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Wenn Tiernomaden über die Leinwand ziehen, Bären mit Biologen vor der Kamera sitzen und das Publikum über Umweltskandale und den Nobelpreis für die CRISPR-Methode diskutiert, dann ist wieder Natur Film Festival Zeit in Innsbruck. Die Umstände waren 2020 allerdings herausfordernd wie nie. Bettina Lutz, Daniel Dlouhy und Johannes Kostenzer erzählen wie Corona zum Einfallsreichtum zwang und doch inspirierende Begegnungen ermöglichte.

„Wie ist denn euer Gefühl, rückblickend, jetzt da das Festival vorüber ist?“, tönt die Frage blechern durch die Kopfhörer. Normalerweise hätte man sowas gemütlich bei einem Bier besprochen und nicht über eine instabile Zoom-Verbindung. Aber ungewöhnliche Zeiten, erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Wie sehr, hätten sich die Kulturvermittler Bettina Lutz und Daniel Dlouhy – die beiden hier am anderen Ende der Zoomleitung – zu Beginn der Festival-Planung im Jänner allerdings wohl nicht träumen lassen.  

Anfang Oktober eröffnete Festivaldirektor Johannes Kostenzer das Innsbruck Nature Film Festival zum 19. Mal – diesmal aus Platzgründen im Metropol. Wie schon im Vorjahr, fand es im Rahmen des International Nature Festivals statt – dabei steht Tirol einige bunte Herbstwochen lang ganz im Zeichen von Natur und Umwelt: mit Workshops, Exkursionen, Vorträgen und vielen anderen Aktivitäten (Programm „Senses“). Ein Highlight aber bleibt die Filmwoche, dieses Jahr organisiert von Bettina und Daniel.

(c) INFF 2020_Eine Herauforderung in Krisenzeiten

„Uns ist, als hätten wir zwei Festivals organisiert“, schildert Bettina. „Es war wahnsinnig viel Arbeit. Planbarkeit hat es keine gegeben, weil sich alle zwei Wochen was ändern konnte.“ Dazu sei noch der Umzug ins größere Kino gekommen, um den nötigen Abstand im Saal gewährleisten zu können – „das war für mich die größte Herausforderung“, schmunzelt Daniel, Metropol ist doch normalerweise eher knalliges Blockbusterkino, weniger Naturfilm. Trotzdem habe es gut funktioniert, auch weil die Freiwilligen einen guten Job gemacht haben, wirft Bettina ein. Man sei teils auch ausverkauft gewesen, Corona-Maßnahmen entsprechend ausverkauft, aber immerhin. „Die Leute waren happy, dass da was Kulturelles passiert, etwas, das zum Nachdenken über Natur und Umwelt anregt“, meint auch Daniel. Bettina nippt an ihrer Tasse: „Das zeigt doch, dass Präsenzveranstaltungen was anderes auslösen im Menschen, und wie wichtig es ist, dass man aktuellen Themen Raum zur Diskussion einräumt.“

(C) INFF2020_”Nomads”_Tierische Migranten

Von CRISPR/Cas bis Nachtigall

Anlass zu Gesprächen dürfte das bewusst breitgefächerte Programm zur Genüge geboten haben. So konnte man in manchen Sälen Natur von einer neuen Seite kennenlernen: etwa wenn Young Talent Megan Brown vorführte, was genau in einem Schmetterlingskokon passiert oder wenn Emiliano Ruprah das Thema Migration aus tierischer Perspektive zeigte und Roman Droux von seinen Abenteuern mitten im Braunbärengebiet in Alaska erzählte. Ferner hat man gelernt, dass „Madenteppiche“ auf Kadavern zwar eklig sein mögen, aber auch enorm wichtig für die Nährstoffkreisläufe, und dass Nachtigallen offenbar gerne mit Berliner Musikern musizieren (oder sich zumindest nicht von ihnen beim Gezwitscher stören lassen).

