Titelbild: Runde vs. runzelige Erbsenform, eines der sieben von Mendel untersuchten Merkmale (Quelle: BOKU Vollmann)

Gregor Mendels berühmte Regeln der Vererbung werden heuer 150 Jahre alt. Auf Initiative der Gregor-Mendel-Gesellschaft Wien und mit Unterstützung der Universität für Bodenkultur sowie der Veterinärmedizinischen Universität Wien wurde dazu ein Symposium an der Akademie der Wissenschaften in Wien abgehalten, das nicht nur Rückblick, sondern auch Einblick in aktuelle Entwicklungen der Genetik bot. Resümee: Die Genetik ist eine Leitdisziplin innerhalb der Biowissenschaften geworden, und die Molekulargenetik nimmt eine zentrale Stellung für Forschung in Landwirtschaft, Humanmedizin und Biologie ein.

Abb.1 Gregor Mendel (1822-1884) – Quelle: BOKU Sammlung Pflanzenzüchtung

Wiener Erfahrungen

Gregor Mendel (1822-1884) trat im Jahr 1843 in das Augustinerkloster St. Thomas in Brünn ein und wurde von seinem Orden vor allem als Lehrer naturwissenschaftlicher Fächer an verschiedenen Schulen eingesetzt. Um seine Qualifikation als Mittelschullehrer zu verbessern und auch sein wissenschaftliches Talent weiter zu fördern, wurde er von 1851 bis 1853 zum Studium nach Wien entsandt. Die Universität Wien stand zu dieser Zeit mitten in einem Wandel, der auch auf Gregor Mendel einen starken Eindruck gehabt haben musste. Neue Professoren wie Christian Doppler (Physik) oder Franz Unger (Botanik) richteten die Lehre stark an der aktuellen Forschung ihrer Zeit aus. Waren es bei Doppler die demonstrative experimentelle Physik und das Wesen experimentellen Arbeitens überhaupt, so waren Ungers Einflüsse auf Mendel wahrscheinlich noch vielfältiger. Unger hatte aufgrund seiner paläontologischen und botanischen Kenntnisse bereits ein Jahrzehnt vor Darwin eine frühe Evolutionstheorie formuliert, die öffentlich kontrovers diskutiert wurde. Von Franz Unger dürfte Mendel aber auch Entscheidendes über Anatomie der Pflanzen, die Methoden der Kreuzung und künstlicher Bestäubung, über Zellbiologie sowie über die Verwendung von Mathematik zur Erklärung botanischer Phänomene mitgenommen haben.

Abb. 2 Erbsenblüte: Leicht kreuzbar und selbstbestäubend, ideale Modellpflanze für Mendel – Quelle: BOKU Vollmann

Brünner Kreuzungsexperimente

Die Erbse war im 19. Jahrhundert eine Modellpflanze, sie ist diploid, leicht zu kreuzen und ist selbstbestäubend, wodurch sie ihre Eigenschaften über Generationen konstant erhält, und für Mendel das Wichtigste: Er konnte Erbsensorten erhalten, die sich in jeweils einem Merkmal klar unterschieden, zum Beispiel rosa vs. weißer Blütenfarbe, runder vs. runzeliger Samenform, grüner vs. gelber Samenfarbe oder gerader vs. eingeschnürter Hülsenform. In zwei Sitzungen des naturforschenden Vereins in Brünn trug Mendel 1865 seine Experimentalergebnisse vor, im Jahr 1866 schließlich erschien seine Arbeit „Versuche über Pflanzen-Hybriden“ im vierten Band der Verhandlungen des naturforschenden Vereines im Druck. Mendel formulierte darin erstmals, nach welchen Regelmäßigkeiten Merkmale von einer Generation in die nächste übertragen werden, obwohl er weder Chromosomen noch Gene kannte, sondern von Anlagen sprach, die in den Keim- und Pollenzellen vorhanden wären. Mendel beschrieb klar, dass die Nachkommen einer Kreuzung homozygoter Eltern zunächst uniform das dominante Merkmal ausbilden (Uniformität der F1-Generation), in der folgenden Generation jedoch die Merkmale beider Eltern (Aufspaltung der F2-Generation) nach konstanten zahlenmäßigen Verhältnissen (3:1-Aufspaltung im dominant-rezessiven Erbgang) wieder zum Vorschein kommen. Entgegen der damals vorherrschenden Meinung von einer Mischung  mütterlicher und väterlicher Anlagen konnte Mendel zeigen, dass Merkmalsausprägungen der Eltern sich nicht vermischen, sondern getrennt erhalten bleiben. Und Mendel erkannte auch, dass verschiedene Merkmale unabhängig voneinander spalten (Unabhängigkeitsregel), hier hatte er das Glück, dass keine der von ihm untersuchten Merkmale eng gekoppelt auf demselben Chromosom vorlagen.

