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Titelfoto: Spät (im Herbst) blühender Beifuß in Wien; (Copyright: Katharina Bastl, Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Die Beifußpollensaison hat sich markant verändert. Das liegt an der Blüte von spät blühenden Arten, die im Herbst bei geeigneten Bedingungen seit 2023 zur Blüte kommen. Der Klimawandel wird wohl für eine dauerhafte Etablierung von neophytischen Beifußarten sorgen. Kennen Sie Standorte? Melden Sie sich gern bei uns.

Wann blüht Beifuß und warum ist das von Bedeutung?

In Wien und in Österreich generell kam und kommt dem Gemeinen Beifuß (Artemisia vulgaris) die größte Bedeutung in Bezug auf den Pollenflug zu. Er ist es auch, der maßgeblich die Beifußpollensaison bestimmt hat. Diese dauert üblicherweise von Juli bis September. Der Spitzenwert der Saison bzw. die Vollblüte setzt meist um Mitte August ein.

Den Zeitpunkt der Blüte zu kennen ist insbesondere für Betroffene von Pollenallergien wichtig, um rechtzeitig Maßnahmen setzen zu können. Die Beifußpollenallergie ist in Wien immerhin die dritthäufigste Pollenallergie (nach der Gras- und der Birkenpollenallergie).

Pollenallergiker:innen und alle Interessierten können sich über den Pollenflug von Beifuß und allen anderen allergenen Pflanzen beim Pollenservice Wien der MedUni Wien (www.pollenservice.wien) informieren.

Was hat sich 2023 geändert?

Das Jahr 2023 hat eine bedeutsame Änderung gebracht. Es wurde erstmals im Herbst, im späten September, bedeutsamer Pollenflug und überdies eine Spitzenpollenkonzentration höher als jene im Sommer, gemessen. Diese Spitze ist zuvor noch nie aufgetreten und kam überraschend. Da wir uns als wissenschaftliches Service verstehen, haben wir die Situation im Rückblick analysiert und mit Wetterdaten ausgewertet. Die Ergebnisse waren ebenso erstaunlich: während die Blüte von Beifuß im Sommer nicht im Zusammenhang mit irgendeinem Wetterparameter steht, war die Blüte von Beifuß im Herbst deutlich abhängig von der Temperatur (Bastl et al. 2024. A second Artemisia pollen peak in autumn in Vienna: reaching the point of no return?).

In Anbetracht des Klimawandels muss mit einer dauerhaften Veränderung und Verlängerung der Beifußpollensaison gerechnet werden.

Beifuß: Welche Arten sind bei uns von Bedeutung?

Beifuß gehört zur Familie der Korbblütler (Asteraceae) und ist eine der artenreichsten und am weitesten verbreiteten Gattung innerhalb dieser Familie. Etwa 250-500 Arten sind bekannt und zehn davon sind für Wien dokumentiert worden. Etliche von diesen zehn Arten sind allerdings selten oder sogar als gefährdet eingestuft worden.

Für alle die nachschlagen wollen, die „Flora Wiens gestern und heute“ von W. Adler und A. C. Mrkvicka aus dem Jahr 2003 ist ein wertvolles Standardwerk.

Es bleiben dann schlussendlich vier Arten übrig, die bei uns von Bedeutung sind:

  • der Gemeine Beifuß (Artemisia vulgaris)
  • der Wermut (Artemisia absinthium)
  • der Einjährige Beifuß (Artemisia annua)
  • der Kamtschatka Beifuß (Artemisia verlotiorum)

Zudem sind die zwei letzten Arten als höchstwahrscheinlich verantwortlich beschrieben worden für eine ähnliche Situation in Norditalien und als Neophyten mit stark invasivem Potenzial: dort trat eine höhere Herbstspitze erstmals im Jahr 2012 auf und seitdem ist die Beifußpollensaison dort von einem höheren Wert im Herbst geprägt (Cristofori et al. 2020. The late flowering of invasive species contributes to the increase of Artemisia allergenic pollen in autumn: an analysis of 25 years of aerobiological data (1995-2019) in Trentino-Alto Adige (Northern Italy)).

Leider sind diese Arten anhand des Pollenkornes in der aerobiologischen Routine und im Lichtmikroskop kaum unterscheidbar. Die Proben aus der Pollenfalle sind leider auch nicht geeignet, um sie im Rasterelektronenmikroskop zu untersuchen.

