos im Freigelände des Botanischen Gartens besucht werden und gibt einen umfassenden und spannenden Einblick in das Leben und die Vielfalt der Wildbienen.

Der Botanische Garten möchte mit der Ausstellung ein breites Bewusstsein, sowie Begeisterung für das Thema Wildbienen schaffen. Die Ausstellung gibt einen umfassenden Einblick in das Leben, Verhalten und die Herausforderungen der vielseitigen Wildbienen. Insektenfreundliche Strukturen wie Blühwiesen, Totholz und Nisthilfen sollen Anregungen geben und zeigen, wie einfach und attraktiv Wildbienenschutz in jedem Garten umgesetzt werden kann.  

Sebastian Hopfenmüller ist Wildbienen-Experte und Autor aus dem Allgäu. Er hat vor wenigen Monaten mit Eva Strangler das Buch „Wildbienen retten“ herausgebracht, das hochwertige Informationen zu den Wildbienen, sowie Tipps und Tricks zur bienen- und insektenfreundlichen Gestaltung des eigenen Gartens bietet.
Er war in der bioskop-Podcastfolge „Wildbienen – Von Generalisten und Spezialisten“ zu Gast und hat dort Rede und Antwort zum Thema Wildbienen gestanden. Die Folge kann kostenlos auf Podcatchern wie Spotify nachgehört werden.

Umweltkommunikation

Die Rückkehr großer Beutegreifer nach Mitteleuropa ist ein Riesenerfolg für den Naturschutz. Bei anderen Parteien sorgt ihre Rückkehr jedoch für Widerstand. Umweltkommunikation und ein offener Dialog sind wichtig, um für mehr Akzeptanz zu sorgen. Mit einer sachlichen und lösungsorientierten Umweltkommunikation setzt sich das Projekt „Leben am Limit“ für Beutegreifer in Mitteleuropa ein.

„Es geht nur das eine: Unserem Vieh die Almen, dem Wolf die Wildnis!“

So heißt es auf den Bannern des Vereins zum Schutz und Erhalt der Land- und Almwirtschaft in Tirol. Wer sich öfters in Tirol aufhält, hat die Banner sicher schon gesehen. Das Thema Wolf polarisiert und sorgt nicht nur in Tirol für verhärtete Fronten.

In den letzten Jahrzehnten hat der Naturschutz in Europa viel bewirkt. Strengere Auflagen und neue Richtlinien haben nicht nur dem Wolf die Rückkehr nach Mitteleuropa ermöglicht. Auch Bär- und Luchspopulationen wachsen langsam aber stetig. Doch obwohl die großen Beutegreifer wichtige Bestandteile intakter Ökosysteme sind, bietet ihre Anwesenheit viel Konfliktpotenzial.

Während Umweltschützer die Rückkehr von Bär, Wolf und Luchs als großen Erfolg feiern, sehen vor allem Landwirte in ihrer Rückkehr eine Bedrohung für die Land- und Almwirtschaft und fordern den erleichterten Abschuss.

Speziell der Wolf sorgt in Österreich für negative Schlagzeilen. Insbesondere Konflikte mit Nutztierhaltern mindern die Akzeptanz in der Bevölkerung und stehen einer dauerhafte Wiederansiedlung im Weg. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu illegalen Abschüssen.

Wolf (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Die Situation ist nicht einfach und erfordert Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten und den Willen etwas zu ändern. Im dichtbesiedelten Mitteleuropa teilen sich Mensch und Tier zumindest partiell die gleichen Lebensräume und gelegentliche Aufeinandertreffen lassen sich daher kaum vermeiden. Daran müssen sich viele erst noch gewöhnen.

Im europäischen Kontext geht es beim Naturschutz vor allem darum, Wege für ein harmonisches Miteinander zu finden, bei dem menschliches und nicht-menschliches Leben gleichermaßen profitieren. Im dichtbesiedelten Europa ist das eine Herausforderung aber gleichzeitig auch eine Chance. Doch nicht immer werden Chancen auch als solche erkannt. Denn wie wir Dinge wahrnehmen, hängt auch davon ab, wir darüber kommunizieren.

Die Rolle der Umweltkommunikation

In der Debatte um die Rückkehr großer Beutegreifer sorgt eine oftmals emotional aufgeladene, problemfokussierte und teils vorurteilsbehaftete Kommunikation für die Verschärfung des Konflikts. Wut und gegenseitiges Unverständnis sind die Folge und erschweren die Findung dauerhafter Lösungen.

Eine lösungsorientierte und sachliche Umweltkommunikation hingegen schafft Raum für einen offenen Dialog und eröffnet neue Zukunftsperspektiven. Durch gegenseitiges Verständnis lassen sich Chancen besser erkennen und nutzen.

Fotoausstellung Leben am Limit. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Leben am Limit – Umweltkommunikation mit Bildern

Wie so eine Kommunikation aussehen kann, zeigt das Projekt “Leben am Limit”.

Trotz der Herausforderungen, die mit der Rückkehr der Beutegreifer einhergehen, ist Mitgründerin Christine Sonvilla davon überzeugt, dass es auch in Österreich passende Lebensräume für die großen Tiere gibt.

Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Marc Graf und ihrem Kollegen Robert Haasman hat die Naturfotografin und Biologin daher 2015 das Foto- und Filmprojekt ins Leben gerufen.

