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Titelbild: Untersuchungsfläche am Hochschwab. Quelle: Harald Pauli

Gebirge sind häufig Hotspots der Biodiversität. Gleichzeitig sind sie aber aufgrund ihres Arten- und Endemiten-Reichtums und den speziellen klimatischen Gegebenheiten durch den Klimawandel besonders gefährdet. Seit mittlerweile zwei Jahrzehnten beschäftigen sich Forscherteams in der ganzen Welt mit den möglichen Folgen für die alpine Flora. Die Idee dazu entstand in Österreich.

Die internationale Ausrichtung spürt man nicht sofort, wenn man das GLORIA-Büro im 19. Bezirk/Wien betritt. Es ist eine lichtdurchflutete Altbauwohnung in einer ruhigen Lage, umgeben von schicken Häusern und Grünflächen vor den hohen Fenstern. Doch tatsächlich ist GLORIA mittlerweile eine der wenigen langfristigen internationalen Forschungsinitiativen mit Sitz in Österreich.

GLORIA (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments)
Ist eine Initiative, die ein internationales Monitoring-Netzwerk für Langzeitbeobachtungen alpiner Pflanzengesellschaften betreibt. Die vergleichenden Studien (sowohl nationaler als auch internationaler Art) zielen vor allem darauf ab, Biodiversitätsmuster zu erfassen und die Auswirkung des Klimawandels auf die Hochgebirgsvegetation festzustellen.

Als Anfang der Neunziger der Klimawandel zu einem Begriff und langsam auch zu einem Thema der öffentlichen Medien wurde, gab es noch sehr wenige Initiativen, die sich mit Langzeitveränderungen durch die globale Erwärmung befassten. „Zu der Zeit war ich Diplomand bei Georg Grabherr und in meiner Dissertation wollten wir die Veränderung in der alpinen Flora untersuchen“, erzählt Harald Pauli, der mittlerweile der Kopf des GLORIA Teams ist. Die Idee war, Gipfel, wie die Hochwilde in den Ötztaler Alpen, von denen es historisch vollständige Artenlisten gab, erneut zu besuchen und ein aktuelles Arteninventar zu erstellen. „Natürlich war nur ein geringer Teil der historischen Daten für einen Vergleich geeignet, doch es ließ sich dennoch ohne Zweifel feststellen, dass nun viel mehr Arten auf den Gipfeln vorkamen“, erinnert sich Pauli an die Resultate der Arbeit, die ihn und seinen Kollegen Michael Gottfried zwei Sommer lang beschäftigte. Die zweite Publikation zu den Ergebnissen schaffte es dann überraschend in der Zeitschrift Nature. „Damit war klar, dass wir in diese Richtung weitermachen müssen“, so Pauli.

Von einer Publikation zu einem weltweiten Netzwerk

Die Motivation, das Projekt fortzuführen war gegeben, allerdings gab es kaum Vergleichsdaten auf nationaler und internationaler Ebene, vor allem aber außerhalb Europas. Meist waren nur mehr oder weniger unvollständige Artenlisten vorhanden, was die Auswertungsmöglichkeiten einschränkte.

„Wir brauchten Genaueres“, schildert Pauli die Situation, die schließlich zu dem mittlerweile internationalen GLORIA-Netzwerk führte. Anfang des Jahrtausends tastete das Team um Georg Grabherr das Interesse der internationalen Forschungsgemeinschaft zu den Forschungsbestrebungen ab und erntete sogleich positive Reaktionen. Das erste EU-Projekt wurde daraufhin eingereicht. Das Netzwerk, das mit 18 Gebieten begann, umfasst mittlerweile 130 Gebiete verteilt auf sechs Kontinente.

Abb.1: Europäische Gebirgsregionen mit GLORIA-Erhebungsflächen. Diejenigen 17 Regionen, die in die erste Erhebung 2001-2008 eingebunden waren sind mit schwarz umrandeten gelben Punkten gekennzeichnet. Quelle: Harald Pauli
Abb.1: Europäische Gebirgsregionen mit GLORIA-Erhebungsflächen. Diejenigen 17 Regionen, die in die erste Erhebung 2001-2008 eingebunden waren sind mit schwarz umrandeten gelben Punkten gekennzeichnet. Quelle: Harald Pauli