Die einzige Möglichkeit zur Unterscheidung ist momentan die Beobachtung in der freien Natur. Mittels phänologischer Dokumentation könnte man herausfinden, wann welche Art blüht und wie oft sie in Österreich und in Wien vorkommt.

Die wichtigsten Beifuß Arten und die Neophyten im Besonderen

Der Gemeine Beifuß (Artemisia vulgaris; Abb. 1 und 2) ist durch die folgenden Merkmale charakterisiert:

  • kurze Ausläufer
  • silbrige Blattunterseite
  • neutraler bis leicht unangenehmer Geruch
  • Pflanze ist oftmals stark verzweigt
  • Gelb-bräunliche Blüten
  • Wuchshöhe bis etwa 2m
Abb. 1 Habitus des Gemeinen Beifußes (Artemisia vulgaris) mit bereits abgeblühten Teilen und neu aufgekommenen Ständen (Copyright: Katharina Bastl, Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Abb. 2 Blühstand mit Blütenkörbchen des Gemeinen Beifußes (Artemisia vulgaris). (Copyright: Katharina Bastl, Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Der Wermut (Artemisia vulgaris; Abb. 3) ist durch die folgenden Merkmale charakterisiert:

  • Pflanze ist insgesamt grau-grünlich (Blätter und Stängel)
  • stark würziger Geruch
  • Pflanze ist niedrigwüchsig
  • intensiv gelbe und große Blüten und nicht anliegend, sondern hängend
  • Wuchshöhe 40-60 cm (gelegentlich bis 150 cm)
Abb. 3 Blühstand mit Blütenkörbchen des Wermut (Artemisia absinthium). Man beachte auch die komplett andere Farbgebung der Blätter und Stängel. (Copyright: Katharina Bastl, Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Der Einjährige Beifuß (Artemisia annua; Abb. 4 und 5) ist durch die folgenden Merkmale charakterisiert:

  • Pflanze ist komplett hellgrün (Blattober- und -unterseite gleich)
  • stark aromatischer Geruch
  • sehr kleine gelb-grünliche Blüten, Blütenköpfchen sind nicht anliegend, sondern hängend
  • Wuchshöhe 50-150cm (angebaute Formen auch höher)
Abb. 4 Habitus des Einjährigen Beifußes (Artemisia annua). (Copyright: Maximilian Bastl, Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Abb. 5 Unreife Blühstande des Einjährigen Beifußes (Artemisia annua) und Größenvergleich zum Daumen. (Copyright: Maximilian Bastl, Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Der Kamtschatka Beifuß (Artemisia verlotiorum; Abb. 6 und 7) ist durch die folgenden Merkmale charakterisiert:

  • lange Ausläufer
  • Pflanze ist grün mit silbriger Blattunterseite ähnlich dem Gemeinen Beifuß
  • Blätter sind länger als beim Gemeinen Beifuß
  • kampferartiger Geruch
  • Blüten ähnlich dem Gemeinen Beifuß, bräunlich bis rötlich
  • Wuchshöhe bis 2m
Abb. 6 Habitus des Kamtschatka Beifußes (Artemisia verlotiorum). (Copyright: Katharina Bastl, Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Abb. 7 Blühstand des Kamtschatka Beifußes (Artemisia verlotiorum).  (Copyright: Katharina Bastl (Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Helfen Sie mit!

Sie erkennen diese Beifußarten und kennen Standorte? Dann bitte teilen Sie Ihr Wissen mit uns und kontaktieren Sie uns (Kontakt auf www.pollenservice.wien).

Wir wollen mehr über diese Arten erfahren und können nicht überall unterwegs sein. Daher freuen wir uns über jede Mithilfe von Biolog:innen und biologisch Interessierten.

DANKE!

Titelfoto: Header der Webseite www.pollenservice.wien der MedUni Wien

Der Pollenservice Wien der MedUni Wien wird von Biolog:innen geführt. Das Kommunikationskonzept folgt wissenschaftlichen Erkenntnissen und umfasst neben reichlich Bild- und Videomaterial, verständliche Erklärungen und social media. Alles rund um den Pollen- und den Sporenflug findet man auf www.pollenservice.wien und beim „Pollenpaar“.