Mit „Leben am Limit“ wollen Sonvilla und ihre Kollegen zeigen „wo überall vor allem große Beutegreifer am Limit sind“ und „für Tierarten werben, die es schwer haben“.

In Mitteleuropa erobern sich Beutegreifer langsam ihren Lebensraum zurück. Über 120 Wolfsrudel gibt es in Deutschland, Slowenien hat eine der dichtesten Braunbärenpopulationen weltweit und durch Schweizer Wälder streifen wieder Luchse.

Luchs in den österr. Kalkalpen. Noch immer ein seltener Anblick in Österreich. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf
Luchsspur im Vordergrund, dahinter Forscher beim Abchecken der Fotofalle – nicht immer sind Sonvilla und ihre Kollegen vor Ort zum Fotografieren; (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Nach Österreich sind die Tiere, wenn man von ein paar Individuen absieht, allerdings noch nicht wieder dauerhaft zurückgekehrt. Dieses Ungleichgewicht habe letztendlich den Anstoß zu „Leben am Limit“ gegeben, erzählt Sonvilla.

Mit Fotos und Filmmaterial dokumentieren sie und ihre Kollegen das Zusammenleben von Mensch und Beutegreifer in Mitteleuropa. Besonders wichtig sei ihnen dabei, dass ihre Bilder eine klare Message haben. „Ich glaube es braucht diese Kombination aus Foto, Film und Message“, erklärt Sonvilla. Ihre Fotos sollen zeigen, dass ein Miteinander von Mensch und Tier auch im dichtbesiedelten Mitteleuropa, wo die Tiere in unmittelbarer Nähe zu uns Menschen leben, möglich ist.

Herdenschutzhund in den österreichischen Alpen. Herdenschutzhunde in Kombination mit Elektrozäunen sind wichtige Maßnahmen, um Nutztiere gegen Angriffe von Beutegreifern zu schützen. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf
Ein Elektrozaun schützt die Bienenstöcke vor Bärenangriffen. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Auf ihren Bildern sieht man oft einen Mix aus Natur- und Kulturlandschaft; man sieht Tiere und Menschen. In unaufgeregter Art und Weise machen die Fotos deutlich, wie sehr unser Lebensraum sich mit dem der Tiere überschneidet. Die Bilder vermitteln Normalität und zeigen ein Europa, in dem nicht jeder Bär, der sich in die Nähe eines Dorfes wagt, zwangsläufig ein Problembär ist.

Kulturlandschaft in unmittelbarer Nähe zu Beutegreifer-Gebieten. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf
Bären im Garten eines kleinen Dorfes in Slowenien. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Offener Dialog: Mit Leuten ins Gespräch kommen

Doch die Fronten beim Thema Beutegreifer sind verhärtet. Kommunikation sieht Sonvilla daher als „das Mittel, das wirklich um und auf ist“ um zwischen den Fronten zu vermitteln.

Mit ihrer Arbeit wollen sie und ihre Kollegen einen Dialog ermöglichen und auch „all jene erreichen, die vielleicht gar nicht per se naturaffin sind“. Dazu gehören laut Sonvilla vor allem auch die sogenannten Schlüsselleute: „Menschen aus der Landwirtschaft, die Nutztierhalter, die Jägerschaft, also jene Bereiche, in denen es wirklich zu Konflikten kommt“.

Besonders Vorträge schätzt Sonvilla, um einen Dialog und Austausch zu ermöglichen. Denn immer wieder würden sich auch Nutztierhalter und Jäger ihre Vorträge anhören und im Anschluss komme man dann häufig miteinander ins Gespräch, sagt sie. Bei solchen Gesprächen in entspanntem Rahmen merkt sie dann immer wieder, dass auch bei vielen Skeptikern durchaus Bereitschaft bestehe, etwas zu ändern.

Fotoausstellung + Führung für Schulen beim Fotofestival Montier im Nov. 2019. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Etwas ändern kann sich ihrer Meinung nach jedoch nur, wenn die Betroffenen auch dabei unterstützt werden, sich auf die neue Situation einzustellen. Leider überlasse man die Betroffenen in Österreich aber noch immer viel zu sehr sich selbst, kritisiert Sonvilla.

Sachlich und neutral statt emotional aufgebauscht

In den Medien wird das Thema Beutegreifer häufig aufgegriffen. Doch statt Lösungsansätze aufzuzeigen, werde die Debatte leider oft durch eine einseitige und unsachliche Berichterstattung weiter angeheizt, sagt Sonvilla. „Das ist eine irrsinnig gefährliche Form von Diskurs, weil es eben keinen Diskurs darstellt und auf vorgefassten Meinungen fußt […]. Es braucht einfach wirklich diese neutrale Basis“.

Was das angeht, sieht Sonvilla einen großen Vorteil in ihrer Unabhängigkeit. Denn im Vergleich zu größeren Umweltorganisationen wie dem WWF, hätten sie weniger mit Vorurteilen zu kämpfen und könnten auf einer neutraleren Ebene agieren. Dabei heiße neutral keinesfalls emotionslos, aber eben auch nicht „emotional aufgebauscht“.