Erste Ergebnisse

Im Jahr 2001 erfolgte die erste Erhebung der Gefäßpflanzengemeinschaften auf den Dauerflächen der 66 Gipfel in den 17 europäischen Regionen. Nach der Wiederholungskartierung 2008, lagen die ersten Vergleichsdaten vor. Dabei war ein Höhersteigen der Arten auf fast allen Gipfeln erkennbar. Im Schnitt verschoben sich die Artengrenzen um 2,7 Meter nach oben. Die Artenvielfalt stieg ebenfalls um durchschnittlich acht Prozent an. Dies bedeutet, dass die Pflanzen nicht nur ihre Obergrenzen ausweiten, sondern auch Pflanzen von unten nachdrängen. Dies könnte zu Problemen vor allem bei jenen Pflanzen führen, die bereits am Limit ihrer oberen Verbreitungsgrenze wachsen und nicht mehr weiter ausweichen können. Der Gletscher-Hahnenfuß kann sich beispielsweise gar nicht an höhere Temperaturen anpassen. Er würde, bei Fehlen geeigneter kühlerer Habitate, schnell seine physiologischen Reserven aufbrauchen. Im schlimmsten Fall würde dies lokale Aussterbeereignisse nach sich ziehen. „Ein Aussterben ist aber natürlich schwer festzustellen. Wir können nur einen Rückgang in der Bedeckung oder eine Verdrängung durch andere Pflanzen festhalten und daraus mögliche Schlüsse ziehen“, erklärt Pauli.

Abb.2: Der Gletscher-Hahnenfuß (Ranunculus glacialis) ist gut an das raue alpine Klima angepasst. Unter wärmeren Bedingungen sind seine physiologischen Grenzen schnell erreicht. Quelle: Harald Pauli
Abb.2: Der Gletscher-Hahnenfuß (Ranunculus glacialis) ist gut an das raue alpine Klima angepasst. Unter wärmeren Bedingungen sind seine physiologischen Grenzen schnell erreicht. Quelle: Harald Pauli

Die Zunahme der Artenzahlen vollzieht sich jedoch nicht in allen europäischen Regionen gleichermaßen. In mediterranen Gebieten zeigt sich gar eine Abnahme der Artenzahlen. Dies könnte auf einen kombinierten Effekt von Klimaerwärmung und abnehmender Niederschlagsmenge zurückzuführen sein. „Weniger Regen führt zu Trockenstress, den nur wenige Pflanzen aushalten“, folgert Pauli. Diese Ergebnisse seien vor allem deshalb besorgniserregend, führt er weiter aus, da „gerade in den mediterranen Gebieten, die verfügbaren Hochgebirgsflächen sehr klein sind und ein hoher Grad an Endemismus besteht“. Diese endemischen Pflanzen haben wenig Möglichkeiten, ihre Verbreitung den klimatischen Gegebenheiten anzupassen. Bereits nach den ersten sieben Jahren wurden 31 Prozent der 2001 aufgenommenen Endemiten nicht erneut gefunden (Pauli et al., 2012).

Außerdem konnte eine zunehmende Thermophilisierung der alpinen Flora festgestellt werden. Das bedeutet, dass in den untersuchten Regionen, die Bedeckung jener Pflanzen zunimmt, die an höhere Temperaturen angepasst sind. Diese Pflanzen, die normalerweise weiter unten (in der montanen oder subalpinen Zone) wachsen und größer als die meist klein- und langsam-wüchsigen alpinen Arten werden, wandern nach oben und konkurrieren mit den alpinen Arten um Licht. Im Schnitt konnte festgestellt werden, dass sich die Höhenstufen in sieben Jahren um fünf Prozent nach oben verschoben. Dies führt zu einem Schrumpfen der Hochgebirgszonen mit genügend niedrigen Temperaturen für an Kälte angepasste Hochgebirgsarten (Gottfried et al., 2012).

Abb.3: Der Indikator für die Thermophilisierung (D) ist signifikant positiv auf europäischer Ebene. Der rote Strich repräsentiert die mittlere Thermophilisierung in Europa, der grüne Bereich ist das 95% Konfidenzintervall. Orange Punkte und horizontale Balken stehen für den Mittelwert D pro Region sowie die dazugehörigen 95% Konfidenzintervalle. Quelle: Gottfried et al., (2012)
Abb.3: Der Indikator für die Thermophilisierung (D) ist signifikant positiv auf europäischer Ebene. Der rote Strich repräsentiert die mittlere Thermophilisierung in Europa, der grüne Bereich ist das 95% Konfidenzintervall. Orange Punkte und horizontale Balken stehen für den Mittelwert D pro Region sowie die dazugehörigen 95% Konfidenzintervalle. Quelle: Gottfried et al., (2012)