Mythos Mendel

Noch heute wird in Biologie- und Genetiklehrbüchern ein „Mythos Mendel“ gepflegt: Die Arbeit des Augustinermönchs wäre ungelesen und unverstanden geblieben, nie zitiert und im Jahr 1900 dreifach unabhängig wiederentdeckt worden. Die moderne Wissenschaftsgeschichte weiß es besser: Bereits 1867 erschien eine vierseitige Rezension der Arbeit Mendels in einer Wochenzeitschrift in Bamberg, ab 1869 wurde Mendel zitiert, etwa 15 Mal bis zum Jahr 1900. Auch fanden Pflanzenzüchter in Europa, Australien und Nordamerika an Kreuzungen bei Getreide oder Kürbissen ohne Kenntnis von Mendel die von diesem beschriebenen Gesetzmäßigkeiten, allerdings ohne Zahlenverhältnisse angeben zu können und damit ohne eine Erklärung für die Vererbung. Und Mendels „Wiederentdecker“ Correns, De Vries und Tschermak waren nicht unabhängig von Mendel und auch nicht voneinander. Nach der „formalen“ Wiederentdeckung und der Benennung der Mendelschen Regeln aber erlangte Mendels Werk breite Anerkennung, rasch entwickelte sich die Wissenschaft der Genetik: Cytologie, Chromosomen und deren Zusammenhang zur Mendelschen Aufspaltung, Gene und genetische Kopplung, Meiose mit Crossing over, Mutation und schließlich der genetische Code wurden allesamt in den ersten 50 Jahren der Genetik geklärt. Darüber hinaus wurde durch die Genetik eine entscheidende Schwachstelle in der Evolutionstheorie von Charles Darwin  beseitigt, denn ohne Mendels Vererbung, also der geregelten Weitergabe von biologischer Information von Eltern an Nachkommen ist eine Evolution nicht möglich.

Genetik in der Praxis: Vom Sequenzieren zum Editieren

Die Genetik ist eine stark anwendungsorientierte Wissenschaft: In der Pflanzenzüchtung und Tierzucht dient sie der Entwicklung neuer Sorten bzw. der Selektion, Mikroorganismen werden genetisch so verändert, dass sie Pharmazeutika oder industrielle Rohstoffe synthetisieren können, und für die Humangenetik sind die Möglichkeiten der genetischen Diagnostik unter anderem Voraussetzung für eine personalisierte Therapie verschiedenster Krankheitsbilder.

In der Tierzucht etwa spielt die Genom-Sequenzierung die wichtigste Rolle, da durch immer effizientere Methoden der Genotypisierung ganze Herden genetisch charakterisiert werden können, was eine genom-basierte Selektion auf landwirtschaftlich wichtige Merkmale wie Milch-oder Fleischleistung erlaubt. Aber auch einzelne Merkmale sind analysierbar: Die Schimmelfärbung der Lipizzaner-Pferde wurde als großes regulatorisches Element charakterisiert, wobei zwei Varianten der „Schimmel-Mutation“ existieren. Wenn beide  Varianten der Mutation vorhanden sind, ergraut das Pferd schneller als mit einer Variante und ist auch anfälliger für Melanombildungen.