Hoffnungsvoll, auch hinsichtlich einer offenen und neutralen Umweltkommunikation, stimmen Sonvilla grenzübergreifende Beutegreifer-Projekte wie das EU-finanzierte LIFE-DINALP BEAR. „Denn da ist wirklich zu hoffen, dass da dann auch wirklich mal ein Dialog zu Stande kommt“, sagt sie.

Christine Sonvilla und Marc Graf  2019 bei einem Vortrag in Belgien. (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Das LIFE-DINALP BEAR Projekt ist ein EU-finanziertes Projekt. Das Projekt setzt sich für ein friedliches Zusammenleben von Mensch und Bär ein und erforscht Mensch-Bär Konflikte und Management-Strategien, die keine Tötung der Tiere vorsehen. 2020 hat das Projekt den renommierten LIFE-Award in der Kategorie Natur gewonnen.

Das Beispiel Beutegreifer zeigt, wie wichtig die Meinung der Öffentlichkeit im Natur- und Umweltschutz ist. Sie entscheidet oftmals darüber, wie mit bestimmten Themen und Herausforderungen umgegangen wird. Eine sachliche und lösungsorientierte Umweltkommunikation ist wichtig, um einen Rahmen für Austausch und gemeinsames Handeln zu schaffen und so gemeinsame Zukunftsvisionen zu entwickeln.

Bären in der Nähe einer Siedlung (im Hintergrund des Fotos zu erkennen). (c) Christine Sonvilla und Marc Graf

Weiterführende Links

Leben am Limit

LIFE DINALP-BEAR homepage

DINALP-BEAR Analysis

Sonvilla-Graf-Homepage



Sie fressen sich durch fremde Körper den Weg ins Leben, werfen ihre Brut wie Bomben ab, verleihen Begriffen wie Oralsex oder Vorspiel neue Dimension und gehen für den Fortbestand ihrer Art buchstäblich über Leichen: Was immer Hollywood erfindet, hat die Natur im Stamm der Gliederfüßer bereits realisiert. Passend zum Valentinstag, werfen wir mit Dr. Michael Greeff (ETH Zürich) einen Blick auf einige der bizarrsten Liebes- und Fortpflanzungsrituale von Insekten & Co. 

Die Kälte erzeugt fast Gänsehaut im Keller der Zürcher Weinbergstrasse 56. Doch sie hat ihren Grund – es ist die vorerst letzte Ruhestätte eines gigantischen toten Zoos, der vor lebenden (gefräßigen) Artgenossen geschützt werden muss. Was hier noch lebt, stört nur die Toten: namentlich zwei Millionen vollständig präparierte Insekten, von stecknadelkopfklein bis handtellergroß, teils zwei Jahrhunderte alt, gebettet in unzähligen Holzschubladen – viele davon Vertreter von Arten mit bizarren Biographien und noch bizarrerem Liebesleben.

(c) Entomologische Sammlung / ETH Zürich

Die Freaks unter den Lebewesen

Evolutionsbiologe Dr. Michael Greeff kann seinem Publikum ein Lied davon singen. Als Leiter der Entomologische Sammlung der ETH Zürich ist er fürs Kuratieren, Digitalisieren, aber auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Insekten sind die Freaks und Hippster unter den Lebewesen“, schmunzelt Greeff, „wenn ich sie als ‚Tiere‘ bezeichne, schauen mich die Leute manchmal erstaunt an. Es sind Tiere, aber sie haben einen anderen Status für uns als etwa Wirbeltiere. Insekten und andere Gliederfüßer sind uns nicht ähnlich. Sie sind dekorativ, schön, aber auch bizarr, ausgeflippt, für viele eklig.“ Man habe da bisweilen eher die Assoziation zu Aliens, und das zu Recht – speziell, wenn es um die Fortpflanzung geht. Wo gibt es beim Menschen schon Embryonen, die sich durch einen Körper fressen und daraus hervorbrechen? Aber der Reihe nach.

Pfauenspinnenmännchen (c) Jurgen Otto / Wikipedia Commons

Gefährliches Vorspiel

Auch bei Gliederfüßern gilt: Die Angebetete muss erstmal gefunden und überzeugt werden – oft eine Sache auf Leben und Tod. Pfauenspinnen-Männchen – ein schönes, aber exotisches Beispiel – richten ihren prächtig gefärbten Hinterleib auf und vollführen damit einen Tanz, der an einen maskierten Medizinmann bei der Regenanrufung erinnert. Ist das Weibchen beeindruckt, hat das Männchen Glück; falls nicht, schwebt es in doppelter Lebensgefahr: Nicht nur das Weibchen wird ihn attackieren, auch Fressfeinde könnte das Gewedle bereits angelockt haben. Aber immerhin, seine Balz ist nicht ganz so verzweifelt wie jene mancher Mantisarten hierzulande – deren Tanz soll sicherstellen, dass die Auserkorenen das Männchen nicht fälschlicherweise schon vor der Paarung für Beute hält. In jedem Fall gilt: Je satter das Weibchen, desto sicherer der Sex.