Ausblick in die Zukunft

„Unser Schwerpunkt in den nächsten Jahren wird es sein, vermehrt funktionelle Merkmale gemeinsam mit den anderen Monitoring-Daten aufzunehmen.“, beantwortet Pauli die Frage nach der Zukunft von GLORIA. Damit werden die Interpretationsmöglichkeiten und die Aussagekraft der Daten erheblich verbessert. Funktionelle Merkmale können eine mögliche Thermophilisierung anzeigen oder auf den Rückgang von Niederschlägen hindeuten (skleromorphe Pflanzen). In den mediterranen Gebieten ist der Rückgang der Niederschlagsmenge (siehe „Erste Ergebnisse“) derweil nur eine mögliche Erklärung für den Artenrückgang. Da es weder möglich noch praktikabel wäre überall Wetterstationen zu bauen, kann die Hypothese durch die Untersuchung funktioneller Merkmale geklärt werden.

Allerdings gibt es keine einheitliche Literatur zu diesen Merkmalen, die einen Vergleich über Ländergrenzen hinweg zuließe. Deshalb ist eines der nächsten Ziele des GLORIA-Teams einen vollständigen Datensatz mit diesen Zusatzinformationen, zumindest einmal für Europa, zu erstellen.

Außerdem müssen die Daten, die 2015 im dritten Durchgang des Projekts erhoben wurden, noch analysiert werden. Anhand dieser könnte nun bereits ein Trend in den Entwicklungen prognostiziert werden.

Hürden eines internationalen Langzeitprojekts

Langzeitmonitoring-Initiativen wie GLORIA stoßen aber auch auf viele Probleme, die gleichzeitig als Kritik am Forschungsalltag gesehen werden können, der in den meisten Wissenschaften nun eingekehrt ist. Pauli erklärt die Schwierigkeiten so: „Monitoring-Daten, die nur alle fünf bis zehn Jahre erhoben werden, fallen nicht unter die Kriterien der meisten Fördertöpfe. Aber in Bezug auf den Biodiversitäts- und Klimawandel sind nur solche Projekte wirklich sinnvoll“.

Europaweit gibt es kaum Fördergelder für Projekte, die über mehr als fünf Jahre laufen. Langfristige Finanzierungskonzepte sind nicht en vogue. Deshalb müssen immer neue Projektanträge geschrieben werden, „obwohl sich an der grundsätzlichen Fragestellung nichts ändert und ein Projektdurchgang vielleicht auch gar nicht genug ist, um sie zu beantworten“, so Pauli. Um ein Bestehen der Initiative zu sichern, müsse das Team vermehrt Strategien entwickeln, wie das Monitoring langfristig finanziert werden kann, „weil die Daten ja auch mit jedem Durchgang interessanter und wertvoller werden“.

Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, neue Dauerbeobachtungsflächen außerhalb Europas zu schaffen. Gerade in Afrika und Asien gibt es wenige Monitoring-Flächen. Dies liegt einerseits an der weniger ausgeprägten Tradition zur Feldbiologie und andererseits an der teils fehlenden oder unvollständigen Bestimmungsliteratur. Auch politisch ist die Kooperation zwischen manchen Ländern kaum möglich und Sprachbarrieren erschweren die Zusammenarbeit weiter.

Trotz dieser Hürden ist mit GLORIA etwas gelungen, was bisher kaum denkbar war: In allen Klimaregionen der Erde verteilt auf sechs Kontinente, gibt es WissenschafterInnen, die in gemeinsamer Anstrengung an einer Fragestellung zum möglicherweise brisantesten Problem unserer Zeit arbeiten – den Auswirkungen des Klimawandels.

Harald Pauli

Harald Pauli
Die Berge begleiten den Hochgebirgsökologen bereits in seiner gesamten Laufbahn. Harald Pauli studierte Biologie mit dem Schwerpunkt Botanik an der Universität Wien und arbeitete dann lange Zeit in der Forschungsgruppe um Georg Grabherr zu klimawandel-induzierten Veränderungen von Gefäßpflanzen in der alpinen und nivalen Zone. Mittlerweile ist er Leiter des internationalen GLORIA Netzwerkes und Monitoringprogramms an der BOKU und der ÖAW sowie Vizedirektor des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung, IGF, an der ÖAW.

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