"Der Bär in mir"_Mit Natur und Wildnis auf Tuchfühlung
(c) INFF 2020_”Der Bär in mir”_Mit Natur und Wildnis auf Tuchfühlung

In anderen Sälen wiederum ging es nachdenklicher zu: Man diskutierte vor dem Hintergrund der Nobelpreisverleihung an J. Doudna und E. Charpentier die Dokumentation Human Nature – The CRISPR Revolution; sinnierte darüber, wie es sein kann, dass in Afrika immer noch verbotene, giftige Substanzen auf dem freien Markt verkauft werden oder war ergriffen von der Geschichte eines Whistleblowers, der die furchtbaren Zustände in einem Delfinarium schilderte.

Daniel: „Uns war es wichtig, dass wir filmbranchenmäßig relevante und thematisch interessante Filme zeigen – auch welche, die unter dem Radar schwimmen, aber trotzdem wertvoll sind. Der Walrossfilm zum Beispiel spielt in Kanada – ist der also für uns hier interessant? Ja, ist er – wir müssen über Zoos nachdenken, die haben wir ja auch.“

Bettina: „Den Ausschlag gegeben hat hier aber vor allem der interessante Protagonist, obwohl der mir persönlich doch eher unsympathisch ist…

Daniel: „..aber er ist auch nie schwarz-weiß. Er beleuchtet die Graubereiche, oder? Das macht es spannend.“

Welcher Film ins Programm kommt, entscheiden oft mehrere Faktoren: Ausgewogenheit zwischen den verschiedenen Typen von Naturdokus und Umweltdokus, der Lernaspekt und eben die Spannung. „Manchmal geht‘s aber auch darum, einfach etwas einzubringen, um es dann gezielt zu diskutieren“, präzisiert Daniel, „dieses Jahr hatten wir so einen Fall mit „Protect our Winters“ – da geht es um Leute, die für nachhaltiges Snowboarden eintreten, aber zwischenzeitlich mit dem Helikopter nach Patagonien fliegen. Wir haben sie eingeladen, um darüber zu diskutieren, wie das jetzt eigentlich ist mit der Nachhaltigkeit.“

(c) INFF 2020_”First we eat”_Suzanne auf Huflattichsuche

Schöne Begegnungen auf Distanz

All das wurde beim Festival erfolgreich bewerkstelligt. Neben den omnipräsenten Masken und elefantösen Abständen zeigte sich Corona letztlich aber vor allem in der bis zum Ende geschrumpften Liste der Filmemacher und Gäste, die am Ende nicht anreisen konnten. Bisweilen aber fanden sich trotzdem kreative Lösungen, aus denen schöne Begegnungen auf Distanz wurden. Suzanne Crocker etwa, Regisseurin von „First we eat“, wollte es sich nicht nehmen lassen, die Gesichter ihres Publikums zu sehen und mit ihm in Dialog zu treten. So holte man sie virtuell her, wie Bettina erzählt:

„Das ist schon was Schönes, wenn du merkst, dass diese Virtualität keine Rolle spielt“, meint Bettina, „ob Suzanne nun im Raum gewesen ist oder nicht, das war komplett egal.“  Ähnlich sei es auch bei der Preisverteilung gewesen oder bei Workshops im Kino, die kurzerhand als Livestream präsentiert wurden. „Ich glaube, dass man da für die Zukunft gelernt hat“, meint Daniel, „online allein ist für das Festival zwar weniger interessant – dazu ist es zu wichtig, dass man live da ist und die Atmosphäre mitkriegt – aber es hilft, die Dinge weiter zu denken. Leonardo di Caprio etwa wird schwer herzuholen sein, wie wir letztes Jahr bei seiner Doku festgestellt haben, aber wer weiß. Ihn oder eine andere Persönlichkeit bei Bedarf mal anzuskypen, geht schon wieder in eine Richtung, die klappen könnte.“

(c) INFF 2020_Ausstellung zum Nature Festival im Foyer des Metropol

Fürs Erste freut man sich über das positive Feedback der Besucher und ist froh, das Festival inner- und außerhalb des Kinos gut gemeistert zu haben. „Der neue Standort und Corona stellten uns vor viele Herausforderungen“, räumt Festivaldirektor und Umweltanwalt Johannes Kostenzer ein, „gleichzeitig wurden wir aber von vielen Seiten sehr unterstützt. Ein Festival ist nur dann ein Festival, wenn sich Menschen begegnen können, sich austauschen, gegenseitig bereichern und inspirieren. Dafür ist das Miteinander an einem großartigen Ort wie der Stadt Innsbruck essentiell.“ Es sei schön, dass so viele FilmemacherInnen das Innsbruck Nature Film Festival als attraktiven Ort für Begegnung und Austausch schätzen. Am Ende sei es auch heuer bestens gelungen, „den Themen Film, Natur und Umwelt hier in den Alpen einen Ort zu geben und zu sensibilisieren für einen sorgsamen Umgang mit unserer Umwelt“, freut sich Kostenzer.