Tierisches Kamasutra in vier Akten

Wenn es zur Sache geht, sind Spinnentiere wohl die kreativsten Vertreter unter den Arthropoden. „Webspinnenmännchen zum Beispiel bauen ein Netz, worauf sie die Spermien abgeben“, erklärt Greeff, „an der Pedipalpe verfügt das Männchen über eine Art Boxhandschuh mit einer leeren Röhre. Damit saugen sie die Spermien vom Netz auf, suchen das Weibchen, hoffen, die Balz zu überleben und führen dann, wenn das Weibchen es zulässt, diesen Bulbus – so heißt der Boxhandschuh – samt Spermien zur Geschlechtsöffnung des Weibchens. Es ist ein Schlüssel-Schloss Prinzip – der Bulbus passt nur zur Öffnung von Weibchen der gleichen Art.“

Männchen einer Webspinnenart mit Bulbi (c) Entomologie/Botanik, ETH Zürich /Albert Krebs 

Bei den Zwergfüßern (Tausendfüßer) wiederum gehen die Männchen lieber kein Risiko ein, bei der Balz gefressen zu werden. Sie lösen das Problem durch eine Spermatophore am Boden – praktisch Sperma am Stil – und gehen dann ihrer Wege. „Dieses Konstrukt findet das Weibchen und nimmt die Spermien in den Mund“, erzählt Greeff, „dann legt das Weibchen ein Ei ab, gibt die Spermien aus dem Mund auf dieses Ei und bringt das Ganze dann – wiederum mit dem Mund – auf ein Moospflänzchen auf, wo der Nachwuchs aus dem Ei schlüpft und sich vom Moos ernährt.“

Eine Spielart davon finde sich übrigens auch bei Pinselfüßern: „Da produziert das Männchen allerdings ein kleines Spermiennetz und lässt einen langen Faden übrig, der in die Landschaft ragt. Per Zufall stoße dann das Weibchen auf den einsamen Leitfaden. Es folgt ihm, fast wie Theseus Ariadnes Faden im Labyrinth des Minotauros, bis es das Spermiennetz erreicht und die Eier damit befruchtet. Kurzum: Das Weibchen trifft das Männchen nie.

Ameise und Bläuling (c) Entomologie/Botanik, ETH Zürich / Albert Krebs 

Bei einer australischen Schmetterlingsart aus der Familie der Bläulinge wäre das undenkbar. Sie bevorzugen Kontrolle. „Die Männchen schlüpfen sogar früher “, erklärt Greeff, „und warten dann extra bei einer weiblichen Puppe bis das Weibchen schlüpft – allerdings in Gesellschaft von zig anderen Freiern. Öffnet sich die Puppe, beginnt das Gerangel und endet mit der Vergewaltigung des Weibchens durch das stärkste Männchen.“ Bisweilen warten die Männchen irrtümlich bei der falschen, also einer noch ungeschlüpften männlichen Puppe. Diese wird trotzdem vergewaltigt, „möglicherweise damit das eine Männchen auch das Spermienpaket des anderen bei der Kopulation überträgt“, mutmaßt Greeff. Verwundern würde es nicht, geht es doch in der Biographie der Bläulinge skurril weiter: Manche ihrer Raupen duften und hören sich z.B. an wie Ameisenlarven, werden also von Ameisen versorgt und sogar auf die Weide getragen.

[AUDIO]

Eine kurze Geschichte von Ameisen und Bläulingen, erzählt von Michael Greeff

Showdown mit Eierbomben und alienistischen Kuckuckskindern

Geht es um den Nachwuchs, sind auch parasitoide Formen typisch für Insekten – wie jene kreative des Wollschwebers: „Er umwickelt seine Eier mit Staub und baut so kleine Bomben, die er dann über den Nesteingängen von solitären Wildbienen abwirft“, sagt Greeff. Die Wildbienen verstauen dort normal ihre eigene Brut samt Pollenpaket. „Verschließen sie den Eingang, ohne das Staub-Ei entdeckt zu haben, kann die Larve des Wollschwebers getrost schlüpfen, die Bienenlarve fressen und dann obendrauf noch das Pollen-Lunchpaket genießen.“

Großer Wollschweber (c) Entomologie/Botanik, ETH Zürich / Albert Krebs 

Toppen können das fast nur Schlupfwespenarten. Diese dreisten Insekten-Vertreter legen ihre Eier direkt in die Jungstadien von anderen Insekten. Die Jungwespen fressen dann von innen her die fremde Larve auf, ohne diese zu töten. „Sie lassen alle lebenswichtigen Organe bis zum Schluss unberührt. Erst, wenn sie bereit sind sich zu verpuppen, werden sie gefressen. Kein Wunder also, dass manche Leute bei Insekten an Aliens denken“, meint Greeff. Embryos, die einen von innen auffressen und aus einem Körper hervorbrechen kenne man ja sonst nur von Hollywood – tatsächlich sei das aber typisch Insekt.

Schützenswerte Vielfalt

Wertschätzung für den Erhalt und die Erforschung genau diese Vielfalt generiert sich laut Michael Greeff in erster Linie über Faszination für diese sensiblen Lebewesen, die auf den ersten Blick oft nur eklig und unangenehm scheinen mögen. „Nur wenige Faktoren reichen aus, damit eine Art nicht mehr vorkommt. Daher sind sie ein Indikator dafür, wie sich unsere Umwelt verändert.“ So gesehen dokumentiert eine Sammlung wie jene der ETH Zürich immer auch die Welt – einschließlich ihrer evolutionären Siege und Sackgassen. Was den Ideenreichtum in der Fortpflanzung betrifft, toppen Insekten und andere Gliederfüßer den Menschen jedenfalls bei Weitem. Langeweile kommt da keine auf – nicht mal im toten Zoo der Weinbergstraße 56, legen doch Museumskäfer ihre Eier bevorzugt in totes Insektengewebe…aber das ist eine andere Geschichte.