Abb. 3 Genomische Selektion: Tausende Weizenpflanzen einer Kreuzungspopulation werden mit Markern genotypisiert – Quelle: BOKU Vollmann

Die Pflanzenzüchtung hat sich mithilfe der Genetik sehr rasch entwickelt, Ertragsmerkmale, Resistenz gegen Krankheiten und Stress sowie die Qualität der Produkte (Stärke-, Öl-, Proteingehalt usw.) wurden bei vielen Kulturarten verbessert. Der Ertrag von Weizen hat sich in Mitteleuropa innerhalb der letzten 100 Jahre durch Pflanzenzüchtung und optimierte Anbautechnik von 2000 auf 8000 kg/ha erhöht, was wesentlich zur heutigen Ernährungssicherheit beiträgt. Durch genetische Marker konnten polygen vererbte Merkmale wie Kornertrag oder Ölgehalt in einzelne Mendelnde Faktoren zerlegt werden, was die Selektion erleichtert. Die rasche Sequenzierung von Genomen und neuartige bioinformatische Methoden zur Verarbeitung dieser Sequenzdaten eröffnen weitere Perspektiven für die Züchtung, zum Beispiel bei Zuckerrüben, Sojabohnen, Raps, Mais oder Weizen. Methoden der Gentechnik und des Genome-Editing hingegen erlauben punktgenaue genetische Veränderungen einzelner Gene und Merkmale. Während diese Methoden, wenn sie etwa zur Entwicklung von Herbizid-resistenten Sorten eingesetzt werden, in Europa stark abgelehnt werden, bergen bestimmte Ansätze wie zum Beispiel Cis-Genesis (Genübertragung innerhalb derselben Art) oder das aktuelle CRISPR-Cas9-Verfahren (Enzymkomplex, der an einer genau definierbaren Sequenz in einem Gen eine einzelne Nukleotid-Veränderung induzieren kann) große Potentiale zur Verbesserung von Pflanzensorten, ohne dabei artfremde DNA in das Genom einzuführen.

In der humanmedizinischen Genetik werden Krebs und andere Erkrankungen vermehrt genetisch charakterisiert, um sie besser individuell therapieren zu können. Jedoch nur zwei Prozent der menschlichen Erkrankungen sind monogen vererbt, also den Mendelschen Regeln folgend, alle anderen dagegen polygen. Eine monogen vererbte Erkrankung ist beispielsweise die Bluter-Krankheit Hämophilie A, bei welcher der auf dem X-Chromosom befindliche Blutgerinnungsfaktor VIII mutiert ist. Allerdings kann jede Stelle des Gens mutiert sein, woraus sich viele ganz unterschiedliche Erscheinungsformen der Erkrankung ergeben.

Mendel molekular

Das Rätsel um Mendels runde vs. runzelige Erbsenform konnte übrigens molekulargenetisch gelöst werden: In runzeligen Erbsen ist ein Gen, das bei der Stärkesynthese für Verzweigungen sorgt, inaktiviert, wodurch das Korn nicht mit Stärke gefüllt wird, sondern nur Zucker anreichert. Bei der Reife verliert diese Erbse das Wasser und nimmt mangels Stärke eine runzelige Form an. Die Analyse des Stärkeverzweigungsgens hat gezeigt, dass in runzeligen Erbsen eine 800 Basenpaare lange Sequenz eingefügt ist, wodurch das Gene inaktiviert wird. Die eingefügte Sequenz stellt ein Transposon dar ähnlich den springenden Genen, die bei Mais beschrieben wurden.

Mendel: Versuche über Pflanzen-Hybriden (1866)”

Gregor Mendels Veröffentlichung Versuche über Pflanzen-Hybriden (1866)
Hinweis: Dieser Link führt zu einem digitalisierten Separatum von Mendels Veröffentlichung, das in der Fachbibliothek des Botanischen Instituts der Universität Wien aufbewahrt wird. Mendel hatte darin eigenhändig einige Druckfehler korrigiert, bevor er den Sonderdruck an den Botaniker Anton Kerner von Marilaun sandte.

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