Eines ist dem gesamten Festivalteam aber bereits bei der Nachbesprechung klar: Nach dem Festival ist vor dem Festival und die gesammelte Liste an Verbesserungsvorschlägen wird Ansporn sein, das 20. Innsbruck Nature Film Festival im Oktober 2021 noch interessanter, abwechslungsreicher und spannender zu gestalten.

Du bist Natur - Fassade am Metropol
(c) INFF 2020_Fassade am Metropol

Weiterführende Links

International Nature Festival

Innsbruck Nature Film Festival

Titelbild: Klaus Oeggl, Paläoökologe am Institut für Botanik, der Universität Innsbruck (Credit: Klaus Oeggl)

Wie haben sich die Menschen in der Jungsteinzeit ernährt und was kann uns Paläobiologie über die Gegenwart erzählen? Im Rahmen unseres Schwerpunktthemas Paläontologie widmen wir uns der jüngeren, hauptsächlich nicht fossilen Vergangenheit.

Experte für solche Fragen ist Klaus Oeggl, wissenschaftlicher Beirat der ABA und seit 2011 Professor für Palynologie (Pollenanalyse) und Archäobotanik an der Universität Innsbruck. Als Paläoökologe beschäftigt er sich intensiv mit den Wechselwirkungen zwischen Menschen und Umwelt in der Vergangenheit. Die Paläoökologie versucht die Zusammenhänge zwischen Umwelt, Klima und Mensch zu verstehen, in dem sie Umwelt- und Klimaveränderungen der Vergangenheit beleuchtet. Die Beantwortung von Fragen, wie „Wie hat sich die Umwelt entwickelt?“ und „Wie ist im Lauf dieser Entwicklung die heutige Umwelt entstanden?“ ist für eine Einschätzung zukünftiger Vegetations-, Klima- und Landschaftsentwicklungen hoch relevant.

Ötzi („Mann vom Tisenjoch/Hauslabjoch/aus dem Eis“) ist eine Gletschermumie, die 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckt wurde. Besonders bekannt machten Klaus Oeggl seine Forschungen zur neolithischen (=jungsteinzeitlichen) Gletscherleiche Ötzi, die 1991 am Tisenjoch an der heutigen österreichisch-italienischen Grenze gefunden wurde. In einem Interview erzählt er uns, welche Lebensweisen und Ernährungsgewohnheiten die Menschen in der Jungsteinzeit hatten, wie sich diese von den heutigen Gewohnheiten unterscheiden und wie uns die Paläobiologie helfen kann die aktuellen Veränderungen und deren zukünftige Auswirkungen zu verstehen.

Ötzi („Mann vom Tisenjoch/Hauslabjoch/aus dem Eis“) ist eine Gletschermumie, die 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckt wurde.

Vielen herzlichen Dank, Prof. Oeggl, dass Sie sich für dieses Interview Zeit nehmen! Sie haben Ötzis Mageninhalt untersucht. Was kann uns das über die Ernährungsgewohnheiten und Lebensweise von Menschen in der Jungsteinzeit erzählen?

Generell muss man sagen, dass der gesamte Magendarminhalt untersucht wurde. Dieser ermöglicht es uns Aussagen über die Ernährungsweise des Eismanns zu treffen. Da wir sequenzielle Proben entlang des gesamten Magendarmtrakts genommen haben und wissen, welche Transitzeiten der Speisebrei durch den Verdauungstrakt hatte, können wir auf die Zeitabfolge schließen, in der der Eismann die Speisen zu sich genommen hat. Somit können wir rekonstruieren, was der Eismann in seinen letzten 33 Stunden gegessen hat. Das ist wirklich sensationell! Zudem sind im Speisebrei Pollen aus der Umwelt erhalten geblieben, wodurch wir sagen können, wo der Eismann in diesen letzten Stunden seine Speisen zu sich genommen hat und um welche Saison im Jahr es sich gehandelt hat.