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(c) Michael Greeff

Michael Greeff ist derzeit Leiter der Entomologischen Sammlung der ETH Zürich. Am Beginn seiner Karriere forschte er zum Paarungsverhalten von Hummeln sowie zur Frage, weshalb sich die sexuelle Fortpflanzung bei Pflanzen und Tieren durchgesetzt hat. Dann wechselte er in die Bioinformatik, entwickelte Software in Japan und München, bis er in Zürich durch Zufall zurück zu den Insekten fand und seitdem als Kurator sowie Lehrender maßgeblichen Anteil daran hat, dass die Entomologische Sammlung von 1858 zeitgemäß wiedererweckt und weitervermittelt wird.

Weiterführende Links: Artenschutz-Projekte Insekten Tirol

Bug Buddies

Projekt “Blütenreich” Tiroler Umweltanwaltschaft

Tagfalter-Monitoring (Projekt Viel-Falter)

Artenhilfsprogramm Alpenbockkäfer

Zum diesjährigen „fish migration day“ haben Lena Fehlinger und die ABA zusammen ein Online-Event organisiert. ZOOM sei Dank mussten wir trotz der Einschränkungen durch die Covid19-Bestimmungen nicht auf eine spannende Vortragsreihe verzichten. Der offizielle „fish migration day“ wurde übrigens in den Oktober verlegt – im Herbst dürfen dann hoffentlich die tollen Workshops und Aktionen wieder stattfinden. Für alle, die nicht teilnehmen konnten oder die Vorträge noch einmal Revue passieren lassen möchten, haben wir noch einmal kurz zusammen gefasst, womit wir uns am 16. Mai beschäftigten.

Der World Fish Migration Day (WFMD) ist ein jährlicher Aktionstag, um das Bewusstsein für die Bedeutung von Wanderfischen und frei-fließenden Flüssen zu stärken.

Fischwanderhilfen-Monitoring beim Kraftwerk Greifenstein

Mag. Dr. Michael Schabuss hat die Vortragsreihe eröffnet und über seine Arbeit und das fischökologische Monitoring der Fischwanderhilfe beim Kraftwerk Greifenstein berichtet.

Im Rahmen des LIFE+ 10 NAT/AT/016 „Network Danube“ Projekts, welches von 2011 bis Ende 2019 lief, sollte die Durchgängigkeit für die Donau-Fische wiederhergestellt,  mehrere Natura2000 Gebiete vernetzt  und Schlüsselhabitate wiederhergestellt und geschaffen werden, vor allem Jung- und Laichfischlebensräume.

Beim KW Greifenstein wurde ein naturnaher Umgehungsbach von circa vier Kilometern Länge konstruiert. Mittels Fischreusen, PIT-Antennen, Elektrobefischungen und Fang-Wiederfang-Methodik wurden im ersten und zweiten Jahr nach der Fertigstellung Fische markiert und kartiert.


Die Fischaufstiegshilfe beim KW Greifenstein
copyright: PROFISCH, Michael Schabuss

In den Jahren 2018 und 2019 wurden an die 17.000 Fische aus 50 Arten in der Reuse, der Donau und der Fischwanderhilfe beim KW Greifenstein gefangen. Davon waren 42 Arten heimische Fische und acht nicht-heimische Arten. Es wurden ebenso 13 geschützte Arten nach der FFH (Annex II & V) nachgewiesen. Insgesamt waren es an die 11.600 Fische, die in der Auf- und Abstiegsreuse der Fischwanderhilfe dokumentiert wurden.

Mittels Elektrobefischung wurden 29 Arten im Umgehungsgerinne gefangen, in der Donau waren es 27 Arten – auch seltene Arten wie der Sichling (Pelecus cultratus) und der Perlfisch (Rutilus meidingeri) wurden nachgewiesen. Die häufigsten Arten in den Reusen waren Rotauge (Rutilus rutilus), Laube (Alburnus alburnus), Aitel/Döbel (Squalius cephalus) und Flussbarsch (Perca fluviatilis).

Mittels PIT-Tag wurden insgesamt 10.000 Fische aus 46 Arten markiert. 56 Prozent der markierten Fische wurden an einer der Antennen und 40 Prozent am Ausstieg registriert. Der Großteil der Fische nutzte das System über einen längeren Zeitraum, die maximale Verweildauer eines Fisches lag gar bei 16 Monaten, was für eine gute Akzeptanz der Maßnahme durch die Fische spricht! Rund 30 Prozent der Fische, die in der Donau unterhalb des KW Greifenstein markiert wurden,  konnten in der Fischwanderhilfe Greifenstein mittels PIT-Tag-Antennen registriert werden. Hierbei zeigte sich außerdem, dass auch kleine Arten wie die Laube über sehr weite Strecken wandern, schließlich sind es von Greifenstein nach Ottensheim an die 200 Flusskilometer.

