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Aus „Biologie in unserer Zeit“ Heft 4, 2018, S 218- 219; Bioskop-Online-Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der BIUZ-Redaktion und des WILEY-VCH Verlages; Titelbild: Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Foto: Christa Sütterlin

Am 2. Juni ist Irenäus Eibl-Eibesfeldt in seinem Haus in Starnberg nach längerer Krankheit gestorben – zwei Wochen vor seinem 90. Geburtstag. Für viele von uns ist er einer der bedeutendsten Biologen des letzten Jahrhunderts.

Er wurde als Sohn eines Botanikers am 15. Juni 1928 in Wien geboren. Der Vater konnte in Irenäus den begnadeten Naturbeobachter wecken: Renki, wie ihn seine Freunde nannten, hat als Jugendlicher viel Zeit in der Natur verbracht, vieles, was kreucht und fleucht zum Beobachten mit nach Hause gebracht und dabei fürs Leben gelernt.
Ab dem 18. Lebensjahr hat er in Wien Zoologie studiert. 1948 begann auf der biologischen Forschungsstation Wilhelminenberg in Wien die Zusammenarbeit mit Konrad Lorenz, die dazu führte, dass Eibl-Eibesfeldt 1951 mit Lorenz an das Max-Planck-Institut Seewiesen übersiedelt ist.
1970 konnte er die Forschungsstelle für Humanethologie gründen, zunächst mit Sitz in Percha bei Starnberg; ab 1978 in Seewiesen und ab 1988 im prächtigen Schloss Erling in Andechs. Seit 2014 arbeitet die Gruppe Humanethologie, geleitet von Wulf Schiefenhövel, wieder in Seewiesen.

Eibl-Eibesfeldt hat seine wissenschaftliche Laufbahn mit bahnbrechenden tierethologischen Experimenten begonnen und dabei unter anderem die Verschränkung von angeborenen und gelernten Bewegungsabläufen beim Nestbau von Ratten analysiert.
Nachdem er 1953 und 1957 von Hans Hass eingeladen wurde, mit dem Forschungssegelschiff Xarifa die Tiere der Weltmeere zu erkunden, machte er wichtige meeresbiologische Entdeckungen: so hat er als erster Putzersymbiosen bei Fischen beschrieben. Auf der ersten Xarifa-Reise hat er die Galapagos-Inseln kennengelernt und gesehen, dass die Inseln infolge zunehmender Globalisierung ökologisch bedroht waren und sind. Er konnte erfolgreich ihren Schutz bei der Unesco sowie den Bau der Darwin-Forschungsstation auf Santa Cruz anregen.

Pionier der Humanethologie

Berühmt wurde Eibl-Eibesfeldt als Begründer der Humanethologie, einer Disziplin, die auf der Grundlage des Tier- Mensch-Vergleichs die Sonderstellungen des Menschen und über den Kulturenvergleich das gemeinsame Erbe aller Menschen herausstreicht. Der weltweit in der nonverbalen Kommunikation eingesetzte Augengruß, also das freundliche kurze Hochziehen der Augenbrauen, ist eine Verhaltensweise, die er erstmals beschrieben hat.
Viel Aufmerksamkeit hat Eibl-Eibesfeldt dem Zusammenhang zwischen Brutpflege und Sozialverhalten geschenkt. So hat er immer wieder betont, dass „Brutpflege eine Sternstunde der Evolution“ gewesen sei, weil durch sie Liebe, Bindung und Freundlichkeit in die Welt gekommen sind und im Laufe der Evolution auch im sozialen Kontext zwischen Adulten Verwendung gefunden haben. Nur wenige Biologen vor ihm haben sich für Seelenaspekte, wie Freundlichkeit und Liebe interessiert.
Hinsichtlich Sozialverhalten war die Soziobiologie für ihn wegen ihres engen Fragenspektrums ein Spezialgebiet der Ethologie. Das ist eine Sicht, die er z.B. im Stichwort Ethologie des Lexikons der Biologie (Spektrum-Verlag) unterstrichen hat.

Abb. 1 Eibl-Eibesfeldt bei der Feldforschung. Das Verhalten von europäisch noch nicht akkulturierten Völkern dokumentierte er auf 300 Kilometern 16 mm-Film. Foto: Christa Sütterlin.

Bei der Dokumentation des menschlichen Ausdrucksverhaltens hat Eibl-Eibesfeldt viele der sich bietenden Möglichkeiten ausgeschöpft und so auch gehörlos und blind Geborene studiert und gefilmt. Obwohl diese Kinder die Mimik Anderer nicht nachahmen können, lachen und weinen sie genauso wie Sehende. Schon Darwin hat vermutet, dass die Mimik aller Völker [fast] identisch, also angeboren, ist und zu den kulturunabhängigen Universalien gehört. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts konnte Eibl-Eibesfeldt dies bestätigen, indem er das Verhalten der letzten noch nicht europäisch akkulturierten Völkern wie die Yanomami, Jäger und Pflanzer in Venezuela, die Himba, Viehzüchter sowie die „Buschleute“, Jäger und Sammler in Namibia, die Eipo, Jäger und Pflanzer sowie die Trobriander, Fischer und Pflanzer in Neuguinea besuchte und mit Hilfe von 300 Kilometern 16 mm-Film dokumentierte (Abbildung 1).
Die Filme sind ein Beitrag zur Völkerverständigung, da man in ihnen das gemeinsame Erbe aller Menschen vor Augen geführt bekommt. So ist zu hoffen, dass das humanethologische Filmarchiv zum Weltkulturerbe erklärt wird.