Und was hat Ötzi gegessen? Was waren seine Ernährungsgewohnheiten?

Gegessen hat er mannigfaltig. Grundsätzlich ist zu sagen, dass er eine omnivore Diät hatte. Vom Rektum bis hin zum Dünndarm haben wir Fleisch, Gemüse und eine mehlartige Speise gefunden, die als Brot interpretiert wird. Im Magen hingegen überwog das Fett. Daraus können wir schließen, dass Ötzis letzte Mahlzeit primär Fett dominiert war. Fett hat neben Kohlenhydrate die höchstmögliche Energieklasse. Das nehme ich zu mir, wenn ich eine lange anstrengende Arbeit vor mir habe. Etwas Ähnliches kennen wir von den Bauern, wenn wir 50 Jahre zurückgehen – ein Melchermus (bäuerliches Gericht für hart arbeitende Leute aus Butter, Mehl, Milch und Salz, Anm.).

Im Fall des Eismanns war es wirklich großes Glück, dass der Magendarminhalt so gut erhalten war. Leider hat man nicht immer eine so gut erhaltene Mumie zur Verfügung. Wie geht man dann vor, um Hinweise über die Lebensweise von Menschen in der Vergangenheit zu bekommen?

Paläoökologen bei der Arbeit: Pollen und Großreste aus Bohrkernen können Auskunft über die menschliche und landschaftliche Entwicklung geben. Moore sind hervorragende Archive unserer Vergangenheit.

Paläoökologen bei der Arbeit: Pollen und Großreste aus Bohrkernen können Auskunft über die menschliche und landschaftliche Entwicklung geben. Moore sind hervorragende Archive unserer Vergangenheit.Mumien nehmen in der Forschung tatsächlich einen besonderen Status ein, da sie in der Regel gut erhalten sind. Allerdings ist nicht in jeder Mumie der Magendarmtrakt vorhanden. Mumien wurden meist artifiziell mumifiziert und einbalsamiert, wobei der Magendarminhalt entnommen wurde. Diese wichtige Informationsquelle fehlt dann leider! Wenn der Magendarmtrakt jedoch vorhanden ist, ist dessen Untersuchung die Methode erster Wahl und es können sogar Stoffwechselprodukte analysiert werden. Diese wurde auch bei der um einiges jüngeren Leiche Kwäday Dän Ts’ìnchi aus British Columbien angewandt, die auf die Zeit zwischen 1450-1700 n. Chr. datiert wird.

Weitere Aufschlüsse über die Lebensweise und Ernährung der steinzeitlichen Menschen können auch die Analyse von Pollen, Großresten und stabile Isotopen geben. In jüngerer Zeit wird auch Ancient DNA (DNA aus toten Organismen, meist älter als 100 Jahre, Anm.) herangezogen.

Welche Parallelen sehen Sie zur Ernährung und zur Lebensweise der heutigen Menschen? Oder gibt es fast nur Unterschiede?

Man muss wohl sagen, dass es mehr Unterschiede gibt. Einige Parallelen lassen sich aber doch festhalten: Es gab damals wie heute eine omnivore Ernährungsweise. Wenn wir nun die einzelnen Bestandteile der Nahrung vergleichen und vom Generellen ins Detail gehen, sehen wir, dass die letzten fünf Mahlzeiten von Ötzi immer das Gleiche waren: Fleisch, Kohlenhydrate und ein wenig Gemüse. Beim Fleisch gibt es kleine Unterschiede, eine Mahlzeit war vom Steinbock und eine vom Rothirsch. Das war dann aber schon die gesamte Variabilität. Im Großen und Ganzen bestimmte Verfügbarkeit und Monotonie die Ernährung der Menschen zu Ötzis Zeiten. Heute hingegen, kann die Ernährung so mannigfaltig sein, wie wir es uns nur vorstellen können.