Eine weitere Vermutung ist, dass Fische auch die Schiffsschleusen nutzen, wie es sie zum Beispiel beim KW Ybbs-Persenbeug, das noch keine Fischwanderhilfe hat, gibt.

Grundsätzlich zeigten die Ergebnisse, dass die Fische die Wanderhilfe gut annehmen und nutzen, sowohl große Adulte als auch sehr kleine und/oder juvenile Fische.

Die Kombination von herkömmlichen Methoden (Elektrobefischungen in der Donau und im Umgehungsgerinne, sowie Reusenuntersuchungen) mit PIT-Tag-Untersuchungen liefert wichtige Daten über die Fischzönose und das Wanderverhalten der Donaufischfauna und ermöglicht somit eine Funktionsüberprüfung von Fischwanderhilfen an großen Fließgewässern.

Rechtliche Hürden der Fischmigrationen

Darauf folgend widmete sich Mag. Christoph Cudlik den „rechtlichen Hürden“ der Fischmigrationen.

In Österreich bestanden 2015 an die 30.000 Wanderhindernisse, wovon an die 70 Prozent Hochwasserschutzmaßnahmen und an die 11 Prozent der Wasserkraftnutzung zuzurechnen sind, die restlichen Hindernisse kommen durch u.a. den Tourismus, Fischzuchten und Bewässerungsanlagen zustande. Nach der Wasserrahmenrichtlinie (RL 2000/60/EG; kurz: WRRL) besteht die Hauptaufgabe darin, die bestehenden Hindernisse passierbar zu machen und neue Hindernisse direkt mit Hinblick auf Durchwanderbarkeit zu planen. Dabei ist zu beachten, dass hinter jedem Wanderhindernis auch ein Wasserrecht steht, das durch die im Verfassungsrecht verankerte „Eigentumsgarantie“ geschützt ist und eine besondere Rechtfertigung für jeden Eingriff erforderlich macht.

Überdies dienen Wanderhindernisse regelmäßig auch öffentlichen Interessen,  wie beispielsweise Hochwasserschutz, Energieerzeugung, Nahrungsmittelsicherheit und Trinkwasserversorgung.

Diesen öffentlichen Interessen stehen die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie WRRL,  das Verschlechterungsverbot und das Verbesserungsgebot gegenüber. Nach dem Verschlechterungsverbot ist eine Verschlechterung des ökologischen Zustandes von Wasserkörpern zu verhindern, nach dem Verbesserungsgebot sind Wasserkörper überdies zu sanieren und zu verbessern, um einen guten Zustand und ein gutes ökologisches Potential zu erreichen.

Um den Gewässerzustand und damit die Einhaltung der Umweltziele zu beurteilen,  enthält die WRRL unterschiedliche Qualitätskomponenten, wie die biologische Qualitätskomponente Fische. Zur Erreichung des Zielzustands müssen lediglich geringfügige Abweichungen von der typspezifischen Gemeinschaft hinsichtlich Zusammensetzung und Abundanz sowie das Fehlen einzelner Altersstufen in der Population toleriert werden. Wanderhindernisse sind insbesondere dann passierbar zu gestalten, wenn selbst dieser (herabgesetzte) Zielzustand der Qualitätskomponente Fische nicht erreicht werden kann.


So oder so ähnlich könnte es unter Fischen ablaufen bei der Wanderung.
copyright: Lena Fehlinger

Die WRRL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Pläne darüber aufstellen, wie sie die Umweltziele der Richtlinie erreichen wollen: Im Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan (NGP)  Österreichs werden in sechsjährigen Planungszyklen prioritäre Sanierungsräume und Maßnahmen zur Zielerreichung festgelegt. Die Maßnahmen des NGP sind jedoch nicht unmittelbar verbindlich. Es kommen drei Möglichkeiten in Betracht, um die Sanierungsziele zu erreichen: Eine freiwillige Sanierung, eine Sanierungsprogrammverordnung (der Landeshauptleute) oder einen §21a Bescheid der zuständigen Wasserrechtsbehörde.

Wenn eine Zielerreichung per Verordnung durchgesetzt werden soll, legt der/die LH Sanierungsziele und -maßnahmen fest, die Wasserberechtigten haben dann innerhalb von zwei Jahren ein Sanierungsprojekt vorzulegen. Dabei ist auch eine Leermeldung möglich, wenn laut Wasserberechtigtem das Ziel bereits erreicht oder der Eingriff unverhältnismäßig wäre. Sowohl ein Sanierungsprojekt als auch eine Leermeldung werden in weiterer Folge von der zuständigen Wasserrechtsbehörde geprüft, bei Vorliegen aller Voraussetzungen (hinsichtlich der Zielerreichung) bewilligt und in weiterer Folge umgesetzt.

Ein Weiterbestand eines Wanderhindernisses ist insbesondere dann denkbar, wenn der Zielzustand erreicht oder die Maßnahmen zur Zielerreichung unverhältnismäßig wären. Der Zielzustand kann insbesondere dann erreicht sein, wenn  entweder ein „erheblich veränderter Wasserkörper“ vorliegt, weil in diesen Wasserkörpern bestehende Nutzungen bei der Festlegung des Umweltziels zu berücksichtigen sind, oder der Zielzustand nur kleinräumig überschritten wird. Ein Eingriff wird als unverhältnismäßig erachtet, wenn der Aufwand nicht in Relation zum Nutzen steht, wenn die Maßnahme nicht das gelindeste zum Ziel führende Mittel ist beziehungsweise wenn die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht gesetzeskonform erfolgte.