Die Biologie im Pollenservice Wien der MedUni Wien

Der Pollenservice Wien der Medizinischen Universität Wien (www.pollenservice.wien) versteht sich sowohl als Service für Betroffene von Pollenallergien als auch als Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der Aerobiologie. Die Aerobiologie ist eine Richtung innerhalb der Biologie, die sich mit den lebenden Mikroorganismen in der Luft befasst. Darunter versteht man meistens den Pollenflug und den Sporenflug, aber auch andere schwebende Organismen wie Viren, Bakterien oder Insekten sind Teil der Aerobiologie. Außerdem spielen Aerosole, also unbelebte Materie, wie zum Beispiel freie Allergene eine Rolle.

Abb. 1 Blick durch das Lichtmikroskop in eine Probe aus dem Frühling 2024: verschiedene Pollentypen müssen bestimmt und gezählt werden. Das ist wichtiger Teil der Aerobiologie und der Vorhersageroutine. (Copyright: Katharina Bastl (Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Die Biologie ist die maßgebliche Wissenschaft in diesem Feld. Für den Betrieb eines solchen Services sowie für die Erstellung von Pollenvorhersagen ist die Interdisziplinarität sowohl Herausforderung als auch spannendes Moment. Es hat seine Gründe, warum Pollenvorhersagen oftmals von oder in Kooperation mit meteorologischen Institutionen erstellt werden. Das Wetter ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren für den Pollen- und Sporenflug sowie für die Entwicklung der Pflanzen über das gesamte Jahr gesehen.

Ein weiterer Eckpfeiler ist die Phänologie, die Wissenschaft von periodischen Entwicklungserscheinungen in der Natur (Tieren wie Pflanzen). In unserem Fall die Entwicklung von Blüten und Blühständen von allergenen Pflanzen. Biolog:innen sind hier sehr gefragt, da ohne die doch zeitaufwändige Dokumentation, die Expertise erfordert, viele Phänomene des Pollenfluges nicht kommuniziert und erfasst werden könnten: sei es die Blüte einer allergenen Pflanze, die nicht ausreichend für Pollenflug sorgt, sei es die Unmöglichkeit einer genaueren Bestimmung von Pollenkörnern im Lichtmikroskop (Abb. 1).

Info

Die genaue Arbeitsweise des Pollenservice Wien der MedUni Wien findet man ausführlich erklärt im Leitfaden.

Dienstleistungen und Informationsaufbereitung

Auf der Webseite erscheinen auf der Startseite die wichtigsten aktuellen Vorhersagen und Informationen. Darunter eine Ampelgraphik namens „aktueller Pollenflug“ (Abb. 2). Diese zeigt die erwartete Intensität des Pollenfluges der wichtigsten aktuellen Vertreter in der Luft für die nächsten drei Tage an.

Die Vorhersage für die nächsten drei Tage, der „aktuelle Pollenflug“ als Ampelsystem
Abb. 2 Die Vorhersage für die nächsten drei Tage, der „aktuelle Pollenflug“ als Ampelsystem. Alle Texte stehen wie hier exemplarisch gezeigt in englischer Sprache zur Verfügung.

Es folgt die Text-Pollenvorhersage, die alles Wissenswerte zur aktuellen Situation und die nahe Zukunft zusammenfasst. Es wird leicht verständlich und möglichst kurz erklärt. Dabei hilft auch der „Pollenflug Steckbrief“, der die wichtigsten Eckpunkte (Stand der Saison, Trend, Zeitpunkt des Startes der Saison im Vergleich zum Durchschnitt) zu einem wichtigen Allergen zusammenfasst.

Den Abschluss bildet das „derzeitige Hauptallergen“, das detaillierte Informationen zum aktuell wichtigsten Allergen präsentiert, darunter die übliche Pollenflugzeit, wo es vorkommt, welche Arten (oder Gattungen) von Bedeutung sind und welche Kreuzreaktivität vorliegt.

Die Webseite ist lebendig gestaltet, das bedeutet, dass sie sich innerhalb der Saison beständig ändert und neben den drei bereits beschriebenen Elementen weitere Elemente bietet, wenn sie gerade benötigt werden. Das ist zum einen eine Infobox namens „aus aktuellem Anlass“ und zum anderen „Video Highlights“. Das Erstere bietet Informationen und Bilder, wenn Besonderheiten auftreten, um diese zu erläutern und ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das Letztere bindet Videos in die Webseite ein, um auch hier besser Wissen zu vermitteln. Die Videos werden später im „Video Archiv“ gespeichert, wo sie jederzeit aufgerufen werden können.