Dies ist nur möglich, da es uns von der Versorgung her so gut geht, wie nie zuvor. Es gibt zu keiner Jahreszeit irgendwo einen Engpass, den wir erkennen können, an dem wir einen Mangel leiden würden. Das ist in der Vergangenheit sicher nicht der Fall gewesen. Ernährung war in der Vergangenheit zweckorientiert und durch Verfügbarkeit bestimmt, aber nicht danach ausgerichtet, was könnte ich heute anderes essen als gestern.

Ein wesentlicher Unterschied in der Ernährung der steinzeitlichen Menschen zu heute besteht aber vor allem im Gehalt der Ballaststoffe. Die Ernährung der damaligen Zeit war deutlich ballaststoffreicher.

Eine ballaststoffreiche Kost hat keinen so hohen Nährwert, wo liegt hier die Zweckmäßigkeit?

In diesem Fall geht es nicht um den Nährwert, sondern um das Sättigungsgefühl. Damit wir satt werden, brauchen wir Ballaststoffe, und das ist ein wesentlicher Punkt. Das ist etwas, was wir in der heutigen Ernährung nicht schätzen. Wir wollen keine Lebensmittel, die besonders faserreich sind, sondern wir wollen Gemüse, das besonders zart und etioliert ist (durch Dunkelheit hervorgerufenes Wachstum: Pflanzen ohne nennenswertes Festigungsgewebe, schwach, biegsam, Anm.). Wir wollen kein verholztes Gemüse, das schmeckt uns nicht und das lehnen wir ab. Vollkornprodukte sind erst seit jüngster Zeit wieder verstärkt en vogue.

War das früher anders?

Früher gehörten Vollkornprodukte zur Ernährung der gemeinen Leute und nicht das hochprozessierte Weizenweißmehl und Weißbrot. Allerdings ist das Weißmehl gar nicht so günstig für die Verdauung, da man dort einen starken Mangel an Ballaststoffen hat. So wird heute schon von amerikanischen Medizinern empfohlen dem täglichen Essen 10 Gramm Kleie hinzuzufügen, damit wir wieder ausreichend Ballaststoffe haben. Nur so kann eine natürliche Peristaltik aufrechterhalten werden und die Transitzeiten des Speisebreis im Magen bleiben im normalen Rahmen. Je weniger Ballaststoffe wir haben, desto länger ist die Verweilzeit des Speisebreis im Darmtrakt.

Das Prozessieren des Weizens und der Lebensmittel ist eine Sache, man hat früher aber einfach auch nur das essen können, was zur Verfügung war. Da brauchen wir gar nicht so weit in die Vergangenheit schauen. Im Tiroler Raum gibt es das alte Volkslied „Heut‘ ist Knödeltag“ und dann zählt man sämtliche Knödel für die gesamte Woche auf. Das zeigt dann eigentlich schon, dass permanent das Gleiche gegessen wurde. Da sehen Sie eine ziemlich monotone Ernährung. Es gab zu essen, was vorhanden war.

Lebten die Menschen zu Ötzis Zeiten mehr im Einklang mit der Natur als heute? Welche Unterschiede sind besonders stark erkennbar?

Die Menschen waren der Umwelt natürlich sehr nahe und ausgesetzt. Die Ethnien dieser Zeit hatten eine Subsistenzwirtschaft (=Bedarfswirtschaft, Anm.), das heißt sie mussten sich alles selbst erwirtschaften, was sie konsumierten. Der Handel war in diesem Zusammenhang eher sekundär. Das sehen wir auch in Ötzis Ernährung: Einkorn als auch die Gerste konnten unmittelbar angebaut werden und das Fleisch von Steinbock oder Rothirsch wurde selbst erjagt. Die größten Unterschiede zu heute ergeben sich wohl dadurch, dass sich die Urzeitmenschen alles selbst aus dem unmittelbaren Umfeld erwirtschaften und holen mussten.

Welche Rolle spielt die Paläobiologie, also salopp gesagt die Untersuchung der biologischen Vergangenheit, um die aktuellen Veränderungen in den Lebensräumen und deren zukünftige Auswirkungen zu verstehen?