Interdisziplinarität und Toleranz

Eibl-Eibesfeldt hat für seine Forschungsprojekte andere Biologen und Ethologen, Völkerkundler, Linguisten und Mediziner mit ins Boot geholt, die sich auf jeweils eine Region konzentrierten. Weil ihn nicht nur das ungestellte alltägliche Verhalten der Leute interessierte, sondern auch ihr Denken, Fühlen und Sprechen, also ihr geistig-seelisches Innenleben, hat er sich auf ein Terrain begeben, für das ihm nach dem Selbstverständnis vieler Geisteswissenschaftler die nötige „Disziplinierung“ oder fachliche Qualifikation fehlte. So gesehen ist es verständlich, dass Eibl-Eibesfeldt der Meinungsvielfalt in seinem Institut gelassener gegenüberstand, als es Andere der Humanethologie gegenüber waren. Die Anerkennung der Humanethologie setzt das Begreifen der Bedeutung Darwins voraus: die Evolution hat nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele Spuren hinterlassen hat, die es zu lesen gilt.

Eine zentrale Frage hat Eibl-Eibesfeldt immer wieder fokussiert: Wie kommen wir Menschen in einer Umwelt zurecht, an die wir aufgrund der Veränderungen, die wir selbst machen, nicht mehr so gut angepasst sind? Für diese Frage und daraus resultierende Theorien erweisen sich Forschungen bei so genannten Naturvölkern als nützlich und notwendig, weil sie noch unter Bedingungen leben, für die Homo sapiens evolutionsbiologisch gemacht ist. In diesem Kontext ist auch der Tier-Mensch-Vergleich unverzichtbar, zumal wir mit den uns am nächsten verwandten „Tieren“ über 98 % der Gene teilen. So gesehen kann es nicht sein, dass die Welt der Tiere bis zu den Menschenaffen von der Zoologie erforscht wird und des Menschen Psyche und Seele nur von den Geisteswissenschaften. Auch bei der Diskussion, wie der Schimpanse und der Steinzeitmensch in uns in Schach zu halten sind, wo sie im Computerzeitalter schaden, ist ethologisches Wissen nützlich.

Eibl-Eibesfeldt hat viele Bücher geschrieben, die zum Teil in mehrere Sprachen übersetzt und zu Bestsellern geworden sind. Dazu gehören die Fachbücher „Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung“ und „Die Biologie des menschlichen Verhaltens“. In ihnen finden sich Beiträge zur Entwicklungspsychologie, Bindungstheorie, Inzesthemmung, Sexualmedizin, Friedens- und Psychotherapieforschung, den Sozial- und Kommunikationswissenschaften, sowie zu den großen Themen Trauer, Hierarchie, Aggression und Menschenwürde. Die Ethologie als Orientierungswissenschaft liefert darüber hinaus auch Wissen, das der Verständigung zwischen Humanwissenschaften dienlich ist. Wie kann dieses große Vermächtnis genutzt werden? Ein Teil des Wissens ist enzyklopädisch übersichtlich aufbereitet und als Lehrinhalt in Schulen, Fach- und Hochschulen geeignet, darüber hinaus wurde der Großteil der veröffentlichten Filme aus dem humanethologischen Filmarchiv digitalisiert und damit zu einem zeitgemäßen Lehrmittel transformiert.

Titelbild: Franz M. Wuketits (2007), (c) Mathias Schindler

Vorige Woche ereilte uns – die ABA – die Nachricht, dass Franz M. Wuketits verstorben ist. Er war von 2005-2008 Herausgeber unserer Zeitschrift bioskop. Wie er in seinem ersten Editorial meinte, sei es sein Hauptanliegen, „die Biologie in ihrer ganzen Tragweite und mit ihren vielfältigen Bezügen zu unserer Kultur ins Bild zu rücken“. Mit Themen wie „Krieg und Frieden“, „Die Zukunft der Gesundheit“ oder „Biologie und Weltweisheit“ gelang ihm das auch vorzüglich.
Dank seiner Verbindungen konnte das bioskop renommierte Autoren wie Ulrich Kattmann, Konrad P. Liessmann oder Bernd Lötsch gewinnen. Fachlich konnte sich das bioskop unter seiner Ägide mit Themen wie „System und Systematik“, „Biologische Vielfalt“ oder „Evolution und Zukunft des Menschen“ positionieren.

Ich lernte F. Wuketits in den 80iger-Jahren kennen, als er auf einem fächerübergreifenden Bundesseminar als junger Dozent mit einem brillanten Referat so manchen renommierten Philosophie-Professor alt aussehen ließ. Als Arbeitsgemeinschaftsleiter der OÖ. BiologielehrerInnen gestaltete ich mit ihm ein Seminar zum Thema „Evolution oder Schöpfung“. Dort trat er mit meisterlicher Rhetorik überzeugend gegen Vertreter aus der Gruppe um den Münchner Philosophen Reinhard Löw an.
2012 durfte ich noch sein Buch „Schwein und Mensch“ besprechen. Er bedankte sich mit folgenden Worten: „Mit Ihren Hinweisen auf didaktische Aspekte des „Schweinethemas“ und dessen interdisziplinäre Dimension (auch im Schulunterricht) haben Sie meine Intention genau getroffen.“.
Das war – leider – unser letzter Kontakt. Mit Franz M. Wuketits hat die ABA nicht nur einen ehemaligen Mitarbeiter, dem es gelang über das bioskop das Profil der ABA vom Lehrerverein zu einem Biologen-Verband zu schärfen, sondern auch einen wohlwollenden Mentor und wissenschaftlichen Beirat verloren.

Seine Belesenheit und seine Fähigkeit Fachwissen zu strukturieren, zusammenzufassen und zu kommentieren – wie z.B. in seiner „Soziobiologie“ – werden wir sehr vermissen.

Nachruf von Michael Schmidt-Salomon
> http://science.orf.at/stories/2917720/