Neben der Hauptseite existieren Unterseiten, die dann weitere Informationen bieten.

Info

Die Unterseite „Pollenflugkalender“ (Abb. 3) zeigt die üblichen Blühzeiten der wichtigsten Aeroallergene in Wien. Es wurde Bedacht daraufgelegt, dass neue Allergene (wie der Götterbaum) und auch Nebenallergene (Eiche und Buche beispielsweise) vertreten sind. Zudem gibt es einen eigenen Kalender ausschließlich für Süßgräser (Poaceae), der die phänologisch erhobenen Blühzeiten der wichtigsten Vertreter aufzeigt. Eine wichtige Besonderheit in einem Land wie Österreich, in dem die Graspollenallergie die häufigste Pollenallergie ist.

Abb. 3 Ausschnitt aus einem der Pollenflugkalender. (Copyright: MedUni Wien/Pollenservice Wien, www.pollenservice.wien)

Neue Aufbereitung und Kommunikationsweise

Es war uns wichtig ein neues Kommunikationskonzept zu entwickeln und Verbesserungen vorzunehmen, die für uns nach mehr als zehn Jahren Arbeit in diesem Feld, auf der Hand lagen. Ein zentraler Punkt in der Kommunikation ist die Verständlichkeit. Wir setzen daher auf kurze und klare Sprache und verzichten auf Formulierungen, die nicht klar definiert sind. Zudem ist Wissenschaftlichkeit unser Fundament. Daher schreiben wir vom „Pollenflug“ und nicht von „Belastung“. Eine Belastung kommt durch unterschiedlichste Faktoren zustande und ist höchst individuell ausgeprägt.

Inhalte auch optisch erfassen zu können war ein weiteres Ziel. Dementsprechend setzen wir auf gutes Bildmaterial in Form von Fotos und Videos. Für Pollenallergiker:innen ist ein kurze Video über ein stäubendes Birkenkätzchen (Abb. 4) meist vielsagender als ein ganzer Absatz zum Beginn der Birkenblüte.

Abb. 4 Ausschnitt aus einem der Videos aus der Pollensaison 2024. Eine Pollenwolke entweicht aus den blühenden Birkenkätzchen auf Berührung (Copyright: Maximilian Bastl (Pollenservice Wien/MedUni Wien)

Wir haben wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage zur Kommunikation verwendet. Die Vorhersage „aktueller Pollenflug“ für die nächsten Tage nutzt drei Stufen („kein/kaum Pollenflug“ in Grün, „Pollenflug“ in Gelb und „hoher Pollenflug“ in Rot; Abb. 2). Zum einen ist die Umsetzung barrierefrei, weil die Anzahl der Punkte erkannt wird auch bei Farbblindheit. Zum anderen wurde eine Ampel (grün, gelb und rot) als Vorbild genommen, um die erwartete Intensität des Pollenfluges abzubilden. Dieses leicht verständliche Konzept wurde schon recht lange in der wissenschaftlichen Literatur vorgeschlagen (Kiotseridis et al. 2013. Grass pollen allergy in children and adolescents – symptoms, health related quality of life and the value of pollen prognosis. Clinical and Translational Allergy 22(3):19. Doi: 10.1186/2045-7022-3-19; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23799882/).

Spannenderweise wurde unser neues Kommunikationskonzept und die Vorhersagestufen indirekt kürzlich durch klinische Daten einer Schweizer Studie als vorteilhaft bestätigt, da es weder einen Schwellwert (ab dem Symptome einsetzen) zu geben scheint und die Dosis-Wirkungs-Kurve sehr abgeschwächt ist (Luyten et al. 2024. Ambient pollen exposure and pollen allergy symptom severity in the EPOCHAL study. Allergy doi: 10.1111/all.16130; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38659216). Damit erscheint eine Einteilung wie früher üblich in Belastungsklassen mit niedrigen, mäßigen, hohen und sehr hohen Werten hinfällig. Eine simple Einteilung nach Ampelsystem wurde schon länger gefordert und kann als überlegen angesehen werden. Die Rückmeldungen aus der Pollensaison 2024 waren einstimmig positiv, daher werden wir bei diesem Konzept bleiben.

Social media spielt nun auch eine große Rolle: Neben der Webseite informieren wir als „Pollenpaar“ auch auf X, Bluesky Instagram und TikTok. Folgt uns, wenn ihr alles rund um Pollen erfahren möchtet.