Ein §21a Bescheid kommt zustanden, wenn sich nach der Bestandsaufnahme ergibt, dass öffentliche Interessen nicht hinreichend geschützt sind. In diesem Fall werden individuelle Anpassungsziele festgelegt und Auflagen vorgeschrieben. Es wäre sogar denkbar, dass die Wasserbenutzung vorübergehend oder auf Dauer eingeschränkt oder untersagt wird.

Zusammenfassend ist ein Weiterbestand von Wanderhindernissen aus rechtlicher Sicht nur unter sehr strengen Voraussetzungen beziehungsweise in Ausnahmefällen denkbar.  Nach der WRRL sollen bis 2027 in allen Wasserkörpern die Umweltziele erreicht werden. Aus rechtlicher Sicht sind die gesetzlichen Mittel dazu jedenfalls vorhanden. Allerdings könnte die Zielerreichung in vielen Wasserkörpern vor allem an den wirtschaftlichen Voraussetzungen scheitern.

Von der Vjosa zur Donau

Dr. Paul Meulenbroek vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement (IHG) der Universität für Bodenkultur (BOKU)  hielt einen Vortrag über die Vjosa in Albanien und zeigte anhand eindrucksvoller Aufnahmen, wie dieser oft als „letzter wilder Fluss Europas“ betitelter Fluss sich von den hierzulande bekannten, teils begradigten und veränderten Flussläufen unterscheidet.


Die Vjosa – so kann ein wilder Fluss aussehen.
https://www.euronatur.org/unsere-themen/kampagnen-und-initiativen/rettet-das-blaue-herz-europas/aktuell/detail/news/berner-konvention-fordert-albanien-zum-schutz-der-vjosa-auf/
copyright: Gregor Subic

Anadrome Fische kommen zum Ablaichen ins Süßwasser (z.B.: Stör), katadrome Fische wandern zum Laichen ins Meer (z.B.: Aal) und potamodrome Fische wandern im Süßwasser von Standort zu Standort (z.B.: Barbe oder Nase). Für all diese Fischarten ist es notwendig, durchgängig passierbare Flussläufe zu haben oder wieder zu schaffen, um ihrem natürlichen Lebenszyklus zu entsprechen. An der Vjosa mit ihren teils abgeschnittenen, ruhigen Seitenkanälen, dem Hauptkanal und ausgedehnten Schotterbänken finden nicht nur unterschiedlichste Fischarten den für sie perfekten Lebensraum, auch profitieren die Lebensräume um den Fluss – Uferzonen, Wälder, Grasland – von den regelmäßigen Überschwemmungen und Sedimentumlagerungen.

Im Zuge der geplanten Bauprojekte an der Vjosa wurde das „Scientists for Vjosa“-Komitee gegründet, welches sich zum Ziel setzt, international Aufmerksamkeit auf die Lage der Vjosa und deren unsichere Zukunft zu lenken.

  • Im Hauptkanal (Eupotamon A) finden sich beispielsweise Arten wie Dünnlippige Meeräsche (Liza ramada), Europäischer Aal (Anguilla anguilla), Briana (Barbus prespensis) oder Chondrostoma vardarense.
  • In den seichteren Verbindungsstücken des Hauptkanals, in welchen sich auch regelmäßig Totholz-Ansammlungen bilden – wenn auch nicht so viele wie es sein sollten) findet man u.a.die Pindus-Schmerle (Oxynoemacheilus pindus), Skadar-Gründling (Gobio skadarensi)s und Briana (Barbus prespensis).
  • In den zum Hauptkanal verbundenen Seitenarmen (Parapotamon) tummeln sich u.a. Alburnus scoronza und der Schneider (Alburnoides bipunctatus).
  • In abgeschnittenen Seitenarmen (Plesiopotamon) welche nur bei Überflutungsereignissen mit dem Hauptkanal in Verbindung treten, kann man den Blaubandbärbling (Pseudorasbora parva) und Cobitis ohridana finden.
  • Ausgeprägte Makrophytenbestände (Paläopotamon) in Altwassergebieten bieten ein weiteres wichtiges Habitat.
  • In Teichen in Flussnähe finden sich zudem Arten wie Pelasqus thesproticus, Pachychilon pictum und Cobitis ohridana.

Die „connectivity“ (Verbundenheit) dieser unterschiedlichen verfügbaren Habitate führt dazu, dass saisonalen und alltäglichen Ansprüchen von Arten in unterschiedlichsten Lebenszyklusstadien und artspezifischen Ansprüchen gleichermaßen Genüge getan wird.

Momentan sind am Balkan, besonders auch um und an der Vjosa, unzählige Bauprojekte in Planung, teilweise auch schon in Konstruktion oder fertiggestellt.

Wenn die Pläne an der Vjosa umgesetzt werden, wird sich die Vjosa in eine Kette von Stauseen verwandeln, der Rückstau der einzelnen Hindernisse wird sich also bis zum jeweils dahinterliegenden Hindernis ziehen. Man kann sich ausmalen, was das für die vielen verschiedenen Arten bedeuten würde, wenn sich statt des vielfältigen Flusslaufes ein riesiger Stausee  bilden würde.