Wenn wir die heutige Kulturlandschaft betrachten, steckt dahinter eine gewaltige Entwicklungsgeschichte. Diese Entwicklung gilt es mit den Untersuchungen der Vergangenheit zu erleuchten. Interessant ist, dass man die Genese nicht monofaktoriell sehen kann, sondern, dass sowohl der Faktor Mensch als auch der Faktor Klima einen Einfluss auf die Vegetation haben und diese strukturieren. Damit sind wir bei dem interessanten Bereich, dass wir Veränderungen haben, die durch den Menschen und durch das Klima ausgelöst werden. Für die heutigen Veränderungen ist dies höchst interessant, weil wir Analoga in der Vergangenheit suchen und analysieren können.

Es gibt genügend Beispiele für Zivilisationskollapse in mehreren Formen: Bereits im Neolithikum kennt man einen derartigen Zivilisationskollaps. Auch in der Bronzezeit und dann in Mesoamerika von den Mayas. Das Zusammenspiel von Klima und menschlicher Beeinflussung ist in Bezug auf den anthropogenen Treibhauseffekt hoch aktuell. Wir können Modellversuche der „Natur in der Vergangenheit“ betrachten und detailliert untersuchen. In der Vergangenheit kennen wir die Ergebnisse bereits, eine Kultur ging zu Grunde. Für unsere Zukunft kennen wir den Ausgang der Entwicklung freilich nicht!

Und worauf führt man diesen Zivilisationskollaps zurück? Auf das Klima, auf den Menschen?

Bei den Mayas war es wohl der Faktor, der immer ganz besonders gravierend wirkt: Trockenheit und Trockenphasen. Diese Trockenphasen zwingen die Menschen zu einer Minimierung der Entwicklung und teilweise dann auch zur Aufgabe des gesamten Territoriums.

Was haben wir in Zukunft zu erwarten und was sollten wir tun, damit uns kein solcher Zivilisationskollaps droht?

Wir wissen, die Erde erwärmt sich. Wir wissen aber genauso, dass wir mehr oder weniger am Ende einer Warmzeit sind und unklar ist, wie sich dies weiterentwickeln wird. Grundsätzlich ist es natürlich so, dass der anthropogene Anteil an der Erwärmung minimiert gehört und wenn man so will, auch bekämpft gehört. Die Reduktion der anthropogenen Treibhausgase und der nachhaltige Umgang mit Ressourcen sind die wesentlichen Punkte, damit unsere Zivilisation auch länger überdauern kann. Bei einem gezielten menschlichen Eingreifen in das Gesamtklimageschehen, wie dies beim Geoengineering (→ siehe Infokasten) überlegt wird, habe ich jedoch große Bedenken. Dann haben wir ein rein anthropogenes Klima, in dem wir entscheiden, ob wir es wärmer oder kälter haben wollen, so als würden wir eine Klimaanlage einschalten. Ein Eingreifen in Naturkreisläufe führt zwangsläufig zu ähnlichen Diskussionen wie damals, als es um die Errichtung der ersten Nationalparks ging: Wie wollen wir die Natur beeinflussen, soll sie freien Lauf haben oder wollen wir sie selbst steuern?

Nun ja, eine solche Beeinflussung des Klimas durch den Menschen ist derzeit ja noch große Zukunftsmusik und technisch nicht realisierbar. Es scheint jedenfalls, dass für die weiteren Entwicklungen in der Zukunft noch viel offen und unklar bleibt. Sie haben uns aber gezeigt, dass uns ein Blick in die Vergangenheit die Augen für unser heutiges Leben öffnen kann und uns die heutigen Geschehnisse besser verstehen lässt.
Ich möchte mich nochmals herzlich für dieses sehr spannende Gespräch bedanken und wünsche gutes Vorankommen in diesem interessanten Forschungsfeld!

Geoengineering

Geoengineering bezeichnet großräumige Eingriffe mit technischen Mitteln in geochemische oder biogeochemische Kreisläufe der Erde. Als Ziele derartiger Eingriffe werden hauptsächlich das Stoppen der globalen anthropogenen Klimaerwärmung, der Abbau der CO2-Konzentration in der Atmosphäre oder die Verhinderung einer Versauerung der Meere genannt.

Weiterführende Literatur
Bortenschlager, S. & Oeggl, K. 2000: The Iceman and his Natural Environment: Palaeobotanical Results. Springer Verlag – Wien.