Im Zuge der Recherche und Forschung an der Vjosa hat sich nun ergeben, dass an die 625 Hektaran Lebensräumen, die durch Habitat-Richtlinie eigentlich geschützt wären, direkt durch den Stau verloren gehen würden. Zudem sindweitere 2578 Hektar flussabwärts von den Veränderungen indirekt betroffen. Man kann davon ausgehen, dass sie langfristig ebenso verloren gehen werden.

An der Vjosa wurden insgesamt mehr als 1200 Arten nachgewiesen, wovon viele in den Gefährdungskategorien der IUCN und albanischen Roten Liste geführt werden.

Verglichen mit anderen europäischen Flüssen, welche sich aufgrund der historischen Änderungen von einem wilden Fluss, welcher viel Raum beanspruchte, zu einem Kanal und einer Aneinanderreihung von Rückstau-Gebieten entwickelte, kann die Vjosa als eines der letzten Referenzsysteme für einen noch unverbauten Fluss herangezogen werden.

Grundlegende Funktionen von natürlichen Fließgewässern können hier noch untersucht  und Restaurierungsmöglichkeiten für andere degradierte Flüsse abgeleitet werden.

Immer der Nase nach …

Kristof Reuther studiert an der Universität für Bodenkultur „Applied Limnology“ (Angewandte Gewässerökologie) und dreht weiters großartige Filme. Auf seiner persönlichen Webseite kann man sich u.a. seinen 2020 gedrehten Film über die Nase ansehen: www.kristof-reuther.de.

Sein Vortrag drehte sich vornehmlich um die Notwendigkeit von Renaturierung und Revitalisierung am Beispiel von Wanderfischarten wie der Nase. Zunächst wurden die beiden Begriffe näher definiert: Renaturierung bezieht sich auf die Wiederherstellung naturnaher Lebensräume und Revitalisierung wertet bestehende Lebensräume in Teilaspekten auf. Physische Veränderungen von Flussbett, Flusslauf, Uferzone und sämtliche Hindernisse (Querbauwerke) sind die Hauptgründe für Revitalisierungs- und Renaturierungsmaßnahmen.

Global betrachtet nehmen die Artenzahlen der Süßwasserarten drastisch ab.

Wanderfische, insbesondere Kieslaicher (wie die Nase), die Ihre Eier auf oder im Substrat ablegen, stellen besonders hohe Ansprüche an die Durchgängigkeit und die Intaktheit der Habitate.

Nasen beispielsweise nutzen die Zubringer der Donau als Laich- und Jungfischhabitate. Früher kamen sie in großen Schwärmen vor, durch die Zerstörung und Zerschneidung der Lebensräume schrumpfen die Populationen jedoch und damit auch die anderen Fischarten.

Junge Nasen sind ein Indikator für einen guten Gewässerzustand. Die Fische laichen zwischen März und Mai bei 8-12 Grad Wassertemperatur an schnell fließenden Stellen, sogenannten Riffeln oder Furten. Bei funktionalem Substrat können wesentlich mehr Eier ins Substrat gelangen und die embryonale Entwicklung bis zur Emergenz vergleichsweise ungestört stattfinden, wohingegen bei verschlämmtem (kolmatiertem) Substrat die Eier nur in die oberste Schicht gelangen und viel leichter gestört werden und verdriften, und so vergleichsweise viel weniger zur Emergenz gelangen.

Das Laichgeschehen wird durch viele Faktoren beeinflusst, beispielsweise Wassertemperatur, Wassertiefe, die schon erwähnte Substratbeschaffenheit und Fließgeschwindigkeiten. Alle diese Faktoren können durch (hauptsächlich) anthropogene Störungen beeinträchtigt werden: die Wassertemperaturen verändern sich zunehmend durch den Klimawandel, Fließgeschwindigkeiten und Wassertiefen werden durch Flussbegradigungen homogenisiert, der Geschiebetrieb wird durch Wasserkraftwerke unterbrochen. Wenn das Gewässer nicht mehr in der Breite arbeiten kann, tieft es sich ein und die Seitenbäche verlieren ihre Anbindung.

An der Pielach (LIFE+ Projekt 2009-2014) und der Traisen (LIFE+ Projekt 2012-2016) wurde neuer Lebensraum geschaffen und die Mündung und Anbindung verbessert.


Die Donau und die darin einmündende Traisen
copyright: Kristof Reuther

Studenten der BOKU, wie Kristof Reuther, untersuchten, ob die gesetzten Maßnahmen an diesen Zubringern erfolgreich waren. Es zeigte sich, dass in der Pielach die Nasenpopulation aktuell sogar zu steigen scheint und hunderte von Nasen jedes Jahr in die Traisen zum Laichen ziehen. Auch andere Fischarten wie Barben, Aitel und Rußnasen profitieren von den Maßnahmen und finden in den neu geschaffenen Abschnitten der Traisen passende Habitate.

Es wird deutlich, dass durch die Schaffung von geeigneten Habitaten geschwächte Fischpopulationen unterstützt werden können und auch müssen.

Wir hoffen mit dieser Vortragsreihe Anstoß gegeben zu haben – zum Nachdenken, Grübeln, sich informieren und aktiv werden.